Ernest Hemingway, zwei Jahre vor seinem Tod, in La Cónsula bei Málaga. Spanien, im Juli 1959. Credit Line: Ernest Hemingway Collection. John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Er ist kein gläubiger Mensch, dieses Friede, Freude, Eierkuchen gehört nicht in die Welt dieses kernigen Mannes. Sein Verhältnis zur offiziellen Religion bleibt zwiegespalten. Religion ist Aberglaube, tönt er groß und relativiert dann, und ich glaube an Aberglaube. Häufig macht er sich über den herkömmlichen Gottesglauben lustig. Doch vieles, was Ernest Hemingway schätzt, überschüttet er gerne mit Spott und Hohn.

Ernest Hemingway, er hat es oft genug gesagt, glaubt nicht an Gott. Er hat Freunde in der Priesterschaft, doch für einen tiefen Gottesglaube fehlt ihm die Demut. Allerdings fällt auf, für einen Atheisten redet dieser Mann verdammt oft über Gott. Und für einen Ungläubigen kann der Amerikaner erstaunlich viel mit dem Glauben und seinen Ritualen anfangen.

Auch wenn er eine andere Begrifflichkeit verwendet, katholische Riten und Kategorien wie Sünde, Buße, Selbstkasteiung, Vergebung, Sakrament oder Pilgertum bleiben ihm nicht fremd, besonders in Andalusien. Die Rituale der Religion dienen als Anker für die Seele in Not. Auch er sucht in der Bedrängnis den Zuspruch, auf seine Weise.

Manche seiner Texte lesen sich wie Gebete, die Inhalte erinnern bisweilen an eine Beichte. So verwundert es nicht, dass Ernest Hemingway mit der Novelle über einen alten Mann und den Fisch eine Erzählung von alttestamentarischer Vehemenz verfasst hat. Der alte Mann und das Meer, mit Dutzenden von Anspielungen an religiöse Topoi, kann auch gelesen werden als eine biblische Parabel. Die stilistischen Ähnlichkeiten zwischen dem Alten Testament und Hemingways Werk sind erstaunlich.

Er war ein alter Mann, der allein in einem kleinen Boot im Golfstrom fischte, und er war jetzt vierundachtzig Tage hintereinander hinausgefahren, ohne einen Fisch zu fangen. Das ist der Anfang von Der alte Mann und das Meer. „Als er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, bekam er Hunger. Da trat der Versucher an ihn heran und sagte: Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl, dass aus diesen Steinen Brot wird“, heißt es in Matthäus 4,2 Die Versuchung Jesu. Und bei Hiob 1,1 Ijobs Rechtlichkeit steht: „Im Lande Uz lebte ein Mann mit Namen Ijob. Dieser Mann war untadelig und rechtschaffen; er fürchtete Gott und mied das Böse.“

Es ist nicht nur der Stil, der überrascht, sondern auch die Hauptfigur. Kann es sein, dass Ernest Hemingway im Fischer Santiago eine Menschwerdung Jesus Christus andeuten will? Dieser einfache Fischer mit seinen zerschundenen Händen, der am Ende der Erzählung den Mast seines Bootes, wie Christus das Kreuz, über der Schulter mühevoll hinauf in sein Dorf zieht.

Manchmal setzt Hemingway seine Wörter – fast ist man geneigt zu sagen, seine Worte – wie im Alten Testament ein. Nur der letzte Schritt fehlt. Der Mut, Gott zu sagen. Obwohl, möglicherweise benutzt Ernest Hemingway für Gott ja bloß einen anderen Begriff. Er glaubt zwar nicht an Gott, aber in den Titeln seiner Bücher wimmelt es von Gottesbildern. Bilder der Natur, wie die hohen Berge, die goldene Sonne, die Flüsse, die Bäume und die Wälder und vor allem das blaue Meer. Ebenso wie das Alte Testament sprudeln seine Erzählungen nur so über von solchen Gottesbildern.

Ernest Hemingway vermag sein Bedürfnis nach dem Absoluten in der amtlichen Religion nicht wiederfinden und hilft sich deshalb mit Substituten wie das Meer und die Sonne als Bilder für das Göttliche. The Sun Also Rises hat Ernest Hemingway seinen ersten großen Roman aus dem Jahr 1926 überschrieben, er spielt damit auf eine Bibelstelle an. Oritur sol et occidit et ad locum suum revertitur ibique renascens.

Die Sonne geht auf und geht unter und läuft an ihren Ort, dass sie wieder daselbst aufgehe. Prediger Salomo spricht wenig später die göttliche Größe und die menschliche Begrenzung an. Als ich mich aber umsah nach all meinen Werken, die meine Hände gemacht hatten, und nach der Mühe, die ich mir gegeben hatte, um sie zu vollbringen, siehe, da war alles nichtig und ein Haschen nach Wind, und nichts Bleibendes unter der Sonne!

Nichts Bleibendes unter der Sonne. Nur die Sonne wird bleiben, und – so muss man anfügen – auch der Mond, die Sterne und das Meer, auch das wird überdauern. Auf eine solche Art versucht sich diese arme Seele dem Kern des Themas zu nähern. Denn er weiß, als wirklich großer Schriftsteller muss er eine Verbindung zum Sinnlichen aufbauen. Ernest Hemingway, der sich im Leben als ein religiöser Dissident gefällt, himmelt dafür in seinen Büchern voller Hingabe die Natur an.

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