Auf den Fersen von Ernest Hemingway

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Der Selbstmord von Ernest Hemingway: Ein Kampf gegen die Dämonen

Ernest Hemingway
Ketchum Cemetery
Seit Juli 1961 liegt Ernest Hemingway auf dem Dorffriedhof von Ketchum in den Bergen Idahos. Foto: W. Stock, 2018.

Dieser kernige Bursche gilt als der Prototyp einer amerikanischen Hyper-Maskulinität. Welch ein Leben voller Abenteuer und Erfahrungen! Ernest Hemingway ist ein Haudegen, wie er im Buche steht: Bei zwei Weltkriegen mitgemischt, im Spanischen Bürgerkrieg unter Beschuss der Putschisten, monatelange Safari-Jagden in Afrika, jeden Sommer das Bullenrennen in Pamplona, vier Ehen, Dutzende Liebschaften. Ein Mann für die Ewigkeit. Oder etwa nicht?

Das Ende mit einem Donnerschlag. Am 2. Juli 1961, an einem Sonntag, wacht er auf im Schlafzimmer seines Wohnortes Ketchum in den Ausläufern der Rocky Mountains. Leise schleicht er sich in den Keller, packt eine doppelläufige Schrotflinte aus dem Waffenschrank, nimmt zwei Schuss Munition, geht hinauf ins Vestibül, den Eingangsbereich vor dem Wohnzimmer, setzt sich auf den Boden des kleinen Vorraums und steckt den Gewehrlauf in den Mund. Dann drückt er ab.

Überraschend? Wohl nicht, eher zwangsläufig, wenn man hinter die Fassade blickt. Man weiß, die Hemingways sind eine Familie von Selbstmördern. Vater Clarence, ein praktizierender Arzt, bringt sich um, als Ernest 29 Jahre alt ist. Den geliebten Patron so zu verlieren, verletzt ihn tief. Auch zwei seiner sechs Geschwister nehmen sich das Leben. Margaux, die schöne Enkelin, ebenso. Die bekannte Schauspielerin setzt ihrem irdischen Dasein in Santa Monica ein Ende, mit 42 Jahren.

Auch wenn der berühmte Autor in der Öffentlichkeit den Macho raushängen lässt, ist Ernest Hemingway außerdienstlich ein anfälliger Mensch. Die Krankenakte dieses Patienten ist lang. In der Diagnose-Spalte findet sich häufig der Begriff Depression. Wie beim Vater. Clarence weilt oft in Kuren, um zu Kräften zu kommen und um seine Bekümmertheit zu heilen. Das Oberhaupt der Familie wird mehr und mehr geplagt von bipolaren Stimmungsstörungen. Auch Mutter Grace leidet ständig unter Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen, die Nerven. 

Bipolarität ist auch Ernest nicht fremd. Er ist ein Mann mit zwei Gesichtern. Von den Gefühlen gänzlich hin- und hergerissen. Er kann wechselweise schüchtern sein oder großkotzig, warmherzig oder aggressiv, großzügig oder rücksichtslos. Ein Charmeur oder jemand, der gegen Frauen pöbelt. Solche Stimmungsschwankungen gehören zu seinem Alltag. Heute würde man auf bipolare Störungen abstellen, es gibt genug Merkmale von Borderline-Syndrom und von narzisstischen Persönlichkeitsstörungen.

Anstatt seine Leiden kurativ anzugehen, schreitet Ernest seinen Weg weiter. Er denkt, er muss nur schneller gehen, dann wird’s besser. Er stürzt sich in aggressive Sportarten, sucht Trost beim Abschlachten von Stieren und an den Haken nehmen von Großfischen. Eine Ehe nach der anderen setzt er in den Sand, er will es noch nicht mal besser machen, bei der folgenden Liebschaft legt er die gleichen Fehler an den Tag.

Als Draufgänger besitzt er die Neigung, sich auf missliche Weise selbst Verletzungen zuzufügen, insbesondere im Kopfbereich. In Paris verwechselt er 1928 die Schnur eines Oberlichts mit einer Toilettenspülung, er zieht daran, eine Glasscheibe knallt ihm voll auf den Kopf. In der Normandie wird er von einem Motorrad geschleudert, es folgen Monate mit Kopfschmerzen und Gedächtnisstörungen. Auf seinem Boot Pilar stürzt er 1950 unbeholfen und erleidet eine starke Gehirnerschütterung. Dazu zwei qualvolle Flugzeugunglücke in Afrika im Jahr 1954.

