Raúl Villarreal, 1964-2019

Als Ernest Hemingway sich am 2. Juli 1961 in Ketchum, in den fernen Bergen Idahos, die Kugel gibt, da äußert ein enger Weggefährte auf Kuba geradeheraus. „Papa Hemingway hat seinen letzten Löwen geschossen“, kommentiert René Villarreal, ein guter Freund, der seit 1946 als Majordomus auf Finca Vigía tätig ist. 

René, ein junger afrokubanischer Einheimischer aus San Francisco de Paula, bleibt über 15 Jahre der Hausmeier auf Finca Vigía, dem tropischen Anwesen der Hemingways auf der Karibikinsel. René ist dafür zuständig, dass die Abläufe auf der Farm reibungslos klappen. Er beaufsichtigt das Dutzend Angestellte, zahlt die Löhne aus, holt zweimal am Tag die Post, denn neben den Briefen bekommt der Schriftsteller unzählige Bücher und Zeitschriften zugeschickt.

Neben dem Verwalter Roberto Herrera Sotolongo und dem Kapitän der Pilar, Gregorio Fuentes, ist René Villarreal der Kubaner, der Ernest Hemingway auf der Insel am Nähesten steht. Über die Jahre wird er zu einem Vertrauten des Nobelpreisträgers, der Autor schüttet dem Kubaner sein Herz aus. Ich bin nun alt, meint er zu seinem Majordomus, und musste hart für mein Leben und den Ruhm und den Reichtum kämpfen. Ich sollte eigentlich mein Leben lieben, aber ich kann es nicht.

Ernest Hemingway hat sich René Villarreal geöffnet wie einem Sohn. Am Ende seines Weges als Schreiber, als Literat und als Mann findet der Nobelpreisträger klare Worte. René, mi querido hijo cubano, schreibt er an seinen kubanischen Vertrauten, Papa geht so langsam das Benzin aus. Ich verspüre keine Lust mehr zu lesen, und dies war genau das, was mich am meisten im Leben gehalten hat. Und das Schreiben ist noch schwieriger.

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René Villarreal ist im Oktober 2014 in New Jersey gestorben, doch die Bewunderung für Ernest Hemingway hat sich auf die nächste Generation übertragen, auf Renés Sohn Raúl Villarreal. Raúl ist das Kind von Elpidia und René Villarreal. Im Jahr 1972 verlässt René mit seiner Familie die Insel, geht zuerst nach Spanien, dann in die USA, wo ihm Mary Hemingway hilft, Fuss zu fassen.

Raúl Villarreal, der Sohn, wächst in den USA auf, er studiert Bildende Künste an der New Jersey City University, wird selbst ein ausgezeichneter Maler und ein allseits anerkannter Hochschullehrer, er macht als Weltreisender und als Autor von sich reden. Zusammen mit seinem Vater schreibt er das Buch Hemingway’s Cuban Son, in dem die Geschichten über den bärtigen Freund festgehalten sind.

Auf Konferenzen, Vorträgen und in privater Runde unterhält Raúl Villarreal die Zuhörer mit seinem kenntnisreichen Detailwissen aus den Lebensjahren von Ernest und Mary Hemingway auf Kuba. Zusammen mit Richard Abella und Michael Curry hat er den viel beachteten Dokumentarfilm Hemingway – Between Key West and Cuba gedreht. Raúl, zuletzt in Gainesville in Florida beheimatet, ist wie die allermeisten Kubaner den Genüssen des Lebens nicht abgeneigt: ein gutes Essen, ein edler Rum und eine kräftige Havanna.

Ich habe Raúl Villarreal im Juli 2018 an der American University of Paris kennengelernt, als ich auf einer Konferenz der Hemingway Society einen Vortrag über Hemingway in Cabo Blanco gehalten habe und er als Moderator meines Panels eingesetzt wird. Als einen offenen, freundlichen und hilfsbereiten Menschen habe ich ihn seit diesen Tagen in allerbester Erinnerung, als jemand, dem man gerne lauscht oder mit dem man gerne einen Kaffee trinkt.  

Nun ist auch die Stimme von Raúl Villarreal verstummt. Vor ein paar Tagen hat ein schwerer Herzinfarkt diesen so stark und lebensfroh daher kommenden Menschen vom Jahrgang 1964 urplötzlich aus dem Leben gerissen. Die Hemingway-Welt trauert um einen grundehrlichen Menschen und hochsympathischen Aficionado. Niemand mehr da, der so bunt und tiefgründig über das Leben des Schriftstellers in seinem kubanischen Refugium Finca Vigía berichten kann. 

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