Das Portal zu Leben und Werk von Ernest Hemingway

Schlagwort: Stil

Revolution: Charles Dickens vs. Ernest Hemingway

So froh begann ein herzerfrischender Frühwintertag, einer von denen, die die erschlaffenden Sommertage – so nennt man sie, wenn man sie nicht hat – zuschanden machen und den Frühling beschämen, weil sie bisweilen nur halb so kalt sind. Die Schafglöckchen klangen so klar durch die kräftige Luft, als fühlten sie deren wohltuenden Einfluss wie lebende Wesen; die Bäume ließen statt der Blätter oder Blüten funkelnden Reif niederfallen, der unserem Tom wie Diamantenstaub vorkam. Von den Schornsteinen stieg der Rauch hoch, hoch in die Luft, als hätte die Erde vor lauter Schönheit ihre Schwere verloren und brauche sich nicht mehr durch dumpfe Dünste bedrücken zu lassen. Die Eiskruste auf dem sonst plätschernden Bach war so dünn und durchsichtig, dass er aussah, als hätten die lebhaften Wellen aus freien Stücken halt gemacht – Toms froher Geist deutete es so –, um den lieblichen Morgen zu betrachten. 
Charles Dickens, Martin Chuzzlewit, 1843.

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Im Spätsommer dieses Jahres waren wir in einem Haus in einem Dorf mit Blick über den Fluss und die Ebene zu den Bergen. Im Flussbett lagen Kiesel und Felsen, trocken und weiß in der Sonne, und das Wasser war klar und strömte schnell und blau in den Rinnen. Soldaten gingen am Haus vorbei die Straße hinunter, und der Staub, den sie aufwirbelten, senkte sich auf das Laub der Bäume. Auch die Stämme der Bäume waren staubig, und das Laub fiel früh in diesem Jahr, und wir sahen die Soldaten die Straße entlang marschieren und den Staub aufsteigen und die vom Wind bewegten Blätter fallen und die Soldaten marschieren und hinterher die Straße kahl und weiß bis auf die Blätter. Auf der Ebene wogten die Felder; es gab viele Obstbäume, und die Berge dahinter waren braun und kahl. In den Bergen fanden Gefechte statt, und nachts sahen wir die Artillerie aufblitzen. Im Dunkeln wirkte es wie ein Sommergewitter, aber die Nächte waren kühl und ließen nicht an ein aufziehendes Gewitter denken.
Ernest Hemingway, In einem anderen Land, 1929

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Die Magie des ersten Satzes

Maestro Hemingway weist mal wieder die Richtung. Art by C. Stock.

Der erste Satz eines Romans ist der schwierigste. Und der letzte Satz der zweitschwierigste. Der ganze Text dazwischen scheint mir dagegen einfach, man braucht bloß seine Geschichte zu erzählen. Als Autor darf man die Wirkung des ersten Satzes nicht unterschätzen. Wenn der erste Satz nichts taugt, ist das ganze Buch Mist.

Es gibt Schriftsteller, die wahre Meister des ersten Satzes sind. Der Kolumbianer Gabriel García Márquez ist so einer. Chronik eines angekündigten Todes. Ein Anfang zum Niederknien. An dem Tag, an dem sie Santiago Nasar töten wollten, stand er um fünf Uhr dreißig morgens auf, um den Dampfer zu erwarten, mit dem der Bischof kam. Besser geht es nicht.

Und auch Ernest Hemingway hat den Stellenwert des ersten Satzes verinnerlicht. Mit Bravour in: Der Unbesiegte, In einem anderen Land und natürlich in Der alte Mann und das Meer. Nebenbei bemerkt, Hemingway ist in der Kunst des letzten Satzes noch besser als in der des ersten. Aber dies ist eine andere Geschichte. Bleiben wir beim ersten Satz.

Allein dieser Eröffnungssatz hat einen Nobelpreis verdient. He was an old man who fished alone in a skiff in the Gulf Stream and he had gone eighty-four days now without taking a fish. So einfach und so perfekt. Er war ein alter Mann und fischte allein in einem Boot im Golfstrom, und seit vierundachtzig Tagen hatte er keinen Fisch gefangen. Das Schicksal des Fischers Santiago in einem prägnanten Ausschnitt. Und zugleich die Beschreibung des Schicksals der Menschheit. 