All die wiederholten Verletzungen im Kopfbereich verursachen nicht nur körperliche Schmerzen, sondern verschlimmern zudem seine psychischen Probleme. Sein Gedächtnis wird im Laufe der Jahre immer schlechter, seine Kreativität nimmt ab, das Schreiben fällt ihm von Tag zu Tag schwerer. Doch Ernest Hemingway kennt ein Heilmittel. In Wirklichkeit jedoch ist es sein schlimmster Dämon.

Doch Ernest merkt es nicht. Der Alkohol ist für ihn ein Helfer in der Not. Medizin für die Narben seiner Seele. Whiskey und Wein sind lebenslange Begleiter. Mit Anfang zwanzig beginnt er, jeden Tag zu trinken. Irgendwann ist der Griff zur Flasche derart sein Alltag, dass er die Sucht nicht mehr regulieren kann. Die Ehefrauen und die Ärzte drängen ihn, mit dem Saufen aufzuhören. Sie alle sprechen gegen den Wind. Zudem spielt der Alkoholkonsum bei den Kopfverletzungen eine fatale Rolle. Als Ursache oder als Treiber einer Ausweitung.

Obendrein übernimmt die Depression nun das Kommando über ihn. Seine Schlaflosigkeit wird schlimmer und in den letzten Jahren zeigt er Anzeichen von Wahnvorstellungen. Der Schriftsteller äußert die Befürchtung, dass seine Freunde ihn umbringen wollen und sieht sich an jeder Straßenecke vom FBI beschattet. Der Wirrwarr aus psychotischer Depression, den Hirnverletzungen, den bipolaren Störungen und dem chronischen Alkoholmissbrauch lassen seinen Gesamtzustand vollkommen absacken.

Was bleibt einer armen Seele als Ausweg? Im engen Kreis spricht der Nobelpreisträger häufig davon, sich das Leben nehmen zu wollen. Im Frühjahr 1961 versucht Ernest Hemingway innerhalb einer Woche drei Selbstmord-Versuche. Der öffentlich gefeierte Autor kann keinen klaren Gedanken fassen, ans Schreiben ist nicht mehr zu denken. Wenn ihm am Schreibtisch vor dem leeren Blatt Papier die Worte fehlen, bricht er in Tränen aus. 

Ernest Hemingway hat sich stets darin gefallen, gegen

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Ernest Hemingway: Der letzte Abend vor dem Selbstmord

Christiania 
Ketchum Idaho
Hemingway
Ein letztes Mahl in seinem Lieblingsrestaurant Christiania. Photo by W. Stock, Ketchum 2018.

Der große Ernest Hemingway, gefeiert von aller Welt, ist am Ende seiner Lebensreise ernüchtert und unglücklich.  Große Männer fallen tief. Und er, der beste Schriftsteller seiner Zeit, fällt tief, ganz tief. Seine italienische Übersetzerin Fernanda Pivano, die ihn aus den Büchern und vielen Begegnungen gut kennt, meint nach seinem Selbstmord: „Ernest schien nie wirklich glücklich. Er war unaufhörlich auf der Jagd nach seiner selbst. Nie fand er den Frieden mit sich.“

Die letzten Tage seines Lebens sind entsetzlich für ihn. Alles, was er liebt, wird unerreichbar. Der Schatten auf seiner Schulter ermächtigt sich seiner. Der Autor ist an den Zeitpunkt gelangt, an dem er abschließen möchte mit der Welt, er sieht keinen Sinn mehr und keinen Lichtblick in seinem Leben. Er möchte es zu einem Ende bringen, es soll jedoch ein Abschied sein nach seinen Regeln.

Am letzten Abend gehen die Mary und Ernest Hemingway mit ihrem Freund George Brown in das Christiania Restaurant an der Walnut Avenue im Zentrum von Ketchum. The Christy, wie das Haus bei den Einheimischen genannt wird, in ein rustikales, aber doch vornehm gehaltene Speiselokal aus Holz. Der Schriftsteller erhält seinen Stammtisch, Tisch Nummer 5, den Ecktisch hinten links, von dort aus vermag er den ganzen Speiseraum zu überblicken. Es ist Samstag, der 1. Juli 1961.

