Hemingways Welt

Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Stacy Keach als Hemingway in der Rolle seines Lebens

Stacy Keach
Hemingway
Stacy Keach als Ernest Hemingway im Zweiten Weltkrieg. Credit Line: Press Photo, ZDF.

Eigentlich könnte Hemingway, Bernhard Sinkels vierteilige TV-Serie aus dem Jahr 1987, so richtig mit den Superlativen prahlen. In sieben Ländern gedreht, mit einem hohen zweistelligen Millionen-Budget, alles in 21 Drehwochen rund um den Globus, dazu über 3.000 Kostüme, das Ganze geschmückt mit einer Riege international bekannter Schauspieler. Obendrein ragt aus all den Berühmtheiten ein Akteur gewaltig hervor. Stacy Keach, der den Ernest Hemingway spielt. Der Mann befällt das Publikum in seiner Rolle wie ein Naturereignis.

Stacy Keach, 1941 in Savannah, Georgia geboren, gehört zu den profiliertesten Schauspielern der neuen Generation. Er studiert in Berkeley und Yale, ebenso wie an der London Academy of Music and Dramatic Art. Nach akademischen Weihen geht Keach zum Theater. Im Kino spielt er dann Hauptrollen in Fat City unter John Huston, The Life and Times of Judge Roy Bean, ebenfalls unter der Regie des grandiosen John Huston oder in Long Riders von Walter Hill. Einem breiten Publikum wird er bekannt, als er von 1984 bis 1987 den hartgesottenen Privatdetektiv Mike Hammer in einer CBS-Fernsehserie darstellt.

Als es an die Besetzung der verschiedenen Rollen geht, hat der amerikanische Ko-Produzenten Daniel Wilson als Hauptdarsteller einen prominenten Namen auf dem Zettel. Stacy Keach. Die Überraschung ist groß. Doch ohne Zögern willigt der deutsche Regisseur diesem Vorschlag direkt zu. Ein famoser Schachzug, wie sich herausstellt, denn dieser Akteur entpuppt sich für das Projekt als Geschenk des Himmels.

Abonniert ist dieser Schauspieler auf die Verkörperung von kernigen und ungehobelten Charakteren, also die ideale Besetzung für die Rolle des Ernest Hemingway. Der damals 46-Jährige ist zudem jung genug, um als Mittzwanziger in Paris aufzutreten und alt genug um – mit Hilfe der Maske – den hinfälligen Autor in Ketchum darzustellen. Und dieser Stacy Keach spielt den Hemingway mit einer bärenstarken Urgewalt. Klar: Wer auf der Bühne als Hamlet besteht, der kann auch Ernest Hemingway.

Der Amerikaner kommt mit seiner jungen Frau zu den wochenlangen Dreharbeiten, er nimmt sein Engagement ernst. Mehr noch, er spielt den Hemingway, als gehe es um Leben und Tod. Und das stimmt bei diesem Autor ja auch. In jeder Szene merkt man Stacy Keach die Spielfreude an, der Hemingway wird zur Rolle seines Lebens. Es sind nicht nur Habitus und Ähnlichkeit, in zahlreichen Sequenzen bemerkt man das Funkeln in seinen Augen.

Für Keach ist die Figur des Nobelpreisträgers von 1954 ein Comeback aus den Schlagzeilen zurück auf die große Leinwand. Noch heute schwärmt Regisseur Bernhard Sinkel von dem Schauspieler. „Er hat ein fotografisches Gedächtnis und ist immer textsicher gewesen. Obwohl zwischen uns eine Distanz blieb, verstanden wir uns gut. Er arbeitet diszipliniert, ohne Allüren und hat alles an Ideen angenommen.“ Er habe viel gelernt bei dem Hemingway-Dreh verrät der US-Darsteller in einer stillen Stunde seinem deutschen Regisseur.

Stacy Keach 
Hemingway

Für die Interpretation des Ernest Hemingway gewinnt Stacy Keach einen Golden Globe als bester Hauptdarsteller.

