Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Schlagwort: Frankreich

Paris prägt Ernest Hemingway wie keine andere Stadt

Die Künstler und Paris – ein Himmelreich auf Erden. Foto: W. Stock, Paris im Oktober 2022.

Im Dezember 1921 erreichen der Amerikaner Ernest Hemingway und seine Frau Hadley Richardson nach zwei Wochen auf dem französischen Atlantikdampfer Leopoldina, aus Hoboken bei New York kommend, die europäische Küste. In Cherbourg nimmt das frisch vermählte Ehepaar dann den Nachtzug nach Paris. Das junge Paar plant, sich dort für längere Zeit niederzulassen, es sollten sieben Jahre werden.

Vom ersten Tag an empfindet Ernest eine intensive Verbundenheit mit seiner neuen Wahlheimat. Als freier Korrespondent der kanadischen Tageszeitung Toronto Star kommt der junge Ernest Hemingway nach Übersee, mit dem Auftrag, sich in Europa umzuschauen. Die Alte Welt ist in jenen Jahren ein Kontinent in Aufruhr, mit Ländern, die einen Weltkrieg hinter sich haben und durchgerüttelt werden von politischen Konflikten, wirtschaftlichen Krisen und sozialen Erschütterungen.

Der junge Journalist wird hineingeworfen in diese brodelnde Region, er ist unbedarft und hungrig nach dem Leben. Der attraktive Journalist aus Oak Park, einem Vorort von Chicago, ist jener Typus, der wunderbar zu dieser Stadt passt: bullig von Figur, breitschultrig, ein kantiges Gesicht, im Kontrast dazu mit sanften braunen Augen und mit einer einfühlsamen Stimme. 

Frisch verliebt und voller Träume leben Ernest und Hadley von wenig Geld in der Hauptstadt Frankreichs. Als Korrespondent verdient er nicht gerade üppig, die Erträge einer kleinen Erbschaft von ihr hält beide über Wasser. Das Liebespaar verbringt unbeschwerte Monate in der so quirligen Metropole an der Seine, sie sind arm, aber glücklich. Es gibt nur zwei Orte auf der Welt, wo der Mensch glücklich sein kann. Die Heimat und Paris.

Der Amerikaner wirkt, als lebe er im siebten Himmel. Für einen jungen Mann, der seiner bigotten Erziehung und der nüchternen Strenge des Mittelwestens der USA entflohen ist, gleicht das Paris der 1920er Jahre einem Himmelreich auf Erden. In der Stadt des Lichtes finden amerikanische Intellektuelle den Glanz und Glamour, jenen joie de vivre, den sie in der heimatlichen Tristesse aus Wirtschaftsdepression und Prohibition so schrecklich vermissen.

Ernest Hemingway und Paris – es passt wunderbar. Ein Bauch- und Augen-Mensch wie Ernest wird hier zum Flaneur, der in den Buchhandlungen stöbert, durch die engen Gassen des Quartier Latin bummelt oder als Müßiggänger im La Closerie des Lilas vor einem Café au Lait sitzt, das bunte Treiben beobachtet und schreibt. Vor allem die Gegend um den Boulevard du Montparnasse wird zu seinem Revier, hier warten Lebenslust und Frivolität an jeder Ecke.

In Paris begegnet Ernest Hemingway anregenden Frauen und Männern, er steht direkt an der Wiege neuartiger Ideen und kühner Anschauungen. Künstlerische Pioniere wie James Joyce und Pablo Picasso gehören zu seinem Freundeskreis. Der junge Ernest merkt, wie dieses kreative Flair ihn als Schreiber ermutigt. Die Harmonie mit seiner Ehefrau wirkt als Ruhepol, die umgängliche Hadley fängt den stürmischen Ehemann mehr als einmal auf. 

Er ist angekommen in seiner Traumwelt. Schöner vermag der 22-Jährige sich das Paradies nicht auszumalen. Wenn Du das Glück hattest, als junger Mensch in Paris zu leben, dann bleibt die Stadt bei Dir, einerlei wohin Du in Deinen Leben noch gehen wirst, denn Paris ist ein Fest fürs Leben.

