Hemingways Welt

Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Mythos Hemingway? Eigentlich ist er ein schüchterner Mensch gewesen

Das Hemingway Memorial in Ketchum, Idaho. Foto: W. Stock, 2018.

Ein Umstand wird viele überraschen, denn er entspricht nicht der Vorstellung, die wir von diesem Schriftsteller mit uns tragen. Auch wenn die Auffassung gewagt ist, es lohnt sich, darüber nachzudenken: Ernest Hemingway ist in seinem Innersten ein überaus schüchterner Mensch. Selbst wenn er in den Zeitungen und Zeitschriften sein Leben bis ins Einzelne ausbreitet, ein Hans Dampf in allen Gassen ist er nie gewesen.

So tritt er höchst selten vor Publikum auf. Bei Ansprachen fühlt er sich eher unwohl. Seine Sprechweise scheint oft von Unsicherheit und Brüchigkeit geprägt. Nur wenn ihm etwas wichtig ist, dann legt er seine Leidenschaft rein. Dem Propagandafilm für die spanische Republik – The Spanish Earth – leiht er seine Stimme. Ansonsten gibt es wenig aus dem Radio oder Television mit ihm. Dem Medium Fernsehen begegnet er mit Abstand.

Nur wenige Interviews hat er Journalisten gewährt. Sie stehen Schlange. Umsonst. Auch die Buchautoren hält er auf Distanz. Mit keinem seiner Biografen hat er zusammengearbeitet oder diesen unterstützt. Noch nicht einmal seinen Bruder Leicester, der die erste Biografie über ihn geschrieben hat. Im Gegenteil. Er soll wütend darüber gewesen sein.

Zelebritäten sind hinter ihm her. Wollen sich mit dem Nobelpreisträger und Star-Schriftsteller ablichten lassen. Er jedoch zieht sich zurück. Je berühmter er wird, desto mehr igelt er sich ein. Nur, wenn er etwas will, wenn es in seinen Kosmos passt, dann kennt er kein halten. Safaris, Bullenrennen, Schippern auf dem Meer. Spanien und Italien. Da blüht er auf. Das sind Sphären, wo seine eigene Persönlichkeit und die Welt da draußen sich überschneiden. Mit den Bussi-Partys in New York gibt es eine solche Schnittmenge nicht.

Ernest Hemingway hat immer Wert gelegt auf Privatsphäre. Er hat sich zurückgezogen in sein tropisches Refugium Finca Vigía im Hinterland von Havanna. Um zu ihm zu gelangen, muss man durch versteckte Ortschaften und über staubige Dorfstraßen. Hinter die Telefonklingel auf seinem Anwesen kann er ein Stückchen Papier klemmen, dann hat er seine Ruhe. In den letzten beiden Jahren zieht es ihn nach Ketchum, in ein Silberminen-Kaff, irgendwo in den Ausläufern der Rocky Mountains, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.

Auf der anderen Seite gibt es Tausende Darstellungen von ihm. Von den besten Fotografen weit und breit. Von Robert Capa und Man Ray, von Alfred Eisenstaedt und Yousuf Karsh. Die Aufnahmen scheinen der These von der Schüchternheit zu widersprechen. Doch eines fällt auf. Bei den allermeisten Fotos posiert er nicht. Es sind Schnappschüsse. Keine gestellte Lichtbilder.

Mythos Hemingway. Er hat ihn zwar befeuert, aber nicht absichtlich erzeugt. Es gibt von ihm keine Strategie, sich als öffentliche Person darzustellen. Eher haben wir ihn gemacht. Wir, die Leser und die Bewunderer. Denn die Zeit ist reif dafür gewesen. Weil der Adenauer-Mief und der Eisenhower-Muff nach einem solchen Mythos verlangt haben. Nach einem kernigen Macho wie ihn, der sich die Welt anschaut, unabhängig und eigenwillig. Auch nach einem Menschen mit Ecken und Kanten.

Das Hamsterrad in den Jahren des stürmischen Wirtschaftswachstums zieht am Ende einen Eskapismus mit sich. Man will hinaus in die Welt. Zu neuen Ufern aufbrechen. JFK verkörpert dies, später auch

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Der schönste Hemingway-Satz: Verzweiflung

Writers are desperate people and when they stop being desperate they stop being writers.

Schreiber sind verzweifelte Menschen und wenn sie aufhören, verzweifelt zu sein, dann hören sie auf, Schreiber zu sein.

Ernest Hemingway
Death in the Afternoon

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Ernest Hemingway – Die Zerstörung of a Masterpiece

Ernest Hemingway
Memorabilia
Solches Allerlei wird auf großen Auktionen angeboten: Hemingway-Schnipsel. In Wirklichkeit eine Zerstörung. Da wird geschnitten und Einzelelemente werden wieder zusammengestellt, die nicht zusammengehören. Am Ende bleibt die Verwüstung.

Der Markt für Hemingway-Memorabilia ist bunt. Fotos, Manuskripte, Briefe, Bücher mit Widmung. Erinnerungsstücke an den 1961 verstorbenen Nobelpreisträger. Eine Verneigung der Jünger und Liebhaber. Viele Sammler auf der Welt schätzen dies. Neben den Sammlerstücken in den Archiven der Ernest Hemingway Collection in der John F. Kennedy Presidential Library and Museum in Boston lagern zahlreiche Kostbarkeiten in den Händen von privaten Sammlern.

