Durch Tschagguns, das direkt an Schruns grenzt, fließt das wilde Quellwasser der Ill.
Foto: W. Stock, Juni 2019

Ernest und Hadley Hemingway, das junge Ehepaar aus Paris, machen in ihrem Winterurlaub im Montafon zahlreiche Ausflüge in die Berge. Die Landstrasse hoch nach Gaschurn, wo das Skigebiet erst richtig anfängt, zum Madlenerhaus unterhalb der Bieler Höhe und auch zur Wiesbadener Hütte beim Piz Buin, der mit über 3.300 Metern höchsten Erhebung im Vorarlberg. Skilifte wie heute gibt es Mitte der 1920er Jahre noch nicht. Man muss als Tourengeher über eine robuste Kondition verfügen, um den stundenlangen kräftezehrenden Aufstieg mit schwerem Gepäck zu bewältigen.

Zum Aufstieg braucht es zudem ein gutes Wetter und vor allem ein wenig Glück, denn oft werden durch Lawinenabgang oder Gletscherbruch die Routen im Gebirge unpassierbar und es kommt vor, dass man in den Berghütten tagelang von der Außenwelt abgeschnitten bleibt. Doch nach anfänglichen Schwierigkeiten bessert sich Ernest Hemingways Kondition und er kommt wunderbar im rauen Bergwinter des Vorarlbergs zurecht.

In der örtlichen Skischule von Walther Lent nimmt der US-Amerikaner Unterricht, und der junge Ernest wird im Montafon alsbald zum begeisterten Pistenfahrer. Als es dem Frühling zuging, gab es die große Gletscherabfahrt, glatt und gerade, endlos gerade, wenn unsere Beine es durchhalten konnten. Die Knöchel aneinander gedrückt, liefen wir ganz tiefgeduckt, überließen uns der Geschwindigkeit und glitten endlos, im stillen Zischen des körnigen Pulverschnees.

Der Schriftsteller wird das Montafon mit den kleinen Gemeinden Schruns, Gaschurn und Tschagguns, mit der Silvretta und dem Gauertal in seinen späteren literarischen Welterfolgen wie Schnee auf dem Kilimandscharo und besonders in Paris – Ein Fest fürs Leben als winterliche Tourismusregion weltbekannt machen. Dabei fällt der liebevolle Tonfall, ja, dieser fast familiäre Zungenschlag auf, in dem Ernest Hemingway von seiner Gastregion in den Westalpen erzählt.

Irgendwie erscheint der Schreiber aus den fernen USA nicht wie ein distanzierter Beobachter, sondern als einer, der wie selbstverständlich mitten in der Bevölkerung seinen Platz einnimmt. Ich erinnere mich, wie der Schnee auf der Straße zum Dorf knirschte, wenn wir mit unseren Skiern und den Skistöcken auf der Schulter in der Kälte nach Hause gingen, wie wir nach den Lichtern Ausschau hielten und dann schließlich die Häuser erreichten, und wie jeder auf der Straße ‚Grüß Gott‘ sagte.

Der Winter im südlichen Vorarlberger Land kann schneereich ausfallen, und oft scheinen die Sonnenstrahlen den ganzen Tag über sehr kräftig. Im Winter in Schruns trug ich einen Bart wegen der Sonne, die mein Gesicht im hohen Schnee so arg verbrannte, und ich gab auch nichts aufs Haareschneiden. Ernest Hemingway, hoch gewachsen und ein pfundiges Mannsbild, ist bald einschlägig bekannt in der Gegend. Allzu viele Besucher finden in jenen Jahren nicht den Weg ins Montafon, im Hotel Taube sind die jungen Amerikaner an manchen Tagen die einzigen ausländischen Gäste.

Doch Ernest fremdelt kein bißchen mit der Gegend und den Menschen im Tal. Manche Einheimische bezeichnen ihn als Kirsch trinkenden Schwarzen Christus, weil der 1,83 Meter-Kerl so beeindruckend daherkommt und weil er so gut dem Schnaps zuspricht. Natürlich, die Schnäpse liebt er, das Kirschwasser oder den Montafoner Enzian. Die Einheimischen rühmen die Geselligkeit des Schriftstellers, berichten von seiner Freude am Kartenspiel und bleiben beeindruckt von seiner Trinkfestigkeit.

In seiner Kurzgeschichte Schnee auf dem Kilimandscharo lässt Ernest Hemingway den im Sterben liegenden Schriftsteller Harry, sein Alter Ego, im Todeskampf vor sich hin fiebern. In langen Passagen schwärmt Harry am Ende seines Lebens von den Tagen im Montafon und von der weißen Pracht. Am Weihnachtstag in Schruns war der Schnee so weiß, dass es den Augen wehtat, wenn man aus der Weinstube hinausblickte und die Leute aus der Kirche nach Hause kommen sah. Hemingways Sätze lesen sich so, als wäre der Amerikaner ein ganz natürlicher Teil des Dorflebens. Und: Als sei er, den ein Leben lang die Todessehnsucht plagt, hier im Vorarlberger Winter über alle Maßen ein glücklicher Mensch.

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