Diese Metropole der Lebenslust überfällt den Amerikaner wie

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Ernest Hemingway in Paris – Abschied aus dem Paradies

Ernest Hemingway Paris
Der Mann geht, sein Mythos bleibt. Im Le Pré aux Clercs, seinem Lieblingslokal in den ersten Wochen, erhalten die Bücher eine Ehrenreihe oberhalb der Schanktheke. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

In den Vereinigten Staaten zeigen sich die Leser verstört, als sie sich 1926 durch die Seiten seines in Paris geschriebenen Romans The Sun Also Rises arbeiten. Ernest Hemingways unverhohlene Schilderung der sexuellen Laxheit in den französischen Künstlerkreisen und die Zechtouren in Paris und Spanien wirken Mitte der 1920er Jahre auf das biedere Publikum – es ist das Jahrzehnt der Prohibition in den USA – wie ein Horrortrip durch das Reich des Satans.

Der beschwingte Alltag in Paris inspiriert den jungen Amerikaner, ebenso wie die zahlreichen Museen und Galerien seinen Horizont erweitern. Auch das freie Leben weiß er, der in der freudlosen Bigotterie der Vorstadt aufgewachsen ist, zu schätzen. Die Leidtragende ist Hadley. Denn mit der ehelichen Treue hält er es von Beginn an locker bis oberlocker.

Mit der acht Jahre älteren Hadley Richardson hat er einen mütterlichen Frauentyp geheiratet. Ernest ist glücklich, auch weil er geliebt wird, ebenso wie die Geburt des Sohnes John im Oktober 1923 ihn erfreut. Aber es reicht ihm nicht, sein Nachholbedarf scheint enorm. Es ist fast so, als sei er von der Obsession befallen, etwas zu verpassen im Leben.

Auf ein Experiment lässt Ernest sich mit der androgyn auftretenden Pauline Pfeiffer ein. Die Modejournalistin ist klein, dünn, flachbrüstig, ganz und gar nicht sein Beuteschema, doch irgendetwas zieht ihn an. Die lebhafte Pauline tritt so ganz anders auf als die fürsorgliche Hadley. Pauline passt in die damalige Zeit und sie passt zu Paris. Aber passt sie auch zu dem Schriftsteller?

Ernest Hemingway hängt einem traditionellen Rollenverständnis zwischen Mann und Frau nach, er bewundert Hadley als verständnisvolle Ehefrau und aufopfernde Mutter. Einerseits braucht er dieses althergebrachte Muster als Fundament für seinen Alltag, doch andererseits verliert er schnell die Lust am konventionellen Idyll. Ernest will in Paris ausprobieren, er will sich heraus trauen aus der heilen Welt der Kirchgänge und Hauskonzerte in Oak Park.

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Verneigung vor einer Stadt, die aus einem alten Bahnhof ein wunderbares Museum machen kann. Musée d’Orsay. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Bei seiner Abnabelung in Paris stellt sich heraus: Er ist ein lausiger Ehepartner. Dabei überraschen weniger seine Seitensprünge, schlimm genug, vielmehr verstört die Rücksichtslosigkeit mit der Ernest Hemingway die Partnerschaft mit seiner großen Liebe abhakt. Ohne mit der Wimper zu zucken und ohne jedes Schuldgefühl wendet er sich von Hadley ab. Freundschaften kann er hegen und pflegen, doch seine wunderbare Ehefrau hintergeht er auf charakterlose Art und Weise.

Diese emotionale Skrupellosigkeit wird man zukünftig als Schablone auf sein Verhalten gegenüber Frauen und Partnerinnen legen können. Die Bewunderung anderer Frauen tut ihm gut, die sexuellen Eroberungen plustern sein Selbstwertgefühl auf. Sein Durchbruch als Schriftsteller Mitte der 1920er Jahre setzt ihn zusätzlich unter Strom. Quasi parallel zum Erfolg als Autor läuft seine Karriere nun auch als Schürzenjäger peu à peu zu Hochtouren.

