Dios mío! Mein Gott, Hemingway! Man will es laut in die Welt hinaus schreien. Übersetzt bedeutet dieses Dios mío! als Ruf des Erstaunens eigentlich so viel wie Ach du liebe Güte!, Um Gottes Willen! oder Allmächtiger! Damit nähern wir uns einem spannenden Thema. Wie hält es der Atheist Ernest Hemingway mit dem katholischen Glauben?
Eigentlich scheint die Sache klar, auf den ersten Blick. Der Leser staunt, wie harsch Hemingway die Religion von sich weggeschoben hat. Er hat sich lustig gemacht über Gott und den Glauben, er hat gelästert und gespottet. Doch ein ätzender Tonfall ist Indiz dafür, dass ihm etwas nahegeht. Und tatsächlich, auf den zweiten Blick stellt sich die Sache als vielschichtig heraus.
Auf Kuba, einer Insel mit einem tiefen Gottesglauben, lässt der bärtige US-Amerikaner sich für 20 Jahre nieder. Es ist schon merkwürdig, dass mit Spanien und Italien zwei erzkatholische Länder zu seinen Lieblingszielen zählen. Angetan hat es ihm vor allem das südspanische Andalusien. Ein Landstrich, der während seiner Semana Santa die Leidensgeschichte Jesu in einer religiösen Frömmigkeit zelebriert, als befänden wir uns im 16. Jahrhundert.
Auch in seinen Werken schreibt dieser Schriftsteller andauernd von Gott. Nicht expressis verbis, er benutzt andere Begriffe. Ernest Hemingways Romane himmeln auf jeder Seite das Göttliche an. Die Berge, die Wälder, die Seen und Flüsse. Vor allem das Meer. Man braucht nur einen wachen Blick auf seine Buchtitel zu werfen.
Die Natur als die Allgewalt. Sie bildet den Rahmen des Lebens und seiner Literatur. Es fehlt dieser armen Kreatur namens Ernest Miller Hemingway lediglich ein wenig Mut. Jener Mut, die Quelle dieser überwältigenden Schöpfung zu benennen. Gott mag er nicht sagen. Er brüstet sich als Atheist und wehrt sich mit Händen und Füssen. Als Abwehr lässt er ziemlich Gotteslästerliches verlauten, nicht nur einmal.
Möglicherweise in Frontstellung zum bigotten Elternhaus, das ihm jene Demut ausgetrieben hat, die es braucht, um zu glauben. Vielleicht auch, weil seine Erziehung in Oak Park zu sehr verbunden ist mit dem calvinistischen Ethos der strebsamen Einwanderer. Oder vielleicht – es wäre die unschönste aller Erklärungen – weil dieser Egomane niemanden über sich akzeptieren will.
Man achte auf seine Prosa. Sein Opus magnum Der alte Mann und das Meer liest sich stellenweise wie ein Kapitel aus der Bibel. Im Inhalt und vor allem im Stil. Die Erzählung handelt von dem alten Fischer Santiago und dem Marlin, von Sieg und Verlust, von Hoffnung und Enttäuschung. Wer in den Zeilen und dazwischen zu lesen vermag, der findet in dem Werk manche Botschaft jenseits des rationalen Denkens.
All das tummelt sich in dieser Novelle: Das Vaterunser, das Kraft geben soll im Kampf. Der Rosenkranz, der gebetet werden soll, um Hoffnung zu erwecken. Die Pilgerfahrt, die bei Erfolg versprochen wird. Und Jesus Christus. Dieses Buch von 100 Seiten lässt sich in Passagen lesen wie ein Gebet an Gott. Oder sagen wir es säkularisiert: Der alte Mann und das Meer ist der Versuch einer Zwiesprache mit dem Göttlichen. Hemingway, der Grüblerische, will mit der übergeordneten Macht in Kontakt treten.
Bis zum Kern des Glaubens mag er nicht vorstoßen, da steht er sich selbst im Weg. Jedoch wimmelt es in seinen Werken nur so von religiösen Andeutungen. In der allegorischen Grundierung seiner Erzählungen finden sich