Alles schön und gut. Jedoch eine Abart der Memorabilia treibt mir regelmäßig den Puls nach oben: ausgeschnittene Fragmente. Da werden aus signierten Büchern oder Briefen die Namenszeilen abgetrennt und als Bruchstücke einzeln verkauft. Welch ein Frevel! Die Kunst des Ernest Hemingway sollte unantastbar sein.

Kunst umgibt etwas Heiliges. Der gesamte Brief oder das signierte Buch sind Meisterwerke. Brocken herauszuschneiden und proportioniert in den Verkauf zu geben, ist nicht nur dumm und krank, sondern zertrümmert mit einem Schlag das Gesamtkunstwerk. Dem wahren Kenner tut solch ein Sezieren körperlich weh.

Hoffen wir, dass demnächst nicht jemand auf die Idee kommt und ein Gemälde von Paul Cézanne oder Auguste Renoir zerschnippelt und die Fetzen als Einzelteile verkauft. Dies ist keine Kunst, es wäre die Zerstörung der Kunst.  

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Über so etwas stolpert man bei Auktionen: Schnipsel. Die antiseptischen Teilstücke finden ihre Käufer. Doch wer bloß will ein geschreddertes Meisterwerk?

Es ist Kultur als abgepackte Portionsware. Ein Warencharakter der Kunst, um den letzten Dollar herauszuquetschen. Faszination, Charakter und Historie werden damit abgemurkst. Was zählt, ist der Mammon.

Dass solche Schnipselware den Fälschern und Tricksern Tür und Tor öffnet, davon wollen wir gar nicht reden. Denn zurückverfolgen oder einwandfrei verifizieren lassen sich die Splitter nach dem Zerschneiden immer weniger.   

Übrigens, was zudem aufregt: Die Hemingway-Schnipsel finden

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Ernest Hemingway im Deutschlandfunk: Literatur als Erlebnis

Ernest Hemingway
Pamplona
Café Iruña
Der älteste Gast: Ernest Hemingway im Café Iruña von Pamplona. Foto: W. Stock, 2024.

Am 21. Juli 2024 erinnerte der Deutschlandfunk (DLF) in mehreren Sendungen an den 125. Geburtstag von Ernest Hemingway. Der Journalist Florian Ehrich befasste sich dabei mit dem Thema: Ernest Hemingway – Eine neue Art zu schreiben. Für seinen Beitrag hat der Redakteur auch Wolfgang Stock, den Gründer und Macher von Hemingways Welt, befragt.

Auszug der Sendung: Am 21. Juli 1899, vor 125 Jahren, wurde Ernst Hemingway geboren. „Die englische Literatur beharrt immer noch auf diesem belehrenden Aristokraten-Touch mit viktorianischen Themen.“ Der Hemingway-Biograf Wolfgang Stock über die aus seiner Sicht altmodische englischsprachige Dichtung Anfang der 1920er Jahre.

„Doch dann kommt Hemingway um die Ecke, kraftvoll, breitbeinig. Ein Autor, der Literatur über das Erleben definiert. Eine neue Art des Schreibens entsteht, kurz, lakonisch, auf das Wesentliche reduziert.“

Hier die Sendung als Datei:

Ernest Hemingway begann als Reporter. Geboren am 21. Juli 1899 in Oak Park bei Chicago. Beim Kansas City Star lernte er das Schreiben. In einem Brief an den Vater meint er: „Ich versuche, ein Gefühl vom wirklichen Leben zu vermitteln. Nicht bloß das Leben zu beschreiben oder zu kritisieren, sondern es wirklich lebendig zu machen. So dass man, wenn man etwas von mir gelesen hat, die Sache tatsächlich durch mich erlebt. Das kann man nicht erreichen ohne das Schlechte und das Hässliche genauso zu zeigen, wie das Schöne.

Hemingway arbeitet hart, um diese Unmittelbarkeit zu erreichen. Im Jahr 1921 ging er nach Paris und lernte von der dort ansässigen literarischen Avantgarde. Auch die Kunst des impressionistischen Malers Paul Cézanne bestärkt ihn in seinem Streben nach Einfachheit im Ausdruck. Hemingway kann in wenigen Sätzen eine Landschaft plastisch einfangen oder

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SR2 Kulturradio: Ist Ernest Hemingway heute noch gesellschaftstauglich?

Ernest Hemingway
Pamplona
Ein Lebemann? Mehr noch: Ein Abenteurer des Lebens. Ernest Hemingway im Café Iruña von Pamplona. Foto: W. Stock, 2024.

Zu Ernest Hemingways 125. Geburtstag strahlte der Saarländische RundfunkSR2 Kultur – am 19. Juli 2024 ein Gespräch aus von Moderator Kai Schmieding mit Wolfgang Stock, dem Macher und Herausgeber von Hemingways Welt. Das Thema: Ist Ernest Hemingway heute überhaupt noch gesellschaftstauglich?

