Der falsche Ernest Hemingway bei einer Corrida. Kenneth H. Vanderford schaut sich einen Stierkampf in Murcia an. Credit Line: Archivo General Región de Murcia.

Im Sommer 1960 kommt ein gesundheitlich schwer angeschlagener Ernest Hemingway nach Spanien. Der Schriftsteller kann nicht mehr, wie in den Jahren zuvor, wochenlang von Stadt zu Stadt zu ziehen, von einer Corrida zur nächsten. Und prompt wird Kenneth H. Vanderford, ein amerikanischer Aficionado mit grauem Bart, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Hemingway aufweist, mit dem Nobelpreisträger verwechselt. Es ist nicht das erste und auch nicht das letzte Mal.

Kenneth Hale Vanderford, 1908 im Norden Indianas geboren, wird nach seinem Studium Lehrer für Spanisch und Französisch in Texas und Florida. Im Jahr 1940 erhält der Amerikaner einen Doktortitel von der University of Chicago. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitet er für den Geheimdienst seines Landes, danach reist er durch Lateinamerika, arbeitet in Venezuela, Argentinien und Bolivien. Er hat genug Geld verdient und wählt 1959 Madrid zu seinem Altersruhesitz.

Zwei Sachen hat Kenneth H. Vanderford mit Ernest Hemingway gemeinsam. Eine gewisse Ähnlichkeit in der Physiognomie und im Auftreten, sowie die Vorliebe für den Stierkampf. Im Juli 1959 hat er am Encierro der Sanfermines teilgenommen, dem Bullenlauf in Pamplona. Da ist es zum ersten Mal geschehen: Vanderford sitzt in einem Café als drei nordamerikanische Touristen vorbeikommen und Mister Hemingway um ein Autogramm bitten. Vanderford kann dem Schabernack nicht widerstehen. Er unterschreibt.

Und der richtige Hemingway sitzt nur ein paar Ecken weiter. Fortan halten ihn die Leute etliche Male für den berühmten Schriftsteller. „Wann erscheint Ihr nächsten Buch“, bekommt er als Frage zu hören. Mit Kappe und in kurzem Hemd findet man ihn auf der Plaza de Toros und – so schreibt Sports Illustrated in einem Portrait – er sieht mehr nach Hemingway aus als Hemingway selbst.

Van, wie Vanderford von seinen Freunden genannt wird, macht sich einen Spass daraus, Spanier und Landsleute zu foppen. Er treibt den Jokus auf die Spitze, indem er sich Autogrammkarten mit seinem Foto drucken lässt, auf denen man lesen kann: „Nicht alles was glänzt, ist Gold. Und nicht alle Bartträger heißen Hemingway.“ Den Spaniern gibt er die Karte in englischer Sprache, seinen Landsleuten die spanische Version.

Während der Temporada 1960 führt Vanderford seine Kapriolen fort. Mit seinem Volkswagen Karmann-Ghia reist er von Corrida zu Corrida. Doch nun wird auch die Presse auf ihn aufmerksam. Und die Verwechslungen nehmen an Fahrt auf. Der Diario de Navarra berichtet am 6. Juli, dass Ernest Hemingway an den Sanfermines in Pamplona teilnehmen werde. Eine Ente.

Denn der US-Schriftsteller sitzt zu diesem Zeitpunkt in seiner Finca Vigía auf Kuba, es geht ihm nicht gut. Erst am 5. August 1960 wird der Nobelpreisträger in Spanien eintreffen. Ein eigensinniger Entschluss, der weltbekannte Autor zeigt erste Anzeichen von Demenz, eigentlich erlaubt sein Gesundheitszustand keine Transatlantik-Reise.

Ernest Hemingway besucht nicht den Encierro, wohl aber Vanderford. Über die Monate ist der Doppelgänger zu einer bekannten Figur avanciert. Die US-Nachrichtenagentur United Press International berichtet Mitte August über den falschen Hemingway und zahlreiche Zeitungen des Kontinents veröffentlichen den Artikel unter der Überschrift Double Knows Importance of Being ‚Ernesto‘. Der Doppelgänger ist sich der Tragweite bewusst, Ernesto zu sein. 

Irgendwann zeigt ein Fan dem echten Hemingway eines seiner Bücher mit einer Widmung – einer Widmung des Doppelgängers. Die ganze Sache belustigt den prominenten Schriftsteller. Er nehme es nicht krumm, wenn jemand seine Bücher unterschreibe, meint er, der Kerl solle es bloss nicht mit seinen Bankschecks und den Buchverträgen versuchen.

Selbst nach dem Suizid des Nobelpreisträgers im Juli 1961 setzt sich das Possenspiel fort. Während Ernest Hemingway auf dem Friedhof von Ketchum drei Meter unter der Erde liegt, schreibt Kenneth H. Vanderford in Spanien fleißig Autogramme. Noch ein halbes Jahrzehnt nach Hemingways Tod wird Vanderford in den Stierkampfarenen um Autogramme gebeten.

Im  Jahr 1967 kehrt Kenneth H. Vanderford in die USA zurück. Dort stirbt Van 1994, mit 85 Jahren. In unseren Tagen sind Hemingway-Doppelgänger nichts Außergewöhnliches. Zahlreich lassen sich die Nachfolger Vanderfords überall finden. Zu Dutzenden, jeden Juli in Key West, wo im Sloppy Joe’s mit ernsthaftem Tamtam ein Hemingway Look-Alike Contest über die Bühne geht. 

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