Im US-amerikanischen Magazin Collier’s vom 18. November 1944 veröffentlicht Ernest Hemingway über vier großformatige Seiten eine Reportage aus dem Krieg.

Anfang September 1944 sitzt der Schriftsteller in Paris auf gepackten Koffern. Er kann es nicht mehr erwarten, denn zum ersten Mal geht es für Ernest Hemingway an die Front des Zweiten Weltkriegs. Von der französischen Hauptstadt steuert er über Belgien in Richtung deutsche Westgrenze. Ziel der Alliierten ist es dort, die Siegfried-Linie aufzubrechen, jenen Wall von Holland bis zur Schweiz mit seinen Bunkern, Stollen und Panzersperren. Erst dann können die Amerikaner bis zur strategisch wichtigen Rheingrenze vorstoßen.

Die Infanterie durchbrach die Siegfried-Linie. Sie knackte sie an einem kalten, regnerischen Morgen, als nicht einmal die Krähen flogen, geschweige denn die Luftwaffe. Zwei Tage zuvor, am letzten Tag vor dem Einbruch des Schlechtwetters, waren wir am Ziel des Rattenrennens angelangt. Es war eine schöne Rattenjagd von Paris bis nach Le Cateau, mit erbitterten Kämpfen bei Landrecies, die nur wenige gesehen haben und an die sich noch weniger erinnern können. Dann waren die Pässe des Ardennenwaldes bezwungen worden, in einer Landschaft, die den Illustrationen zu Grimms Märchen glich, nur viel grimmiger.

Ernest Hemingway schlägt sein Quartier zunächst nicht hinter der Frontlinie im Hürtgenwald auf, sondern weiter südlich, mitten in der Schnee-Eifel, in kleinen Ortschaften wie Schweiler und Buchet. Die vorrückende US-Army nimmt Dorf für Dorf ein, sie ist den deutschen Truppen materiell und personell überlegen, doch aufgrund des unebenen Geländes geht es nur langsam voran. Der Widerstand der Wehrmacht ist in der ländlichen Eifel heftig, der Diktator hat ein Halten der Linien bis zum letzten Mann befohlen.

Als Kriegsberichterstatter für das Wochenmagazin Collier’s begleitet Hemingway den Vormarsch der Fourth Infantry Division’s 22nd Regiment im Gebiet der belgisch-deutschen Grenze. Der Autor bewegt sich hinter der Kampflinie, auf  luxemburgischem Territorium, in der Schnee-Eifel und schließlich weiter nördlich in der Nähe von Aachen. Der prominente Schriftsteller schließt sich meist den Truppen von Colonel Charles Lanham an, den alle Freunde Buck nennen. Bis Ende 1944 sollte Hemingway mehrmals zwischen Paris und den Frontabschnitten pendeln, im November und Dezember kommt er auf insgesamt 18 Einsatztage.

Ernest Hemingway Collier's

WAR IN THE SIEGFRIED LINE heißt Ernest Hemingways Reportage von der Front des Zweiten Weltkriegs in Collier’s. BY RADIO VIA PARIS.

Im Winter 1944 gelangen die amerikanischen Bodentruppen an den Hürtgenwald im Süden zwischen Aachen und Düren, wo ihr Vormarsch zum Stehen kommt. Das zerklüftete Gebiet erlebt von Oktober 1944 bis Februar 1945 blutige Gemetzel mit hohen Verlusten auf beiden Seiten. Das unebene Gelände mit den dichten Waldungen ist militärisch schwer zu nehmen, die Kämpfe, Mann gegen Mann, sind an Grausamkeit kaum zu überbieten. Ernest Hemingway hätte also einiges zu berichten in die Heimat.

Die Ansätze sind da, wie eine mehrseitige Reportage für die Collier’s-Ausgabe vom 18. November 1944 unter Beweis stellt. Zunächst skizziert Ernest Hemingways Prosa – wie so häufig – ein Landschafts-Panorama aus Bergen, Wäldern und Bächen. Der kleine Mensch in der großen Natur. Das Naturreich begrenzt als Rahmen das gewaltige Gemälde, der winzige Mensch irrt kopflos in der Pracht der Schöpfung umher. Das kann Ernest sehr gut, wie immer, es ist gekonnt.