Doch je mehr die Kerben in seinem Revolver zunehmen, desto dünnhäutiger wird er. Weil er in seinem Wertegerüst nicht stabil ist und auch, weil seine Persönlichkeit in Sachen Liebe emotional nicht mitwächst. Wenn er das Gefühl hat, von einem Menschen gekränkt zu werden oder in seinen Empfindungen verletzt zu sein, dann reagiert er wie ein angeschossenes Raubtier. Er kontert dann mit offener Aggression, mit kaum verborgenem Hass, er verhöhnt die betreffende Person lang und breit in seinen Werken.

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Im Panthéon, der Ruhmeshalle der Nation, sind von Voltaire über Émile Zola bis André Malraux die großen Schriftsteller Frankreichs bestattet. Mit Josephine Baker wird auch eine US-Amerikanerin geehrt. Wenn er nicht falsch abgebogen wäre, möglicherweise wäre noch Platz für einen weiteren Amerikaner gewesen. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Am schlimmsten ist es, wenn er nicht genug beachtet wird. Dann entlädt sich umgehend seine Wut. Gerade auf Frauen. Wenn er sich wieder einigermaßen beruhigt hat, dann merkt er schon, dass eine abermalige Niederlage dazu gekommen ist. Und er selbst es gewesen ist, der sich eine weitere Narbe in seine Seele eingeritzt hat. Und bittere Niederlagen gibt es zuhauf.

Warum vermag Ernest nicht, die rückhaltlose Liebe seiner Ehefrau wertzuschätzen? Am Ende steht die bittere Scheidung. Wer eine solch wunderbare Frau wie Hadley ablegen kann, der wird auch Paris ablegen. Ernest reitet sich immer tiefer ins Desaster. Denn Paris kann man nicht ablegen, so wie man eine alte Jacke in die Kleidersammlung gibt. Und auch Hadley zu verlassen, ist ein schwerer Fehler. Er wird seine Riesendummheit einsehen, spät, sehr spät. 

In seinen letzten Lebenstagen in den Bergen Idahos kreisen seine Gedanken oft um Hadley und Paris. Er telefoniert mit ihr, es erinnert ihn an die schöne Zeit in der Stadt an der Seine. Wenn Du das Glück hattest, als junger Mensch in Paris zu leben, dann bleibt die Stadt bei Dir, einerlei wohin Du in Deinen Leben noch gehen wirst, denn Paris ist ein Fest fürs Leben.

Wie kein anderer Ort hat Paris, nur drei Buchstaben vom Paradies entfernt, diesen garstigen Romantiker aus dem Norden Amerikas geprägt. Hemingway und Paris – es hat wunderbar gepasst. Er lebt in der lässigen Ungezwungenheit von Paris, weiß im Grunde aber nicht,

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Ernest Hemingway in Paris: Schreiben wie Gott in Frankreich

Seit 1889 steht der Eiffelturm an der Seine in Paris. Zu Anfang umstritten, ist er seit Jahrzehnten das Wahrzeichen der Stadt. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Als Korrespondent des Toronto Star wird Ernest Hemingway im Dezember 1921 hineingeworfen in diese quirlige Stadt. Er taucht ein, er lernt schnell und genießt die Unbeschwertheit und das Wohlbehagen an der Seine. Der junge Mann aus einem Vorort von Chicago merkt, wie dieses Flair von Paris ihn als Schreiber ermutigt. Da stehe ich und blicke über die Dächer von Paris und denke: Mach dir keine Sorgen. Du hast immer geschrieben und du wirst auch jetzt schreiben.

Der ehrgeizige US-Amerikaner vom Jahrgang 1899 ist genau jener Typus, der wunderbar zu dieser Stadt passt: bullig von der Figur, breitschultrig, ein kantiges Gesicht, im Kontrast dazu mit sanften braunen Augen und mit einer einfühlsamen Stimme. In den Künstlerkreisen von Paris macht der gut aussehende Journalist in kurzer Zeit mit seiner Persönlichkeit und seiner schreiberischen Begabung auf sich aufmerksam.

Am liebsten sitzt der Mann aus Oak Park alleine an einem Tisch, mit freiem Blick auf die Besucher und geht seiner Lieblingsbeschäftigung nach. Er beobachtet. Einem neugierigen Schreiber wie Ernest Hemingway fliegen in den Pariser Bistros die Themen nur so zu. Wenn er in den Cafés sitzt und seine Eindrücke in seinem Notizbuch festhält, dann wirkt er tief in sich versunken. Als ein Nachbar, Monsieur Lavigne, ihn eines Vormittags auf der Terrasse der Closerie erblickt, traut sich der Franzose nicht, den Autor anzusprechen.

