Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Autor: Wolfgang Stock Seite 4 von 51

Ernest Hemingway in Paris: Arm, aber glücklich in der Rue Cardinal-Lemoine

Ein Steinwurf von der neuen Wohnung entfernt liegt die kleine Place de la Contrescarpe.
Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Nach drei Wochen im Hôtel Jacob et d’Angleterre in Saint-Germain hat der Freund Lewis Galantière eine preiswerte Wohnung für die Hemingways gefunden. Das schmucklose Appartement in der Rue du Cardinal-Lemoine 74 liegt im Arbeiterdistrikt des 5. Arrondissement und kostet nur 250 Francs im Monat. Am 9. Januar 1922 zieht das Ehepaar in diese einfache Wohnung des Quartier Latin.

Die neue Unterkunft des Ehepaares, man erreicht sie über enge Stufen aus Holz, ist in die Tage gekommen und riecht muffig. Die zwei winzigen Zimmer verfügen über keine Heizung und kein Warmwasser. Die Toilette für jedes Stockwerk, eine Latrine mit zwei Fußabtritten, befindet sich außerhalb im Treppenhaus. Besonders in den Sommermonaten stinkt das gesamte Haus nach Kloake, denn erst nachts werden die Sickergruben von Fäkalien-Kutschern entleert. 

Das Portemonnaie sitzt nicht gerade locker bei dem Ehepaar, die beiden leben von seinem Korrespondentenvertrag und den Erträgen einer kleinen Erbschaft von ihr. Doch die jungen Amerikaner haben kein Problem damit, ihre Ansprüche im teuren Paris herunterzuschrauben. Im Gegenteil, sie finden Gefallen an dem spartanischen und unverwöhnten Leben in dem teils studentisch geprägten Viertel.

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In der Rue Cardinal Lemoine 74, auf der dritten Etage, wohnen Ernest und Hadley Hemingway anderthalb Jahre. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Unser Zuhause in der Rue Cardinal-Lemoine war eine Zwei-Zimmer-Wohnung, die kein Warmwasser hatte und kein Wasserklosett; wir hatten nur einen antiseptischen Behälter, eigentlich ganz komfortabel für jemanden, der in Michigan an einen Abort im Freien gewöhnt war.

Direkt vor der Haustür, keine 50 Meter entfernt, liegt die Place de la Contrescarpe. Auch das Café des Amateurs befindet sich dort, seit längerem heißt es Café Delmas. Der Arztsohn aus Chicago meidet diese Lokalität, denn im Amateurs treffen sich die Arbeiter, die Säufer und die leichten Mädchen der Marktstrasse Rue Mouffetard, die an der Place vorbei führt.

Vor dem Haus ist heute Asphalt statt Pflasterstein ausgelegt, eine Metro an der Ecke zur Rue Monge, 200 Meter östlich, bindet das Viertel an die Innenstadt. In diesen Tagen gilt die Rue du Cardinal-Lemoine als etwas salopper Distrikt für die Künstler, Studenten und Intellektuellen der Stadt, etwas heruntergekommen, aber mit dem typischen Pariser Esprit.

Heute besteht die Wohnung auf dem dritten Stockwerk, sie hat die Nummer 3 im Haus, aus zwei Zimmern und einer winzigen Küche. Es gibt Elektrizität, fließend Wasser, Heizung und eine Innentoilette. Alles Annehmlichkeiten, die das frisch vermählte Ehepaar Hemingway Anfang der 1920er Jahre nicht gekannt hat. 

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Eine Marmorplatte links neben dem Hauseingang erinnert an den bekannten Bewohner. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Eine Plakette aus Marmor an der Hauswand erinnert in diesen Tagen an den berühmten Mieter aus den USA. Von Januar 1922 bis August 1923 hat der amerikanische Schriftsteller und seine Ehefrau Hadley auf der dritten Etage dieses Gebäudes gelebt. Und die Tafelinschrift endet mit einem Zitat aus Paris – Ein Fest fürs Leben: So war das Paris unserer Jugend, als wir sehr arm und sehr glücklich waren.