International hat Stacy Keach diesen TV-Vierteiler nach vorne gebracht. In zahlreichen Ländern rund um den Globus wird er ausgestrahlt, seine Qualität überall gerühmt. Die gewissenhafte Regie, die akkurate  Kameraführung von Wolfgang Treu oder die wunderbaren Kostüme von Barbara Baum finden hohe Anerkennung. Doch gegen die geniale Strahlkraft des Stacy Keach gab es kein Anleuchten, von wem auch immer. Wir alle waren bessere Dienstleister, wie Bernhard Sinkel im Gespräch schmunzelnd zurückblickt. 

Nicht weiter schlimm, lacht der deutsche Filmer, denn es sei nicht die Aufgabe eines Regisseurs, den Despoten zu spielen. Sondern – fast wie in der Funktion eines Psychologen – dafür zu sorgen, dass alle gerne miteinander arbeiten und ein Höchstmaß aus sich herausholen. Und genau dies gelingt Stacy Keach, er spielt nicht eine Rolle, er ist Ernest Hemingway. Als Belohnung wartet ein vielumjubelter Golden Globe als bester Hauptdarsteller.

Schade, er habe den Kontakt zu Stacy Keach nicht halten können, bedauert Bernhard Sinkel. Dabei gibt es doch Erfolge zu feiern. Aber so sei das Filmbusiness, schnell, hart und manchmal auch

Bernhard Sinkel: Ernest Hemingway als Person ist mir fremd geblieben

Stacy Keach
Bernhard Sinkel
Ernest Hemingway
Bernhard Sinkel führt im Jahr 1987 die Regie in dem internationalen TV-Vierteiler Hemingway mit Stacy Keach als Ernest und Marisa Berenson als Pauline. Credit Line: Press Photo, ZDF.

Selten ist das Leben eines Schriftstellers auf Leinwand so enzyklopädisch aufgeschnürt worden. Der Regisseur Bernhard Sinkel hat sich an den Versuch gewagt und in 400 Sendeminuten das Leben des Ernest Hemingway als Person und als Autor eingefangen. Mit riesigem Aufwand wird der Vierteiler für das TV im Jahr 1987 rund um den Erdball gedreht, an Schauplätzen in sieben Ländern.

Über 35 Millionen Dollar an Budget verschlingt diese internationale Ko-Produktion, zwei Jahre Arbeit steckt der in Frankfurt am Main geborene Sinkel in Drehbuch und Regie, 21 Drehwochen werden benötigt, 60.000 Reisekilometer absolviert. Am Ende steht ein Filmepos mit viel Liebe zum Detail. Denn mit den ganzen famosen Kostümen ist es bei weitem nicht getan. Alte Zelte, alte Autos, alte Bahnhöfe – es gilt eine Welt abzubilden, deren Ausgangspunkt im Jahr 1899 liegt.

„Ich mag den Erzähler Hemingway“, verrät Bernhard Sinkel. „Seine frühen Kurzgeschichten um den Jungen Nick Adams sind großartig. Mein Lieblingsbuch ist Paris – Ein Fest fürs Leben. Weil es atmosphärisch so dicht geschrieben ist“. Und so bastelt diese aufwendige TV Mini-Serie prachtvoll an der Legende des Ernest Hemingway. Bernhard Sinkel, der ein Jahr zuvor in der Großproduktion Väter und Söhne mit Burt Lancaster und Bruno Ganz seine Erzählstärke unter Beweis gestellt hat, liefert mit Hemingway sein internationales Meisterstück ab.

Das erste Problem, das es bei einem solch bunten Leben zu lösen gilt: Wie strukturiert man die reichen Lebenslinien des Ernest Hemingway? Schlauerweise unterteilt Sinkel in einer Kleeblatt-Dramaturgie das Wirken des Autors nach seinen vier Ehefrauen. Teil 1 spielt mit Hadley in Paris, Teil 2 mit Pauline in Key West, in Teil 3 mischt Ernest mit Martha mit im Spanischen Bürgerkrieg und in Teil 4 lebt er mit Mary auf Kuba, später in Ketchum.

„Ich bin stolz auf den Film“, meint Bernhard Sinkel, „ein Autor macht sein Leben zu einem Kunstwerk. Das hat mich gereizt.“ Als Person sei ihm Hemingway irgendwie fremd geblieben. „Ich bin keiner, der das nächste Gewehr schnappt und ein Kaninchen totschießt.“ Aber vielleicht sei diese Distanz als Regisseur gar nicht mal schlecht, sie bewahre vor falscher Glorifizierung.