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Das grün umrankte Gartenrestaurant der La Closerie des Lilas am Boulevard du Montparnasse wird seine Schreibstube. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

„Sie sahen aus wie ein Mann, der alleine im Dschungel ist“, sagte er.
„Ich bin wie ein blindes Schwein, wenn ich arbeite.“
„Aber Sie waren nicht im Dschungel, Monsieur?“
„Im Busch“, sagte ich.

Nicht wenige Kollegen bewundern seine literarische Begabung, Hemingways lakonische Art zu schreiben, wirkt unverbraucht, seine Sätze klingen frisch und voller Laune. Gertrude Stein, seine einflußreiche Mentorin, erkennt die innovative Qualität von Ernests Schreibweise auf Anhieb. Er könne vielleicht irgendeine neue Art von Schriftsteller werden, meint die Autorin, als sie im Frühjahr 1922 seine ersten Texte liest.

Trotz mancher Reiberei entpuppt sich Gertrude Stein als eine kluge Lehrmeisterin. Sie liest seine Entwürfe, korrigiert, regt Verbesserungen an. Sie hält vor allem Hemingways Schauplätze für passé, das meiste spielt sich im Hinterland um den heimatlichen Michigan-See ab. Er möge doch nicht über Themen schreiben, die keiner lesen will. Vielmehr solle er sich mit dem Neuen befassen, mit all dem Faszinierenden und dem Verstörenden, das er im lebhaften Paris und im wankenden Europa vorfinde.

Klar und deutlich erkennt die scharfsinnige Gertrude Stein das Potential von Ernest Hemingway als Romancier und als Schreiber von Kurzgeschichten. Einen Zeitungsreporter sieht sie in ihm nicht, verschwendetes Talent. Als der Mittzwanziger, die nicht einfache Entscheidung treffen muss, mit dem Journalismus aufzuhören und seinen auskömmlichen Vertrag als Korrespondent der kanadischen Zeitung zu kündigen, bestärkt sie ihn. 

Die Schriftstellerin und Kunstsammlerin aus Pittsburgh wird über die Monate zur akribischen Ausbilderin des späteren Nobelpreisträgers: Vor allem erläutert Gertrude Stein dem jungen Autor das Konzept des le mot juste und erklärt ihm die Wichtigkeit des treffenden Wortes. Sie zeigt ihm die Wirkung von Wortwiederholungen und sensibilisiert ihn für den Rhythmus der Sätze. Als Sohn einer Opernsängerin versteht Ernest die Wichtigkeit der Sprachmelodie.

Es ist Gertrude Stein, die Hemingway zu einer minimalistischen Erzählweise ermuntert, die Nüchternheit seiner Sätze zeigen ihren Einfluss. Der angehende Schriftsteller, gerade mal Anfang 20, akzeptiert Gertrude Stein als Ratgeberin. Ernest erweist sich als ein aufmerksamer Zuhörer und eifriger Schüler. Der junge Schreiber lernt so schnell, dass er ab 1924 nicht mehr auf die Ratschläge der Frau Stein angewiesen ist. Hemingways Sicht der Dinge, seine Themenkreise und sein Schreibstil beginnen

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Ernest Hemingway in Paris – Ein Wahnsinn namens Leben

Das Le Pré aux Clercs, schräg gegenüber von ihrem Hotel, wird zur Küche und zum Esszimmer der Hemingways. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

In der Rue Bonaparte, direkt an der Ecke vom Hôtel Jacob et d’Angleterre entdecken Ernest und Hadley ein neues Lieblingsrestaurant. Das Paradies der Hemingways ist erschwinglich: Im Le Pré aux Clercs bekommt das Ehepaar ein Abendessen für 12 Francs und eine Flasche guten Pinard-Wein für nur 60 Centimes. Hadley entpuppt sich als Naschkatze, die das französische Gebäck und den köstlichen Kuchen nur so verschlingt.