Der erste Satz ist mehr als ein erster Satz. Er markiert den Geburtsmoment einer Erzählung. Der Punkt, von dem alles ausgeht. So wie eine unbekannte Person, die zur Tür hereinkommt und Guten Tag wünscht. Die Art und Weise wie sie dieses Guten Tag sagt, entscheidet über Annäherung, Ablehnung oder Gleichgültigkeit. Der erste Eindruck entscheidet. Man hat keine zweite Chance auf einen guten ersten Eindruck.

Für den Leser ist ein guter erster Satz wie der Sprung ins kalte Wasser. Der Auftakt muss überraschen, emotional packen und sich den Weg in die Seele bahnen. In Bezug auf die Handlung muss ein Eröffnungssatz etwas anbieten, darf zugleich jedoch nicht zu viel verraten. Er soll sich dem Thema nähern, aber den Pegel der Neugierde hoch halten. Die Stimmung, die dann den Roman durchzieht, wird in diesem ersten Satz angestimmt.

Der Eröffnungssatz ist die Keimzelle, von der sich alles abspaltet. Ton, Inhalt, Figuren, Melodie und Rhythmus des Buches. Urs Widmer nennt den ersten Satz das Samenkorn der ganzen Geschichte. Länge, Tempo und Kolorit eines Werkes muss er enthalten und vorbestimmen. So entscheidet der erste Satz über Sieg und Niederlage. Man kann nach einem schlechten ersten Satz wahrscheinlich trotzdem ein gutes Buch schreiben. Ein Makel jedoch würde bleiben. 

Mit einem Erdbeben anfangen und dann langsam steigern!, gab Filmproduzent Samuel Goldwyn seinen Drehbuchautoren in Hollywood vor. Wie ein Paukenschlag muss ein erster Satz wachrütteln, er muss einschlagen wie ein Blitz. So stark muss ein Auftakt sein, dass man ihn künftig auch im Schlaf runterbeten kann. Wer in Opas Badelatschen daherkommt, hat schon verloren. Als Erzähler fällt man so weit zurück, dass die verlorene Wegstrecke nur schwer aufzuholen ist.

Den ersten Satz gut hinzukriegen, ist

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Ernest Hemingway – ein Krieger ohne Sieg

Ernest Hemingway in Paris, im März 1928. Photo: Helen Pierce Breaker.
Credit Line: Ernest Hemingway Photograph Collection, John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Der Erste Weltkrieg hat alles verändert. Die Kampfhandlungen an der Front sind unvorstellbar schrecklich. Es ist ein Krieg gewesen, der noch sinnloser ist, als all die anderen. Ein Krieg von solch einer Brutalität wie keiner zuvor. Ein Krieg, den keiner richtig gewollt hat und bei dem niemand so recht weiß, um was es eigentlich geht. Ein Krieg der Schlafwandler, so hat der australische Historiker Christopher Clark diese reflexartige Tragödie umschrieben, die die Welt von 1914 bis 1918 durchschüttelte.

Jener große Krieg lässt eine Lost Generation zurück, Gertrude Stein hat die mental Kriegsgeschädigten mit einem solchen Stempel versehen. Eine Generation, die verraten und verloren scheint, junge Frauen und Männer, die sich ihrer Werte und Sicherheiten beraubt sehen. Selbst die Sieger gehen als Verlierer vom Feld.  Nach dem Krieg erleben die USA düstere Tage. In jenen 1920er-Jahren wird das Land geplagt von Wirtschaftskrisen und sozialen Konflikten. Die Mafia kommt auf in Chicago und New York, die Prohibition, selbst das Saufen wird verboten, es ist eine freudlose Dekade.  

Alle Gewissheiten und der Zukunftsglaube sind mit einem Mal dahin. Da kann auch die Literaturwelt nicht mehr mit dem nett gemeinten Charles Dickens-Geschwurbel weitermachen. Dicke Romane über Londoner Asylheime, brave Erzählungen von mittellosen Waisenkindern und herzlosen Adligen – alles schön bis oberschön, aber ganz furchtbar von vorgestern. Wie in einem Gegenentwurf veröffentlicht im Jahr 1926 ein junger amerikanischer Autor seinen Erstling, The Sun Also Rises.

Wie eine Lichtgestalt wird Ernest Hemingway empfangen. „Hemingway ist zur rechten Zeit geboren, er verkörpert die stumme Sehnsucht und die unklaren Ideale eines großen Teiles seiner eigenen wie der nach ihm herangewachsenen Generation“, schreibt der Kritiker Clifton Fadiman in der April-Ausgabe der Berliner Zeitschrift Der Querschnitt im Jahr 1933. Mit dem kernigen Naturburschen aus Michigan kommt ein ganz neuer Typus auf die Bühne der Literatur.

