Von August 1953 bis März 1954 dauert die zweite Jagdreise Ernest Hemingways nach Ostafrika. Sie führt ihn durch Belgisch Kongo, Uganda und Kenia. Der legendäre Jäger Philip Percival wird aus dem Ruhestand in Machakos geholt, die kenianische Regierung unterstützt das Vorhaben in der Hoffnung auf dollarschwere Touristen. Finanziert wird die Exkursion durch das Hochglanz-Magazin LOOK, der bekannte Schriftsteller soll in dem Magazin über Afrika berichten. Starfotograf Earl Theisen wird die Expedition begleiten und für grandiose Fotos sorgen.
Die Hemingways besuchen zunächst Ernests Sohn Patrick, der sich seit kurzem in Tanganjika als Farmer und Safari-Veranstalter niedergelassen hat. Danach geht es auf die Jagd, es ist wie immer. Löwen schießen, Nashörner, Leoparden, Antilopen. Ernest Hemingway – der Großwildjäger, der Macho-Mann und der Säufer. Wie schon in Spanien beim Stierkampf kultiviert der bärtige Autor sein Image als stahlharter Abenteurer und erfolgreicher Jäger. Und als Gebieter über die Tiere. Trotzdem bleibt Ehrfurcht: The man is not a great thing in front of the great birds and the wild animals.
Ernest Hemingway befindet sich auf dem Höhepunkt seiner Popularität. Doch die zweite Safari des weltbekannten Autors, genau zwei Jahrzehnte nach seiner ersten, endet im Desaster. Bei den Murchison Falls erleidet das Ehepaar Ende Januar zwei Flugzeugunglücke in Folge, Ernests Leben hängt am seidenen Faden. Er überlebt, doch die inneren Verletzungen werden ihn bis an sein Lebensende plagen.
Als der LOOK-Fotograf Earl Theisen vorzeitig abreist, geschieht etwas Merkwürdiges: Ernest scheint von einem Tag auf den anderen wie ausgewechselt. Er verliert das Interesse an der Jagd, befasst sich mehr mit den Tieren, der Flora und wendet sich den Massai zu. Der Mann aus Chicago taucht ein in ihre Welt, ergründet ihre Fertigkeiten und entschlüsselt die Bräuche der Halbnomaden, ihre Tänze und die Musik. Es ist für ihn mental ein trotziges zurück zum Einfachen und Ursprünglichen. Zur Natur, wie in den Kindheitstagen am Lake Michigan.
In den flachen Steppen Ostafrikas, bei den Massai, lernt er das Umherschleichen, es gibt keinen besseren Jäger als einen Massai mit seinem Speer. Die Massai trinken saroi, das Blut ihrer Rinder, das sie mit Milch verdünnen, weil es in der baumlosen Graslandschaft zu wenig Wasserstellen gibt. Ernest mag diesen unmodernen Landstrich, die Steppen und Savannen, den weiten Blick. Das Archaische. Afrika liebe ich über alles. Es ist ein wunderbarer Kontinent.
In Oloitokitok, an der Grenze zu Tansania, gerät eine junge Frau des Wakamba-Stammes in sein emotionales Blickfeld. Der 54-Jährige umgarnt das hübsche Mädchen namens Debba, bezeichnet es nach wenigen Treffen als seine Verlobte, er will die junge Schönheit als Zweitfrau heiraten. Manche wollen gar beobachtet haben, wie Debba des abends in das Zelt des Schriftstellers huscht.
Der verknallte Autor lässt sich im Stil der Massai die Haare blank scheren, und des Öfteren sieht man die zarten Hände Debbas nun über den Kahlkopf von Bwana Ernest tätscheln. Mary schaut über das Macho-Getue ihres Ehemannes gnädig hinweg. In seinen Reisenotizen True at First Light nimmt die Romanze mit Debba breiten Raum ein. Was für ein Glück ich hatte, dass ich Miss Mary kannte und sie mir die große Ehre erwies, mit mir und Miss Debba, der Königin der Ngomas, verheiratet zu sein.
Eine alberne Altherren-Phantasie? Oder das Delirium vor Toresschluss? Mag sein, vielleicht ist alles ja auch vielschichtiger. In Afrika, schreibt Ernest Hemingway im Geleitwort zu Die Wahrheit im Morgenlicht rätselhaft ist etwas im Morgenlicht wahr und mittags eine Lüge, und man gibt nicht mehr darauf als auf den reizenden, von hohem Gras gesäumten See am anderen Ende der sonnenversengten Salzebene. Man hatte diese Ebene am Vormittag durchquert, und man weiß, es gibt dort keinen solchen See.
Am 9. März 1954 fahren Mary und Ernest Hemingway auf der SS Africa von Mombasa nach Italien. Der Schriftsteller ist von den Flugzeugunglücken schwer angeschlagen, es drückt die Last der Jahre. Der Mittfünfziger merkt, seine irdischen Tage sind nicht auf ewig angelegt. In Venedig, seit jeher sein Jungbrunnen, lässt er sich medizinisch gründlich untersuchen und verfällt der nächsten Amour fou.
Nach Ernest Hemingways Tod lässt sich seine Witwe Miss Mary zu einer kleinen Aufmüpfigkeit hinreißen. Zusammen mit ihrer Freundin Clara Spiegel aus Ketchum bricht sie alleine auf zu einer Safari nach Ostafrika, nach Kenia und Tansania. Sie will es sich beweisen: Es geht auch ohne ihn. Und ohne Debba.
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