Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Ernest Hemingway und die Nürnberger Prozesse

Ernest Hemingway 1944 im Zweiten Weltkrieg als Korrespondent mit der US-Army. Er bauscht gerne auf: Gibt sich wie ein General, ist jedoch nur Presseberichterstatter. Credit Line: Ernest Hemingway Collection at the John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Wir besitzen es schwarz auf weiß. „Schriftsteller und Journalisten aus aller Welt wurden während der Nürnberger Prozesse auf Schloss Stein untergebracht. Ernest Hemingway und John Steinbeck lebten auf dem Sitz der Faber-Castells monatelang mit Kollegen aus aller Welt zusammen.“ So steht es im SPIEGEL. Und auch DIE ZEIT lässt Ernest Hemingway nach Nürnberg anreisen: „Ernest Hemingway, John Steinbeck und John Dos Passos reisten an. Sie wohnten etwas außerhalb auf Schloss Stein, dem Sitz der Faber-Castells.“

Egal, wo man hinschaut, Ernest Hemingway war Kriegsberichterstatter als den verantwortlichen Nazi-Verbrechern in Nürnberg der Prozeß gemacht wurde. Und munter werden ziemlich bunte Geschichten erzählt. Die Süddeutsche Zeitung schreibt gar, Hemingway habe sich über die mangelnde Qualität der fränkische Weine ausgelassen. Dabei sei der berühmte Amerikaner, nur mit einem Frottiertuch um die Hüften, im Hotelzimmer, das mit Kollegen geteilt wurde, herumgelaufen.

Wikipedia, Radio, Bücher – für alle war Ernest Hemingway in Nürnberg. Dort, wo zwischen dem 20. November 1945 und dem 1. Oktober 1946, als die Urteile verkündete wurden, die Nazis-Oberen vor dem Gericht der freien Welt zur Verantwortung gezogen wurden. Angeklagt wurden insgesamt 24 Personen als Hauptkriegsverbrecher, unter anderen Hermann Göring, der Chef der Luftwaffe, Rudolf Hess, Hitlers Stellvertreter, die Generäle Jodl und Keitel.

Und Ernest Hemingway sitzt auf der Pressebank und berichtet. Das Ganze hat nur einen kleinen Schönheitsfehler. Es stimmt nicht. Während den Nazis in Nürnberg der Prozess gemacht wurde, befindet sich Ernest Hemingway auf seiner Finca Vigía auf Kuba und ist gerade dabei, sich von seiner dritten Frau scheiden zu lassen und die vierte zu heiraten. Nach Europa hat er in dieser Zeit nachweislich keinen Fuss gesetzt.

Er hat sein kubanisches Anwesen in jenen Monaten nicht groß verlassen, außer im Sommer 1946, als er mit seiner neuen Frau Mary zu einem Urlaub aufbricht ins Sun Valley. In diesen Tagen, auf dem Weg in die Rocky Mountains, ereignet sich in Caspar, in Wyoming, eine schreckliche Tragödie für das frisch vermählte Ehepaar. Ernest Hemingway kann gar nicht in Nürnberg gewesen sein, monatelang eh schon nicht.

Es bleibt ob der Falschmeldungen ein schaler Nachgeschmack. Schon erstaunlich, wie sich die Geschichten um Ernest Hemingway verselbstständigen. Und wie das eine Medium von dem anderen abschreibt. Und traurig, wie wenig recherchiert wird.

Loading

Zurück

Grace under pressure

Nächster Beitrag

Ich werde zurückkommen

  1. Hallo Frau Franzke, Sie können mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass Ernest Hemingway nicht bei den Nürnberger Prozessen gewesen ist. Es ist alles wie oben beschrieben. In „Hemingway Log“, einem Nachschlagwerk, das seine wichtigen Termine Tag für Tag auflistet, zeigt, dass er die betreffenden Monate nicht in Europa war. Was alleine schon stutzig machen sollte: Es gibt kein Foto über Hemingway in Nürnberg.
    Das Problem mit dieser Phantasie-Geschichte: Einer schreibt falsch vom anderen ab.

  2. Nora Franzke

    unfassbar, ich habe gerade selbst echt viel recherchiert dazu, weil es eine Neuerscheinung zu den Nürnberger Prozessen und dem Schloss Stein gibt… und bin entsetzt, wie wenig Fakten korrekt sind. Selbst sein Todesjahr wird mal so und mal so angegeben.

    ich bin jetzt zu dem Schluss gekommen, dass er evtl. ein paar Tage mit seiner 3. Frau da gewesen sein könnte, allerdings unwahrscheinlich, da die beiden da schon in der letzten Trennungsphase waren… aber niemals die ganze Zeit.
    Richtige Beweise finde ich so oder so nicht…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén

Neuerscheinung:
364 Seiten, BoD-Verlag
12,99 € (Paperback),
8,99 € (E-Book)
ISBN: 9783751972567
zu beziehen über jede Buchhandlung
oder online bei
amazon (hier klicken)