Ernest Hemingway: Der Garten Eden. Erschienen 1986, posthum.

Auf jeden Fall scheint Ernest Hemingways Liebesleben ein wenig über die gutbürgerliche Ambition hinaus zu gehen. Vier Ehefrauen kreuzen seinen Weg, von den Dutzenden Liebschaften gar nicht zu reden. Der Mann steht von morgens bis abends unter Starkstrom, literarisch, hochprozentig und noch mehr, wenn es um Frauen geht.

Allein sein posthum veröffentlichter Roman Der Garten Eden bietet sich als eine Fundgrube in dieser Hinsicht an. Diese Erzählung ist übervoll an Erotik und Sexualität, er schreibt die letzten 15 Lebensjahre an den Entwürfen, wagt aber nicht, sie seinem Verleger zu übergeben.

Das Werk wird schließlich unter viel Tamtam ein viertel Jahrhundert nach seinem Ableben veröffentlicht. Der Garten Eden erweist sich als ein seltsames Buch, weil der moderne Klassiker Ernest Hemingway versucht, in die Post-Klassik einzutreten. Dieser Versuch misslingt gründlich, vor allem weil der Stoff nicht wie sonst üblich aus dem Selbsterlebten resultiert, sondern der reinen Phantasiewelt entsprungen ist. Sozusagen ein Anti-Hemingway. 

Der Plot von Der Garten Eden bleibt wirr: Zusammen mit seiner Frau Catherine verbringt der trinkfeste US-Amerikaner David Bourne in den 1920er Jahren die Flitterwochen in Südfrankreich. Doch innerlich ist der Hauptdarsteller in der Krise. Als Schriftsteller, als Mann, als Liebhaber. Verzweifelt probiert das Ehepaar Neues aus, seine Frau und die Geliebte Marita kitzeln ihn hin zu allerlei erotischen Abenteuern. 

Sein ganzes Leben lang hat Ernest Hemingway von den Kollegen und der Kritik sich Tausende Vorwürfe anhören müssen. Er zeige keine Empathie für die sozialen Nöte der Arbeiterschaft, werfen ihm die Linken vor. Politisch sei er ein leicht zu beeinflussender Einfaltspinsel, meinen die Rechten. Er habe keinen blassen Schimmer von den Problemen des modernen Großstadtlebens, maulen die Großstadtkritiker. 

Der Nobelpreisträger, er lebt zurückgezogen auf einem tropischen Refugium nahe der kubanischen Hauptstadt Havanna, wurmt besonders der letzte Vorwurf. Der Alte möchte nicht alt dastehen. Deshalb versucht Ernest, ein modernes Buch zu schreiben. Hemingway haut alles raus, was an erotischer Verkrampfung in ihm drin steckt. Rollentausch, Lesbiertum, Homosexualität, ménage à trois. Alles narzisstische Identitäts-Phantasien eines Mannes in der Midlife-Krise, aber eben auch alles nicht persönlich erlebt.

Doch der alternde Autor sucht ein Ventil für seine Ängste und muss sich mal kräftig auskotzen: Wie im Delirium faselt der Meister von Androgynie, von Partnertausch und sonst was. Catherine und David schneiden sich die Haare kurz, das Männliche und das Weibliche verschwimmen. Mr. Scrooby, so nennt er sein bestes Stück, führt ihm diesmal die Feder, wo es sonst seine doch so geniale Beobachtungsgabe gewesen ist.

Tom Jenks, ein Lektor bei Hemingways Hausverlag Scribner’s, hat in New York das Buch aus über 1.500 Manuskript-Seiten zusammen gebastelt. Man merkt dem Werk das schlechte Karma an. Es zeigt die üblichen Schwächen eines nachgelassenen Manuskriptes: Hemingways Vorlagen werden gekürzt, auch erweitert und schließlich wird das Ganze durch den Fleischwolf gedreht.

Die Aficionados erkennen ihren Meister nicht wieder. Inhalt, Stil und vor allem die Seele der Erzählung sind meilenweit entfernt von seinen Meisterwerken wie Schnee auf dem Kilimandscharo oder Der alte Mann und das Meer. Bei einem Blindfold-Test würde der Leser mit Lachkrämpfen sich auf dem Sofa krümmen. Der Verlag und die Erben lassen den Nobelpreisträger auf voller Linie in sein Unglück rennen, nur weil irgendwer ein Geschäft wittert. 

Zum Glück kriegt Ernest Hemingway auf dem Dorffriedhof von Ketchum nichts mit von dem ganzen Fiasko. Denn wirklich alles in Der Garten Eden geht schief. Die Sätze lesen sich wie abgedroschenes Stroh, die einst vortrefflichen Dialoge laufen ins Leere. Die feine stilistische Prägnanz des Maestros plumpst hinab in einen banalen Manierismus. Von der ersten bis zur letzten Seite meint man, die Parodie in Händen zu halten.

Das schöpferische Feuer, das seinen Erstling The Sun Also Rises im Jahr 1926 so ausgezeichnet hat, verpufft 60 Jahre später, weil der prominente Autor nicht heraus kann aus seiner Haut. Ein Revolutionär der Sprache verliert seine Wucht, weil er versucht, dem Zeitgeist hinterherzulaufen. Und das Allerschlimmste an diesem Buch: Über allen 300 Seiten breitet sich eine gepflegte Langeweile aus.

In einer schwachen Stunde hat Ernest Hemingway entschieden, ein Nicht-Hemingway-Buch zu schreiben. Es macht keinen Sinn, für niemanden. 

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