Mitte November 1929, drei Wochen nach dem verheerenden Black Thursday an der Wall Street, befindet sich Ernest Hemingway in Berlin. Mit dem Rowohlt Verlag verhandelt er am 15. November die deutschen Rechte zu A Farewell to Arms, das in der Übersetzung In einem andern Land heißen wird. Die Vorschusszahlung, die er von seinem deutschen Verleger bekommt, wird am gleichen Tag ausgegeben.
Beim Berliner Galeristen Alfred Flechtheim erwirbt der US-Amerikaner ein Gemälde von Paul Klee. Monument in Arbeit heißt das Werk, es ist ein abstraktes Portrait. Paul Klee hat das Aquarell 1929 gemalt, Ernest Hemingway ist beim ersten Anblick von der geheimnisvollen Kraft des Bildes angetan. Mit ein wenig Phantasie kann man es – im Nachgang – als erstaunlich genaue Illustration des späteren Literatur-Nobelpreisträgers betrachten.
Der junge Schriftsteller mag die moderne Kunst, er kennt viele Maler aus seinen sieben Jahren in Paris. Er kauft zahlreiche Kunstwerke und nimmt sie mit in die USA, später auf sein tropisches Anwesen im Süden Havannas. An den Wänden und auf den Anrichten der Finca Vigía finden sich großartige Bilder avantgardistischer Maler, wertvolle Originale von Paul Klee, Georges Braque, Juan Gris, von Waldo Peirce und Joan Miró.
Der Schriftsteller mag sie alle, allerdings kristallisieren sich bei den Europäern drei Favoriten heraus: Juan Gris, Joan Miró und Paul Klee. El guitarrista und Le torero von Juan Gris, Paul Klees Monument in Arbeit und Der Bauernhof von Joan Miró, das Farmhaus in San Francisco de Paula gleicht in den 1950er Jahren einem kleinen Museum.
Auf der anderen Seite des Raumes, über dem Bücherregal, befand sich Paul Klees ‚Monument in Arbeit‘. Mit diesen Worten erinnert sich Ernest Hemingway in seinem autobiografisch gefärbten Roman Inseln im Strom an die Reise mit seiner zweiten Ehefrau Pauline und an die Herkunft seines Gemäldes. Er wußte heute nicht mehr darüber wie damals, als er es zum ersten Mal in der Galerie Flechtheim gesehen hatte, in dem Gebäude am Fluss, in jenem wundervollen kalten Herbst in Berlin, als sie so glücklich gewesen waren. Aber es war ein gutes Bild, und er betrachtete es gerne.
Paul Klees Kunstwerk findet über die Jahrzehnte seinen Platz auf der Finca Vigía, Ernest Hemingway hütet seine zahlreichen Bilder wie einen Schatz. Selbst über seinen Tod hinaus verbleiben die Gemälde im Familienbesitz, darauf hat er Wert belegt. Er vermacht alle Kunst seiner Ehefrau Mary Welsh und seinen drei Söhnen. In seinem Testament hat er die moderne Kunst penibel aufgeteilt.
In seinem Letzten Willen hat der Nobelpreisträger verfügt, dass sein ältester Sohn John das Bild Le torero von Juan Gris erhält. El guitarrista, ebenfalls von Juan Gris, geht an den Sohn Patrick. Miss Mary, die vierte Mrs. Hemingway, bekommt Der Bauernhof von Joan Miró. Dem jüngsten Sohn, Gregory, einem Sensiblen, wird Monument in Arbeit von Paul Klee zugeteilt.
Paul Klee wird im Dezember 1879 in Munchenbuchsee, in der Schweiz geboren, die Deutschen und die Schweizer werden ihn als Maler für sich reklamieren. Er ist mehr als ein Expressionist, mit den Jahren nähert er sich Kubismus, Dadaismus und Surrealismus, alles neue Malstile, die in den 1920er Jahren in Paris für Furore sorgen. Paul Klee besitzt einen feinen Strich, er ist ein hochproduktiver Künstler, Tausende Bilder und Zeichnungen hat er gefertigt.
Kreativ experimentiert Paul Klee mit Form und Raum und lässt seiner Phantasie freien Lauf. Traum und Wirklichkeit, Sichtbares und Unsichtbares – er möchte die Grenzen und die Einengungen hinter sich lassen. Eine neue Welt – jenseits von Realem und Rationalem – soll entstehen. Eine Zumutung für Deutschland. Als Entartete Kunst gebrandmarkt, gehen viele seiner Werke in den dunklen Jahren nach Übersee.
Nun wird der Schweizer auch in den USA populär. In Amerika heißt Klees Werk The Building of the Monument, es ist ein hintergründiges Werk. Ein ovales Gesicht in Maskenform, mit imaginären Zugaben. Das Gemälde zeigt einen kolossalen Kopf mit Knopfaugen. Surreal erscheinen winzige Figuren auf Leitern und Gerüsten, die zu den Augenbrauen und Lippen des Kopfes aufgebaut sind.
Paul Klee Monument in Arbeit besitzt etwas Kühles, bisweilen Dunkles und Pessimistisches. Die Bauarbeiter des Gesichts verleihen dem Werk jedoch vor allem eine traumhafte Note. Das Absurde demaskiert die logisch-rationale Kunst, die Tradition findet schon lange aus ihrer Sackgasse nicht heraus. Das Trauma des Ersten Weltkriegs hat die angestammten Werte zerstört, das Denkmal des paranoid gewordenen Menschen benötigt eine gründliche Rundum-Erneuerung.
Ernest Hemingway, der es mit dem Räsonieren nicht so hat, nähert sich Paul Klees Kunst eher pragmatisch. Der Autor erhält aus der modernen Kunst die Inspiration für sein Schreiben. Malerei, Musik und Bildhauerei – so wie ein Bildhauer seine Plastiken modelliert und ein Maler malt, so versucht er seine Wörter und Sätze zu formen.
Der Schriftsteller aus Chicago sieht in Paul Klees Werk nicht den Menschenkopf mit all seiner philosophischen Aufladung. Sondern ein satirisches Portrait des italienischen Duce Benito Mussolini, den der junge Journalist 1922 auf der Konferenz von Lausanne betroffen hat. Der Reiz solcher Kunst liegt im Auge des Betrachters.
Der weitere Weg von Monument in Arbeit lässt sich heute nicht mehr genau verfolgen. Der Sohn Gregory, dessen Leben mit dem Vater nicht konfliktfrei verlaufen ist, kann mit dem ererbten Aquarell wenig anfangen. Kurz nach Ernests Tod, so berichtet seine damalige Ehefrau Valerie, verkauft Gregory Hemingway das Gemälde.
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