Auch Ernest wirkt, als sei er in den siebten Himmel aufgestiegen. Für einen jungen Mann, der dieser nüchternen Enge des amerikanischen Mittelwestens entflohen ist, gleicht das Paris der 1920er Jahre in der Tat einem Himmelreich. Der Journalist begegnet in der Stadt an der Seine anregenden Frauen und Männern, er steht direkt neben der Wiege neuartiger Ideen und kühner Anschauungen in Literatur, Musik und Malerei.

Mit dem Surrealismus, dem Dadaismus und dem Kubismus versuchen die Künstler jener Tage in Paris, althergebrachte Wege zu verlassen. Bei der Familie Hemingway in Oak Park, einem Vorort von Chicago, wird die traditionelle Kultur geschätzt, der Vater ist Arzt, die Mutter Opernsängerin. Es herrschen zudem die rigiden Vorgaben einer calvinistischen Freudlosigkeit. Strebsamkeit, Arbeitseifer und ein tiefer Gottesglaube prägen das strenge Elternhaus.

In Frankreich wird der junge Hemingway in einen Kontrastkosmos hinein geschleudert. Schon nach den ersten Tagen in Saint-Germain-des-Prés verwandelt sich Ernest in einen Bonvivant, er genießt die angenehmen Seiten seines Lebens als Reporter und Mann. Während in der Heimat Wirtschaftskrisen, Mafia und Prohibition die gute Laune verderben, hocken die aus dem Land Vertriebenen im Café de Flore vor einem café noir und palavern.

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Im Café de Flore am Boulevard Saint-Germain finden Genießer ihr Paradies. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Paris, es ist ganz und gar seine Stadt. Weil sie seinen intellektuellen und emotionalen Horizont erweitert und auch weil die Stadt jene dunklen Winkel des Lebens ausleuchtet, die in der biederen Welt der Hauskonzerte und Kirchgänge im heimatlichen Illinois nicht vorkommen. Gerade das Verbotene und das bisher Ausgegrenzte locken den jungen Mann.

Solch ein freizügiges Denken und das offene Experimentieren mit neuen Lebensformen kennt Ernest aus seiner Heimat nicht, ein neuer Horizont an Selbstverwirklichung und Lebensfreude eröffnet sich ihm in Paris. Gerade auch in Sachen Sexualität. Das Spektrum erweitert sich in der französischen Metropole. Hetero, homo, bi, in allen Ausprägungen und Zwischenstufen, offen und freizügig.

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Als Clarence Hemingway 1923 das Debüt seines Sohnes – Three Stories & Ten Poems – durchgelesen hat, schickt er das Buch erbost zurück nach Paris.

Die braven Eltern, die seinen Erzählungen lauschen, fallen vor Schreck vom Stuhl. Der junge Hemingway erzählt von Saufgelagen und Müßiggang, von Lesben und freier Liebe, extremely shocking. Für die bigotten Mittelstandsbürger vom Michigan See muss Paris wie das nachtschwarze Hinterzimmer einer Opiumhöhle erscheinen. Ernest amüsiert sich köstlich.

Der junge Mann, in der Schlafmützigkeit der dörflichen Vorstadt aufgewachsen, genießt die Aufbruchstimmung in den Pariser Künstlerkreisen. Der kernige Bursche birst vor Tatendrang, er tritt hungrig und viril auf, er saugt das Unbekannte nur so auf. Als Schreiber beflügeln ihn die neuen Ideen und Anregungen, die er bei den Kollegen und Freunden kennenlernt. Persönlich und als Ehemann jedoch ist der 22-Jährige in dieser ausgelassenen Welt überfordert.

Denn in Paris sieht sich der junge Hemingway einem breiten Panorama sexueller Verlockungen ausgesetzt. Er zieht Frauen an und Frauen ziehen ihn an. Er spielt mit den Reizen, fühlt sich zu lesbischen und bisexuellen Frauen hingezogen. Zu Sylvia Beach, der Buchhändlerin, zu seiner Mentorin Gertrude Stein, die mit ihrer Gefährtin Alice Toklas in der Rue de Fleurus lebt, auch Virginia Pfeiffer, Paulines Schwester, ist lesbisch.