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Am Abend des 1. Juli 1961 besucht Ernest Hemingway zusammen mit Mary und einem Freund das Christiania. Stunden später wird der Nobelpreisträger tot sein. Photo by W. Stock, Ketchum 2018.

Ein kräftiges New York Steak, wie immer rare gebraten, dazu Idaho-Kartoffeln und ein einfacher grüner Salat, es ist sein Lieblingsgericht. Ernest trinkt dazu eine Flasche Châteauneuf-du-Pape, seinen roten Lieblingswein. Mary nimmt den Caesar Salad mit Parmesan und bleibt den ganzen Abend bei Martini. Doch die Paranoia lässt ihn auch im Christiania nicht los. Längere Zeit sitzt der bärtige Autor versunken und schweigend am Tisch.

Wer sind die beiden Männer dahinten, fragt Ernest Hemingway unvermittelt die Kellnerin June Maella, eine 20-jährige Einheimische, die den berühmten Schriftsteller im Christiania schon häufig bedient hat. Ich glaube, es sind zwei Vertreter aus Twin Falls, bekommt er zur Antwort. Nein, nein, sagt der Nobelpreisträger fahrig, nicht am Samstagabend, da müssten sie bei ihren Familien sein. Das sind

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Ein einsamer Tod in den Rocky Mountains – und eine Überraschung

Die letzte Ruhestätte des Ernest Hemingway auf dem Dorffriedhof von
Ketchum; Foto: W. Stock, im April 2018

Im Morgengrauen des 2. Juli 1961 beendet einer der größten Schriftsteller aller Zeiten sein Leben. Mit einer doppelläufigen Schrotflinte, die er sonst zur Taubenjagd nutzt, erschießt sich Ernest Hemingway im Eingangsbereich seines Landhauses in Ketchum.

Der entlegene Ort im US-Staat Idaho ist die letzte Lebensstation des Weltenbummlers. Der alt gewordene Schriftsteller, der seit 1952 (in diesem Jahr erschien sein Meisterwerk „Der alte Mann und das Meer“) kein Buch mehr veröffentlicht hat, ist ein gebrochener Mann. Hemingways maßloses Leben fordert nun seinen Tribut: Das letzte Lebensjahr ist von Krankheiten und Klinikaufenthalten überschattet.

Die Beerdigung des Nobelpreisträgers findet an einem Freitag in Ketchum statt, am 7. Juli 1961. Mary, seine Witwe, will eine Beerdigung im familiären Kreis. Es kommen seine drei Söhne John, Patrick und Gregory, dazu die vier Schwestern und der jüngere Bruder Leicester. Zahlreiche Beileidstelegramme aus aller Welt sind im Haus der Hemingways am East Canyon Run Boulevard eingetroffen. Das Weiße Haus, der Kreml und auch der Vatikan haben ihre Kondolenz übermittelt.

Der Ketchum Cemetery liegt am nördlichen Rand des ehemaligen Silberminen-Ortes. Es ist ein einfacher Dorffriedhof, auf dem der Nobelpreisträger neben Farmern und einfachen Händlern seine letzte Ruhe findet. „Oh, mein Herr und Gebieter“, betet Dorfpastor Waldemann, „gewähre deinem Diener Ernest Hemingway die Vergebung für seine Sünden.“ Ganz in schwarz gekleidet und mit dunkler Sonnenbrille wirft Miss Mary eine rote Rose hinab auf den Sarg ihres Ehemannes.

Der Mann, der auf dem schmucklosen Friedhof seinen letzten Segen erhält, ist in seinen 61 Lebensjahren kein Heiliger gewesen. Er hat seine vier Ehefrauen hemmungslos hintergangen, er hat sich halbtot gesoffen, die Kinder vernachlässigt, und er ist auch ein ziemlicher Angeber gewesen. Aber er konnte schreiben wie keiner vor ihm. Er hat die englische Literatur von der viktorianischen Altbackenheit eines Charles Dickens befreit, er ist ein Revolutionär gewesen mit neuen Themen und einem lebensnahen Stil.

Noch heute pilgern Anhänger aus aller Welt in das abgeschiedene Kaff der Rocky Mountains. Auf der Grabplatte aus klarem Quarzit liegen halbgetrunkene Whiskey-Fläschchen, kleine Geldmünzen, Schreibstifte oder andere Mitbringsel, die Bewunderer als Zeichen ihrer Ehrerbietung dagelassen haben. „Ich säubere die Grabstätte einmal pro Woche“, sagt der Friedhofswärter, „aber zwecklos, am nächsten Tag ist alles erneut verunstaltet.“

Ein paar Tage nach dem Selbstmord lässt

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Warum hat Ernest Hemingway sich umgebracht?

