
Ernest Hemingway: Paris – Ein Fest fürs Leben.
Es ist ein Vorhaben, das mir jede Menge Respekt abringt. The Hemingway Letters Project. Eine Sammlung aller Briefe des Ernest Hemingway. Auf voraussichtlich 17 Bände ist das mehrjährige Buchprojekt angelegt. Alle Ausgaben mit Hunderten von Seiten, allein der Band Nummer 4 ist ein Ziegelstein von gut 800 Seiten.
Ernest Hemingway, wir wissen es, hat die schönste Prosa weit und breit geschrieben, dieser Schreiber hat das 20. Jahrhundert mit wunderbaren Romanen und lakonischen Kurzgeschichten bereichert. Auch ein wenig Poesie, seltsame Gedichte und anstößige Verse, sind von ihm bekannt, wir legen gütig den Mantel des Schweigens darüber. Was die wenigsten wissen: Der Nobelpreisträger von 1954 ist auch ein enorm fleißiger Briefeschreiber gewesen.
Etwa 6.000 Briefe von ihm sind bekannt, 85 Prozent davon bisher nirgends veröffentlicht. Die Cambridge University Press unternimmt die Kraftanstrengung, diese umfangreiche Korrespondenz als Sammel-Edition nach und nach herauszugeben. Das Projekt zählt auf die Unterstützung der Ernest Hemingway Foundation and Society, auch der letzte noch lebende Sohn, Patrick in Montana, hat seinen Segen erteilt. Alle zwei Jahre soll ein neuer Band erscheinen. Irgendwann, so gegen 2050 dürften dann, wenn Gott will, alle Hemingway-Briefe veröffentlicht sein.
Ernest Hemingway (1899-1961) hat von Kindesbeinen an geschrieben, sein erster Brief datiert von Anfang Juli 1907, da ist der Knirps gerade einmal sieben Jahre alt. Es ist eine Notiz an den geliebten Vater Clarence. Dear Papa, I saw a mother duck with seven little babies. Er habe eine Mutterente gesehen, mit sieben kleinen Babies. Dieses Dokument eröffnet den Band 1, mittlerweile hat man sich vorgerobbt bis zu Band 5, der die Jahre von 1932 bis 1934 abdeckt.
Sandra Spanier von der Pennsylvania State University koordiniert dieses aufwändige wie schwierige Vorhaben. Ein Team aus dem US-amerikanischen Uni-Betrieb steht dahinter, in sorgsamer Herangehensweise und mit tüchtigen Händen. Die Bände erfüllen höchste akademische Ansprüche, jede Seite wird mit akribischen Fussnoten versehen, ebenso finden sich bibliographische Hinweise und übersichtliche Zeittafeln.
Das Vorhaben ist ehrenwert. Denn die Briefe des Ernest Hemingway sind nicht irgendein belangloses Geschreibsel oder kurze Grüsse aus der Ferne. Nein, Ernest Hemingways Briefe beinhalten den Austausch mit der Familie und den Freunden, Zwiegespräch mit den Kollegen oder Mitteilungen an Geschäftspartner. Jeder Brief kommt mir vor wie ein winziges Puzzle-Teil, das sich mit der Zeit zu einem umfassenden Psychogramm dieses Menschen zusammensetzt.
Ernest Hemingways Korrespondenz zeugt von Disziplin und Ehrgeiz. Jeder einzelne Brief ist persönlich auf den Empfänger zugeschnitten und originell formuliert von diesem Literatur-Giganten. Aber Obacht: All die Briefe-Konversation ist bisweilen ein Tick schärfer, frecher und vorlauter als er sich dies in seiner Prosa hat erlauben können.
Dieses voluminöse Projekt zeigt, welch emsiger (Briefe-) Schreiber dieser Schnapsbruder aus Oak Park gewesen ist. Etwa 6.000 Brief auf 40 Erwachsenenjahre umgelegt, bedeuten 150 Briefe pro Jahr. Man fragt sich, wo da die Zeit bleibt zum
Courage is grace under pressure. Das Sprichwort taucht bei Ernest Hemingway erstmals auf in einem langen Brief an seinen engen Freund F. Scott Fitzgerald. Am 20. April 1926 schreibt er aus Paris über sein Lieblingsthema, über den Mut beim Stierkampf. Und wirft dem berühmten Kollegen eine Phrase hin. Grace under pressure.
Die Menschen zwischen New York und San Francisco sind ganz vernarrt in diesen Ausspruch Ernest Hemingways. Man kann es verstehen: Die Botschaft hinter Grace under pressure ist fest verankert in der DNA des Einwanderungskontinents Amerika und versinnbildlicht die damit zusammenhängende Macher-Mentalität.
Wenn Sie jemanden aus North Carolina oder Texas fragen, wie es ihm geht, so wird er immer sagen, Thank you, I’m fine. Ihm gehe es bestens. Auch wenn er nicht weiß, wie er die nächste Rate fürs Auto zahlen soll oder ihm gerade die Frau mit dem jungen Liebhaber durchgebrannt ist. So tickt der Norden des amerikanischen Kontinents. Gute Miene zum bösen Spiel.