Ein solches Filmprojekt bleibe ein Kraftakt, erzählt Bernhard Sinkel. Da müssen Löwen bei strengstem Tierschutz tot umfallen oder Bullen eigens für den Film durch Pamplona gejagt werden. Die Welt des Ernest Hemingway höre nicht auf die Kommandos der Regie. Die zahlreichen Tierszenen, die Hahnenkämpfe, die Jagd nach dem Marlin, die Haie, die Kriegsszenen, der Spanische Bürgerkrieg, das Drehen auf dem Wasser, der freie Horizont – das alles seien knifflige Aufgaben für die Kamera.

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In München haben sich Bernhard Sinkel und Hemingways Welt zu einem ausführlichen Gespräch getroffen. Foto: W. Stock, Mai 2023.

Heute wohnt Bernhard Sinkel in einem hübschen Haus in Schwabing. Nach Hemingway hat er sich vom Film entfernt, hat sich als Opernregisseur und Buchautor einen Namen gemacht. Jemand, der die 80 überschritten hat, darf ruhig ein wenig tiefstapeln. Der Besucher bringt die Erfolge in Erinnerung: Ernst-Lubitsch-Preisträger, Kinofilme wie Lina Braake oder Berlinger, Filmbänder in Silber und Gold en masse, internationale Produktionen. Und eben Hemingway. Diese Leistung, ein Bravourstück sondergleichen, wird bleiben. 

Vor allem, weil es dem Film gelingt, betörende Bilder einzufangen. Von Paris, den Stierkämpfen, von Key West, aus Afrika. Die Botschaft auf Zelluloid erreicht das Herz des Zuschauers: Welch ein großartiges Leben! Als Kontrast dazu setzt das Drehbuch das Drama dieser zerrissenen Persönlichkeit, das Auf und Ab mit der fatalen Hilfe von Alkohol, die Suche nach Liebe in Ehen und Seitensprüngen, dieser unheilvolle Mix aus Haudrauf, Selbstzweifel und Depression.

Ungeachtet der Omnipräsenz des Hauptdarstellers Stacy Keach und jedes Übermaß an Handlung zum Trotz, glückt es

Kübel von Hohn und Spott über Ernest Hemingway in Deutschland

Ein Gringo auf Kuba, der gerade in Deutschland polarisiert. Grafik: Filippo Imbrighi, Roma

Wenn jemand ein solches Portal wie Hemingways Welt über zehn Jahre betreibt, dann erhält man zu seinem Protagonisten ein Feedback der unterschiedlichsten Art. Jede Menge des Zuspruchs zur Person, viel Sympathie und ein neugieriges Interesse an Werk und Eigenart des Nobelpreisträgers von 1954.

Allerdings auch das glatte Gegenteil: schroffe Ablehnung und Stürme der Abscheu gegen den bärtigen Mann aus Oak Park in Chicago. Nicht nur gesittete Kritik, sondern hier und da auch ein paar Schläge unter die Gürtellinie.

An dieser Stelle möchte ich ein paar wenig charmante Charakterisierungen aus Leserzuschriften zusammentragen, die im Laufe der Zeit bei Hemingways Welt so eingetrudelt sind. Liebenswürdig klingt irgendwie anders. Der US-Amerikaner, der auf Kuba lebte, muss in Deutschland eine breite Schulter ausfahren.

Er sei ein Großmaul, Hemingways Welt ergehe sich in einer endlosen Kakophonie der Beweihräucherung. Kollege Borges hätte ihm alle Zähne ausschlagen sollen. Dieser Hemingway sei zum Fremdschämen.

Und es geht lustig weiter: Hemingway sei ein

Ernest Hemingway. Am richtigen Ort.