Ernest Hemingway Selbstmord
Ernest Hemingways Eulogie Best of all he loved the fall ziert das Hemingway Memorial oberhalb von Ketchum. Now he will be a part of them forever. Foto: W. Stock, 2018

Er hat zwei Flugzeugunglücke und mehrere Autounfälle überlebt. Eine Mörsergranate, die im Ersten Weltkrieg einen Meter neben ihm explodiert ist, hat ihm wenig anhaben können. Er hat die Amöbenruhr, einen Milzriss und zig Gehirnerschütterungen überstanden. Und auch die Depression, der Alkohol und Diabetes haben ihn nicht kleingekriegt. Doch sein Ende musste er selbst in die Hand nehmen.

Über die Ursache seines Suizids gibt es viele Fehleinschätzungen. Er habe sich umgebracht, weil er als Schriftsteller gescheitert sei, erzählt der Kollege Jorge Luis Borges aus Buenos Aires einen ziemlichen Blödsinn. Er habe nicht mehr schreiben können, mutmaßen andere, dies kommt der Sache näher. Er sei in Wirklichkeit tieftraurig gewesen, weil er sein geliebtes Kuba habe verlassen müssen. Diese Aussage ist nicht falsch, jedoch trifft sie die Ursache nicht im Kern.

Die Wahrheit ist, auch bei einem Jahrhundert-Mann wie ihm, viel profaner. Ernest Hemingway ist körperlich am Ende gewesen, ein Wrack. Der Gemütszustand des Schriftstellers hat sich Ende 1960 rapide verschlechtert, am 30. November wird er nach Rochester in Minnesota geflogen, in das St. Mary’s Hospital. In dem Krankenhaus erhält er wochenlang Elektroschock-Therapien, insgesamt elf an der Zahl. Die Elektroschocks quetschen den letzten Schimmer Lebensmut aus seinem Körper.

Erst am 22. Januar 1961, nach 53 Tagen in Behandlung, wird er aus der Klinik entlassen. Da wiegt er nur noch 83 Kilo, bei einer Größe von 1,83 Meter, sein Gewicht zuvor hat bei 110 Kilo gelegen. Wieder zu Hause in Ketchum taumelt er wie ein Halbtoter durch den Tag, nur noch selten verlässt er das Haus und geht hinunter ins Dorf. Stundenlang sitzt der Schriftsteller auf der langen Couch im Wohnzimmer und starrt, ohne ein Wort zu sagen, vor sich hin.

Am 25. April 1961 wird der geschwächte Nobelpreisträger abermals nach Rochester geflogen. Im St. Mary’s Hospital kommt er diesmal in die geschlossene Psychiatrie. In den ersten fünf Tagen erhält der Schriftsteller vier Elektroschock-Behandlungen. Die Tortur in der Mayo-Klinik verschlimmert seinen Zustand. 

Ernest Hemingway will nur

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Adiós, Ernesto, adiós

Unter einem Paar Kiefern liegt das Grab des Ernest Hemingway auf dem Friedhof in Ketchum, Idaho. Foto: W. Stock, April 2018.

Im Morgengrauen des 2. Juli 1961, es ist ein Sonntag vor genau 60 Jahren, drückt eine trockene Luft auf den ergrünten Talkessel. Es wird früh hell in der warmen Jahreszeit oben in den Bergen Idahos und an diesem Tag wirkt das einsame Dorf in dem kleinen Tal noch geruhsamer als an anderen Wochentagen. Das dreigeschossige Haus aus groben braunen Zementsteinen und den breiten Panoramafenstern liegt oberhalb der Stadt Ketchum, ein wenig verborgen über dem Big Wood River, der in einer Senke ruhig dahin rauscht.

Der greise Schriftsteller, in seinem blauen Pyjama, hebt sich mühevoll aus seinem Bett und kann sich kaum auf den Beinen halten wegen der kurzen Nacht. Er schlüpft nicht wie sonst in die Hausschuhe aus Filz, die neben dem Bett stehen, sondern kriecht in die braunen Mokassins-Schuhe, er schlängelt sich in den rotkarierten Morgenmantel, den Mary in Italien gekauft hat und der über der Rückenlehne des Stuhls neben dem Fenster hängt, danach huscht er an seinem Schreibtisch vorbei mit der Schreibmaschine und den Büchern und Manuskripten und schlurft kaum vernehmbar aus seinem Schlafzimmer.

