Einladung zu einer Veranstaltung der Stockholm School of Economics. Im Stadshus, an der südöstlichen Spitze der Insel Kungsholmen, findet das feine Event statt. Die Blaue Halle des Rathauses strahlt sakrale Tradition aus: Dort findet alljährlich das festliche Banquet zur Verleihung der Nobelpreise statt. Der schwedische König schreitet dann von der Empore die breite Marmortreppe hinab in den Saal und bittet zum Festessen.
Die Verleihung der Nobelpreise – immer am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel – wird im Konserthuset veranstaltet, dem Stockholmer Konzerthaus. Dort überreicht der König den Geehrten eine Goldmedaille und ein handgefertigtes Diplom, dazu das Avis über eine ansehnliche Preissumme. Danach nehmen die Notabeln und die Gäste am Festbankett im Blauen Saal des Stockholmer Rathauses teil, gefolgt von Tanz und Feier im Goldenen Saal.
Eigentlich hätte Ernest Hemingway in diesen Festsälen anwesend sein sollen, im Jahr 1954. Denn in diesem Jahr hat man ihm den Nobelpreis für Literatur verliehen. Die höchste Auszeichnung für einen Schriftsteller. Doch dieser Ernest Hemingway lässt sich in Schweden nicht blicken. Und so wird am 10. Dezember 1954 in Stockholm der Nobelpreis für Literatur verliehen. An Ernest Hemingway. Ohne ihn.
Kaum hat Ernest Hemingway in seinem kubanischen Refugium Finca Vigía südlich von Havanna die freudige Nachricht aus Schweden erhalten, macht er sich an eine kurze Dankesrede. Der US-Botschafter in Stockholm, John M. Cabot, wird die Rede im Dezember 1954 auf dem Nobelpreis-Fest vortragen. Ein Schriftsteller, der die großen Schriftsteller kennt, die den Preis nicht erhalten haben, kann diese Auszeichnung nur in aller Demut entgegennehmen.
Trotz aller Tiefstapelei, der Nobelpreis kommt zur rechten Zeit. Denn Ernest Hemingway durchleidet als Autor eine kritische Phase. Sein vorletztes Buch Über den Fluss und in die Wälder, das Werk ist 1950 erschienen, wird kein Erfolg. Die Kritiker mögen die Geschichte um den alten Colonel Richard Cantwell und die junge venezianische Contessa Renata nicht, die Erzählung ist etwas fahrig im Aufbau und arg konstruiert in den Dialogen.
Auch die Leserschaft hat mehr von dem bärtigen Haudegen erwartet, der immer so großspurig auftritt. Und er selbst findet, in selbstkritischen Momenten, er ist unter seinen Möglichkeiten geblieben. Einen weiteren Schlag ins Wasser hätte ein Autor mit einem solchen Ego wie Ernest Hemingway wohl nur schwer verkraftet. Da erfüllt ihn die Auszeichnung mit Stolz, allerdings verbleibt eine seltsame Distanz zu dem ganzen Rummel.
Er freut sich über die Ehrung aus Stockholm. Trotzdem kann Ernest Hemingway in seinem Tropenparadies sich nicht aufraffen, von Kuba in den schwedischen Winter zu fliegen, zur Preisverleihung, um die 36.000 Dollar und die Goldmedaille aus der Hand von König Gustav Adolf in Empfang zu nehmen. Er fühlt sich dazu nicht in der Lage, alleine die beiden Unfälle mit dem Flugzeug in Ostafrika am Jahresanfang. Der Rücken, das rechte Bein, die Kopfschmerzen.
Alles in allem fühlt sich dieser kernige Naturbursche seit Monaten schlapp und ausgebrannt. Habe keine Gelegenheit, den Preis zu genießen. Nur Fotografen, Leute, die dich falsch zitieren, ein Gejammer und ein Geplapper, ich scheiß auf all das, mault Ernest Hemingway in einem Brief an seinen engen Kumpel Aaron Edward Hotchner im Dezember 1954.
Seit 1939 lebt Ernest Hemingway bereits auf Kuba, auf einem üppigen Anwesen in den südlichen Ausläufern der Hauptstadt. Eigentlich sei er ein kubanischer Nobelpreisträger, hat er dem kubanischen Fernsehen in einem Interview auf Spanisch bedeutet. So verwundert es keinen, dass der bärtige US-Amerikaner den Nobelpreis lieber auf Kuba feiert.
Zweihundert Gäste erscheinen im August 1956 in der Gartenanlage der Cervecería Modelo in Cotorro, einem Vorort von Havanna, um das „schwedische Ding“ zu bejubeln. Guillermo Cabrera Infante schreibt über das Fest einen launigen Artikel in der Zeitschrift Ciclón. „Kurz nach eins kam Hemingway und wurde sofort von einem Pulk Menschen umgeben, aus dem auffällig die Fotografen ihre Kameras hoben, wie Schwimmer, die ihre trockene Kleidung hochhalten. Und plötzlich bewegte sich das Denkmal.“
Das Denkmal geht von Tisch zu Tisch, Ernest und Mary grüßen in dieser Mittagsstunde die Gäste, fast alle Kubaner, Freunde, Fischer, Musiker, Kneipenbrüder. Der Schriftsteller aus Chicago hält dann eine kurze Rede über Kuba, que tanto amo, über das Land, das er so sehr liebt. Der amerikanische Autor erwähnt, wie sehr die kubanische Lebensart seinen Nobelroman Der alte Mann und das Meer geprägt hat.
Nach der emotionalen Lobrede auf seine Wahlheimat Kuba drückt Ernest Hemingway seinem guten Freund Fernando Campoamor spontan die Nobelpreis-Medaille in die Hand. Er soll sie in den Schrein der Virgen del Cobre legen, einer viel besuchten Wallfahrtskirche im Osten der Insel. Dort liegt die goldene Medaille aus Stockholm noch heute.
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