Das alles ist neu und spannend für ihn, er scheint wie aufgedreht. Seine Ehefrau wirkt

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Ernest Hemingway: sechs Handgranaten für Pablo Picasso

Die Messlatte für alle bildenden Künstler nach ihm: Das Genie Pablo Picasso wird 1881 in Málaga geboren. Foto: W. Stock, April 2019.

Die französische Hauptstadt zieht in den 1920 Jahren jene jungen Frauen und Männer an, die auf Neues aus sind. Schriftsteller mit rasanten Texten, Komponisten, denen die acht Töne einer Tonleiter nicht genügen. Maler mit revolutionären Stilformen, jenseits von Impressionismus und Expressionismus. Es ist in Paris, wo diese verwegenen Innovationen entstehen, wie der Surrealismus in der Malerei, wie Kubismus und Dadaismus.

Der US-Amerikaner Ernest Hemingway, der sieben Jahre in Paris leben wird, sieht sich hineingeworfen in diese quirlige Welt, er taucht ein, er staunt und lernt schnell. Vor allem genießt er die Unbeschwertheit in den Cafés und den frischen Wind in den Kulturzirkeln. Bei dieser Gelegenheit lernt der junge Mann aus Chicago, er ist Anfang 20, die Avantgarde jener neuen Zeitepoche persönlich kennen.

Besonders die Maler haben es diesem Augen-Menschen angetan, die Spanier an erster Stelle. Der Katalane Joan Miró und Juan Gris aus Madrid, der Mann aus Chicago bewundert ihr Werk sehr. Einer dritter ragt heraus: Pablo Picasso. Man läuft sich über den Weg, sieht sich im Literarischen Salon der Gertrude Stein in der Rue de Fleurus. Zum ersten Mal trifft Hemingway im Jahr 1922 auf Picasso, man mag sich, ohne dass man fortan dicke Freunde wird.

Pablo Picasso, 1881 in Málaga geboren, ist ein ungemein produktiver Maler, Grafiker und Bildhauer. Am Ende seines Lebens, er stirbt 1973 im französischen Mougins, wird die Gesamtzahl seiner Werke auf 50.000 geschätzt. Der Andalusier, der in Paris lebt, prägt das ganze Genre. Seine künstlerischen Techniken und die vielfältigen Ausdrucksformen werden zum Maßstab in der Malerei. Keiner vermag mitzuhalten.

Der spanische Maler bleibt während des Zweiten Weltkriegs in Paris, auch nach der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht, meist zieht er sich in sein Landhaus nach Südfrankreich an der Côte d’Azur zurück. Die Nazis belegen ihn mit Ausstellungsverbot, aber alles in allem lässt man ihn unbehelligt. Unter den Deutschen ist die Lebenslust der Stadt perdu, es herrschen Hunger und Angst. Die Lebensmittel sind rationiert, Zigaretten und Schokolade ein Luxusgut.

Dunkle Schatten ziehen sich in jenen Monaten durch die Gemälde des Künstlers. Totenköpfe, kahle Knochen und Tierschädel tauchen auf der Leinwand auf, ausgemergelte und entstellte Körper sind Picassos Motive. Alles in düsteren Farben, die nach Leid und Tod riechen. Das übergroße Guernica aus dem Jahr 1937 wird zu einem künstlerischen Hilfeschrei einer durch die Legion Condor bombardierten Zivilbevölkerung während des Spanischen Bürgerkriegs im Baskenland.

Als Ernest Hemingway im August 1944 mit den US-Truppen ins befreite Paris einzieht, da führt ihn sein erster Weg ins Ritz, in sein Luxushotel an der Place Vendôme. Anschließend schaut er bei der Buchhandlung Shakespeare and Company in der Rue de l’Odéon, um seine Bekannte Sylvia Beach zu treffen. Und schließlich zieht es den Amerikaner zu Pablo Picasso. Das Atelier des damals schon berühmten Künstlers befindet sich in der Rue des Grands-Augustins, in der Nummer 7, im Stadtteil Saint-Germain-des-Prés.