Kai Schmieding: Der wichtigste Schriftsteller seit dem Tode William Shakespeares, schrieb die New York Times im Jahr 1950. Kommen Sie drauf, wen die Zeitung damals meinte? Der Mann hat vier Jahre später den Nobelpreis erhalten. Es ist Ernest Hemingway. Sie denken natürlich sofort an Der alte Mann und das Meer. Kennen wir alle. Heute sehen Hemingway manche allerdings auch mit anderen Augen, einige Kritiker sagen, er passe nicht mehr so recht in die Welt des 21. Jahrhunderts, seine Werke seien aus der Mode gekommen, unter anderem wegen ihrer Darstellung von Geschlechterrollen. Am Sonntag würde Hemingway 125 Jahre alt. Das ist Anlass zu fragen, wie relevant ist er für uns heute noch, was sagt er uns heute. Wir sprechen darüber mit Wolfgang Stock. Er ist Journalist, Verleger, Lektor und Autor eines Hemingway-Buches.

(Guten Tag, Herr Stock.
Ja, hallo Herr Schmieding.)

Kai Schmieding: Hemingway galt als literarischer Gigant und inszenierte sich als Lebemann, der heute kaum mehr gesellschaftstauglich wäre, schreibt ein Kritiker heute. Sehen Sie das auch so, wäre Hemingway tatsächlich heute nicht mehr gesellschaftstauglich?

Wolfgang Stock: Ich tue mich etwas schwer mit einer Antwort auf diese Frage. Schauen wir uns zunächst einfach einmal die quantitativen Zahlen an. Seine Werke sind in Deutschland ja im Rowohlt Verlag erschienen. Schlagen Sie dort das Impressum auf. Dann sehen Sie: Auflage 700.000 verkaufte Exemplare, 800.000 Verkaufte. Dies ist ja die harte Währung für einen Autor. Die verkaufte Auflage. Gerade in Deutschland hat sich Ernest Hemingway sehr gut verkauft und verkauft sich immer noch. Also, es muss was dran sein an dem Mann.

(…) Das Wichtigste ist: Man muss sich nur einlassen auf diesen Autor… 

Hier das vollständige Interview als Audio-Datei. SR2 Kultur: Wolfgang Stock über Ernest Hemingway.

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Ernest Hemingway, herzlichen Glückwunsch zum 125. Geburtstag!

Ernest Hemingway im April 1956 in Cabo Blanco. Foto: Modeste von Unruh. Archiv Dr. Stock (colorized).

Am 21. Juli 1899 wird er in Oak Park, einem biederen Vorort von Chicago, geboren. Zum 125. Geburtstag von Ernest Hemingway ein Blick auf das angespannte Verhältnis des amerikanischen Nobelpreisträgers zu den Deutschen

Von Wolfgang Stock

Er kann ein paar Brocken Deutsch, nichts Weltbewegendes, am liebsten Schimpfwörter wie Schieber und Schweinehund. Die Ausdrücke hat er bei seinen mehrmonatigen Winteraufenthalten im österreichischen Schruns aufgeschnappt und sie hier und da in seine Prosa eingebaut. Genau 291 deutsche Wörter und Begriffe findet man in Ernest Hemingways Werk. Ein wunderbarer Fundus, um Widerlinge zu beschreiben oder seiner Wut ein wenig Luft zu machen.

Der Amerikaner aus Chicago und das Land der Germanen – es ist sicherlich keine Liebe auf den ersten Blick, wie bei Spanien und Italien. Vielmehr gestaltet sich die Beziehung zwischen Ernest Hemingway und Deutschland so wechselhaft wie das Wetter im April. Kühl, manchmal stürmisch und dazwischen ein paar Sonnentage. Die Deutschen sind bei einer Allensbach-Umfrage gefragt worden, wer die zwei bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts seien. Am meisten genannt: Thomas Mann und Ernest Hemingway. Es gibt sie also, die Verehrung und Zuneigung der Deutschen zu dem bärtigen Autor, der am 21. Juli 1899 in einem Vorort von Chicago geboren wurde und der seit Juli 1961 auf dem Dorffriedhof von Ketchum in Idaho begraben liegt.

Trotz literarischer Bewunderung schlägt dem Nobelpreisträger von 1954 reichlich Ablehnung entgegen, in Deutschland polarisiert kein anderer Autor derart. Als Prototyp eines Egomanen und politisch Inkorrekten zieht Ernest Hemingway die Kritik an wie ein Magnet. Besonders an seinem Charakter wird kein gutes Haar gelassen, es geht weniger gegen das Werk. Der Stierkampf-Liebhaber sei ein eigensüchtiger Sprücheklopfer, ein Hallodri durch und durch, ein Macho aus der Mottenkiste, ein grausamer Tierquäler, ein Deutschland-Hasser obendrein.

Schauen wir uns die Sache von seiner Seite an. Zu Ende des Ersten Weltkriegs wird der Sanitätsfahrer Hemingway im italienischen Fossalta schwer verwundet, getroffen von österreichischen Granatsplittern. Im Frühjahr 1933 verbrennen die Nazis seine Bücher, er steht auf der Schwarzen Liste. Und im Zweiten Weltkrieg sieht er als Kriegsreporter das Grauen an der Front im Hürtgenwald bei Aachen. Auch persönlich setzten die Deutschen dem US-Schriftsteller zu. In den Vogesen wird im Oktober 1944 sein ältester Sohn Jack von der Wehrmacht festgenommen und ein halbes Jahr im Kriegsgefangenenlager Moosburg an der Isar inhaftiert. Alles keine gute Grundlage für überschäumende Sympathie.

