Für das amerikanische Wochenmagazin Collier’s hat Ernest Hemingway von der Landung in der Normandie berichtet und über die Befreiung von Paris geschrieben. Nun steht der berühmte Kriegskorrespondent an der deutschen Westfront, wo die US-Truppen vom heftigen Widerstand der Wehrmacht überrascht werden. Die Siegfried-Linie ist überwunden, doch der Hürtgenwald zwischen Aachen und Düren wird im Winter 1944/1945 eine der blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs erleben.
Die Verluste auf beiden Seiten sind erschreckend, in dem unübersichtlichen Waldgebiet fallen die Soldaten zu Tausenden. Wir bekamen Ersatz, aber ich kann mich erinnern, dass ich dachte, es wäre einfacher und zweckdienlicher, sie direkt in der Gegend zu erschießen, wo man sie auslud, anstatt den Versuch zu machen, sie von dort, wo sie getötet werden würden, zurückzuschaffen und zu begraben. Die Kriegsverherrlichung des Ernest Hemingway weicht im Hürtgenwald zunächst einem kalten Zynismus.
Nach achtzehn Tagen an der Front des Hürtgenwaldes kehrt der Schriftsteller Anfang Dezember 1944 zurück nach Paris, desillusioniert und krank, eine Lungenentzündung plagt ihn, er macht sich schnell auf in die USA, von dort zu seinem Wohnort Finca Vigía. In Kuba angekommen, fällt Ernest Hemingway in eine tiefe Depression. Der Hürtgenwald ist das nackte Grauen gewesen, weit jenseits der Grenze dessen, was der Mensch dem Menschen antun darf. Wenn für die Brutalität, weil sie jede menschliche Vorstellungskraft sprengt, auch die Worte fehlen, dann braucht es einen literarischen Großmeister, um das Geschehen für die Nachwelt in Sätze zu fassen.
Und so erwartet nun alle Welt von Ernest Hemingway den großen Anti-Kriegsroman, einen Roman, in dem er abrechnet mit all dem Terror und Völkermord. Doch von Ernest Hemingway kommt nichts. Im Jahr 1950 erscheint eine nette Erzählung, Across the River and into the Trees, in dessen Mittelpunkt der amerikanische Kriegsveteran Richard Cantwell steht. Colonel Cantwell, der beide Weltkriege mitgemacht hat, trifft im Gritti seine junge Geliebte, die wunderschöne Venezianerin Contessa Renata. Der Colonel ist krank, verbittert und kriegsmüde.
Als Über den Fluss und in die Wälder erscheint, da halten nur wenige Literaturkritiker das Werk für gelungen. John Dos Passos, der Freund, schreibt ernüchtert über das Werk: „Wie kann ein einfühlsamer Mann wie er nur solch einen Scheißdreck zu Papier bringen?“ Dos ist nicht der einzige, der mit dem Roman über Venedig und die Lagune wenig anfangen kann. Der Geschichte um den Oberst Cantwell und die Contessa Renata wird bei Kritik und Lesern als zu geschwätzig und zu gekünstelt abgetan. Seine Leser nehmen die Erzählung als Enttäuschung wahr, Ernest zeigt sich gekränkt.
Trotz einiger Schwächen besitzt der Roman eine poetische Tiefe und eine gewichtige Botschaft. Das Buch erzählt vom Krieg und vom Sterben, aber auch vom Leben und von der Liebe. Von der Liebe als dem Heilmittel gegen die Verletzungen des Krieges. Der gealterte Colonel Cantwell spürt sein Ende nahen, er will noch einmal Liebe und wilde Körperlichkeit spüren. Worüber verdammt noch mal, machst du dir denn Sorgen, Junge? Du bist doch wohl nicht einer von den Ärschen, die sich Sorgen machen, was mit ihnen passiert, wenn man ohnehin nichts mehr machen kann.
In Über den Fluss und in die Wälder lassen sich einige prägnante Passagen gegen den Krieg finden, mit dem Säbelgerassel ist Ernest Hemingway endgültig durch. Die reine Friedensliebe ist zwar nicht über ihn gekommen, aber eine neue Milde und ein überraschender Sanftmut fallen nach 1945 schon an ihm auf. Jedoch ist das Werk nicht der große Anti-Kriegsroman, den man von einem Ernest Hemingway erwartet hat. Der Zweite Weltkrieg und der Hürtgenwald kommen in der Erzählung vor, aber eher wie Hintergrundgeplänkel, so wie die leise Musik im Supermarkt.
Etwas wie Tolstois Krieg und Frieden hat eigentlich alle Welt von ihm herbeigewünscht. Oder etwas in der Güteklasse von Im Westen nichts Neues, dem Roman, in dem Erich Maria Remarque uns den Ersten Weltkrieg anhand der schrecklichen Erlebnisse junger Soldaten vor Augen hält. Etwas ganz, ganz Großes jedenfalls. Einen epochalen Roman über den Zweiten Weltkrieg, nicht mehr und vor allem nicht weniger, hat man von Ernest Hemingway erwartet. Doch er hat ihn nicht geschrieben. Ernest Hemingway bleibt stumm, er kann nicht, es geht nicht.
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