Modeste von Unruh mit Ernest Hemingway auf der ‚Miss Texas‘.
Cabo Blanco, am 27. April 1956.

Der Fotografin ist die Verärgerung anzumerken. Modeste von Unruh legt in Chaclacayo bei Lima die Ausgabe La Prensa vom 17. April 1956 aus der Hand. Zum wiederholten Male hat sie bei sich zu Hause Jorge Donayres Artikel über Ernest Hemingway und dessen Eintreffen in Cabo Blanco durchgelesen. Die Deutsche, die seit über einem Jahr in Peru lebt, empfindet die verunglimpfende Berichterstattung der Tageszeitung als massive Zumutung.

Alleine die abfällige Überschrift ärgert sie mächtig. Er ist ein bekennender Trinker, Sportfischer und Abenteurer, liest sie in fetten Lettern als Kopfzeile der Reportage auf Seite eins. Bekennender Trinker, es hört sich ähnlich an wie bekennender Katholik, so als wäre das Saufen eine Religion. Der Bericht in La Prensa, einer Zeitung, der in jenen Jahren fast stärkerer Einfluss zukommt als dem elitären El Comercio, stellt den US-Schriftsteller vor allem als Lebemann und Trunkenbold dar. Von Literatur ist nur am Rande die Rede, umso mehr von Whiskey und anderem Alkohol.

Zwei Tage später setzt La Prensa noch eins drauf. Asi es un Dia de Hemingway a las orillas de Cabo Blanco, wird ein Zweispalter von Jorge Donayre am 19. April überschrieben. So verläuft ein Tag von Ernest Hemingway an den Gestaden von Cabo Blanco. Und nicht weniger als fünfmal kommt in der knappen Abhandlung das Wort Whiskey vor. Aufstehen, Whiskey. Auf dem Boot, Whiskey. Beim Mittagessen, wiederum Whiskey – und so weiter. Auf 56 Zeilen fast ein halbes Dutzend Mal den Alkohol unterzubringen, auch dies ist eine Kunst.

Jorge Donayres boshaftes Portrait in der massentauglichen La Prensa passt so ganz zu der anti-amerikanischen Stimmung in Peru in jenen Tagen. Diese Art der Hassliebe gegenüber dem schwerreichen Bruder im Norden zieht sich durch die gesamte Geschichte des verarmten Andenlandes. Es ist ein hochgekochter Mix, angerührt aus Neid, Minderwertigkeitsgefühl und echtem Unmut.

Pobre México, tan lejos de Dios y tan cerca de Estados Unidos!, hat der mexikanische Präsident Porfirio Díaz vor über hundert Jahren wehmütig ausgerufen und sein Lamento macht sich der ganze Subkontinent zu eigen. Armes Mexiko, so weit entfernt von Gott und so nahe an den Vereinigten Staaten. Mit ihrem wirtschaftlichen und kulturellen Hegemonialanspruch machen sich die gringos aus dem Norden jedenfalls nicht besonders viele Freunde in Lateinamerika.

Mit Ernest Hemingway schlägt man allerdings den falschen Sack auf dem richtigen Esel. Wie auch immer, die junge Frau aus der Nähe von Lima beurteilt die Berichte aus Cabo Blanco als geringschätzig im Inhalt und wertet sie journalistisch als herbe Enttäuschung. Wie nur kann man derart respektlos und unfein mit diesem bedeutenden Schriftsteller umspringen? Ein Säufer, der den Nobelpreis bekommen hat, so liest Modeste von Unruh zwischen den Zeilen.

Ihr scheint all dies ein krudes Zerrbild, ein schiefer Eindruck, den La Prensa von Ernest Hemingway in den Zeitungsspalten zeichnet. Für Modeste von Unruh, sie ist im November 1927 geboren, ist dieser Autor ein ganz anderer. Die Novelle Der alte Mann und das Meer und das Bürgerkriegsepos Wem die Stunde schlägt stehen im Bücherschrank der jungen Frau. Sie hat diese Romane, wie auch andere Erzählungen von ihm gelesen und als packende und ungewöhnlich einfühlsame Literatur in Erinnerung.

Sie verspürt, wie diesem Ausnahme-Schriftsteller, aus welchen Gründen auch immer, hundsgemein mitgespielt wird. Ihr journalistischer Ehrgeiz wird durch die unfaire Darstellung geweckt… (Anfang von Kapitel 17 der Neuerscheinung Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru. Eine weitere Leseprobe: hier klicken).

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