Neugier ist immer da gewesen. Von Dezember 1921 bis zum März 1928 lebt Ernest Hemingway mit Ehefrau Hadley in Paris. Seinen Unterhalt bestreitet der Jungvermählte mit journalistischen Artikeln, er hat einen Vertrag mit der kanadischen Zeitung Toronto Star als Europa-Korrespondent. Von Paris aus bereist der junge Reporter den Kontinent, mehrmals erkundet er Deutschland. Dabei arbeitet sich der US-Amerikaner fleißig an Stereotypen über die Germanen ab. Wir sahen Mütter, die ihren rosigwangigen Kindern Bier aus großen Halbliterkrügen zu trinken gaben. In Bayern, so möchte man rasch anfügen, sind es Einliterkrüge!

Klamaukig gerät auch die Schilderung, wie Hemingway in Triberg von den Bürokraten in den Amtsstuben ein Angelschein verwehrt wird. Und er sich trotzdem auf den Weg macht zu seinem Forellenbach im Schwarzwald. Wir stellten fest, dass man selbst auf einem der wilderen und abgelegeneren Wege keine zwanzig Schritte gehen konnte, ohne auf sechs bis acht Deutsche zu stoßen, die mit rasierten Schädeln, nackten Knien, Hahnenfedern am Hut, Sauerkraut im Atem, Wanderlust im Blick und einer gegen ihre Beine klappernden Sammlung von Aluminiumgeschirr des Weges zogen.

Seine Leserschaft merkt, dieser junge Autor vermag pointiert zu schreiben, pflegt zugleich mit Vergnügen die Vorurteile. Gemahl speist zuerst, Weibchen kriegt die Krümel! heißt die Überschrift seiner launigen Reportage über eine Bahnfahrt von Frankfurt nach Köln. Besser als jede akademische Sozialstudie beleuchtet Hemingway, wie grobschlächtig sich deutsche Ehemänner gegenüber ihren Frauen benehmen. In seinen frühen Zeitungsartikeln mag er, dick aufzutragen. Das Publikum daheim wird seine Impressionen mit Kurzweil goutiert haben. 

Als ehrgeiziger Korrespondent nimmt der Amerikaner seine Profession ernst, ihn zeichnet ein enormer Arbeitseifer aus. Man mag es kaum glauben, bei seinem Lebenswandel. Obwohl er sich zahlreichen Verlockungen dahingibt, die auf einen kernigen Burschen am Wegesrand lauern, schreibt Ernest Hemingway emsig. Er recherchiert gründlich, baut Kontakte auf und geht textlich in die Details. Diese Disziplin sollte er bis zum Ende seines Lebens bewahren.

Die Kabinettstückchen aus Deutschland für den Toronto Star, allesamt aus dem Jahr 1922, sind aus einem weiteren Blickwinkel aufschlussreich. Denn sie zeigen eine stilistische Eigenart, die den 23-Jährigen schon damals auszeichnet. Auch wenn er manches überzeichnet, der junge Journalist entwickelt in seinen Texten eine

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Ernest Hemingway – Ein Mensch, der mit bösen Geistern kämpft

Ernest Hemingway
Curtis L. DeBerg
Wrestling with Demons – In Search of the Real Ernest Hemingway. Curtis L. DeBerg begibt sich auf die Suche nach dem wahren Ernest Hemingway. Foto: W. Stock, Juli 2024.

Eine dramatische Lebensstation dieses Menschen spielt sich ab in dem beschaulichen venezianischen Dorf Fossalta di Piave. Im Ersten Weltkrieg gerät der 18-jährige Sanitätsfahrer Ernest Hemingway auf einem Uferdeich unter Beschuss durch österreichische Artillerie. Was genau geschah in dieser Nacht des 8. Juli 1918 am Fluss der Piave?

In der Dunkelheit – schwerst verwundet und ein halbes Jahr Rekonvaleszenz vor sich – zerbricht etwas im Inneren dieses unbedarften Teenagers. Das Kapitel über Fossalta ist das Herzstück des neuen Buches von Curtis L. DeBerg. Der Autor schiebt in seinem Werk eine provokante Frage nach: Was wäre, wenn die Verletzung, die Ernest Hemingway in dieser Nacht erlitt, eine völlig andere wäre, als jene die eine Mörsergranate geschlagen hat? 

Denn ein junger italienischer Soldat stirbt vor Hemingways Augen. Ernest befindet sich gegen ein Uhr nachts auf dem Uferdeich. Er will Fedele Temperini, einem 26-jährigen Rekruten aus dem toskanischen Montalcino, gerade ein paar Mitbringsel überreichen, da schlägt nur drei Armlängen von den beiden eine Mörsergranate ein. Unbeabsichtigt hat der italienische Soldat mit seinem Körper den Amerikaner vor dem Beschuss abgeschirmt und ihm so das Leben gerettet. Ist Fedele Temperini der wahre Held in Fossalta?