Doch der Concierge bedeutet dem Schriftsteller, Picasso sei nicht anwesend, er könne eine Notiz hinterlassen. Und übrigens, ein Mitbringsel wie Zigaretten würde den Maestro sicherlich erfreuen. Der Nichtraucher Hemingway geht zu seinem Militärjeep, holt eine

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Ernest Hemingway – am Nullpunkt in Paris

Ernest Hemingway lebte sieben Jahre in Paris. Die Stadt hat den Autor aus Chicago nicht vergessen.

Ab Dezember 1921 lebt Ernest Hemingway in der Stadt an der Seine, es sind mühevolle Lehrjahre. Paris ist in jenen Jahren eine Stadt im Aufbruch. Autoren, Maler und Komponisten begeben sich auf die Suche nach neuen Ideen. Es ist eine aufregende Zeitepoche für Künstler, voller Unsicherheit: Eine verlorene Generation muss nach einem schrecklichen Weltkrieg ihren Weg finden, Neues wie Surrealismus, Kubismus oder Dadaismus werden ausprobiert.

Doch materiell reiht sich der Mann aus einem Vorort von Chicago ein in das Heer mittelloser Schriftsteller aus aller Welt, meist verkrachte Existenzen, die nicht wissen, woher sie das Geld für die nächste Miete nehmen sollen. Auch Ernest Hemingway muss das knappe Geld gut einteilen, besonders seit er den Vertrag mit einer kanadischen Tageszeitung gekündigt hat und als Schriftsteller reüssieren will.

Doch der frisch gebackene Familienvater, Sohn John wird 1923 geboren, erhält von Verlagshäusern aus den USA eine Absage nach der anderen. Seine Themen seien schwer vermittelbar, kriegt Hemingway als Kritik zu hören. Mit solch schroffer Ablehnung hat er nicht gerechnet, den Kerl mit dem riesigen Ego übermannen in Paris die Selbstzweifel und Depressionsschübe. Der junge Autor fällt in ein tiefes Loch.

Nach zahlreichen Tiefschlägen erreicht ihn endlich eine Zusage, überraschenderweise aus Deutschland. Der Herausgeber einer Berliner Zeitschrift mit dem Titel Der Querschnitt will ihn veröffentlichen. Wedderkop schreibt, meine Stierkampf-Story sei wunderbar, verkündet er stolz. Man wolle ihn drucken, ein gutes Honorar gebe es obendrein.

Am 9. Oktober 1924 treffen sich Querschnitt-Chef und der junge Amerikaner in Paris, im Apartment von Ezra Pound, der schon öfter für das Berliner Magazin geschrieben hat. Man findet Gefallen aneinander. Ernest Hemingway ist angetan von den Ideen des avantgardistischen Chefredakteurs und Hermann von Wedderkop erspürt das Talent des unbekannten US-Autors.

Seit 1924 verantwortet Hermann von Wedderkop als Chefredakteur und Herausgeber die redaktionelle Linie, er fördert innovative Autoren mit wirklichkeitsnahen Themen und realistischem Stil. Der Querschnitt druckt zunächst einige schlüpfrige Gedichte Hemingways. Wedderkop veröffentlicht meine ganzen obszönen Arbeiten schneller als ich sie schreiben kann.

Im Sommerheft des Jahres 1925 druckt Der Querschnitt Hemingways Stierkampf-Story. Im folgenden Heft 7, vom Juli 1925, findet sich der zweite Teil der Erzählung über den abgehalfterten Torero Manuel Garcia. Gekonnt improvisiert schon diese Kurzgeschichte von gut 30 Seiten über die Grundmelodie des Hemingway’schen Werkes: den heroischen Willen, gegen die menschlichen Grenzen zu kämpfen und niemals aufzugeben. 

Die Story überzeugt die Leser durch die Kürze und Klarheit ihres Stils, besonders gelungen ist schon hier die unterkühlte Kargheit in den Dialogen. Während andere zeitgenössische Autoren

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Paris – The Greatest Luck

„Wenn du soviel Glück hattest, als junger Mensch in Paris gelebt zu haben, dann bleibt die Stadt für den Rest deines Lebens bei dir, einerlei wohin du auch gehen magst. Denn Paris ist ein Fest fürs Leben.“

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