Fast geräuschlos tappt er an Miss Marys geschlossener Schlafzimmertüre vorbei, seine Ehefrau schläft noch fest. Vorsichtig geht er die schmale braune Holztreppe herunter, sein Schädel dröhnt, von dem Alkohol am Vorabend, und von dem Schmerz der letzten Wochen, von den vielen Medikamenten und von der Krankheit. Der Nobelpreisträger geht an dem offenen Kamin, dem Fernsehgerät und dem schmalen Bücherbord vorbei, der bauschige Teppichboden dämpft seine Schritte, am Ende des Wohnzimmers nimmt er dann die zwei kleinen Rundstufen rechts hoch zur Küche, geht am großräumigen milchweißen Kühlschrank vorbei, passiert die beiden messingverkleideten Backöfen zum Fenstersims, wo über der Anrichte in einem der schmalen Hängeschränke der Bund mit dem Schlüssel zum Waffenschrank aufbewahrt wird.

Anschließend dreht er sich um und marschiert von der Küche aus, an der kleinen länglichen Gästetoilette vorbei, kaum vernehmbar die enge Rundtreppe ganz nach unten ins Kellergeschoss, das Geländer aus Holz fest umklammernd. Im Souterrain macht er sich auf in Richtung zum Waffenschrank, er steht davor, fischt den Schlüssel hervor und schließt den Spind bedächtig auf. Aus dem Waffenschrank mit den vielen Schusswaffen holt er Marys Lieblingsgewehr aus der Halterung, eine doppelläufige englische Scott & Son, die seiner Ehefrau vor allem zur Jagd auf Tauben dient. Einer auf dem Schrankboden liegenden Packung entnimmt der Schriftsteller zwei Patronen, die er in die Tasche seines Morgenmantels steckt.

Dann verschließt er leise den Waffenschrank. Mit dem langen Schrotgewehr in der Hand schleicht er danach die Treppe hinauf, die Stufen bereiten ihm Mühe, er durchquert das Wohnzimmer, in das von Osten her die ersten Sonnenstrahlen fallen. Doch er bemerkt die Sonne nicht, er geht durch bis ans entgegen gelegene Ende des Wohnzimmers und nimmt die winzige Stufe in das karge Vestibül. Das Vestibül ist ein rechteckiger Vorraum, der als Windfang angebaut wurde, der schützende Eingangsbereich zum Wohngeschoss.

Der schmucklose Raum vor der Eingangstüre, dort wo üblicherweise die Mäntel und die Schuhe abgelegt werden, misst gerade einmal drei, vier Quadratmeter, es gibt nur wenig Freiraum, um sich zu bewegen. Der Autor hat für sein Vorhaben das Vestibül mit Bedacht gewählt, er weiß, seine Frau muss noch weiter in dem Haus leben, und so hat er es aus Rücksicht nicht im Wohnzimmer machen wollen oder im Schlafzimmer, wie sein Vater.

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Die Grabplatte des Ernest Miller Hemingway auf dem Friedhof in Ketchum wird bedeckt von den Mitbringseln der Verehrer. Foto: W. Stock, April 2018.

Der ausgezehrte alte Mann sucht mühsam mit seinem knochigen Rücken Halt an der glatten Westwand des Vestibüls, die dünnen Mokassins hauchdünn auf den Holzbohlen des kleinen Raums. Und dann winkelt der Schriftsteller behutsam die Knie an und

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Ernest Hemingways letzter Weg

Die Natur schafft neues Leben. Und am Ende bleibt dem Menschen bloß, sich der Natur zurückzugeben. Ketchum, am 7. Juli 1961.

Die Beerdigung des Ernest Hemingway findet an einem Freitag in Ketchum statt, am 7. Juli 1961, an den Ausläufern der Rocky Mountains. Man hat auf den Sohn Patrick warten wollen, der sich zusammen mit seiner Frau Henrietta im westafrikanischen Tansania auf einer Safari befindet. Der älteste Sohn John kommt aus Oregon, wo er zum Fischen weilt, der jüngste Sohn Gregory hat sich auf den Weg aus Miami gemacht, wo er sich auf sein Examen in Medizin vorbereitet.