Ernest Hemingways Erzählung geht anders. Er will die Hauptfigur sein und brüstet sich damit, einen einheimischen Soldaten auf der Schulter aus der Schusslinie geschleppt zu haben. Was ist die Wahrheit? Curtis DeBerg wägt mit zahlreichen Informationen die möglichen Szenarien ab. Das wahrscheinlichste Szenario entlarvt Hemingways Version als Big Lie. Noch eine Narbe in der Seele dieses Großsprechers und Prahlhans? Einiges spricht dafür. 

Auf jeden Fall vergrößern die Vorkommnisse im Veneto des Juli 1918 die inneren Qualen des sensiblen jungen Mannes. Er, der sich für unverwundbar hält, hat dem Tod in die Augen geschaut. Es ist erst der Anfang. Diese arme Seele wird in ihrem Leben gegen genug böse Geister ankämpfen müssen. Fossalta ist lediglich der Auftakt einer Trauma-Karriere: der Hass auf die Mutter, drei zerbrochene Ehen, Depressionen und Krankheiten, Alkoholismus und schließlich Selbstmord.

Curtis L. DeBerg – ein Wirtschaftswissenschaftler, der über drei Jahrzehnte eine Professur an der California State University in Chico inne gehabt hat – folgt seit langer Zeit den Spuren des Jahrhundert-Schriftstellers. Auch von diesen Schauplätzen und ihren Besonderheiten berichtet das Buch. Heute lebt DeBerg in Miami oder im südfranzösischen Hendaye, viel näher an Ernesto kann man nicht kommen. Seine These zu dem Schriftsteller: Ein Leben, das sich über den Kampf mit den bösen Geistern erklärt. Kommt hinter diesem Konflikt etwa der wahre Hemingway zum Vorschein?

Wrestling with Demons mit über 400 Seiten ist ein Kaleidoskop, so bunt wie das Leben des Nobelpreisträgers von 1954. Ein solcher Mix aus Tatsachen sowie fiktiven Briefen und Dialogen, dazu die Hinzunahme der eigenen Biografie, ist ein Ritt über die Rasierklinge. Dass die packend geschriebenen Gedankengänge von Professor DeBerg die Bodenhaftung nicht verlieren, dafür sorgt glücklicherweise sein wissenschaftliches Temperament. Mit Literaturverzeichnis, Fußnoten und Stichwortverzeichnis, der Hemingway-Biograf nimmt uns mit auf eine Abenteuerreise mit rasanten Perspektiven, überaus kurzweilig und stets mit schlüssigem Nachweis.

Eine wunderbare Nachwirkung bringt die Beschäftigung mit Ernests Drama am Böschungsdamm der Piave hervor. Endlich erhält

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Wie Ernest Hemingway die Sanfermines von Pamplona erfand

Pamplona
Sanfermines
Ernest Hemingway
Die Sanfermines sind ein wilder Mix aus christlichem Fest und weltlichem Spektakel. Foto: W. Stock, April 2024.

Wenn man sich unter den Bewohnern von Pamplona umhört und den Namen Ernest Hemingway fallen lässt, so bekommt man allerlei zu Ohren. Ich hege gespaltene Gefühle in Bezug auf diesen Herrn, pikiert sich ein Mann. Ein anderer Pamplonese meint, der Amerikaner habe viel für die Stadt getan, nicht immer zum Guten. Dass der Nobelpreisträger von 1954 die Sanfermines weltweit populär gemacht hat, es ist ein Fakt, dieser Umstand stößt allerdings nicht überall auf Begeisterung. 

Von Gertrude Stein, seiner Mentorin in Paris, erhält Ernest den Tipp, den Encierro zu besuchen. Die Schriftstellerin aus Pittsburgh und ihre Gefährtin Alice Toklas kennen das Spektakel bereits seit 1915. Zu dem Zeitpunkt ist das Fest in Nordspanien ein lokales Ereignis, ein Geheimtipp für neugierige Weltenbummler. Zum ersten Mal kommt der junge Hemingway im Juli 1923 nach Pamplona, insgesamt wird er die Hauptstadt Navarras zehn Mal besuchen. Der Journalist aus Chicago zeigt sich bei seinem Trip ins Baskenland im Nu elektrisiert von dem mittelalterlichen Schauspiel, so etwas findet man in seiner Heimat nicht.

Sein Erstlingswerk Fiesta, dieses erscheint im Jahr 1926, lässt Ernest Hemingway überwiegend in Pamplona spielen. Im amerikanischen Original heißt der Roman The Sun Also Rises, er wird auf Anhieb zu einem Riesenerfolg. Mit einem Mal werden die Sanfermines mit den Stieraufläufen, den Prozessionen und Tänzen ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit katapultiert. In seiner epischen Erzählung schreibt der Debütant ausführlich über das Großereignis in der nordspanischen Stadt mit damals 35.000 Einwohnern. 

Seit fast 600 Jahren wird das Großereignis mit dem religiösen Ursprung aufgeführt. Gefeiert wird zu Ehren des heiligen Fermín, des Schutzpatrons von Navarra. Firminus der Ältere ist der Sohn eines römischen Offiziers, er wird zum Priester geweiht und im 3. Jahrhundert zum Bischof von Amiens ernannt. Fermín stirbt den Märtyrertod, ihm wird die Kehle durchschnitten. Seine Reliquien werden von Frankreich nach Pamplona überführt. Der Pañuelico – ein rotes Halstuch, das in Pamplona zum Fest getragen wird – erinnert an sein unseliges Schicksal.