Charles Bukowskis Gedicht über seinen Bruder im Geiste. Ernest Hemingway kommt nicht gut weg, doch man spürt die Verehrung .

she said it was in Havana in 1953
and she was visiting him
and one day she saw him
and it was in the afternoon
and he was drunk
he was stretched out on these
pillows
drunk
and she took a photo of him
and he looked up
and said, „don’t you dare give
that photo to anybody.“

when she came from Italy this summer
to visit me
she told me about it
and I said, „that must be some
photo.“

she told me that my house was
very much like his house.
we drank, had dinner somewhere,
then she had to take a plane
out.

the photo is framed at the bottom
of my stairway now
looking north.

he was fat and he was drunk
and he’s in the right
place.

In diesem Gedicht schildert Charles Bukowski eine Begegnung mit der deutschen Fotografin Inge Schönthal, die nach ihrer Heirat mit einem italienischen Verleger nun Inge Feltrinelli heißt. Und Inge berichtet dem US-Amerikaner von ihrem damaligen Zusammentreffen mit Ernest Hemingway auf Kuba. Charles Bukowskis Bruderherz schlägt

Ernest Hemingway und die Faszination für das Meer

Die spanische Ausgabe von Der alte Mann und das Meer. Erschienen 1952. El Viejo y el Mar.

So gut wie jede Station im Leben des Ernest Hemingway hat mit dem Meer zu tun. Das Veneto, Südfrankreich, Andalusien, Key West und vor allem Cojímar. Seine schönste Erzählung führt das Meer gar im Titel. Wenn er mit der Pilar hinausfährt, wirkt er unbeschwert wie ein Kind. Als er das Meer verlässt und in die Berge zieht, ein Jahr vor seinem Tod, da verglimmt eine Helligkeit in ihm. 

Das Meer steht für die Urgewalt der Erde überhaupt. Das unendliche Wasser ist Ausgang und Ende menschlichen Lebens. Das Leben hat sich aus dem Meer gerobbt, und das Meer nimmt das Leben wieder auf. Voy al mar, sagen alte Spanier, des Lebens müde, ich gehe nun zum Meer. Es ist gleichbedeutend mit der Botschaft, dass es nun zu Ende geht, mit diesem Erdenbürger.

All die imposanten Werke der Natur bilden der Rahmen für das Lebens. Mit dem weiten Meer als Glanzstück der Schöpfung. Gerade das Meer besitzt eine Allgewalt, die gewaltiger ist als alles andere. Gewaltiger als der Mensch sowieso. Wie ein fein arrangiertes Wunderwerk verfügt es über eine wundersame Art des Gebens und Nehmens. Obwohl all die Flüsse zuströmen, läuft das Meer nicht über, ebenso wenig wie es leerlaufen kann.

Für die Menschheit bedeutet das Meer Sehnsucht und  Hoffnung. Schon im 15. Jahrhundert geht der Blick über das unbekannte Wasser. Neugier und der Willen, seinen Horizont zu erweitern, treiben den Menschen an. Als die ersten großen Migrationsströme anbrechen, ziehen die Silberstreifen der Europäer jenseits des Meeres auf, in New York oder in Buenos Aires. Bis heute verbinden sich mit der Überquerung des Meeres Hoffnung für diejenigen, die vor Krieg und Armut fliehen.

Wenn man Ernest Hemingways Prosa über das Meer aufmerksam liest, dann fällt einem die fast religiöse Aura auf, die mit den Sätzen einhergeht. Eine Sehnsucht nach dem Absoluten ist über allem zu spüren, ein tiefes Verlangen nach Erfüllung und nach Erlösung. Er selbst hält sich nicht für besonders gottesgläubig, merkwürdigerweise lesen sich manche Sätze jedoch wie Bittrufe.

Besonders am Meer wird ihm klar, dass eine Macht über ihm wirkt. Eine Macht, die stärker ist als alles andere. Und Ernest Hemingway möchte mit dieser höheren Macht in Verbindung treten, er sieht es als Aufgabe eines guten Schriftstellers. Sein Gleichnis vom einfachen Fischer auf dem Meer könnte genauso in der Bibel stehen. Ein schlichter und braver Mensch – also eigentlich wir – muss jeden Tag auf das Meer hinaus. Und er scheitert.

