Der kubanische Filmemacher Fausto Canel hat 1962 einen bemerkenswerten Kurzfilm über das Leben und das Werk Ernest Hemingways gedreht. Mit den damals bescheidenen technischen Mitteln der Revolutionsjahre hat Canel mit Hemingway einen Film produziert, der den Wirkungskern des Nobelpreisträgers erstaunlich präzise auf den Punkt bringt. Heute kann man sich den Kurzfilm auf YouTube anschauen.
Canel ist 1939 in Havanna geboren und hat sich früh seiner Leidenschaft, den Filmen und dem Kino, gewidmet. Mit 19 dreht er seinen ersten Streifen, er wird Filmkritiker bei der Zeitung Revolución, sein Berufsstart fällt zusammen mit der kubanischen Revolution des Fidel Castro im Jahr 1959. Hautnah hat der junge Journalist die Umwälzungen auf der Karibikinsel von innen aus miterlebt.
Enttäuscht von dem stärker werdenden Totalitarismus des Regimes verlässt Fausto Canel 1968 seine Heimat und geht nach Paris. Er hat für Radio und Fernsehen gearbeitet, auch als Filmregisseur, Regieassistent und Drehbuchschreiber, so bei Projekten mit Tomás Gutiérrez Alea und Jean Seberg. Heute lebt der 82-Jährige als Buchautor in der Nähe von Miami. Ich habe ihn zu seinem Hemingway-Film befragen können.
Don Fausto, wo treffen wir Sie an?
Ich bin zuhause, in Hollywood, Florida, in den USA.
Sie leben in Florida, haben Jahre in Madrid, in Paris und Havanna verbracht. Diese Städte sind auch Lebensstationen von Ernest Hemingway. Kurioser Zufall, nicht wahr?
Ich habe zudem viele Jahre in Los Angeles, Kalifornien, gelebt. Ich glaube, dass solche Zufälle passieren, aber sie sind nicht wichtig. Jedoch, vielleicht hat Hemingways Buch Paris – Ein Fest fürs Leben als ein Antreiber gewirkt, der mich nach Paris gezogen hat. Und Havanna, na, da bin ich geboren. So ist es gekommen.
Wie ist Ihre Leidenschaft für den Film entstanden?
Seit meiner Kindheit bin ich viel ins Kino gegangen. manchmal sechs Stunden am Stück, jeden Samstag, im Cine Neptuno, in Havanna. Dieses Kinogebäude ist heute zerfallen, weil sich kein Verantwortlicher richtig um den Erhalt gekümmert hat.
Später habe ich Filmkritiken verschlungen, besondern die von G. Caín, hinter dem Pseudonym steckt der später bekannte Schriftsteller Guillermo Cabrera Infante. Die Besprechungen haben mir sehr geholfen, bei der Einordnung.
Sie haben den Film dann zur Ihrer Profession gemacht.
Glücklicherweise konnte ich ein Stipendium ergattert und habe Filmwesen – Historia y Apreciación Cinematográfica – an der Universidad de La Habana studiert. Mein Professor war José Manuel Valdéz Rodríguez. Es gab damals einen Wettbewerb, der von der Filmgesellschaft Fox veranstaltet wurde, man sollte eine Besprechung zu einer Musikkomödie mit dem Titel Carrousel schreiben. Ich habe den Film verrissen – und habe den Preis bekommen.
Wie war das Kino in jenen Jahren?
In Havanna ging man häufig ins Kino, man konnte sich Filme aus aller Welt anschauen. Die meisten kamen aus den USA, das waren die beliebtesten. Dann gab es einige aus Europa, mehr in den spezialisierten Kinos, und schließlich viele mexikanische Spielfilme. Die waren besonders beliebt bei Besuchern, die nicht so einfach den Untertiteln folgen konnten. Auf Kuba sind damals die Filme nicht synchronisiert worden, auch aus Respekt vor der Arbeit der Schauspieler.
Welche Rolle spielte Ernest Hemingway in jenen Jahren auf Kuba?