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Beim Encierro werden die Stiere aus den Corrales durch die Altstadt von Pamplona zur Plaza de Toros getrieben. Foto: W. Stock, April 2024.

Die Sanfermines beginnen alljährlich am 6. Juli mit dem Chupinazo, zur Mittagszeit, wenn 12 Feuerwerksraketen vom Rathausbalkon abgeschossen werden. Und endet nach acht Tagen, immer am 14. Juli um Mitternacht, mit dem Klagelied Pobre de mí. Ach, ich arme Seele. Im Laufe der Jahrhunderte hat das Fest zahlreiche Veränderungen durchlaufen. So eine Terminverschiebung von Herbst auf Sommer oder die Hinzunahme des Chupinazo-Rituals, das erst seit 1941 offizieller Bestandteil der Feierlichkeiten ist.

Der bekannteste Teil des Festes bleibt der Encierro. Um acht Uhr morgens findet der Auflauf der schwarzen Kampfstiere mit einem Gewicht von 600 Kilo statt. Der Trubel beginnt in den Stallungen im Norden und endet nach einer Hatz von 826 Metern durch die engen Gassen der Altstadt in der Plaza de Toros. Hunderte von Teufelskerlen – Einheimische wie Touristen – rennen bis zur Arena vor den Bullen her, manche werden von den Stieren zu Fall gebracht oder gar aufgespießt. Jeder Mozo, so werden die tollkühnen Läufer genannt, trägt ein weißes Hemd und eine weiße Hose sowie das rote Halstuch und eine rote Schärpe.

Um die archaische Feier herum entwirft Ernest Hemingway in Fiesta ein Kaleidoskop menschlicher Irrungen und Wirrungen. Die amerikanischen Protagonisten Jake Barnes, Robert Cohn und Lady Brett Ashley auf Entdeckungsreise in Pamplona lassen nichts aus: Abenteuer, Raufereien, Stierkampf, sexuelle Ausschweifungen und vor allem Alkohol. Dem biederen Publikum in der Heimat fährt der Schreck in die Glieder, es ist das Jahrzehnt der Prohibition in den USA. Das ungehemmte Fest muss im Land der erzwungenen Abstinenz und des freudlosen Puritanismus wie ein Schreckensgemälde aus der Vorhölle gewirkt haben. 

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Blutrot und stierschwarz sind die Farben der Sanfermines. Für die Stiere endet der Encierro bei der Corrida am Abend, derweil so mancher Mozo als Alkoholleiche unterm Tisch einer Kneipe in der Altstadt liegt. Foto: W. Stock, April 2024.

Wie eine Mischung aus christlicher Tradition und überdrehter Volksfeier kommen die Sanfermines daher. Die sommerliche Vorführung in der Kleinstadt wird dank Hemingway und dank Fiesta – als Buch und später als Hollywood-Verfilmung – zu einem kosmopolitischen Radau-Magneten. Wohl als Ventil für die unterdrückten und eingezäunten Bedürfnisse der Feierwütigen, wo auch immer auf diesem Globus. Die unbekümmerte Mischung aus religiöser Wehmut und sakraler Ausgelassenheit faszinieren – pars pro toto – den Mann aus der bigotten Vorstadt wie kaum etwas anderes.

Denn es ist nicht nur das Saufen. Der Autor aus Oak Park entdeckt in Pamplona, beim Fest des Heiligen Firminus, noch etwas. Tief in der Seele des Spektakels werden jene Tugenden gefeiert, die dem Schriftsteller auf seinem Lebensweg wichtig sind: Tapferkeit, Furchtlosigkeit, Stolz und Würde. Und hinter allem Budenzauber erkennt Ernest einen weiteren schwarzen Stier. Den

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Warum wird Ernest Hemingway so gehasst?

Eigentlich ein umgänglicher Bursche. Ernest Hemingway in Cabo Blanco, April 1956. Foto: Mario Saavedra-Pinón (colorized).

Millionen mögen ihn, weltumspannend reicht die Verehrung für diesen Nobelpreisträger, viele bewundern die Kraft und Abgeklärtheit seiner Erzählungen und Romane. Auch seine dem Lebensgenuß zugewandte Persönlichkeit wird bestaunt, bisweilen mit einem leichten Heben der Augenbraue. Jedenfalls vermag dieser Autor so gut und bahnbrechend zu schreiben, dass noch heute seine Bücher im Stapel verkauft werden. Obwohl er doch schon seit über 60 Jahren auf einem kleinen Dorffriedhof ruht, in Ketchum, am Rande der Rocky Mountains.

Doch es gibt nicht nur Fans. Wenige Schriftsteller müssen solch eine tiefe Antipathie über sich ergehen lassen wie Ernest Hemingway. Es ist nicht ausschließlich Ablehnung und Kritik, die ihm entgegenschlägt. Blanker Hass ist darunter auszumachen. Gerade fortschrittliche Intellektuelle und neumodische Medienleute arbeiten sich in den Feuilletons, in den Podcasts und in Gesprächsrunden an diesem kernigen Mannsbild gerne ab. Vielen gilt er als so eine Art Donald Trump der Literatur. Im Groben kommt das Feuer gegen Ernest Hemingway aus zwei Richtungen. Von ganz links und ganz rechts.

