Er ist erst Mitte fünfzig, sieht aber schon aus wie ein alter Mann.
Ernest Hemingway vor Cabo Blanco, im April 1956.

Foto: Modeste von Unruh

Das Schicksal hat ihm in der letzten Zeit arg mitgespielt. Zwei Jahre vor Cabo Blanco, das Jahr 1954, es ist der Einschnitt für ihn gewesen. Im Januar hat er die beiden Flugzeugunglücke in Afrika knapp überlebt, es hat nicht viel gefehlt. Sein Körper und die Geisteskraft haben schon vorher nach und nach abgebaut, doch die starken Verbrennungen, die schweren Kopfwunden und die zahlreichen inneren Verletzungen setzen ihm heftig zu.

So ganz sollte er sich von den Flugzeugunfällen nicht mehr erholen. Und am 10. Dezember erhält er in Stockholm den Nobelpreis für Literatur verliehen. Auch davon sollte Ernest Hemingway sich nicht mehr erholen. Der entkräftete Schriftsteller in seinem tropischen Inselidyll auf Kuba kann sich nicht aufraffen, über den Atlantik in den schwedischen Winter zu fliegen. Er sieht sich körperlich und mental nicht in der Lage, überhaupt zu verreisen. Die Unfallverletzungen aus Ostafrika schmerzen noch, er fühlt sich elend und ausgebrannt. Und große Lust auf den ganzen Rummel verspürt er eh nicht.

Die Verleihung in der schwedischen Hauptstadt findet ohne ihn statt. Der US-amerikanische Botschafter in Stockholm, John M. Cabot, verliest seine kurze Dankesrede. Das Schreiben, im günstigsten Fall, ist ein einsames Geschäft. Ein Schriftsteller schreibt sein Werk zurückgezogen, und wenn er gut genug ist, muss er sich jeden Tag der Ewigkeit stellen, oder der Ermangelung davon. Das Preisgeld von 36.000 Dollar wird auf sein Konto überwiesen und die Goldmedaille nach Kuba geschickt, wo sie ihm auf der Finca Vigía vom schwedischen Geschäftsträger überreicht wird.

Kurz nach Verkündung der Nobel-Ehre kreuzt das kubanische Fernsehen auf Finca Vigía auf. Der Reporter Juan Manuel Martínez, der sich etwas windig hinter einer dunklen Sonnenbrille versteckt, fragt im gestelzten Duktus nach dem Befinden des Schriftstellers ob der guten Neuigkeit. Und Ernest Hemingway stimmt im Sender CMQ, in den 1950er Jahren eine große Radio- und TV-Station auf der Insel, einen Lobgesang auf sein Gastland Kuba an.

Der amerikanische Autor streut in seinem auf Spanisch gebrummelten Statement gar Begriffe aus dem kubanischen Spanisch ein, er sei ein cubano sato, sagt er, er sei ein kubanischer Straßenköter, eine Promenadenmischung aus USA und Kuba. Und Cojímar, wo sein Roman Der alte Mann und das Meer spielt, sei más o menos sein pueblo, sein Dorf, sein Volk, seine Heimat. Und so erweckt der US-amerikanische Schriftsteller den Eindruck, hier habe eigentlich ein Kubaner diesen Nobelpreis erhalten. Und dann sagt Ernest Hemingway es wortwörtlich: Soy el primer cubano que consigue un Premio Nobel, ich bin der erste Kubaner, der einen Nobelpreis erhält.

Die Gratulanten stehen Schlange auf seiner Farm und in den Kneipen von Havanna. Glückwunsch-Telefonate kommen aus aller Welt, Präsidenten, Schauspieler und Kollegen freuen sich mit. Das kleine Postamt von San Francisco de Paula versinkt unter einem Berg von Briefen, mehrmals am Tag kommt der alte Postbote Mancebo mit neuen Telegrammen auf die Finca Vigía. Den schönsten Glückwunsch schickt John Huston, ein wunderbarer US-Regisseur, keine Hollywood-Pappnase, sondern ein Mann für die Klassikerabteilung. Ihm genügen nur drei Wörter. John Huston telegrafiert am 29. Oktober 1954 an Ernest Hemingway: „Great, Papa, great!“

Dieser Nobelpreis, den meisten gilt er als Höhepunkt im Leben eines Autors. Jedoch, so fragt er sich, was soll danach kommen? Wenn diese Auszeichnung tatsächlich den Gipfelpunkt darstellt, dann kann es im weiteren Verlauf doch nur noch in eine Richtung gehen. Bergab. Die Nobelurkunde in Empfang nehmen und zur selben Sekunde tot umfallen, schwupp, plattgefahren wie eine Feldmaus auf der Autostraße, es wäre diesem Höhepunkt angemessen.

Und so befürchtet er, noch ein paar Jahre als Nobelhündchen durchs Leben dackeln zu müssen. Habe keine Gelegenheit, den Preis zu genießen. Nur Fotografen, Leute, die dich falsch zitieren, ein Gejammer und ein Geplapper, ich scheiß auf all das, meckert Hemingway in einem Brief an seinen Freund Aaron Edward Hotchner, im Dezember 1954. Dieser Preis ist wie eine Hure, die dich verführen kann und die dir dann eine unheilbare Erkrankung anhängt.

Und der frischgebackene Preisträger steigert sich in seinen Widerwillen gegen den Nobelpreis immer tiefer hinein…(Anfang von Kapitel 20 der Neuerscheinung Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru. Eine weitere Leseprobe: hier klicken).

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