Ernest Hemingway, die Skulptur von Robert Berks am
Hemingway Memorial, Ketchum. Foto: W. Stock, 2018.

Bei einer Umfrage des Meinungsforschungs-Instituts Allensbach aus dem Jahr 1987 sind die Deutschen gefragt worden, wer die zwei bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts seien. Die Antwort ist eindeutig ausgefallen: Thomas Mann und Ernest Hemingway. Es gibt sie, die Verehrung und die Zuneigung der Deutschen zu dem bärtigen Autor, der auf dem Dorffriedhof von Ketchum in Idaho begraben liegt.

Der US-Amerikaner aus Chicago und das Land der Teutonen – es ist beileibe keine einfache Beziehung. Eine Liebe auf den ersten Blick, wie bei Italien und Spanien, das ist es schon gar nicht. Ein Kreativitäts-Turbo wie das Flair von Paris, das ist Deutschland auch nicht gewesen. Von einem Wohlfühl-Ambiente wie auf Kuba, keine Spur. Zugleich ist da allerdings auch kein Hass und keine Verachtung gewesen, wie manche uns weismachen wollen. 

Vielmehr ist es ein ziemlich kompliziertes Ding. Doch diese Vielschichtigkeit macht neugierig, der Sache auf den Grund zu gehen. Schauen wir uns die Sache von seiner Seite an. Im Ersten Weltkrieg wird er schwer verwundet, getroffen von österreichischen Granatsplittern, Österreich und Deutschland sind die Gegner der entente cordiale. Im Zweiten Weltkrieg sieht er die Gräuel der Wehrmacht an der Front im Hürtgenwald bei Aachen. Auch persönlich setzten die Deutschen dem US-Schriftsteller heftig zu. Sein Sohn Jack wird von den Deutschen als Kriegsgefangener inhaftiert. Alles keine gute Basis für überbordende Sympathie.

Umso merkwürdiger: Drei seiner vier Ehefrauen haben deutsche Vorfahren. Pauline Pfeiffer, Martha Gellhorn, Mary Welsh. Die Nachnamen verraten es. Die Großeltern von Marys Mutter Adeline Beehler stammen aus dem Badischen. Auch gehören einige Deutsche zu seinem engen Freundeskreis. Marlene Dietrich beispielsweise. Oder der Dresdener Peter Viertel, ein Drehbuchautor, der in Los Angeles lebt.

Er selbst kann ein paar Brocken Deutsch, nichts weltbewegendes, am liebsten Schimpfwörter wie Schweinehund. Er hat sie bei seinen mehrmonatigen Winteraufenthalten im österreichischen Schruns aufgeschnappt. Genau 291 deutsche Wörter und Begriffe findet man in Hemingways Werk, ein akribischer Kopf hat nachgezählt. In allen Büchern – mit Ausnahme In einem andern Land – kommen Deutsche als Personen oder als Begrifflichkeit vor.

In seinen vollen Bücherwänden auf Finca Vigía findet man zahlreiche Werke deutschsprachiger Autoren. Thomas Mann, Heinz Helfgen, Joachim Ringelnatz, Rainer Maria Rilke, Erich Maria Remarque, Arnold Zweig, Ludwig Renn, Gregor von Rezzori, B. Traven, Kurt Tucholsky, Stefan Zweig. Was er davon gelesen hat? Schwer zu sagen. Aber er ist Nicht-Akademiker, er muss sich sein Wissen hart erarbeiten.

Mit Rainer Maria Rilke geht er in Die Grünen Hügel Afrikas hart ins Gericht: Ich habe keine Geduld für so etwas. Er ist mir zu versnobt. Na ja, ein hartes Urteil, aber so ganz unrecht hat er nicht. Andererseits, Joachim Ringelnatz findet er grandios. Es zeigt: Für ihn gibt es solche und solche. Nicht nur in der Literatur. In allen Sparten, auf jeder Seite, in allen Ländern.

Ernest Hemingway schert nicht alle und alles über einen Kamm. Nicht nur schwarz oder weiß. Eher schwarz und weiß. Doch der Nobelpreisträger von 1954 versteht auch die Zwischentöne. Er vermag, abwägend zu urteilen. Viele Deutsche sind für Hitler. Doch viele kämpfen auch gegen ihn. Er weiß es aus persönlicher Erfahrung. Manche seiner Freunde machen ihn darauf aufmerksam.

Am 22. Juni 1938 fliegt Ernest Hemingway von seinem Wohnort Key West nach New York, um sich den bedeutenden Kampf von Joe Louis gegen Max Schmeling im Yankee Stadium anzusehen. Der Schriftsteller mag beide Boxer. Herkunft, Hautfarbe, Reisepass, alles schnurz. Als kleine Fussnote: Auch Thomas Mann weilt in New York und bekommt den Jubel in Harlem mit, wie Joe Louis dem Deutschen in der ersten Runde einen K.o.-Schlag verpasst. Beide Boxer werden übrigens trotz aller Rivalität zu Freunden.

Gerade Max Schmeling, den er verehrt und häufig erwähnt, zeigt ihm ein ausgewogenes Bild von Deutschland. Der Schwergewichts-Boxer lebt vor, dass man auch Deutscher sein kann, durchaus mit Stolz auf das eigene Land, und dass man sich zugleich dem Nazi-Wahn entziehen kann. Eine Kollektiv-Schuld, es gibt sie nicht, weil jedes Individuum Herr seiner eigenen Entscheidungen ist. Es zählt die Verantwortung und der Wille des Einzelnen. Letztlich geht es um Würde und Charakterstärke. Ernest Hemingway hat darüber geschrieben.

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