Jedoch wohnt diesem Scheitern eine Magie inne. Denn der Kämpfer gibt nicht auf, am nächsten Tag wird er erneut hinaus fahren in seiner kleinen Schaluppe. Und er wird wieder scheitern. Trotz allem lässt er sich seine Würde nicht nehmen. Hemingways Erzählung vom Meer, von dem alten Fischer, von dem Jungen Manolín, von dem Marlin, von den gefräßigen Haien und von den Löwen am Ufer, ist eine

Hemingway hat uns belogen

Besucher vor der Plaza de Toros in Sevilla während der Feria. Foto: W. Stock, April 2023.

„Yo viviría en Sevilla si quitaran las plazas de toros. Hemingway me engañó cuando decía que era una muerte limpia. Es un intolerable castigo.“
Guillermo Cabrera Infante

„Ich würde in Sevilla leben, wenn sie die Stierkampfarenen abschaffen würden. Hemingway hat mich getäuscht, als er sagte, es sei ein sauberer Tod. Es ist eine

Das tragische Leben des Gregory Hemingway

Ernest Hemingway mit seinen Söhnen Patrick (links) und Gregory (rechts), ca. 1940. Credit Line: Ernest Hemingway Photograph Collection, John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Pauline Pfeiffer, die zweite Mrs. Hemingway und Mutter von Gregory, findet nur schwer in die Mutterrolle. Ebenso wie Ernest kann sie mit Kindern nur wenig anfangen, vor allem mit Kleinkindern. In den wohlhabenden Kreisen, in denen Pauline aufgewachsen ist, kümmert sich eine Armada von Kindermädchen, Erzieherinnen und Haushälterinnen um die Babys. „Gig, ich glaube, ich habe keine großen Muttergefühle“, klagt sie ihrem Sohn Gregory, „ich kann diese grauenhaften kleinen Kinder nicht aushalten, jedenfalls bis sie fünf oder sechs sind.“ 

Auch Ernest findet zu Kindern erst einen Draht, wenn sie alt genug sind, um eine Angel oder ein Gewehr zu halten. Der empfindsame Gregory, den die Familie Gig oder Gigi ruft, wird seiner überforderten Mutter nichts Wohlgefälliges hinterherrufen. Paulines größte Leistung sei gewesen, so wird der Sohn zurückblicken, ein gutes Kindermädchen für ihn angestellt zu haben.

Gerade mit Gregory, er wird im November 1931 in Kansas City geboren, wird es im Laufe der Jahre schwierig, schwierig für ihn, schwierig für die Eltern. Gegenüber Freunden bezeichnet der Vater seinen Jüngsten als  schwarzes Schaf der Familie, er komme da direkt nach ihm. Der zartfühlende Sohn ist so anders als die Jungs in seinem Alter.

Mit etwa vier Jahren beginnt Gigi die Kleider der Mutter anzuziehen, dazu fällt auf, dass er auf seine Umgebung verweichlicht wie eine Prinzessin wirkt. Jahre später, mit zehn, Gregory ist in den Schulferien beim Vater auf Kuba, ertappt ihn Ernest im Schlafzimmer der Finca Vigía in den Kleidern von Martha Gellhorn. Der Vater steht da wie angewurzelt, dreht sich dann um, und verlässt den Raum, ohne ein Wort zu sagen.

Am 29. September 1951 wird der 19-jährige Gregory, vollgepumpt mit Drogen, von der Polizei auf der Damentoilette eines Kinos festgenommen, in Frauenkleidern. Ernest macht seiner ehemaligen Frau am Telefon laute Vorwürfe, sie versage in der Erziehung von Gregory, wie er meint. Pauline, bei ihrer Schwester Jinny in deren Haus in den Hollywood Hills, und mit dem Sohn in einer Arrestzelle, überfallen schlimme Bauchschmerzen. 

Gegen Mitternacht wird sie als Notfall ins St. Vincent’s Hospital eingeliefert. Ohnehin von kränklicher Natur, stößt der Tumor in jener Nacht eine solche Menge an Adrenalin aus, der zusammen mit dem hohen Blutdruck, zum fatalen Platzen von Blutgefäßen führt. Im Schockzustand verblutet Pauline innerlich auf dem Operationstisch an einer seltenen Tumorkrankheit der Nebenniere, am 1. Oktober 1951 im Alter von 56 Jahren.  

