Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Schlagwort: Nobelpreis für Literatur

Der Nobelpreis, den Ernest Hemingway nicht in Empfang nimmt

Das Gemäuer des Blauen Saals in der Stockholmer City Hall hat schon viele Nobelpreisträger gesehen. Nur einen nicht. Foto: W. Stock, im April 2022.

Einladung zu einer Veranstaltung der Stockholm School of Economics. Im Stadshus, an der südöstlichen Spitze der Insel Kungsholmen, findet das feine Event statt. Die Blaue Halle des Rathauses strahlt sakrale Tradition aus: Dort findet alljährlich das festliche Banquet zur Verleihung der Nobelpreise statt. Der schwedische König schreitet dann von der Empore die breite Marmortreppe hinab in den Saal und bittet zum Festessen.

Die Verleihung der Nobelpreise – immer am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel – wird im Konserthuset veranstaltet, dem Stockholmer Konzerthaus. Dort überreicht der König den Geehrten eine Goldmedaille und ein handgefertigtes Diplom, dazu das Avis über eine ansehnliche Preissumme. Danach nehmen die Notabeln und die Gäste am Festbankett im Blauen Saal des Stockholmer Rathauses teil, gefolgt von Tanz und Feier im Goldenen Saal. 

Eigentlich hätte Ernest Hemingway in diesen Festsälen anwesend sein sollen, im Jahr 1954. Denn in diesem Jahr hat man ihm den Nobelpreis für Literatur verliehen. Die höchste Auszeichnung für einen Schriftsteller. Doch dieser Ernest Hemingway lässt sich in Schweden nicht blicken. Und so wird am 10. Dezember 1954 in Stockholm der Nobelpreis für Literatur verliehen. An Ernest Hemingway. Ohne ihn. 

Kaum hat Ernest Hemingway in seinem kubanischen Refugium Finca Vigía südlich von Havanna die freudige Nachricht aus Schweden erhalten, macht er sich an eine kurze Dankesrede. Der US-Botschafter in Stockholm, John M. Cabot, wird die Rede im Dezember 1954 auf dem Nobelpreis-Fest vortragen. Ein Schriftsteller, der die großen Schriftsteller kennt, die den Preis nicht erhalten haben, kann diese Auszeichnung nur in aller Demut entgegennehmen.

Trotz aller Tiefstapelei, der Nobelpreis kommt zur rechten Zeit. Denn Ernest Hemingway durchleidet als Autor eine kritische Phase. Sein vorletztes Buch Über den Fluss und in die Wälder, das Werk ist 1950 erschienen, wird kein Erfolg. Die Kritiker mögen die Geschichte um den alten Colonel Richard Cantwell und die junge venezianische Contessa Renata nicht, die Erzählung ist etwas fahrig im Aufbau und arg konstruiert in den Dialogen.

Auch die Leserschaft hat mehr von dem bärtigen Haudegen erwartet, der immer so großspurig auftritt. Und er selbst findet, in selbstkritischen Momenten, er ist unter seinen Möglichkeiten geblieben. Einen weiteren Schlag ins Wasser hätte ein Autor mit einem solchen Ego wie Ernest Hemingway wohl nur schwer verkraftet. Da erfüllt ihn die Auszeichnung mit Stolz, allerdings verbleibt eine seltsame Distanz zu dem ganzen Rummel. 

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Der Schwede Alfred Nobel, ein kinderloser Chemiker und Erfinder des industriellen Dynamits, stiftet sein Millionenvermögen. Unter anderem für den renommiertesten Literaturpreis der Welt. Foto: W. Stock, Stockholm im April 2022.

Er freut sich über die Ehrung aus Stockholm. Trotzdem kann Ernest Hemingway in seinem Tropenparadies sich nicht aufraffen, von Kuba in den schwedischen Winter zu fliegen, zur Preisverleihung, um die 36.000 Dollar und die Goldmedaille aus der Hand von König Gustav Adolf in Empfang zu nehmen. Er fühlt sich dazu

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‚Papa‘ geht so langsam das Benzin aus

Er ist erst Mitte fünfzig, sieht aber schon aus wie ein alter Mann.
Ernest Hemingway vor Cabo Blanco, im April 1956.

