Die Aufgabe eines Photographen ist, etwas aus dem Menschen heraus zu kitzeln. Etwas, das normalerweise unsichtbar bleibt. Am allerbesten hat das dieser Armenier Yousuf Karsh geschafft, der in Kanada lebt. Er wird im März 1957 nach Kuba kommen, Hemingway und er sind zuerst im Floridita, wo sie kräftig einen Daiquirí nach dem anderen heben.

Schnapsselig beginnen die beiden sich so etwas wie anzufreunden. Yousuf Karsh merkt rasch, wie verletzlich Ernest Hemingway hinter seiner rauen Fassade doch geworden ist. Jedenfalls meint der Photograph später, dieser Ernest Hemingway sei der schüchternste Mann gewesen, den er je portraitiert habe. Nach ausgiebiger Sauftour sollen die Aufnahmen dann am nächsten Morgen auf der Finca Vigía stattfinden.

Um neun Uhr morgens auf der Farm komplimentiert Yousuf Karsh dann Ehefrau Mary und seinen Assistenten aus dem Raum, denn der Photograph möchte mit Hemingway alleine sein. Derweil ruft Ernest Hemingway seinem Gast aus der Küche zu: Was möchtest Du trinken? Und der Photograph antwortet knapp: „Daiquirí, Sir!“ Hemingway kann es kaum fassen. Good God, Karsh, johlt der Schriftsteller, at this hour of the day!

Und Yousuf Karsh, der den Daiquirí und ihn so mag, gelingt an diesem Morgen in San Francisco de Paula das wohl schönste Portraitphoto Hemingways. Und ein eindrucksvolleres sollte auch nicht mehr kommen. Denn Yousuf Karsh fängt just an diesem 15. März 1957 und genau zu dieser Sekunde den magischen Moment ein.

Man sieht einen ernst wirkenden Ernest Hemingway mit feierlichem Gesichtsausdruck, der so ganz im Kontrast steht zu dem bauschigen Pullunder, den der Autor trägt. Den dicken Pullover, ein Designerstück mit breitem Rollkragen von Christian Dior, hat Mary für sündhaft teures Geld in Paris gekauft, aber an dem Schriftsteller sieht das wullstige Ding aus wie ein Matrosen-Sweater vom Trödel. Noch kurioser erscheint der Kontrast, wenn man bedenkt, dass Ernest Hemingway diesen dicken Pullover nicht am Nordpol, sondern auf seiner Farm mitten in den heißen Tropen trägt.

Doch Yousuf Karsh, dieser Großmeister der Beleuchtung, stellt sein Licht derart ein, dass Ernest Hemingways versteinerter Kopf aus dem dicken Pullover ragt wie das Antlitz eines Königs der Könige. Und Yousuf Karsh schafft es mit geschicktem Licht und raffiniertem Schatten irgendwie, dass dieser alte Mann mit dem markanten Bart so erstarrt, als habe ein Bildhauer der Renaissance eine Statue für die Ewigkeit gemeißelt.

Genau dieser winzige Bruchteil eines Augenblicks, eines Wimpernschlages von Widerstreit und Erlösung, gelingt Yousuf Karsh an diesem Morgen in San Francisco de Paula einzufrieren. Wegen peinigender Rückenschmerzen, er kann sich nur mit Mühe fortbewegen, verrät Hemingways Gesicht zwar eine merkliche Daseinspein, gleichzeitig jedoch gibt das Photo Kunde von der stoischen Vollendung eines Menschen. Ein Gesicht, das mit Hilfe von Yousuf  Karsh eine Geschichte erzählt, ach, was sage ich, ein Gesicht, das ein ganzes Leben erzählt.

„In jedem Menschen ist ein Geheimnis verborgen,“ meint Yousuf Karsh, „und als Photograph ist es meine Aufgabe, dieses Geheimnis zu enthüllen. Diese Enthüllung, so sie denn gelingt, wird sich im Bruchteil einer Sekunde offenbaren. In einem kurzen Anheben der Maske, die alle Menschen tragen, um ihr ureigenes Selbst vor der Welt zu verbergen. In diesem Augenblick der Möglichkeit muss der Photograph handeln oder er verspielt seine Chance.“

Yousuf Karsh hat diesen kurzen Augenblick in perfekter Art und Weise getroffen, er vermag die Maske ein gutes Stück anzuheben und den Schutz vor der bösen Welt vergessen zu machen. Solch eine Chance bekommt man nur alle hundert Jahre, und auch nur, wenn man der Meister seines Faches ist.

Loading