Ernest Hemingway geht allerdings einen Schritt tiefer, sein berühmtes Zitat lautet vollständig: Courage is grace under pressure. Mut meint, unter Druck in Anmut zu handeln. Grace kommt aus dem Lateinischen gratus. Es meint einerseits anmutig und lieblich, anderseits bedeutet es willkommen und erfreulich. Anstand unter Druck. Man tut sich schwer mit jedweder Übersetzung.
Als kleine Fussnote für Hobby-Psychologen. Ernest Hemingways Mutter, zu der zeitlebens er ein angespanntes Verhältnis besaß, heißt Grace. Grace Hall. Es mag ein Zufall sein.
Das Sprichwort grace under pressure beschreibt die Geisteshaltung dem Leben gegenüber. Es meint, dass ein Kampf, auch wenn er noch so ausweglos erscheint, dennoch mit Stolz, mit Mut und mit Grazie ausgefochten werden muss. So wie der alte Fischer Santiago, ein Mann mit festem Charakter, der seine Hoffnung auf den großen Fang nie aufgibt. A man can be destroyed but not defeated, ein Mensch kann zerstört werden, aber nicht besiegt.
Wenn ein Protagonist Hemingways Grace under pressure verkörpert, dann ist es Santiago, dieser einfache kubanische Fischer, der einen schönen und graziösen Kampf mit dem Marlin ausficht. Und der die gefräßigen Haifische abwehren muss. Und der dann seinen Kampf verliert. Scheinbar. Obgleich behält er – trotz Niederlage – seinen Stolz und die Grazie.
Wir stoßen zu Hemingways tiefem Inneren vor, wenn wir uns klar machen, was für den Nobelpreisträger die größte Drucksituation darstellt. Sein drei Themen sind bekanntlich
Ja, das haben wir ebenfalls bemerkt. Mit dieser Beobachtung hat die kluge Anna Akhmatova vollkommen recht. Ernest Hemingways Helden sind einsam, sie haben keine Kinder, sie leben in keiner Familie, bestenfalls sind sie von einigen Freunden umgeben. Das Liebesleben, so es ein solches gibt, zeigt sich beladen von Ungemach. Man fühlt und spürt es: Den Protagonisten Hemingways fehlt es an Schutz und Geborgenheit. Am Ende des Tages ist ein Hemingway Hero einsam und allein.
Der wunderbare Maler Edward Hopper hat einmal verraten, dass sein ikonisches Ölgemälde Nighthawks aus dem Jahr 1942 den kühlen Helden Hemingways nachempfunden gewesen ist. Der desillusionierte Einzelgänger, entwurzelt und zerbrochen, in der Nacht alleine an der Theke vor seinem Glas. Es sind Menschen, die verzweifeln am Leben und an ihrem Schicksal. Hoppers und Hemingways einsame Helden müssen etwas unter sich auszumachen.
Ein typischer Hemingway Held mag an der Welt verzagen, er hält aber zugleich die Werte eines freien Geistes hoch: Ehre, Mut und Ausdauer. In einer Welt voller Schmerz und Schwierigkeiten braucht es solche Heldenwerte. Mannhaftigkeit ist ein schrecklich veralteter Ausdruck dafür, denn er gilt auch für Frauen. Courage, Kühnheit, Beherztheit – all diese scheinbar angestaubten Begriffe treffen den Sachverhalt.
Vielleicht sehen aus diesem Grund viele Leser Hemingway als Schreiber mit männlichem Beiklang, als jemand, der zudem irgendwie nicht in unsere moderne Zeit passen will. Doch Hemingways Hohelied auf den menschlichen Mut ist nur die halbe Wahrheit. Denn dem Nobelpreisträger von 1954 geht es um mehr. Seine Helden sind auch welche, die kämpfen. Die sich gegen das Schicksal auflehnen, auch wenn der Kampf aussichtslos erscheint.
Wenn man kämpft, kann man verlieren. Aber ein solcher Rückschlag kann im hemingway’schen Sinne auch ein Sieg sein. Denn man hat Mut bewiesen. Gerade darum geht es Ernest Hemingway. Mut im Kampf, Würde in der Niederlage. Eine Niederlage ist im Sinne eines Fehlversuchs nicht endgültig. So wie der alte Mann, geschlagen und mit leeren Händen, in sein kleines Dorf zurückkommt. Aber er ist nicht besiegt.
Der alte Fischer Santiago aus dem kubanischen Cojímar strahlt trotz seiner offensichtlichen Niederlage eine menschliche Größe aus. Auch aus dem Grund, weil er sich nicht besiegt gibt und am nächsten Tag mit seinem armseligen Boot wieder herausfahren wird. Und jeder Mensch, genau diese Botschaft will uns Ernest Hemingway mitteilen, vermag seine ureigene Würde zu wahren.
Ernest Hemingways Akteure werden vom Schicksal zu Boden gestreckt. Sie wandeln sich jedoch zu Helden, weil sie
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