Gregory Hancock Hemingway studiert Medizin an der Medical School der University of Miami, später praktiziert er zeitweise als Arzt in Montana. Doch Alkohol und Depression, wie bei Vater und Mutter, werfen ihn aus der Bahn. Er verliert seine Approbation. Zudem hängt die Last des Namens wie ein Mühlstein um seinen Hals. Pulitzer, Alfred Nobel, der Schriftsteller des Jahrhunderts. „Ich bin nie über das Gefühl der Verantwortung für den Tod meines Vaters hinweggekommen. Und die Erinnerung daran ließ mich manchmal auf seltsame Weise handeln.“

Er heiratet viermal, lässt sich viermal scheiden. Gregory kleidet sich als Frau, lässt sich operieren, auf offener Straße fällt er auf, ohne dass man weiß, wer er ist. Mindestens dreimal wird er wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet. „Er hatte ein schwieriges Leben. Es ist nicht einfach, der Sohn eines großen Mannes zu sein“, meint Scott Donaldson, der ehemalige Präsident der Hemingway Society.

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Das Grab des Gregory Hemingway auf dem Dorffriedhof von Ketchum, in den Bergen der Rocky Mountains. Foto: W. Stock, 2018.

„Ich weiß nicht, wie die Zerstörung zustande gekommen ist“, klagt Gregory 1987 in einem Interview mit der Washington Post. „Was ist es, das einen liebevollen, dominanten, im Grunde wohlmeinenden Vater dazu bringt, so durchzudrehen?“ Sein ganzes Leben sei ein Brandherd. Seine Beziehung zu seinem Vater und zu seiner Mutter bleibt gestört, er sucht seine Identität und sein kleines Glück, Narben überall.

Der feinsinnige Gregory sehnt sich so nach Anerkennung durch den Vater, den er bewundert. Ernest vielmehr hat sich eine Tochter gewünscht. Doch es gibt auch gute Phasen. Vater und Sohn scheinen sich einige Jahre lang nahe gestanden zu haben, und Ernest gibt

Ernest Hemingway ist Gast in der ‚Casa Cuesta‘ von Sevilla

Die Casa Cuesta, mit über 140 Jahre auf dem Buckel, ist in Sevilla bei Einheimischen wie Besuchern, ebenso bei jung und alt, beliebt. Foto: W. Stock, April 2023.

In Ufernähe des Guadalquivir, des großen Talflusses, wie das Gewässer auf Arabisch heißt, liegt in Sevilla die Casa Cuesta, ein Restaurant voller Tradition. Die gelöste Atmosphäre der andalusischen Bodega ist so ganz nach dem Gusto des bärtigen Amerikaners. Der Nobelpreisträger liebt ein ungezwungenes und bodenständiges Ambiente, gepaart mit einer herzhaften Küche und guten Prozenten. Der ideale Rückzugsort für einen lebensverliebten Weltenbummler wie Ernest Hemingway.

An einer Ecke der Calle Castilla, in einem dreigeschossigen Gebäude aus braunem Backstein und als Schutz vor der beißenden Sonne mit blauen Markisen über der Außengastronomie, trägt die Bar ihren Anteil bei zur Buntheit des Viertels. Gegenüber dieser Stätte der Ausgelassenheit erblickt man den Callejón de la Inquisición. In dieser engen Gasse hatten im Mittelalter die Richter der blutrünstigen Inquisition ihren Sitz.

Auf eine Lebensspanne von fast anderthalb Jahrhunderten kann die Casa Cuesta in der andalusischen Hauptstadt zurückblicken. Seit ihrer Gründung als Weinschänke im Jahr 1880 hat die Bar einfache Leute und später auch die Intellektuellen angezogen. Noch heute ist das Publikum alters- und klassenlos. Malocher, Studenten, Geschäftsleute – alle sitzen einträchtig nebeneinander an den Bistro-Tischen oder auf den schwarzen Holzstühlen.

