Die Fotografin Modeste von Unruh und Ernest Hemingway an Bord der ‚Miss Texas‘. Cabo Blanco, im April 1956

Der Fotografin ist die Verärgerung anzusehen. Modeste von Unruh legt in Chaclacayo bei Lima die Ausgabe der La Prensa vom 17. April 1956 aus der Hand. Sie hat zuhause zum wiederholten Male den Artikel über Ernest Hemingway und dessen Besuch im peruanischen Cabo Blanco gelesen. Die Deutsche, die seit einem Jahr in Peru lebt, empfindet die Berichterstattung der Tageszeitung als eine einzige Zumutung.

Der Bericht in La Prensa stellt den US-Schriftsteller vornehmlich als Lebemann und Trunkenbold dar. Von Literatur ist nur am Rande die Rede, dafür umso mehr von Whiskey und anderem Alkohol. Doch das boshaftes Portrait in der massentauglichen La Prensa passt so ganz zu der anti-amerikanischen Stimmung in Peru in jenen Tagen. Diese Art der Hassliebe gegenüber dem reichen Bruder im Norden zieht sich durch die gesamte Geschichte des armen Andenlandes, als ein hochgekochter Mix aus Neid, Minderwertigkeitsgefühl und echtem Unmut. 

Wie auch immer, die junge Frau aus der Nähe von Lima beurteilt die Berichte aus Cabo Blanco als überaus geringschätzig im Inhalt und wertet sie journalistisch als herbe Enttäuschung. Wie nur kann man bloß derart respektlos mit diesem bedeutenden Schriftsteller umspringen? Ihr journalistischer Ehrgeiz wird geweckt, die Fotografin will Ernest Hemingway in Peru wieder ins rechte Licht rücken. Die junge Deutsche bucht kurzentschlossen ein Flugticket nach Talara.

Modeste von Unruh verbrachte ihre Kindheit in Babelsberg bei Potsdam und durchlief nach dem Schulabschluss eine Ausbildung zur Fotoreporterin bei verschiedenen Hamburger Tageszeitungen. Ihre Familie stammte ursprünglich aus Westpommern, aus Schlawe-Stolp, wo ihr Vater als Landwirt das Hammermühler Gut des Grafen Krockow verwaltete, später wanderte der Vater dann nach Australien aus. Auch die junge Frau wurde bald vom Fernweh gepackt. Kurzentschlossen ließ sie im Jahr 1954 ihren VW-Käfer über den Atlantik verschiffen, denn ihre Sehnsucht gehörte dem amerikanischen Kontinent.

Die Fotografin hegte den Plan, die Panamericana von Kalifornien aus hinunter bis nach Feuerland zu bereisen und unterwegs für das deutsche Magazin Kristall zu berichten. Nach einem Jahr Panamericana blieb die abenteuerlustige junge Frau auf dem Highway in Peru hängen. In dem Andenland lernte Modeste von Unruh dann den ungarischen Kunsthistoriker Dr. László von Balás-Piry kennen, der nach dem Krieg ausgewandert war. Die beiden heirateten bald und bezogen ein hübsches Häuschen mit Garten und Pool in Chaclacayo, gut 40 Kilometer östlich von Lima. Der Rest der Reise nach Feuerland war abgeblasen.

In Talara nimmt Modeste von Unruh am Flughafen ein Taxi nach Cabo Blanco. Es ist ein schöner und sonniger Nachmittag am Pazifik in Nordperu. Modeste von Unruh kennt das kleine Fischdorf am Meer nicht, doch ihr Ehemann, der in der Nähe einmal beruflich zu tun hatte, konnte ihr einiges berichten. In Cabo Blanco angekommen, sie hat sich nicht angekündigt, macht die junge Frau sich umgehend zum Klubgelände auf.

Im Cabo Blanco Fishing Club steht sie, die 28-Jährige, dann am frühen Abend vor dem Nobelpreisträger, der doppelt so alt ist wie die deutsche Fotografin. Eine sehr imposante Erscheinung, dieser Ernest Hemingway, denkt die junge Frau bei sich. An den Schriftsteller erinnert sie sich als an einen Mann von mittlerer Größe, jedoch von kräftiger Statur. Like a tree trunk, wie ein wuchtiger Baumstamm, wird die Reporterin später zu einem Foto für die Londoner Bildagentur Black Star schreiben. Der berühmte Autor trägt einen gepflegten grauen Bart und ist im Fishing Club, so hat es Modeste von Unruh deutlich in Erinnerung, sportlich und seemännisch gekleidet.

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Ernest Hemingway und Modeste von Unruh in Cabo Blanco, im April 1956. Mit der berühmten Leica der Fotografin, die Hemingways Jagd nach dem Schwarzen Marlin dokumentieren sollte.

Nachdem der prominente Schriftsteller die deutsche Fotografin kurz und kritisch gemustert hat, bricht schnell das Eis und Ernest Hemingway scheint die junge Frau zu akzeptieren. Denn es folgt eine ganz normale freundliche Begrüßung. Hi, I’m Ernest Hemingway, sagt der amerikanische Nobelpreisträger hemdsärmelig. Nice to meet you, fügt er an. Ich freue mich, Sie zu treffen.

Es ist der 26. April 1956 und es ist ein Donnerstag, an dem sich der Weg der jungen Fotojournalistin und der Weg des gefeierten Schriftstellers in dem kleinen peruanischen Fischerdorf Cabo Blanco kreuzen. Da die junge Hamburgerin als einzige Pressevertreterin in Cabo Blanco weilt, auch die männlichen Kollegen aus Lima sind längst abgereist, ergreift Modeste von Unruh ihre Chance beim Schopf. Nehmen Sie mich mit auf das Boot, sagt die schlanke blonde Frau keck zum weltberühmten Autor. Ich werde Ihnen Glück bringen.

Und Ernest Hemingway, der vielumjubelte Nobelpreisträger und bester Autor seiner Tage, zeigt sich generös. Die Fotografin darf am nächsten Morgen mit an Bord. Und sie wird atemberaubende Fotos schießen, von Ernest Hemingway und von seinem Kampf mit dem Marlin. Und, sie wird recht behalten, die junge Frau bringt das Angelglück auf die Miss Texas.

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