Die spanische Ausgabe von Der alte Mann und das Meer. Erschienen 1952. El Viejo y el Mar.

So gut wie jede Station im Leben des Ernest Hemingway hat mit dem Meer zu tun. Das Veneto, Südfrankreich, Andalusien, Key West und vor allem Cojímar. Seine schönste Erzählung führt das Meer gar im Titel. Wenn er mit der Pilar hinausfährt, wirkt er unbeschwert wie ein Kind. Als er das Meer verlässt und in die Berge zieht, ein Jahr vor seinem Tod, da verglimmt eine Helligkeit in ihm. 

Das Meer steht für die Urgewalt der Erde überhaupt. Das unendliche Wasser ist Ausgang und Ende menschlichen Lebens. Das Leben hat sich aus dem Meer gerobbt, und das Meer nimmt das Leben wieder auf. Voy al mar, sagen alte Spanier, des Lebens müde, ich gehe nun zum Meer. Es ist gleichbedeutend mit der Botschaft, dass es nun zu Ende geht, mit diesem Erdenbürger.

All die imposanten Werke der Natur bilden der Rahmen für das Lebens. Mit dem weiten Meer als Glanzstück der Schöpfung. Gerade das Meer besitzt eine Allgewalt, die gewaltiger ist als alles andere. Gewaltiger als der Mensch sowieso. Wie ein fein arrangiertes Wunderwerk verfügt es über eine wundersame Art des Gebens und Nehmens. Obwohl all die Flüsse zuströmen, läuft das Meer nicht über, ebenso wenig wie es leerlaufen kann.

Für die Menschheit bedeutet das Meer Sehnsucht und  Hoffnung. Schon im 15. Jahrhundert geht der Blick über das unbekannte Wasser. Neugier und der Willen, seinen Horizont zu erweitern, treiben den Menschen an. Als die ersten großen Migrationsströme anbrechen, ziehen die Silberstreifen der Europäer jenseits des Meeres auf, in New York oder in Buenos Aires. Bis heute verbinden sich mit der Überquerung des Meeres Hoffnung für diejenigen, die vor Krieg und Armut fliehen.

Wenn man Ernest Hemingways Prosa über das Meer aufmerksam liest, dann fällt einem die fast religiöse Aura auf, die mit den Sätzen einhergeht. Eine Sehnsucht nach dem Absoluten ist über allem zu spüren, ein tiefes Verlangen nach Erfüllung und nach Erlösung. Er selbst hält sich nicht für besonders gottesgläubig, merkwürdigerweise lesen sich manche Sätze jedoch wie Bittrufe.

Besonders am Meer wird ihm klar, dass eine Macht über ihm wirkt. Eine Macht, die stärker ist als alles andere. Und Ernest Hemingway möchte mit dieser höheren Macht in Verbindung treten, er sieht es als Aufgabe eines guten Schriftstellers. Sein Gleichnis vom einfachen Fischer auf dem Meer könnte genauso in der Bibel stehen. Ein schlichter und braver Mensch – also eigentlich wir – muss jeden Tag auf das Meer hinaus. Und er scheitert.

Jedoch wohnt diesem Scheitern eine Magie inne. Denn der Kämpfer gibt nicht auf, am nächsten Tag wird er erneut hinaus fahren in seiner kleinen Schaluppe. Und er wird wieder scheitern. Trotz allem lässt er sich seine Würde nicht nehmen. Hemingways Erzählung vom Meer, von dem alten Fischer, von dem Jungen Manolín, von dem Marlin, von den gefräßigen Haien und von den Löwen am Ufer, ist eine Geschichte, die wir kennen. Es ist unsere Geschichte.

Das Leben jedes Menschen besitzt eine Einzigartigkeit. Nur ein Umstand eint alle: Selbst der tapferste Kämpfer steht nach vielen Höhen und Tiefen am Ende als Verlierer da. Weil es irgendwann zu einer Niederlage kommen wird und für einen erneuten Versuch die Kraft fehlt. Doch seine Würde kann jeder Mensch behalten, so die Botschaft Hemingways, es liegt in seiner Hand. 

Zweifelsohne sollte das letzte Scheitern jene Würde in sich tragen, die uns der Fischer Santiago vorlebt. Ernest Hemingway schreibt über das Meer, über das große Meer, das machtvoller ist als der kleine Mensch. In Wirklichkeit ruft dieser alte Windbeutel aus Oak Park den Schöpfer des Meeres an. Und er schreibt über jene Geschöpfe, die das Privileg erhalten, all diese Wunderwerke der Natur wahrnehmen zu dürfen. Ernest Hemingways Thema sind das Meer, das Leben und die Einmaligkeit des Menschen.

Wenn Ernest Hemingway vom Meer erzählt, dann erzählt er vom Leben, von unserem Leben, von den Sehnsüchten und den großen und kleinen Wünschen. Eine Annäherung an das Meer beinhaltet zugleich eine Annäherung an unser Innerstes. Er hat gelebt und geschrieben, besser geht es nicht, und eigentlich müsste man nun, auch wenn es dem Ende zugeht, nach allem glücklich sein. Und das große Meer, das weiterlebt, dieser Gedanke sollte uns Trost spenden.

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