Auch die anderen Verwandten müssen von weit her anreisen, um in das Kaff in den Bergen Idahos zu gelangen. Sein jüngerer Bruder Leicester kommt aus Florida, die älteste Schwester Marcelline Sanford aus Michigan, ebenso wie die Schwester Madelaine Sunny Mainland, eine andere Schwester – Ursula Ura Jepson – fliegt aus Honolulu ein. Dazu gesellt sich die jüngste Schwester Carol Gardner aus Massachusetts. Alle sechs Hemingway-Kinder sind zum ersten Mal seit langem vereint, wobei ja nur noch fünf leben, der älteste Bruder wird heute zu Grabe getragen.

Miss Mary hat alle persönlich eingeladen, es soll eine familiäre Abschiedsstunde werden im handverlesenen Kreis, sie möchte kein großes Aufheben machen. Mary trägt ein einfaches dunkles Kleid und einen breiten schwarzen Hut. Eine Vielzahl von Beileidstelegrammen aus aller Welt sind im Haus der Hemingways am East Canyon Run Boulevard eingetroffen. Das Weiße Haus, der Kreml und auch der Vatikan haben ihre Kondolenz übermittelt.

Der Ketchum Cemetery liegt am nördlichen Stadtrand des Dorfes, Richtung Boulder Peak, am Rande der Landstraße. Es ist ein puristischer Friedhof ohne jedes Denkmal, lediglich mit flachen Grabplatten wird der Verstorbenen gedacht. Alle Freunde aus dem Sun Valley sind gekommen, Clara Spiegel, sein Hausarzt Dr. George Saviers, Tillie Arnold, Ruth Purdy. Journalisten sind nicht erwünscht und doch haben sich ein paar Fotografen und Berichterstatter eingeschlichen und schießen Fotos von der Trauerfeierlichkeit, ein kurzer Film für die Wochenschau wird aus der Entfernung gedreht.

Reverend Robert Waldemann, der katholische Pastor der St. Charles Church in Hailey, leitet die Zeremonie um 10 Uhr 30 am Vormittag. Es wird eine kleine Trauergemeinde, neben dem engen Familienkreis und den Freunden haben sich noch ein paar Jagdkameraden und Nachbarn eingefunden, dazu einige Bewohner von Ketchum, die ebenfalls an der Beisetzung teilnehmen möchten. Vierzig Menschen vielleicht, mehr nicht, dazu Pastor Waldemann und die drei Messdiener.

Die lange schwarze Limousine mit Ernests Leichnam kommt

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Ernest Hemingways Vater

Dr. Clarence Hemingway mit seinem Sohn Ernest zu Hause in Oak Park, Chicago, im Jahr 1918.

Dem geliebten Familienoberhaupt will der junge Ernest Hemingway imponieren. Seinem Vater Clarence schreibt er am 9. Juni 1918 aus dem italienischen Mailand eine Postkarte nach Chicago: Alles bestens. Morgen geht es an die Front. Ernest Hemingway ist erst 18 Jahre alt, ein großer Kerl zwar, aber noch ziemlich grün hinter den Ohren.

Am gleichen Tag schreibt der Rotzlöffel eine Postkarte an einen Freund nach Kansas City: Having a wonderful time!!!. Mit drei Ausrufezeichen. Da steht ein unbedarfter Arztsohn aus dem mittleren Westen Amerikas vor den bluttriefenden Schlachtfeldern in Europa und freut sich auf das Kriegsgemetzel. Was ist da schief gelaufen? 

Zur Mutter bleibt das Verhältnis Zeit seines Lebens angespannt, zum Vater jedoch entwickelt Ernest Hemingway eine enge Beziehung. Es ist der Vater, der den Sohn prägt, es ist Clarence, der Ernest ins Leben führt. Der Vater hat ihn früh in die Natur mitgenommen und ihm an den Bächen und Flüssen um den Lake Michigan das Fischen beigebracht. Die Hemingways besitzen das Sommerhaus Windemere am Walloon Lake im Norden Michigans und die Eltern verbringen dort mit den Kindern die Sommermonate.