Foto: Modeste von Unruh

Das Schicksal hat ihm in der letzten Zeit arg mitgespielt. Zwei Jahre vor Cabo Blanco, das Jahr 1954, es ist der Einschnitt für ihn gewesen. Im Januar hat er die beiden Flugzeugunglücke in Afrika knapp überlebt, es hat nicht viel gefehlt. Sein Körper und die Geisteskraft haben schon vorher nach und nach abgebaut, doch die starken Verbrennungen, die schweren Kopfwunden und die zahlreichen inneren Verletzungen setzen ihm heftig zu.

So ganz sollte er sich von den Flugzeugunfällen nicht mehr erholen. Und am 10. Dezember erhält er in Stockholm den Nobelpreis für Literatur verliehen. Auch davon sollte Ernest Hemingway sich nicht mehr erholen. Der entkräftete Schriftsteller in seinem tropischen Inselidyll auf Kuba kann sich nicht aufraffen, über den Atlantik in den schwedischen Winter zu fliegen. Er sieht sich körperlich und mental nicht in der Lage, überhaupt zu verreisen. Die Unfallverletzungen aus Ostafrika schmerzen noch, er fühlt sich elend und ausgebrannt. Und große Lust auf den ganzen Rummel verspürt er eh nicht.

Die Verleihung in der schwedischen Hauptstadt findet ohne ihn statt. Der US-amerikanische Botschafter in Stockholm, John M. Cabot, verliest seine kurze Dankesrede. Das Schreiben, im günstigsten Fall, ist ein einsames Geschäft. Ein Schriftsteller schreibt sein Werk zurückgezogen, und wenn er gut genug ist, muss er sich jeden Tag der Ewigkeit stellen, oder der Ermangelung davon. Das Preisgeld von 36.000 Dollar wird auf sein Konto überwiesen und die Goldmedaille nach Kuba geschickt, wo sie ihm auf der Finca Vigía vom schwedischen Geschäftsträger überreicht wird.

Kurz nach Verkündung der Nobel-Ehre kreuzt das kubanische Fernsehen auf Finca Vigía auf. Der Reporter Juan Manuel Martínez, der sich etwas windig hinter einer dunklen Sonnenbrille versteckt, fragt im gestelzten Duktus nach dem Befinden des Schriftstellers ob der guten Neuigkeit. Und Ernest Hemingway stimmt im Sender CMQ, in den 1950er Jahren eine große Radio- und TV-Station auf der Insel, einen Lobgesang auf sein Gastland Kuba an.

Der amerikanische Autor streut in seinem auf Spanisch gebrummelten Statement gar Begriffe aus dem kubanischen Spanisch ein, er sei ein cubano sato, sagt er, er sei ein kubanischer Straßenköter, eine Promenadenmischung aus USA und Kuba. Und Cojímar, wo sein Roman Der alte Mann und das Meer spielt, sei más o menos sein pueblo, sein Dorf, sein Volk, seine Heimat. Und so erweckt der US-amerikanische Schriftsteller den Eindruck, hier habe eigentlich ein Kubaner diesen Nobelpreis erhalten. Und dann sagt Ernest Hemingway es wortwörtlich: Soy el primer cubano que consigue un Premio Nobel, ich bin der erste Kubaner, der einen Nobelpreis erhält.

Die Gratulanten stehen Schlange auf seiner Farm und in den Kneipen von Havanna. Glückwunsch-Telefonate kommen aus aller Welt, Präsidenten, Schauspieler und Kollegen freuen sich mit. Das kleine Postamt von San Francisco de Paula versinkt unter einem Berg von Briefen, mehrmals am Tag kommt der alte Postbote Mancebo mit neuen Telegrammen auf die Finca Vigía. Den schönsten Glückwunsch schickt

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Ernest Hemingway erhält den Nobelpreis für Literatur

Per Telegramm erfährt Ernest Hemingway am 28. Oktober 1954 auf seiner kubanischen Farm von der Verleihung des Nobelpreises für Literatur an ihn. Credit Line: Ernest Hemingway Papers Collection, Museum Ernest Hemingway, Finca Vigia, San Francisco de Paula, Cuba

Am späten Vormittag des 28. Oktober 1954 trudelt auf Finca Vigía nahe von Havanna ein Telegramm aus Stockholm ein. Nachdem er die Nachricht gelesen hat, stampft Ernest Hemingway in Marys Schlafzimmer, wo seine Ehefrau noch schläft, der Abend ist lang geworden. Mein Kätzchen, mein Kätzchen, ruft der bärtige Schriftsteller aufgeregt, ich habe das Ding bekommen. Mary reibt sich den Schlaf aus den Augen. Du weißt doch, das schwedische Ding. Mary springt aus ihrem Bett, umarmt ihren Ehemann.