Ein forscher Revolutionär, der die grauen Zöpfe der Väter und Großväter abschneidet. Der unbekümmerte Sohn eines Arztes macht den Blümchen-Themen und den stilistischen Schnörkeleien der viktorianischen Altherrenriege radikal den Garaus. Ernest Hemingway erstrahlt als eine Identifikationsfigur, auf die so viele gewartet haben, endlich. Ein Erlöser, wenn man will, literarisch zumindest.

Ein Neuerer, der nicht aufrüstet, sondern reduziert. Der nicht abschweift, sondern zum Wesentlichen vorstösst. Und jemand, der uns keine falsche Wahrheit vorgaukeln möchte. Vielmehr ist da jemand, der

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Wie man Hemingway lesen muss

Der Bücherleser Ernest Hemingway, zusammen mit seinem Hund Negrita auf der Finca Vigia in Kuba. Credit Line: Ernest Hemingway Collection/John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Es ist wichtig, wie man sich diesem merkwürdigen Schriftsteller aus Amerika nähert. Literarisch und menschlich, ohnehin. Aber vor allem als Leserin oder Leser. Doch wie liest man ihn am besten? Und wie sollte man ihn nicht lesen? Von der Antwort auf diese scheinbar so selbstverständlichen Fragen hängt einiges ab.

Mein Empfinden nach jahrzehntelanger Beschäftigung mit diesem wilden Kerl ist glasklar: Man muss ihn langsam lesen. Sehr langsam. Jedes Wort sollte man sich auf der Zunge und im Gehirn zergehen lassen. Denn bei ihm kommt es auf jedes einzelne Wort an. Doch zum Langsam-Lesen benötigt man Disziplin und Muße. Es fällt nicht leicht in unserer schnelllebigen Zeit.

Zumal dieser Ernest Hemingway raffinierte Fallgruben gräbt: Seine einfach Sprache verführt dazu, ihn rasch zu lesen. Die Prosa des Nobelpreisträgers von 1954 geht runter wie gezuckerter Daiquirí. Dieser Autor zelebriert in all seinen Werken eine einfache Syntax. Hauptsatz, dann nächster Hauptsatz. Die Sätze und Dialoge: klar und geradeaus. Gerade durch den kurzen Rhythmus erhalten Hemingways Sätze Tempo.

Man darf sich jedoch von diesem Tempo nicht mitreißen lassen. Leichter gesagt als getan! Denn durch die Rasanz kriegt der arme Leser kaum Zeit zum Luftholen, er wird von der Geschwindigkeit der Satzmelodie in den Bann gezogen. Dem überrumpelten Leser bleibt keine Zeit zum Nachdenken, zur Aufmerksamkeit. Und zum Bemerken des Schönen.

Ernest Hemingway ist ein erstklassiger Handwerker. Er ringt um jedes Wort. Es sieht im Ergebnis so einfach aus, weil es perfekt ist. Doch Perfektion fällt nicht voll Himmel, nichts kommt von alleine. Manchmal grübelt er auf Finca Vigía stundenlang über einen Satz.  All my life I’ve looked at words as though I were seeing them for the first time. Mein ganzes Leben lang habe ich Wörter betrachtet, als wenn ich sie das erste Mal sehen würde.

Erst wenn er diese Makellosigkeit der Sprache durch Einfachheit und Exaktheit erreicht hat, zeigt er sich

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Ein Revolutionär, der als Klassiker endet

Der junge Ernest Hemingway in Paris, im März 1928. Portrait von Helen Pierce Breaker. Credit Line: Ernest Hemingway Photograph Collection, John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Alles geschieht in Paris und ohne Paris bleibt diese Umwälzung nicht vorstellbar. Die Stadt an der Seine ist wie eine Insel des Glücks, alles um sie herum muss sich im Unrat der Zeitläufte suhlen. Nach dem Ersten Weltkrieg liegen die Länder am Boden, Gewinner wie Verlierer. Männer sind in einem sinnlosen Krieg verheizt worden, Werte haben sich als hohl erwiesen, ihr Vermögen haben die Deutschen in den Kriegsanleihen des Kaisers verpulvert, selbst Amerika wird erschüttert von sozialen Konflikten.

Und die Literatur? Wie ein alter Dieselmotor knattert die viktorianische Literaturtradition eines Charles Dickens mit ihren Adelsthemen und dem Schwurbel-Stil dem Friedhof entgegen. Die englische Literatur beharrt immer noch auf diesen belehrenden Aristokraten-Touch, ihre Themen um Londoner Waisenhäuser und hartherzige Lords ermüden die Leser zunehmend. Es geht dem Ende zu mit dem weitschweifigen Gesäusel, doch das Neue gewinnt erst langsam an Kontur. 