An Gewässern, an den Bachläufen oder am Meer fühlt Ernest Hemingway sich der Schöpfung nahe, er empfindet dort eine tiefere Aufmunterung als in der Stadt. „Porqué me trajiste, padre, a la ciudad?“ Warum nur, mein Vater, hast du mich in die Stadt gebracht, klagt der große Poet Rafael Alberti in Marinero en tierra im Jahr 1925. Und der Volksbarde aus El Puerto de Santa María, ganz im Süden Spaniens, meint damit im Grunde: Vater, warum hast du mich der Natur entrissen?

Durch den Vater hat Ernest den Respekt vor der Natur erfahren. In der unberührten Natur entdeckt er das Gerinnsel einer Quelle, das Wachsen zu einem Bachlauf, der breiter und breiter wird und schließlich in einem Fluss mündet, der dem Meer zufließt. Der Junge bestaunt die selbstverständliche Beständigkeit dieses Kreislaufes, so als sei sie von einer unsichtbaren Hand gezogen, die sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt.

Doch es ist auch die Natur, die dem Menschen seine Grenzen setzt. Die Natur – das Meer, die Seen, die Berge und die Wälder – zeigt sich launenhaft und folgt ihren eigenen Regeln, sie lässt sich um keinen Preis bändigen. Die Natur ist mächtiger als alles, als wirklich alles, was sie umgibt, mächtiger als der Mensch ohnehin. Die Menschen kommen und gehen, die Natur jedoch bleibt. 

In der Anmut der Natur lauert allerdings ein unsichtbarer Gegner. Denn zum Kreislauf der Natur gehört auch

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Das Grab des Ernest Hemingway

Die letzte Ruhe des Ernest Hemingway unter zwei Kiefern.
Ketchum, im April 2018; Foto: W. Stock

Des Abends kühlt es im Sun Valley rasch ab und die Schatten von den Hügeln auf das Tal legen sich schwer auf den Friedhof. Der Ketchum Cemetery zwischen Knob Hill und dem Golfplatz ist ein Friedhof für alle, so wie es sein sollte, für die 100-Prozentigen, für die Protestanten, für Evangelisten, für Gottesleugner, im Tod finden sie alle zusammen. Und weil die Amerikaner auch beim Exitus überaus pragmatisch denken, kann man über den Friedhof mit dem Auto gleich bis kurz vor die Grabstelle fahren. 

Der Friedhof in den Höhen der Rocky Mountains ist flach gestaltet, es finden sich keine wuchtigen Grabsteine, sondern lediglich kniehohe Grabplatten oder solche, die ganz in den Boden gelassen sind. Die Grabstätte von Ernest Hemingway liegt im zentralen hinteren Teil unter zwei Kiefern und ist flach über der Erde mit einer hellen Steinplatte abgedeckt. Ernest Miller Hemingway, July 21, 1899 – July 2, 1961 lautet die schlichte Inschrift.

Miss Mary liegt direkt neben ihm, Mary Welsh Hemingway, Apr. 5, 1908 – Nov. 27, 1986, steht bei ihr. Kiefernnadeln fallen auf die letzte Ruhestätte des Ernest Hemingway. Auf der Grabplatte aus klarem Quarzit liegen halbgetrunkene Whiskey-Fläschchen, kleine Geldmünzen, Schreibstifte oder andere Mitbringsel, die Bewunderer als Zeichen ihrer Ehrerbietung dagelassen haben. Die Grabstätte wird

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Sterben an einem kleinen Ort in Spanien

Ronda Spanien
Das Recreo San Cayetano, das ehemalige Landgut der Familie Ordóñez, liegt wenige Kilometer im Osten vor der andalusischen Stadt Ronda. Foto by W. Stock 2019

Ernest Hemingway und Orson Welles haben sich gut gekannt, sind fast so etwas wie Freunde gewesen, wenn auch keine engen Kumpel. Dazu sind sie sich zu ähnlich gewesen. Revolutionäre und Klassiker zugleich. Der eine in der Literatur, der andere beim Film. Orson Welles, dieser geniale Regisseur, ist zudem als ein wunderbarer Schauspieler aufgefallen. Er ist kein Hollywood-Schwätzer, sondern ein Enfant terrible, kein Mainstream-Leichtgewicht, vielmehr der brillante Kopf für die ausgefallenen Projekte.

