Der Kalender zeigt den 15. April 1956, das Datum, an dem Herr und Frau Hemingway in Miami ein Flugzeug besteigen, das sie über Nacht nach Peru bringen wird. Genauer gesagt nach Talara im Norden des Andenlandes. Von dort aus fahren sie mit dem Auto über die Panamericana nach Cabo Blanco, einem kleinen Fischerdorf am Pazifik. Cabo Blanco, ein fischreicher Küstenabschnitt südlich des Äquators, gilt unter Hochseefischern als legendäres Ziel.
Ernest Hemingway, seine Frau Miss Mary und einige Freunde werden 36 Tage und Nächte lang – vom 16. April bis 22. Mai 1956 – im Cabo Blanco Fishing Club wohnen, ganz nah am Meer. Der Schriftsteller wird in diesen fünf Wochen sein pazifisches Nest kein einziges Mal verlassen – außer für seine täglichen Angelausflüge.
Obwohl Ernest Hemingways Leben bis in den kleinsten Winkel ausgeleuchtet wird, ist über die Peru-Episode nicht viel bekannt. Seine Wochen am Cabo Blanco, wenn sie denn überhaupt Beachtung finden, bleiben in den Biografien und Abhandlungen über den bärtigen Autor seltsam konturlos. Vielleicht, weil das Schicksal ihn dieses Mal weit von der Öffentlichkeit wegbringt.
Der prominente Buchautor ist dafür bekannt, dass er mit großem Tamtam durch die Welt reist. Das Deux Magots in Paris, die Lagune in Venedig, die Sanfermines in Pamplona, die Steppen Ostafrikas, alles mit großem Bohei. Doch Cabo Blanco? Was um alles in der Welt macht der Nobelpreisträger, dieser forsche Abenteurer und unermüdliche Frauenheld, in einem abgelegenen Kaff wie Cabo Blanco?
Dieser Aufenthalt in Cabo Blanco wird für den Schriftsteller von großer Bedeutung sein. In seinem Buch Gefährliche Sommer gibt er seinen Lesern einen Hinweis. Der Mann in den Fünfzigern hat Peru als seinen Jungbrunnen erkoren. Seit einiger Zeit befindet er sich in einer anhaltenden Depression, aus der er keinen Ausweg findet.
Er hat schmerzhaftes Unglück erlitten, zwei Flugzeugunfälle kurz hintereinander in Uganda. Sie haben seinen Niedergang beschleunigt. Seit vier Jahren hat er kein Buch mehr veröffentlicht. In Cabo Blanco will sich der Nobelpreisträger endlich erholen, körperlich und geistig. Und, wenn möglich, auch als Schriftsteller.
Der Norden Perus ist wie geschaffen für diese Art von Herausforderung. Der Ozean vor Cabo Blanco ist die Heimat des Schwarzen Marlins, eines gigantischen, über fünfzehnhundert Pfund schweren Fisches. Es ist der Riesenfisch, der in Hemingways Bestseller Der alte Mann und das Meer die Hauptrolle spielt, zusammen mit dem alten Mann Santiago und dem Jungen Manolin.
Die Hochsee-Szenen der Hollywood-Verfilmung von Der alte Mann und das Meer werden auf dem Meer vor Cabo Blanco gedreht. Dazu ist eine second unit aus Hollywood mit den Hemingways nach Peru gereist. Der Schriftsteller will einen Teil der Dreharbeiten auf dem Meer überwachen und gleichzeitig selbst auf die Jagd nach dem Schwarzen Marlin gehen.
Mit diesem Kräftemessen gegen die Natur will Ernest Hemingway herausfinden, wie gesund er wirklich ist. Ob sein Körper ein solches Abenteuer aushält, ob er noch genug Mumm in den Knochen hat, einen Gegner wie den gigantischen Schwarzen Marlin zu besiegen. Tief im Inneren will Ernest Hemingway wissen, ob er noch genug Kraft für ein Hemingway-Leben hat, für das Treiben und den Triumph, den alle von ihm erwarten, vor allem er selbst.
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