Aus der calvinistischen Ödnis des Mittleren Westens kommt im Dezember 1921 ein lebenshungriger junger Mann aus Chicago in die französische Hauptstadt, als Korrespondent der kanadischen Tageszeitung Toronto Star. Ernest Hemingway hat nicht studiert, ein Umstand, der sich jedoch durchaus als Vorteil herausstellen wird. Neugierig taucht der 22-Jährige ein in die alte Welt, er liest französische Lyrik, deutschen Naturalismus und spanische Novellen. Und er hört aufmerksam den Ratschlagen zu, die Künstler in Paris ihm verraten.

Gertrude Stein lehrt den Rhythmus der Sprache, die französischen Poeten demonstrieren mit ihrem le mot juste wie wichtig es ist, das treffende Wort zu finden. Die Disziplin des genauen Wortes sensibilisiert ihn für den richtigen Ausdruck, er wird die Technik fortan in seiner Prosa anwenden. Von den Musikkomponisten lernt er, wie wichtig eine Satzmelodie ist. Melodie und Kontrapunkt. Hemingway wird ein Schriftsteller werden mit einer ganz eigenen Tonalität, sein Satzbau bekommt Wiedererkennungs-Qualität.

Dann schaut der Sohn eines Arztes und einer Opernsängerin sich die Farbenpracht der Gemälde eines Henri Matisse oder Paul Cézanne an. Der Amerikaner aus Illinois wird überwältigt, wie es den Künstlern gelingt, die großartige Natur mit nur wenigen Strichen und Farbtupfern froh und leuchtend darzustellen. Er nimmt sich vor, die Landschaft in seiner Prosa so zu schildern, wie die französischen Impressionisten zu malen vermögen. 

Es ist das Handwerk des Schreibens, das Ernest Hemingway sich in Paris aneignet. Einen besseren Ort kann man sich nicht vorstellen. Doch Paris ist mehr. In der Stadt des Lichtes erlebt er, dass trotz Verletzungen und Schicksalsschlägen, die Welt Liebliches zu bieten hat: attraktive Frauen, einen wunderbaren Rotwein, gutes Essen, Boxen und Pferderennen, die Muße im Café, den Trost der Kunst. Paris bewahrt den jungen Mann davor, zum Zyniker zu werden und ermöglicht ihm, sich seiner Zielvorstellung eines guten Lebens klar zu werden.

Eine neue Art zu schreiben ersteht, kurz, lakonisch, auf das Wesentliche reduziert. Hemingways Themen und sein Stil bewegen sich nahe

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Ernest Hemingway und die Naturbilder

Ernest Hemingway veröffentlicht In einem anderen Land im Jahr 1929. Viele sagen, es sei sein bestes Werk.

Clarence Hemingway, der Vater, hat Ernest von Kindesbeinen an in die Natur mitgenommen und dem kleinen Jungen an den Bächen und Flüssen um den Lake Michigan das Fischen beigebracht. Mit drei Jahren vermag der wissbegierige Ernest eine Angel zu halten, ebenso wie ein Gewehr. Die Hemingways besitzen das Sommerhaus Windemere am Walloon Lake im Norden Michigans und die Eltern verbringen dort mit den Kindern die Sommermonate.

Durch den Vater hat Ernest auch den Respekt vor der Natur erfahren. In der unberührten Natur entdeckt der neugierige  Junge das Gerinnsel einer Quelle, das Wachsen zu einem Bachlauf, der breiter und breiter wird und schließlich in einem Fluss mündet, der dem Meer zufließt. Der Jugendliche zeigt sich früh fasziniert vom Wasser, er bestaunt die selbstverständliche Beständigkeit dieses Kreislaufes von Flora und Faune, so als sei die Tier- und Pflanzenwelt von einer unsichtbaren Hand gelenkt, die sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt.

In der Natur spürt Ernest die Momente von Einkehr, er braucht eine solche innere Harmonie, denn dieser Mensch schleppt vielerlei Verletzungen mit sich herum. „Hemingway hat Narben vom Kopf bis zur Spitze seines rechten Fußes“, sagt der Schriftsteller und Psychologe José María Gatti aus Buenos Aires. „Man kann sagen, dass die Geschichte seines Lebens auf seinem Körper aufgemalt ist.“

Man lese zur Einstimmung Ernest Hemingways zweites Buch In einem anderen Land, im Original heißt das Werk A Farewell to Arms. Schauen wir uns gleich einmal die ersten Zeilen an, wunderbar von Werner Schmitz ins Deutsche übertragen. Was auffällt: Im ersten Abschnitt werden wir gleich mit einer Vielzahl von Naturbildern bombardiert, obwohl es Hemingway so einfühlsam macht, dass wir es kaum wahrnehmen.