Hemingway war in den 1950er Jahren eine öffentliche Person, sehr bekannt, fast eine Attraktion in Havanna. Seine Popularität wuchs ins Unermessliche, als 1952 Der alte Mann und das Meer veröffentlicht wurde, das hatte schon Hollywood-Dimensionen. Auf Kuba wurde El Viejo y el Mar zuerst in der Zeitschrift Bohemia veröffentlicht, in einer spanischen Übersetzung von dem großen Lino Novás Calvo, Hemingway wollte das genauso. Der Nobelpreis 1954 hat ihn dann zu einem Mythos gemacht. Wichtig war, dass viele Leute, die normalerweise nicht gewohnt waren, Romane zu lesen, den alten Mann gelesen haben…
Wie entstand die Idee, einen Film über Ernest Hemingway zu drehen?
Eines Sonntagnachmittag im Juli 1961, als ich in die Redaktion der Zeitung Revolución kam, ich schrieb dort Filmkritiken, sagte ein Kollege mir, dass Hemingway gestorben sei. Direkt früh am nächsten Tag präsentierte ich dem Instituto Cubano de Arte e Industria Cinematográficos (ICAIC) – dem Kubanischen Institut für Filmkunst und Filmindustrie – die Idee eines Dokumentarfilms über Leben und Werk Hemingways. Das Projekt wurde sofort genehmigt.
Erstaunlich…
Dem Castro-Regime lag daran, aufzuzeigen, dass sie zwar gegen die Politik der US-Regierung sind, aber nicht gegen die amerikanischen Bürger und schon gar nicht gegen die Kulturschaffenden. Dazu kam, es handelt sich hier um einen Schriftsteller, von dem man meinte, er sei ein Linker und ein Anhänger von Fidel Castro. Die Herausforderung für mich bestand nun darin, einen Film zu drehen, der Hemingway nicht als Propagandafigur des Castrismus benutzt.
Was war die Absicht hinter Ihrem Film Hemingway?
Ich wollte Hemingway so darstellen, wie er gewesen ist, ohne schmückendes Beiwerk, ohne den Überschwang des Mythos. Es ging mir um einen Schriftsteller im Kampf gegen seine eigenen Grenzen. Mir war wichtig, seine Beklemmung herauszuarbeiten, seine Seelenkrankheit, seinen Blick auf die Welt und sein Werk.
Bevor Sie mit den Dreharbeiten begonnen haben, haben Sie sich für einige Tage auf der Finca Vigía einquartiert, dem verlassenen Anwesen der Hemingways. Wie haben Sie die Finca vorgefunden?
Glücklicherweise war das Haupthaus intakt. Es war noch kein Museum, wie heute. Es war vielmehr ein Ort, wo ich das Gefühl hatte, sein Besitzer könnte jeden Moment zurückkommen. Bisweilen habe ich mich wie ein Eindringling gefühlt.
Gab es Einflussnahmen von Regierungsseite während der Arbeit an Ihrem Film?
Nein. In keiner Weise. Ein baskischer Arzt, ein Freund von Hemingway aus dem Spanischen Bürgerkrieg, hat versucht, meinen Aufenthalt auf der Finca Vigía zu überwachen. Aber das ICAIC und der Schriftsteller Alejo Carpentier, dem als Staatssekretär die Aufsicht über das Anwesen oblag, haben mich unterstützt.
La Vigía ist schließlich an Castro übertragen worden, durch die Witwe von Hemingway. Im Gegenzug durfte sie die wertvollen Gemälde in die USA mitnehmen, die im Haus hingen. Und die Mikrofilme mit seinen Manuskripten, die sich im Tresor einer Bank in Havanna befanden. Castro hat dem Deal zugestimmt.
Wie betrachten Sie heute Ihren Film Hemingway, mit fast 60 Jahren Abstand?
Ich sehe den Film mit Wohlwollen. Ich glaube, er ist in keiner Weise schlecht geraten. Besonders wenn man sich die Beschränkungen vor Augen führt, unter denen die kubanischen Dokumentarfilme damals zu leiden hatten. Manchmal denke ich, es war ein Husarenritt, Hemingways Leben in 20 Minuten zu verdichten. Vor kurzem lief im US-Fernsehen eine Biografie über ihn auf drei Folgen verteilt, insgesamt sieben Stunden lang.
Welche Person hat Sie in Ihrem Leben am meisten beeindruckt?
Das sind meine Töchter. Sie sind für mich ein Fest fürs Leben.
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