Ähnlich sind auch ihre Vorlieben. Spanien an erster Stelle. España es el último buen país, diktiert Ernest Hemingway einem Reporter der Tageszeitung Dario de Navarra in den 1950er, in seinen letzten Lebensjahren, ins Notizbuch. Spanien sei das letzte gute Land weit und breit. Vielleicht meint der Schriftsteller damit auch, Spanien sei ein gutes Land, um zu sterben.

Orson Welles, dieser standhafte Haudegen, hat es rigoros durchgezogen. Zum Teil jedenfalls. Der Schauspieler Joseph Cotten schrieb nach dem Tod des Kollegen 1985 über den genialen Regisseur: „Orson will kein Begräbnis. Er möchte leise beerdigt werden an einem kleinen Ort in Spanien.“ Leise beerdigt werden an einem kleinen Ort in Spanien. So kann man sich den Abgang vorstellen, wenn man Romantiker ist und ein Landstrich im Herzen verankert ist, die Idee hat etwas Tröstliches.

Dieser Teufelskerl Orson Welles, der in so vielem Ernest Hemingway ähnelt, hat es jedenfalls vorgemacht. Nach seinem Tod in Los Angeles und einer abenteuerlichen Irrfahrt seiner Urne findet sich eine letzte Ruhestätte in der Nähe von Ronda. In Andalusien, unweit von diesem magischen weißen Dorf im gebirgigen Hinterland der Costa del Sol. Im El Recreo de San Cayetano, auf dem Landgut des Freundes Antonio Ordóñez, ist seine Asche und die seiner Witwe Paola Mori in einem Gartenbrunnen beigesetzt. Seine jüngste Tochter hat den letzten Wunsch des Vaters erfüllt und im Jahr 1987 die Asche verstreut. 

El Recreo de San Cayetano. Die Finca der Stierkämpfer-Familie Ordóñez ist die letzte Ruhestätte von Orson Welles. Dieser Lustgarten des San Cayetano, ein Ort der Muße und Erholung, befindet sich fünf Kilometer außerhalb von Ronda an der A-367, Richtung Cuevas del Becerro. Cayetano ist nicht nur der Name des heiligen Kajetan, sondern zudem der Vorname des Familienoberhauptes der Ordóñez, eines ruhmreichen Stierkämpfers in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts. Sowohl Cayetano Ordóñez als auch sein Sohn Antonio Ordóñez werden zu engen Freunden des Orson Welles.

Das Farmhaus befindet sich auf einem 10 Hektar großen Gelände, mit Olivenhainen, Obstbäumen, Garten und Swimmingpool. Das geräumige Herrenhaus mit den fünf Schlafzimmern, dem Wohnzimmer mit Kamin, der Bibliothek ist angelegt für

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Es wird wieder Frühling werden

Auf Finca Vigía, seiner kubanischen Farm bei San Francisco de Paula, lebt Ernest Hemingway das Leben, von dem er immer geträumt hat. Hier mitten in den Tropen kann er der Mensch sein, der er immer sein wollte. Ein Schriftsteller, ein Frauenheld, ein Familienvater, ein Freund des Meeres. Und vor allem ist er ein Mensch, der mit jeder Pore merkt und spürt, dass er lebt, richtig lebt.

Das Leben fühlt sich wunderbar an, dieses unbekümmerte Leben auf dieser heiteren Insel, die er so sehr braucht, um den Akku für seinen hochtourigen Motor aufzuladen. Er braucht die Tropen für den Körper und noch mehr für seine Seele, Kuba wird sein Garten Eden mit ewigem Sonnenschein. 

Üblicherweise durchlebt ein Mensch ja den jahreszeitlichen Kreislauf der Natur. Auf seiner Finca Vigía jedoch herrscht unentwegt Hochsommer, der Frühling findet an einem Dienstagnachmittag statt, der Herbst schickt ein paar wilde Stürme und heftige Unwetter. Der Winter bleibt ein gänzlich unbekanntes Phänomen.

Immerfort sucht Ernest Hemingway diese Sonnensphären, seine Lieblingsplätze befinden sich fast alle in den Tropen oder in warmen Gefilden. Der Schriftsteller braucht die sommerliche, wolkenlose Natur, die ihn erwärmt. Der eisige Winter fühlt sich für ihn an wie ein kleiner Tod.

Part of you died each year
when the leaves fell from the trees
and their branches were bare against
the wind and the cold, wintery light.
But you knew there would always
be the spring, as you knew the river
would flow again after it was frozen.

Ernest Hemingway kennt

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