Wir befanden uns auf einer Anhöhe, außerhalb des Waldes, und all die sanften Hügel und Wälder, die wir vor uns sahen, waren Deutschland. Aus dem Tal eines Baches unter uns ertönte ein schweres, vertrautes Dröhnen, als die Brücke gesprengt wurde. Und hinter der schwarzen Rauch- und Trümmerwolke, die aufstieg, sah man zwei feindliche Halbkettenfahrzeuge, die die weiße Straße hinauffuhren, die in die deutschen Berge führte.

Doch urplötzlich fällt seine Reportage in ein Loch. Ernest Hemingway hört auf, zu erzählen. Und er fängt an, zu zitieren. Er hält sozusagen das Mikrophon einer anderen Person unter die Nase. Er lässt einen Offizier von seinen Erlebnissen berichten. Der Rest dieser Geschichte wird in den Worten von Captain Howard Blazzard aus Arizona erzählt. Sie gibt Ihnen vielleicht eine kleine Vorstellung davon, was im Kampf passiert. Für den Leser ist dieser Wechsel der Perspektive ein Jammer. Denn jeder erzählerische Elan geht mit einem Mal verloren.

Gibt es einen schlüssigen Grund für diese Arbeitsverweigerung? Ist es Bequemlichkeit oder Zeitmangel gewesen? Oder hat er selber zu wenig erlebt? Glaubt er möglicherweise, so die Militärzensur zu überlisten? Jedenfalls schöpft Ernest aus dem Zitate-Beutel bis zum Abwinken. Weit mehr als der halbe Artikel besteht aus Wahrnehmungen zweiter Hand. Die Enttäuschung ist groß: Absatz um Absatz sammelt Hemingway Stimmen und Eindrücke, die nicht die seinen sind.

Mit diesem ermüdenden Zitate-Pudding beraubt Hemingway sich seiner schärfsten Waffe, die er besitzt. Seiner phänomenalen Beobachtungsgabe. Bis zum Schluss bleibt der Artikel konfus. Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Mehr werden Sie heute wohl nicht verkraften können. (…) Wenn Sie wollen, vorausgesetzt ich kann mich erinnern, erzähle ich Ihnen später, wie es in den nächsten zehn Tagen in diesen Wäldern war. Über alle Gegenangriffe und über die deutsche Artillerie. Es ist eine sehr, sehr interessante Geschichte, die Sie nie vergessen werden. Wahrscheinlich hat sie sogar epische Elemente. Zweifellos werden Sie die Story irgendwann sogar auf der Leinwand sehen.

Epische Elemente jedenfalls besitzt seine Reportage für Collier’s nur in überaus homöopathischer Dosierung. Man vermisst in der Tat das epische Fundament, jene erzählerische Tiefe, die so typisch ist für Hemingway. Er selbst merkt natürlich, dass sein Lagebericht aus dem großen Krieg kleines Karo ist. Doch er kann zu diesem Zeitpunkt und zu diesem Thema nicht besser schreiben, aus welchem Grund auch immer, ihm fehlen die Worte. Er spürt, als Schriftsteller bleibt er weit unter seinen Möglichkeiten. 

Erschöpft und krank kehrt er am 4. Dezember nach Paris zurück und verkriecht sich in seine Suite des Luxushotels Ritz. Der Autor hat sich in der frostklirrenden Winterlandschaft der Eifel eine Lungenentzündung eingefangen, dazu plagen ihn Kopfschmerzen, als Spätfolgen eines Autounfalls in London. Am Heiligabend 1944 treffen sich Ernest Hemingway und Martha Gellhorn im luxemburgischen Rodenbourg zu einem Abendessen in Gesellschaft. Die Begegnung eskaliert in einem lauten Streit zwischen den Ehepartnern, er brüllt Martha unflätig an und beleidigt sie schlimm vor Publikum.

Am 6. März 1945 fliegt ein bedrückter Kriegsreporter via London und New York nach Kuba. Ernest Hemingway kehrt zurück auf sein Anwesen nahe Havanna. Doch auf der Finca Vigía fällt der einsame Schriftsteller tiefer in seine Depression, er fühlt sich verloren und von Gott und der Welt im Stich gelassen. Er vernachlässigt sich, ist außer Stande zu schreiben, er streunt bis zum Morgengrauen durch die Kneipen. Der Krieg ist vorbei, doch Ernest ist mitten drin in einer schlimmen Schaffenskrise. Das Elend liegt allumfassend auf dieser Menschenseele – privat, gesundheitlich und als Literat. 

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