Auf den Fersen von Ernest Hemingway

La Bodeguita del Medio

BodeguitaBlog

Havanna, im April 1983
Photo by W. Stock

Auch in diesem Jahr liegt auf Havanna jene seltsame Jahreszeit, die für die Karibik so typisch ist. Laue Luft, dünne Wolkenstreifen am blauen Himmel, ein warmer Wind aus Südwest, aus Richtung Yucatán. Brecher fegen über den Malecón hinweg und benässen übermütige Jugendliche. Wenn man Glück hat, zieht am Abend eine kühlende Brise über die Insel. Der  Wind hat sich gedreht und weht nun frisch von Florida.

Dämmerung. La Habana, das Herz der Revolution. Ein Herz, das stottert, das stolpert und nicht so recht in voller Taktung schlagen will. Wenn man durch die Strassen und über die Plätze dieser Stadt geht, dann scheint dieses Havanna wie ein Amphitheater aus verfallenen Prunkvillen und kargen Wohnsilos, alles zusammengehalten von Wäscheleinen mit abgetragenen Kleidungsstücken.

Links hinter der Kathedrale in der schmalen Seitengasse Calle Empedrado hinter der Nummer 207 liegt ganz unscheinbar und äußerlich verfallen die Bodeguita del Medio. Vorne der kleine quadratische Barraum mit der dunklen Theke. Dahinter das leicht schmuddelige, weißverputzte andalusische Speisegewölbe, wo man einfache kubanische Gerichte serviert bekommt. Speisen, die solch poetische Namen wie Moros y cristianos tragen, was übersetzt soviel wie Mauren und Christen heißt und auf dem Teller wie schwarze Bohnen mit weißem Reis daher kommt.

Wir bestellen Mojito. Der Barmann füllt uns das Rumglas zur Hälfte mit Carta Blanca, presst eine halbe Limone aus, steckt ins Glas einen frischen Pfefferminzstängel, die yerba buena, dazu Eiswürfel und schießt dann noch etwas Soda hinzu.

Angel Martínez eröffnet die Bodeguita 1942 und da sie inmitten eines langen Häuserzugs liegt und ihm kein gescheiter Name einfällt, nennt er sie kurzerhand Kneipe in der Mitte. Innen verzieren Hunderte von Namen bekritzelte Wände. Wahre Prominenz verewigt sich in eingerahmten Signaturen und Poemen. Julio Cortázar dichtet einen hübschen Vers und Mister Errol Flynn dankt. Auch der Tramp Charlie Chaplin schaut vorbei und der blonde Engel Marlene Dietrich lässt sein samtenes Haar wehen. Nat Cole, der Sänger, zeichnet mit King. Es ist Sommer in Havanna.

Castro, Havanna, Mojito. Der revolutionäre Dreiklang für Romantiker. Für den vor zehn Jahren bei einem Putsch ums Leben gekommenen chilenischen Präsidenten Salvador Allende wird noch immer ein Tisch freigehalten, so als ob der kleine schnauzbärtige Chilene mit der dicken Hornbrille just am heutigen Abend in die Bodeguita hineinschlendern würde.

Unter dünnem braunen Glasrahmen, direkt über dem Schanktisch, umgeben von Martini– und Cinzano-Flaschen, hängt ein Satz, den man langsam herunter beten muss und der noch lange im Ohr bleibt. My mojito in La Bodeguita, My daiquiri in El Floridita. Darunter dann, beschwingt, die Unterschrift: Ernest Hemingway.

Ja, so kann nur einer schreiben, so schreibt nur El gran Maestro himself. Diese Poesie kann nur der Feder Ernest Hemingways entstammen. Solch eine wuchtige Ansage – so einfach, so präzise, so wahr. Will man meinen.

Noch einen Mojito. Ich hole mir beim Barkeeper eine Fonseca und zünde sie an. Die Zigarre schmeckt hart und streng, die Fonseca aus der Bodeguita ist offenbar zu jung gerollt und zu kurz gelagert worden. Von ihren großen Havanna-Marken wie die Montecristo, eine Romeo y Julieta oder eine Quintero können die Kubaner nur träumen, es gibt sie nicht im freien Verkauf, die Edelmarken gehen allesamt in den Export.

Tabak und Rum tun so langsam ihren Dienst. La Bodeguita del Medio. Die unsterbliche La B del M. Wer in der Bodeguita trinkt, der spürt den Hauch des Ewigen. Bodeguita, du bleibst, ich gehe!, schrieb der kubanische Autor Leandro García an die weiße Wand. Du bleibst, ich gehe.

Als wir nach vielen Mojitos die B del M verlassen, scheint aller Trübsinn des Daseins wie weggeblasen und die Welt leuchtet warm und farbenfroh. Der eisige Winter war weit weg.

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Der General Franco mag Hemingway nicht – und umgekehrt

  1. jari-pekka mannerström

    Eine schöne Geschichte. Sie hat aber einen Fehler: Ernerst Hemingway gehörte nie zu den Gästen der Bodeguita del Medio und er trank auch keine Mojitos. Sein Stammlokal war El Floridita, wo er seine Daiquiris trank.
    Und der Werbeslogan: „My mojito in La Bodeguita, My daiquiri in El Floridita.“ stammt in Wahrheit nicht von Hemingway sondern wurde nach
    seinem Tod von der kubanischen Tourismusbehörde während einem Meeting in dem Haus von Leonardo Gómez, dem Herausgeber von der kubanischen Zeitschrift Bohemia, kreiert – um die Tourismusgeschäfte zu befördern.
    Hemingways bester kubanischer Freund, der Journalist Fernando Campoamor hatte viele handgeschiebene Texte von dem Schriftsteller und so beauftragte man einen Grafiker den Slogan zu gestalten.
    Ausser Fernando Campoamor haben auch ehemalige Mitrbeiter von Bodeguita del Medio Hemingways Fernbleiben von Bodeguita bestätigt.
    Die Meinung von Ángel Martínez, Bodeguitas Besitzer, über Hemingway war auch weniger schmeichelhaft: „Un saco de madarrias“, also ein A-loch…
    Ungeachtet von dieser Fälschung wird der Werbeslogan überall der Welt in Franchise-Filialen von Bodeguita benutzt, um Touristen zu locken.

    Die Quellen:

    – Tom Miller: Trading with the enemy. New York, 1992 . (Interview mit Fernando Campoamor)
    – Jeannette Erazo Heufelder: Havana Feelings. Bergisch Gladbach, 2001. (Interview mit Fernando Campoamor)
    – Ramón Guerra Gonzaléz: La Habana de Mongo P. Santiago de Compostela, 1998.
    – Valerie Hemingway: Running with the Bulls. My years with the Hemingways. New York, 2004.
    – Norberto Fuentes: Hemingway en Cuba. Ciudad de La Habana, 1984.
    – Yuri Páporov: Hemingway en Cuba. Mexico, D.F. 1993.
    – Osmar Mariño Rodríguez: La Habana de Hemingway y Campoamor. Holguin, 2009.
    – Philip Greene: To Have and Have Another: A Hemingway Cocktail Companion. New York, 2012

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