Linke Zeitgenossen verachten ihn, denn er ist das glatte Gegenteil von woke. Er lebt politisch unkorrekt, plaudert frei heraus, ohne Rücksicht auf Gepflogenheiten und gutes Benehmen. Er ist ein Großkotz, wie er im Buche steht. Dazu gilt er nicht nur als wohlhabend, vielmehr ist er stinkreich, was für einen Schriftsteller eh schon Makel genug ist. Seine Häuser sind herrschaftliche Residenzen oder riesige ländliche Anwesen. Das Ehepaar Hemingway unterhält dafür eine Armada von Bediensteten, vom Koch über den Gärtner bis zur Wäscherin. Auto fährt er, aber nicht von eigener Hand, Juan heißt sein Chauffeur.

Was allerorten gesagt oder getuschelt wird, es interessiert ihn nicht die Bohne. Gegen all das Lästern setzt der Mann aus einem Vorort von Chicago ein gesundes Selbstbewusstsein und eine schnoddrige Ungeniertheit. Über ein Jahrzehnt hat er eine feste Geliebte, die zuvor als Prostituierte gearbeitet hat, recht ungewöhnlich für einen Nobelpreisträger der Literatur. Dieser Mann hat Prinzipien, jedoch es sind seine eigenen. Er zeigt Haltung, es ist aber seine Haltung.

Die Linken sagen deshalb, er sei ein Rechter. Allerdings läuft er niemandem hinterher. Und so scheint Mister Papa in keine Schublade zu passen. Links, rechts, oben, unten. Sinnlos zu beschreiben, wo dieser Künstler einer bodenständigen Avantgarde einzuordnen ist. Selbstbewusst würde Ernest Hemingway wahrscheinlich antworten: vorne. Das mag sogar stimmen, andere Klassifizierungen greifen einfach zu kurz. Aus diesem Grund langweilen all die Vorwürfe. Denn sie werden dem bärtigen Jahrhundert-Schriftsteller nicht gerecht. Es bleibt bei faden Schablonen, die eine Diskussion nicht weiterbringen. 

Die Rechten wiederum meinen, er sei ein Linker. Ein linker Bourgeois, so zetern sie aus der rechten Ecke. Er habe für die linke Republik gekämpft im Spanischen Bürgerkrieg. Im Zweiten Weltkrieg sei er zumeist besoffen seiner Arbeit als Kriegsberichterstatter nachgegangen. Er habe deutsche Soldaten auf dem Gewissen (was schon lange widerlegt ist). Er habe seine Frauen betrogen (was stimmt, er soll da allerdings nicht der Einzige sein auf diesem Globus). Fidel Castro habe er hofiert (was eine von den Castristen gepflegte Mär ist).

Ohne Zweifel, sein Charakter besitzt auch dunkle Seiten. Die wunderbare Literatur kann nicht alles entschuldigen. Er bechert zu viel, behandelt seine Frauen schlecht, mit Familie tut er sich schwer. Er lästert, poltert und donnert einfach drauf los. Und er flunkert und bauscht auf, dass sich die Balken biegen. Aber, wer mag da den ersten Stein werfen? Reicht dies für all den Hass? Fehltritte und Irrtümer gibt es gleichermaßen bei anderen in Hülle und Fülle.  

Solch ein Hass, der Ernest Hemingway entgegenschlägt, scheint mir zu einem großen Teil auch ein

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Der Selbstmord von Ernest Hemingway: Ein Kampf gegen die Dämonen

Ernest Hemingway
Ketchum Cemetery
Seit Juli 1961 liegt Ernest Hemingway auf dem Dorffriedhof von Ketchum in den Bergen Idahos. Foto: W. Stock, 2018.

Dieser kernige Bursche gilt als der Prototyp einer amerikanischen Hyper-Maskulinität. Welch ein Leben voller Abenteuer und Erfahrungen! Ernest Hemingway ist ein Haudegen, wie er im Buche steht: Bei zwei Weltkriegen mitgemischt, im Spanischen Bürgerkrieg unter Beschuss der Putschisten, monatelange Safari-Jagden in Afrika, jeden Sommer das Bullenrennen in Pamplona, vier Ehen, Dutzende Liebschaften. Ein Mann für die Ewigkeit. Oder etwa nicht?

Das Ende mit einem Donnerschlag. Am 2. Juli 1961, an einem Sonntag, wacht er auf im Schlafzimmer seines Wohnortes Ketchum in den Ausläufern der Rocky Mountains. Leise schleicht er sich in den Keller, packt eine doppelläufige Schrotflinte aus dem Waffenschrank, nimmt zwei Schuss Munition, geht hinauf ins Vestibül, den Eingangsbereich vor dem Wohnzimmer, setzt sich auf den Boden des kleinen Vorraums und steckt den Gewehrlauf in den Mund. Dann drückt er ab.