Sevillas Casa Cuesta – ein stimmiger Mix aus Restaurant, Bodega und Cerveseria – befindet sich in Triana, dem Stadtteil der Seeleute, Arbeiter und Handwerker. Einfach und zweckmäßig und doch von einer lässigen Eleganz, die man eher im 6. Arrondissement von Paris vermuten würde. Man fühlt sich augenblicklich wohl in dem Lokal, das vom Modernisme, der spanischen Spielart des Jugendstils, geprägt ist.

Casa Cuesta Bar Bodega Sevilla

Wenn man mit alten Fotos vergleicht, so erkennt man, dass sich nur wenig verändert hat in der Casa Cuesta in Sevilla. Foto: W. Stock, April 2023.

Im Inneren der Casa Cuesta erstreckt sich ein schwarzer Holztresen im Art nouveau, an dem Bier getrunken wird oder kleine Gerichte verköstigt werden. Eine Wanduhr, umhüllt von Girlanden aus Blattgold und mit dem Bild einer Jungfrau, wacht über den von Reliefkacheln geschmückten Raum. In einem Kabinett, etwas abseits, findet sich ein Restaurant mit gedeckten Tischen.

Die Casa Cuesta hat die Hälfte ihres Lebens unter einem anderen Namen gelebt: Casa Ruiz. Denn José Ruiz Sánchez, der Gründer, tauft es 1936 auf diesen Namen, wenige Monate vor Ausbruch des Bürgerkriegs. Unter dieser Bezeichnung lernt Ernesto zwei Jahrzehnte später

‚Hermandad‘ – Hemingways andalusische Brüderlichkeit

Auf der Feria de Abril in Sevilla zeigen sich die lokalen Hermandades mit ihren casetas, mit nur Mitgliedern und eingeladenen Gästen vorbehaltenen Festzelten. Foto: W. Stock, April 2023.

Wenn in Andalusien ein Fest gefeiert wird, dann kommen die lokalen Bruderschaften zum Zuge. Ob bei der Semana Santa oder den Ferias, ohne die Hermandades sind die Festivitäten im katholischsten Winkel Spaniens nicht denkbar. Hermandad oder zu Deutsch Bruderschaft. Brüderlichkeit ist für viele Ohren ein sehr antiquierter Begriff. Sein Inhalt jedoch bleibt aktuell: Bruderschaft bezeichnet das soziale und solidarische Verhalten in einem Zusammenschluss, der nicht auf Verwandtschaft gründet, sondern auf Gemeinsinn.

Das Konzept der Bruderschaft wurde zu Hemingways Lebzeiten in zahllosen Hermandades in Spanien und auf Kuba gelebt. In jeder spanischen Großstadt sind sie noch heute zu finden. Wie in Sevilla bei der Feria de Abril, wo man die Bruderschaften im Dutzend findet, von der Hermandad de los Gitanos bis zur Hermandad del Museo. Ernest Hemingway hat sich zeit seines Lebens stark von Spanien angezogen gefühlt. Beigetragen haben dazu auch die tradierten Werte und Riten, die dort wie sonst nirgends gelebt werden, vom Stierkampf über die Büßer-Prozessionen bis zu den Hermandades.

Die Brüderlichkeit in Spanien wird mit der Abstammung von einem Vater begründet, der Vaterschaft des christlichen Gottes beispielsweise. Brüderlichkeit als Fraternité ist – neben Freiheit und Gleichheit – eines der drei Prinzipien der Französischen Revolution gewesen. Auch die Arbeiterbewegung hat ihre Solidarität inhaltlich von der Brüderlichkeit abgeleitet. Mit der Reformation des Christentums und der Säkularisierung wird das Wirken der Bruderschaften weltweit in den Hintergrund gedrängt. Doch in Andalusien, an der historischen Schnittkante von Katholizismus und Maurentum, bleiben die Hermandades lebendig.

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Dutzende Hermandades aus Sevilla finden sich im Ausstellerverzeichnis der Feria de Abril. Foto: W. Stock, 2023.

Freunde, Vertraute, wie Brüder. In Männergesellschaft fühlt sich Ernest Hemingway am wohlsten. Unter Männern redet man ungeschminkt, und auch auf Manieren braucht man weniger zu achten. Everyone behaves badly, given the chance, lässt er Jake Barnes in The Sun Also Rises kundtun. Jedermann benimmt sich daneben, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt. Erst die Gemeinschaft verleiht Stärke und Sicherheit.

