Jackegutlow

Cabo Blanco, im Mai 1956.
Photo by Modeste von Unruh. Collection WJS

Cabo Blanco, das sind 36 glückliche Tage im Leben des Ernest Hemingway. Peru bleibt das einzige Land Südamerikas, das er besucht. Er geht nicht in der Hauptstadt Lima oder nach Cusco, ins Andenhochland, sondern kommt hierher an die wilde Küste des Pazifiks, an den Nordzipfel, weit weg vom Gedröhn der Metropolen und der Blasiertheit der amerikanischen Kulturzirkel.

Er mag, so nahe am Meer zu sein. Wenn du am Meer bist, kannst du nicht lügen, sagt er. Cabo Blanco, das weiße Kap im Nirgendwo zwischen Meer und Wüste, das ist Hemingway-Land, ein Landstrich, wo Lebensfülle und Leere aneinander grenzen, wo Glück und Unheil sich vermischen und man schon genau hinschauen muss, um beides auseinander zu halten. Es ist Mai in Cabo Blanco und doch merkt der Mann, dass der Herbst langsam heraufzieht.

Ernest Hemingway, der Stier und Löwe, er kommt mehr und mehr an die Grenzen seiner Kraft. Seit einiger Zeit muss er ein Haarbüschel nach vorne kämmen, um eine immer größer werdende Glatze zu verbergen. „Du bist müde, alter Freund“, sagte er. „Du bist innen drin müde.“

Es geht ihm nicht gut, er merkt, die Sanduhr seines Lebens rieselte unaufhörlich herab. Im September 1955 hat er sein Testament geschrieben, in enger Handschrift, mit blauer Tinte, beidseitig auf einem Blatt Papier in Finca Vigía. Er merkt, es geht bergab. Die Augen spielen nicht mehr richtig mit. Er ist immer öfter müde, ausgelaugt, er fühlt seine Kräfte schwinden. Im Körper, der auf die 60 zugeht, natürlich, aber auch im Kopf.

Es fällt ihm schwer, sich zu konzentrieren, sein Gedächtnis schnaubt wie ein in die Tage gekommener Dieselmotor. Seine Kniescheibe ist – seit Fossalta – aus Aluminium, er hat Knochenbrüche, Jagdunfälle, Autozusammenstöße und Flugzeugabstürze und vier nörgelnde Ehefrauen überlebt, aber nun ist er des Lebens müde.

Doch er will nicht sterben. Er will unsterblich sein, so wie damals im Veneto, an der Front, wo ihm die feindlichen Mörser und Granaten auch nichts anhaben konnten. Der Ruhm und all der andere Scheiß, sie sind ihm egal. Da macht er sich keine Gedanken. Was die Nachwelt betrifft, so habe ich nur eines im Sinn: wahrheitsgetreu zu schreiben. Die Nachwelt kann auf sich selber aufpassen oder mich am Arsch lecken.

Hier in Cabo Blanco will er es allen noch einmal zeigen. Den Freunden, seiner Frau, Gregorio, Elicio, den Fischern, dem Fisch – aber vor allem sich selbst. Er bäumt sich auf. Er kämpft. Er will noch einmal stark und kräftig sein, das Ungeheuer bezwingen, als Sieger vom Platz gehen. Das will er, hier in Cabo Blanco, wo man im kalten Humboldtstrom den schwarzen Marlin, den König des Meeres, fangen kann. Jedenfalls wenn man jung ist und die Kraft reicht und falls auch ein wenig Glück dazu kommt.

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