Die Freunde planen einen Trip auf die Marquesas Keys und die Dry Tortugas. Dies sind eine zu Florida gehörende Gruppe aus zehn kleinen Eilanden, die eine Tagesreise westlich von Key West liegen. Der Mob, wie Ernest Hemingway den Freundeskreis nennt, will die unbewohnten Inseln mit ihren weißen Stränden und den Mangroven-Wäldern erkunden und im Golf von Mexiko fischen. Es ist Mitte Mai 1928, das erste Jahr des Schriftstellers in Key West.
Der Autor hat zu diesem Abstecher seine besten Spezl eingeladen. Den Maler Waldo Peirce, den Ernest Don Pico nennt, einen seiner ganz engen Weggefährten. Dann Bill Smith, einen Jugendfreund aus Zeiten in Michigan, und Bra Saunders. Zwei weitere Freunde, Burge Saunders und Charles Thompson, werden mit einem größeren Motorboot nachgekommen und die Männergruppe auf sechs anwachsen lassen.
Die Freunde fischen den ganzen Tag und braten abends die Beute über dem offenen Feuer oder bereiten Makrelen und Muschelsalat zu. Es geht zu wie in einer Hinterhofkneipe, man ist nur unter Kerlen. Hauptsache, an Bord geht das Feuerwasser nicht aus. Den Schluckspechten fallen, fernab der Zivilisation, jede Menge Albernheiten ein. Unsinn, den Männer so machen, wenn sie unter sich sind. Wenn die Freunde satt sind, furchtbar viel getrunken haben und außer Rand und Band geraten, dann reißen sich alle Burschen auch mal die Kleider vom Leib und tanzen nackt unter dem tropischen Sternenhimmel.
Besonders der 28-jährige Ernest ist für jeden Blödsinn zu haben, der Schriftsteller dreht auf bei diesen Ausfahrten im Golfstrom. Der Triumph seines Erstlings – The Sun Also Rises – stachelt ihn erst recht an. Die im Oktober 1926 verlegte Erzählung wird zu seinem Durchbruch als Autor. Die Kritiker und die Leserschaft weltweit zeigen sich hellauf begeistert, mehr und mehr rutscht Ernest in die Rolle einer literarischen Berühmtheit hinein.
Der Maler Waldo Peirce wird zum Chronisten des Männer-Spektakels auf dem Meer. In knallbunten Wasserfarben zeichnet er die wüsten Eskapaden nach. Hemingway Among the Sharks, so nennt er eines der Blätter. In Hemingway unter den Haifischen, mit Datum 10. Mai 1928, skizziert Waldo die Ausgelassenheit und den Übermut seines prominenten Freundes Ernest auf dem Golfstrom.
Das Aquarell zeigt einen oberkörpernackten Ernest Hemingway mit dunkler Kappe, mitten auf dem kleinen Boot. Der vollbärtige Waldo Peirce an Heck, mit breitem Strohhut, ist Steuermann, der Dampf ploppt aus seiner Tabakpfeife. Am Bug der Schaluppe steht der drahtige Bill Smith aufrecht, ganz und gar nackend, wie ein griechischer Krieger, mit einer langen Speerharpune im Anschlag.
Im Wasser kreist ein halbes Dutzend Haifische um das überbesetzte Boot. Ernest will den Hai erlegen, allerdings nicht mit Angel und Rute, sondern mit einer ulkig aussehenden Schrotflinte. Die Szenerie wirkt wie ein Cartoon, überzeichnet mit vielen Farben und alberner Dramatik. Der feine Humor des Malermeisters bleibt nicht verborgen. Die Sache ist ernst, aber man soll sie nicht zu ernst zu nehmen.
Zu seiner Zeichnung verfasst Peirce eine Geschichte. Es ist ein Dialog zwischen einem Ernesto Hemingvia, Bill Smith und Valdito Manning, wie Waldo sich selbst persifliert. Der handschriftliche Text des Malers taucht voll ein in Hemingways Macho-Welt. In den Stierkampf, das Hochseefischen und in die Gewohnheiten der Männerfreundschaften. Waldos wildes Schriftwerk – ein Mix aus Englisch, Spanisch und Französisch – vergleicht die Haifisch-Jagd mit einer Corrida de Toros in Spanien. Like bulls of Pamplona.
Einige Beobachter nennen Waldo Peirce den amerikanischen Renoir. Auguste Renoir ist sein Vorbild im Stil, dazu kommen Einflüsse von Ignacio Zuloaga, dem spanischen Mythen-Maler, von Goya und auch von Matisse. Aber dieser Falstaff unter den US-Künstlern nähert sich seinem Sujet betont unkompliziert, mit reichlich bodenständigem Humor und einer erfrischenden Renitenz. Dieser füllige Mann lebt das Leben in vollen Zügen. Er wird es privat auf vier Ehen und fünf Kinder bringen.
Man kann Waldo Peirce durchaus als Ernest Hemingways Alter Ego in der Malerei betrachten. Die Parallelen zwischen beiden sind verblüffend. Zwei intensive Biografien: Waldo war im Jahr 1915 Ambulanzfahrer in Frankreich, hat Spanien bereist, in Madrid und Paris gelebt. Wie alle Künstler, die vom Ersten Weltkrieg geprägt sind, wird der Tod auch für ihn zum Thema. Zeitlebens versucht er, diese Beklemmung mit Lebenslust und Bohemie auszugleichen. In dieser Hinsicht kriegt Valdito sehr viel besser die Kurve als sein Freund Ernesto.
Schreibe einen Kommentar