Überraschend? Wohl nicht, eher zwangsläufig, wenn man hinter die Fassade blickt. Man weiß, die Hemingways sind eine Familie von Selbstmördern. Vater Clarence, ein praktizierender Arzt, bringt sich um, als Ernest 29 Jahre alt ist. Den geliebten Patron so zu verlieren, verletzt ihn tief. Auch zwei seiner sechs Geschwister nehmen sich das Leben. Margaux, die schöne Enkelin, ebenso. Die bekannte Schauspielerin setzt ihrem irdischen Dasein in Santa Monica ein Ende, mit 42 Jahren.

Auch wenn der berühmte Autor in der Öffentlichkeit den Macho raushängen lässt, ist Ernest Hemingway außerdienstlich ein anfälliger Mensch. Die Krankenakte dieses Patienten ist lang. In der Diagnose-Spalte findet sich häufig der Begriff Depression. Wie beim Vater. Clarence weilt oft in Kuren, um zu Kräften zu kommen und um seine Bekümmertheit zu heilen. Das Oberhaupt der Familie wird mehr und mehr geplagt von bipolaren Stimmungsstörungen. Auch Mutter Grace leidet ständig unter Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen, die Nerven. 

Bipolarität ist auch Ernest nicht fremd. Er ist ein Mann mit zwei Gesichtern. Von den Gefühlen gänzlich hin- und hergerissen. Er kann wechselweise schüchtern sein oder großkotzig, warmherzig oder aggressiv, großzügig oder rücksichtslos. Ein Charmeur oder jemand, der gegen Frauen pöbelt. Solche Stimmungsschwankungen gehören zu seinem Alltag. Heute würde man auf bipolare Störungen abstellen, es gibt genug Merkmale von Borderline-Syndrom und von narzisstischen Persönlichkeitsstörungen.

Anstatt seine Leiden kurativ anzugehen, schreitet Ernest seinen Weg weiter. Er denkt, er muss nur schneller gehen, dann wird’s besser. Er stürzt sich in aggressive Sportarten, sucht Trost beim Abschlachten von Stieren und an den Haken nehmen von Großfischen. Eine Ehe nach der anderen setzt er in den Sand, er will es noch nicht mal besser machen, bei der folgenden Liebschaft legt er die gleichen Fehler an den Tag.

Als Draufgänger besitzt er die Neigung, sich auf missliche Weise selbst Verletzungen zuzufügen, insbesondere im Kopfbereich. In Paris verwechselt er 1928 die Schnur eines Oberlichts mit einer Toilettenspülung, er zieht daran, eine Glasscheibe knallt ihm voll auf den Kopf. In der Normandie wird er von einem Motorrad geschleudert, es folgen Monate mit Kopfschmerzen und Gedächtnisstörungen. Auf seinem Boot Pilar stürzt er 1950 unbeholfen und erleidet eine starke Gehirnerschütterung. Dazu zwei qualvolle Flugzeugunglücke in Afrika im Jahr 1954.

All die wiederholten Verletzungen im Kopfbereich verursachen nicht nur körperliche Schmerzen, sondern verschlimmern zudem seine psychischen Probleme. Sein Gedächtnis wird im Laufe der Jahre immer schlechter, seine Kreativität nimmt ab, das Schreiben fällt ihm von Tag zu Tag schwerer. Doch Ernest Hemingway kennt ein Heilmittel. In Wirklichkeit jedoch ist es sein schlimmster Dämon.

Doch Ernest merkt es nicht. Der Alkohol ist für ihn ein Helfer in der Not. Medizin für die Narben seiner Seele. Whiskey und Wein sind lebenslange Begleiter. Mit Anfang zwanzig beginnt er, jeden Tag zu trinken. Irgendwann ist der Griff zur Flasche derart sein Alltag, dass er die Sucht nicht mehr regulieren kann. Die Ehefrauen und die Ärzte drängen ihn, mit dem Saufen aufzuhören. Sie alle sprechen gegen den Wind. Zudem spielt der Alkoholkonsum bei den Kopfverletzungen eine fatale Rolle. Als Ursache oder als Treiber einer Ausweitung.

Obendrein übernimmt die Depression nun das Kommando über ihn. Seine Schlaflosigkeit wird schlimmer und in den letzten Jahren zeigt er Anzeichen von Wahnvorstellungen. Der Schriftsteller äußert die Befürchtung, dass seine Freunde ihn umbringen wollen und sieht sich an jeder Straßenecke vom FBI beschattet. Der Wirrwarr aus psychotischer Depression, den Hirnverletzungen, den bipolaren Störungen und dem chronischen Alkoholmissbrauch lassen seinen Gesamtzustand vollkommen absacken.

Was bleibt einer armen Seele als Ausweg? Im engen Kreis spricht der Nobelpreisträger häufig davon, sich das Leben nehmen zu wollen. Im Frühjahr 1961 versucht Ernest Hemingway innerhalb einer Woche drei Selbstmord-Versuche. Der öffentlich gefeierte Autor kann keinen klaren Gedanken fassen, ans Schreiben ist nicht mehr zu denken. Wenn ihm am Schreibtisch vor dem leeren Blatt Papier die Worte fehlen, bricht er in Tränen aus. 

Ernest Hemingway hat sich stets darin gefallen, gegen

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