Ein Taxifahrer bringt mich die halbe Stunde vom Hotel Capri in Havanna nach Cojímar. Es ist April 1983 und ich will Gregorio Fuentes besuchen. Dieser kubanische Fischer ist der Kapitän von Ernest Hemingways Boot Pilar gewesen, mehr als zwanzig Jahre verbringt er an der Seite des Schriftstellers. El Viejo, der Alte, hat Ernest Hemingway ihn genannt, diesen treuen Sancho Pansa aus dem Fischerdorf Cojímar.
Der amerikanische Schriftsteller gilt als erfahrener Angler, doch zu seiner Unterstützung hat er stets Gregorio Fuentes neben sich. Denn in Sachen Fischen kann diesem Gregorio Fuentes niemand so leicht das Wasser reichen. Wenn es auf dem Meer ganz kniffelig wird, dann zündet sich der schmächtige Kubaner erstmal in aller Ruhe seine Havanna an und übernimmt von Ernest Hemingway die Angelrute. Papa, nennt der Kubaner seinen amerikanischen Chef, der über die Jahre zu einem guten Freund und Vertrauten wird.
Der rüstige Mittachtziger wohnt zusammen mit seiner Frau in einem einfachen blau gestrichenem Häuschen oberhalb der Dorfstraße, einige Minuten vom Hafen entfernt. Gallego, den Galizier, nennen sie Gregorio in Cojímar, obwohl Gregorio eigentlich in Arrecife auf Lanzarote geboren wurde, im Jahr 1897 . Im Alter von 22 Jahren ist er von den Kanaren nach Kuba ausgewandert, ohne Mutter und ohne Geschwister.
Die Canarios, jene Einwanderer von den kanarischen Inseln, werden auf Kuba nicht allzu hoch angesehen, im Gegensatz zu den meist besser Gebildeten vom spanischen Festland. Gregorio kennt in Cojímar jeden und jeder kennt ihn. Der alte Fischer empfängt mich vor seinem Häuschen in Cojímar, er trägt eine blaue Leinenhose und ein weißes enges Guayabera-Hemd, in der linken Hand wie festgewachsen seine Gloria Cubana.
Von 1938 bis zu Hemingways Tod, dreiundzwanzig Jahre und drei Hemingway-Ehen, hat er sich als Kapitän um die Pilar gekümmert. Der Schriftsteller hatte das Boot in einer Werft in Brooklyn im Jahr 1934 bauen lassen. Und dann das Boot nach Key West überführen lassen, wo er mit seiner zweiten Ehefrau Pauline lebte. Auf Kuba, dort hat er seit 1939 seinen Wohnsitz, läuft die Tagesroutine des Ernest Hemingway ab wie ein Uhrwerk. Vormittags schreibt er, den Nachmittag hält er sich üblicherweise frei für Cojímar und seine Pilar.
Stundenlang haben der einfache kubanische Fischer und der US-Nobelpreisträger miteinander geplaudert. Das meiste, was Ernest Hemingway über das Meer weiß, er hat es von Gregorio erfahren. „Quedó algo por decirle?“, fragt der Fischer. Ist da noch irgendetwas, was ich ihm nicht gesagt hätte? Gregorio antwortet gleich selbst: „Nada. Lo dijimos todo.“ Nada. Nichts. Wir haben uns alles gesagt.
Der alte Mann steht auf aus seinem alten Schaukelstuhl und kramt aus einer Schublade im Wohnzimmer einige vergilbte Fotos hervor. Ernest Hemingway auf dem Boot, unter den Fischern des Dorfes, im Restaurant La Terraza von Cojímar. Der Mann aus Chicago ist selbstverständlicher Teil Cojímars jener Tage gewesen. Gregorio kaut auf seiner Havanna. „Eigentlich war Papa nicht wie ein Amerikaner, Du weißt, wie ich das meine.“ Der Schriftsteller, soll das wohl heißen, sei ein halber Kubaner gewesen, mindestens, und zudem auf der richtigen Seite.
Der einstige Kapitän der Pilar erinnert sich mit Verbundenheit an den US-Amerikaner. Als ich mich nach einer guten Stunde schließlich von dem Fischer verabschieden will, schaut mich Gregorio energisch an. „Hemingway war gut zu Kuba, sag das deinen Lesern.“ Ich verspreche es ihm, Ehrenwort. Kuba, so geht mir später durch den Kopf, war aber auch gut zu Hemingway.
Viele Jahre nach unserem Treffen im April 1983 stirbt Gregorio Fuentes, in Cojímar, im biblischen Alter von 104 Jahren. Sein Papa hätte wohl anerkennend gestaunt, dass sein Kapitän dem Sensenmann bis zum Januar 2002 getrotzt hat. Drei Jahrhunderte hat Gregorio Fuentes erlebt. Und einen Jahrhundert-Autoren. Nun fachsimpelt er mit seinem berühmten Freund in einer anderen Welt über das Meer und das Fischen.
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