In fast allen Kulturen der Welt ist das Ideal der Brüderlichkeit bekannt. Die Idee der Brüderlichkeit gründet auf

Ernest Hemingway tut sich schwer in Sevilla

Hotel Alfonso XIII Sevilla
Außer an den Übernachtungspreisen lässt sich wenig meckern am Alfonso XIII. Ernest Hemingway jedoch ist nicht zufrieden zu stellen in dem Luxushotel von Sevilla. Foto: W. Stock, April 2023.

Andalusien ist sein Land. Die Provinz im Süden fasziniert den Mann aus Oak Park, einem Vorort von Chicago. Málaga, Ronda, Medina-Sidonia, Conil. Mit Sevilla, der Metropole im Landesinneren, fremdelt er hingegen. In Tod am Nachmittag deutet er an, es gäbe nicht genug tapfere Matadores in Südspanien. Wie er zu diesem Urteil kommt, schleierhaft. Befinden sich doch die großen Rinderfarmen in Andalusien und die Torero-Dynastie der Familie Ordóñez aus Ronda gehörte zu seinem Freundeskreis.

In einem Brief an F. Scott Fitzgerald aus dem Jahr 1926 schildert er einen Matador aus Sevilla, der sich wie ein hinterlistiger Metzger aufführe. Doch in Wirklichkeit ist dieser Stierkämpfer – Diego Mazquiarán, alias Fortuna –  ein Baske gewesen. Der bärtige Mann aus Chicago hegt indes seine Vorurteile. Die andalusischen Stiere, nicht so hochgezüchtet wie jene im Norden, seien für den Kampf weniger geeignet.

Eine Abneigung steckt dahinter. Ernest Hemingway kann der Stadt nichts abgewinnen. Die Aufmerksamkeit, die Sevilla dem jungen Journalisten zukommen lässt, mag eine Ursache für seine Antipathie sein. Im Jahr 1923, auf seiner ersten Spanien-Reise, mit seinem Freund und Verleger Robert McAlmon, kommt er auch in Sevilla vorbei. Große Beachtung lässt er der Hauptstadt Andalusiens schon damals nicht teilwerden.

Leider Gottes hat Sevilla den Nobelpreisträger in einer schwachen Stunde erwischt. Er, der doch so ein genialer Beobachter ist, findet keinen Blick für die Schönheiten der Stadt. Die lebensfrohe Metropole, die vor allem von einer christlichen und maurischen Tradition beeinflusst ist, bietet mit ihren engen Gassen und den alten Bauwerken in der Altstadt, zugleich Tausende Winkel und Ecken zum Genuss und zur Entzückung.

Doch die Stadt, in der es schon im Frühling höllisch heiß werden kann, gefällt dem Schriftsteller einfach nicht. In späteren Jahren wird es nicht besser. Er kommt 1954 zurück auf die iberische Halbinsel, nachdem der Bann nach dem Bürgerkrieg gegen ihn aufgehoben ist. Ernest Hemingway, erneut in Spanien, besucht auch Andalusien.

Spanischer Bürgerkrieg

Das Trauma des Bürgerkrieges ist selbst nach fast 90 Jahren noch sichtbar in Sevilla. Foto: W. Stock, April 2023.

Sein Freund José Luis Castillo-Puche schildert eine skurrile Episode von Hemingways Reise. Die Wunden des Bürgerkrieges sind nicht verheilt, die Spanier wissen, dass der Schriftsteller sich sehr für die republikanische Sache eingesetzt hat. “Viva la República”, flüstert auf der Straße in Sevilla ein unbekannter Passant Hemingway zu. Und der Amerikaner antwortet leise mit dem Schlachtruf der Loyalisten: “No pasarán”.

Fünf Jahre später, am 28. Mai 1959, fährt Ernest Hemingway von Málaga nach Sevilla und quartiert sich im Luxushotel Alfonso XIII ein. Er will in der andalusischen Metropole während der Feria einer Corrida von Antonio Ordóñez beiwohnen. Das Alfonso XIII., in Wirklichkeit ein

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