Weil die Wohnung recht klein ausfällt, mietet Ernest im Frühjahr 1923 in der Nähe in einem alten Hotel in der Rue Descartes 39 ein Einzelzimmer, das ihm fortan als Schreibstube dient. Die Kammer im obersten, sechsten Stockwerk besitzt eine dramatische literarische Vorgeschichte. In dem Raum ist der Poet Paul Verlaine 25 Jahre zuvor verstorben.

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In einem Hotel mietet sich Ernest ein Arbeitszimmer. Es ist jener Raum, in dem der Dichter Paul Verlaine gestorben ist. Beide Jahresdaten der Inschrift sind falsch. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Die Wohnung und das Arbeitszimmer gehen ins Geld. Obwohl Paris für dollarschwere Amerikaner billig ist, muss das junge Ehepaar rechnen. Jede Ausgabe wird genau überlegt. Ich könnte das Zimmer aufgeben im Hotel, wo ich schrieb, und dann war nur die Miete für die Rue Cardinal-Lemoine 74 zu bezahlen, die geringfügig war.

Neben dem Journalismus versucht sich der Mann aus Chicago nun auch an Kurzgeschichten und Gedichten. Früh am Morgen, meist schläft Hadley noch, macht er sich auf zu seiner Arbeitskammer. Es waren sechs oder acht Treppen hinauf bis zum obersten Stockwerk, und es war sehr kalt, und ich wußte, wieviel ein kleines Bündel Reisig kosten würde. Den ganzen Vormittag brütet Ernest über den Manuskripten und kommt erst zum Mittagessen in die gemeinsame Wohnung.

Ernest Hemingways kulinarisches Dreieck: Die ‚Brasserie Lipp‘, das ‚Café de Flore‘ und ‚Les Deux Magots‘

Brasserie Lipp
Viel hat sich seit Hemingways Zeiten nicht verändert, auch das Essen in der Brasserie Lipp bleibt eine Offenbarung. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Wie von Geisterhand verwandeln sich die Literaten und Intellektuellen aus aller Welt in der Stadt an der Seine zu anderen Menschen. Sie alle lassen sich von der Lebenslust und der Frivolität anstecken, die Paris so auszeichnet. Besonders die Amerikaner gefallen sich als Flaneure des Müßiggangs, alle Schriftsteller von Rang schauen in den 1920er Jahre an rive gauche vorbei.

Sie werden zu jungen Frauen und Männern, die anregend in den übervollen Buchläden stöbern, die ohne Ziel durch den Jardin du Luxembourg bummeln oder die als verkannte Dichter stundenlang in den Cafés sitzen und den Erfolg herbei trinken wollen. Alle eint das gleiche Bedürfnis: Sie wollen jene Inspiration an sich herankommen lassen, die sie in ihrer kalten Heimat so vermissen.

Drei von Hemingways Lieblingslokalitäten liegen keine 50 Meter auseinander. Am Boulevard Saint-Germain bilden sie ein magisches Dreieck der Kulinarik: die Brasserie Lipp, das Café de Flore und das Les Deux Magots.

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Die Brasserie Lipp, Hemingways Liebling für ein Mittagessen. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

In der Brasserie Lipp hat Ernest Hemingway mit Vorliebe zu Mittag gegessen. Eine Brasserie entspricht in etwa einem deutschen Brauhaus mit deftiger Küche und viel Bier. Diese Tradition merkt man der Speisekarte des Lipp noch heute an, auch wenn über die Jahrzehnte jene herzhafte französische Landküche mit Pariser Raffinesse verfeinert wurde. Das Lieblingsgericht des Nobelpreisträgers wird im Lipp noch heute angeboten: Pommes à l’huile. Am liebsten mit einem guten Stück Fleisch oder einer fetten Wurst.

Zu Lipp’s war es nicht weit. (..) Es waren nur wenige Leute in der Brasserie, und als ich mich auf die Bank setzte, gegen die Wand, mit dem Spiegel im Rücken und dem Tisch vor mir, und der Kellner fragte, ob ich Bier haben wolle, bestellte ich Kartoffelsalat und ein distingué, den großen Glaskrug, der einen Liter fasst. Das Bier war sehr kalt und trank sich wunderbar. Die Pommes à l’huile waren fest und gut mariniert und das Olivenöl köstlich.