Unter dem Amtszeichen Telégrafo del Estado steht auf dem erdfarbenen Papier des Telegramms mit Datum Octubre 28 de 1954, 11:00 a.m. folgender Wortlaut des Generalsekretärs der schwedischen Wissenschaftsakademie Dr. Anders Österling: At its session today the Swedish Academy decided to award you the 1954 Nobel Prize for literature and I would accordingly request you to notify me if you accept the award. Er möge doch bitte kurz Bescheid geben, ob er die Auszeichnung annehme.

Der Nobelpreis für Literatur. Gibt es auf der Welt eine Trophäe, die dem Leben eines Schriftstellers größeren Glanz verleiht? Er sei ein Wegbereiter, so die Laudatio, er habe eine neue Erzähltechnik entwickelt. Für seine kraftvolle und stilbildende Beherrschung der modernen Erzählkunst, wie zuletzt in ‚Der alte Mann und das Meer‘, schreibt die schwedische Akademie später in der Begründung. 

Schon sein erstes richtiges Buch The Sun Also Rises schlägt im Jahr 1926 ein mit einem Donnerhall. Der frische Stil der Erzählung wird bejubelt, sachlich, lakonisch, durch persönliches Erleben des Autors verbrieft, ein bärenstarker Abenteurer tritt auf, der mit der scheinheiligen Ehrpusseligkeit der ergrauten Vätergeneration bricht. Eigentlich verharrt die angelsächsische Literatur jener Jahre auf Charles Dickens-Niveau, man hegt weiterhin diesen blumigen viktorianischen Schreibstil mit seinen weitschweifigen Verzierungen der Prosa. Sicherlich alles gut gemeint, jedoch erschreckend harmlos und vorgestrig.

Von den Lesern wird Ernest Hemingway mit seinen lebensnahen Themen und dem zeitgemäßen Schreibstil wie eine Lichtgestalt empfangen. Endlich einer, der die ermüdenden Luftblasen des Althergebrachten mit einem Knall zum Platzen bringt. Der Mann aus Chicago wird vor allem deshalb verehrt und geliebt, weil dieser Schriftsteller mit

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Der Pudel von Nobel

Nobelpreis-Literatur-MedailleDas Jahr 1954, es wird zum Schicksalsjahr des Ernest Hemingway. Im Januar hat er zwei Flugzeugunglücke in Afrika knapp überlebt, in Belgisch-Kongo und in Entebbe ist er Millimeter am Tode vorbei geschrammt, er zieht sich Verbrennungen, schwere Kopfwunden und innere Verletzungen zu. So ganz sollte er sich nicht mehr erholen.

Und am 10. Dezember erhält er in Stockholm den Nobelpreis für Literatur. Auch davon sollte er sich nicht mehr erholen. Er ist dann auch nicht hingeflogen nach Schweden zur Preisverleihung, die Unfälle und eigentlich hatte er auf den ganzen Rummel auf keine große Lust.

Dieser Nobelpreis, das ist natürlich der Höhepunkt im Leben eines Schriftstellers. Ein Lorbeerkranz, der grell leuchtet in der Autorenwelt. Nobel hat sein Ego gestreichelt. Und Kohle gibt es obendrauf. Wer will da schon nein sagen?

Aber was soll nach Nobel nur kommen? Es kann doch nur in eine Richtung gehen. Bergab. Den Nobelpreis in Empfang nehmen und zur selben Stunde umfallen, platsch, tot wie eine vom Stein erschlagene Maus, das wäre es gewesen. Doch so muss er sich noch Jahre als Nobelpreisträger durchs Leben schleppen. So als ob er sein Leben an diesen verdammten Nobelpreis verhökert hat.

Wie ein scharfes Schwert schwebt diese Auszeichnung über seinem Kopf, alles und jedes wird sich künftig an ihr messen. Eines Nobelpreisträgers nicht

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