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Der Beginn seines Romans In einem anderen Land. Ernest Hemingway legt mit seinen Naturbildern die Melodie für sein Werk und sein Leben.

Ernest Hemingway und die Naturbilder. Was hat es damit auf sich? Es ist die Natur, die seinen Erzählungen einen Rahmen geben, das Handeln der Protagonisten spielt sich innerhalb dieser Begrenzung ab. Die uns umgebende Schöpfung – das Meer, die Seen, die Berge und die Wälder – folgt ihren eigenen unergründlichen Regeln. Die Natur ist mächtiger als alles, was sie umschließt, mächtiger als der Mensch ohnehin. Die Menschen kommen und gehen, die Natur jedoch bleibt.

Zum Kreislauf der Natur gehören nicht nur das Sprießen und Blühen, sondern ebenso das

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Der König in seinem Garten

Ernest Hemingways einsame Helden drücken das Lebensgefühl vieler Menschen im seelischen Daseinskampf aus, wo auch immer auf diesem weiten Globus.

In der gehetzten Großstadt oder bei der Konversation im intellektuellen Zirkel fühlt sich dieser Naturbursche nicht wohl. Nahe dem Meer hingegen findet er den Balsam für seine Seele, mitten unter bescheidenen Fischern, zünftigen Schankwirten und bodenständigen Handwerkern. Am Golf von Mexiko, vor Key West, auf den Bahamas. Hauptsache irgendwo nahe dem Ozean, dort wirkt dieser kernige Mann ausgeglichen und bei sich.

Das Meer hat es ihm seit jeher angetan, am Meer sucht Ernest Hemingway nach den Antworten auf seine Fragen an die Existenz. Er grübelt nach über die großen Themen seiner Welt: Über die Lust am Leben, über die wahre Liebe und hier macht er sich seine Gedanken über das Sterben. All dies sind die Fragen, die jedes Individuum umtreiben. Auch dieser Umstand mag erklären, warum dieser Nobelpreisträger solch tiefe Spuren hinterlassen hat, während man sich an die Namen anderer Nobelkollegen jener Jahre kaum mehr erinnern kann.

Dieser Schriftsteller ist nicht unbedingt ein Schreiber für die gebildete Hautevolee. Ernest Hemingway mag die einfachen Menschen, das ist unüblich in diesem distinguierten Gewerbe, und die einfachen Menschen mögen ihn. Wie ist die wechselseitige Nähe dieses Literaten zum gemeinen Volk zu erklären? Wohl zu allererst weil Ernest Hemingway seine Helden nahe der Wirklichkeit laufen lässt. Seine Plots wirken nicht konstruiert, dieser Autor greift voll hinein ins Leben, er holt den Leser ab in seiner Welt.

Die Gefühle von Hemingways Helden sind dem Leser nicht fremd, denn es ist das tatsächliche, das wirkliche Leben, über das hier geschrieben wird. Die Suche nach Liebe und Anerkennung, das Aufplustern vor der Bedrohung, der Kampf gegen mächtige Gegner, die Selbsttäuschung vom Sieg und dann doch wieder die Pleite. Es ist diesem Ernest Hemingway wie keinem anderen gelungen, den Zwiespalt der menschlichen Existenz zu erkennen und verständlich zwischen zwei Buchdeckel zu bringen.

Er schreibt über die hehren Ideale der Jugend und die kleinen und großen Wünsche an das Leben, vor allem über die Gier nach Liebe und das Verlangen nach Würde. Dieser Schriftsteller ist fasziniert vom Menschen und die Menschen von ihm. Das macht den Unterschied zu anderen aus, auch mit seiner Lebensgeschichte hat uns dieser Erzähler gepackt. Deshalb hat man ihn verstanden, nicht nur der Literaturprofessor, sondern auch Menschen wie du und ich. 

Ein Leser, der sich auf Ernest Hemingway einlässt, der spürt nach einer Weile, dass sich hinter der rauen Fassade des Boxers und Trunkenboldes, des Schwerenöters und Hasardeurs ein feinfühliger Schreiber allererster Güte verbirgt. Diese Mischung aus rabaukenhafter Oberfläche und humaner Tiefe spricht

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