Ernest Hemingways Kurzgeschichte Hunger war eine gute Disziplin spielt überwiegend in der Brasserie Lipp. Das Lipp, 1880 eröffnet, hat seit jeher zahlreiche Literaten und Poeten angezogen. Paul Verlaine und Guillaume Apollinaire sind am Boulevard Saint-Germain 151 ein und ausgegangen. Noch heute sind die Speisen im Lipp, kunstvoll serviert auf eigenen Tellern, ein Geschenk des Himmels.

Wie in so vielen Cafés und Restaurants hat sich auch in der Brasserie Lipp wenig verändert in den letzten hundert Jahren, warum sollte es auch? Es macht gerade den Reiz von Paris aus, jene Lokalitäten aus Hemingways Feder echt und unverfälscht bis auf den heutigen Tag an ihrem angestammten Platz anzutreffen. Es scheint fast so, als wären sie für die Ewigkeit gedacht. 

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Im Café de Flore ist richtig, wer eine gute Süßspeise und einen starken Kaffee möchte. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Das Café de Flore befindet sich am Boulevard Saint-Germain 172, genau gegenüber von der Brasserie Lipp. Das Flore, 1887 gegründet, ist eines der ältesten Pariser Kaffeehäuser. Es ist ein Künstler-Café in reinster Form, mit braunem Jugendstil-Mobiliar und Fin de Siècle-Deckenleuchtern. Die Kellner tragen weiße Schürzen und schwarze Westen, dazu eine dunkle Fliege.

Jeder Künstler, der etwas auf sich hält, ist hier gewesen. Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre, Jean Cocteau, Boris Vian und Romain Gary. Ernest Hemingway klebt in einer Vitrine am Aufgang zum oberen Stockwerk. Neben einem Foto der Schauspielerin Simone Signoret. Die Liste der berühmten Gäste ist unendlich lang. Der Mann aus Chicago ist da gewesen, natürlich, aber sein Favorit ist das wuselige Café de Flore nicht gewesen.

Im Les Deux Magots, direkt neben dem Café de Flore, treffen sich besonders die fortschrittlichen Schriftsteller und Künstler des 20. Jahrhunderts. Die zwei Händler bedeutet das 1873 eröffnete Lokal übersetzt, im Inneren erinnern daran die chinesische Holz-Skulpturen zweier Händler aus Übersee. Die köstlichen Güter und Gewürze aus Asien und Afrika sorgten für das Wohlergehen der ehemaligen Kolonialmacht.

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Neben dem Flore findet sich das feine Les Deux Magots. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Das Les Deux Magots ist eine elegante Mischung aus Kantine, Büro und Treffpunkt gewesen für die innovativen Intellektuellen der Stadt. Surrealisten und Dadaisten geben sich die Klinke in die Hand, später sieht man die Existentialisten häufig. Avant la lettre, seiner Zeit voraus, im Les Deux Magots werden neue Stilformen und Ansätze entworfen, diskutiert und wieder verworfen.

Und Ernest aus Chicago mitten drin. Dieses Entwickeln und Entstehen andersartiger Kunstformen in Paris prägen seine Schreibweise, eine neue Satzmelodie und ein neuer Sprachrhythmus werden durch Hemingway in die Literatur eingeführt. Der erste große Roman des US-Amerikaners – The Sun Also Rises von 1926 – wird teils an einem der Tische in der oberen Etage des Les Deux Magots zu Papier gebracht.

Welch ein magisches Dreieck! Lipp, Flore, Deux Magots. Man kann auf der Welt lange suchen, um eine

Ernest Hemingway in Paris – Ein Wahnsinn namens Leben

Das Le Pré aux Clercs, schräg gegenüber von ihrem Hotel, wird zur Küche und zum Esszimmer der Hemingways. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

In der Rue Bonaparte, direkt an der Ecke vom Hôtel Jacob et d’Angleterre entdecken Ernest und Hadley ein neues Lieblingsrestaurant. Das Paradies der Hemingways ist erschwinglich: Im Le Pré aux Clercs bekommt das Ehepaar ein Abendessen für 12 Francs und eine Flasche guten Pinard-Wein für nur 60 Centimes. Hadley entpuppt sich als Naschkatze, die das französische Gebäck und den köstlichen Kuchen nur so verschlingt.

Auch Ernest wirkt, als sei er in den siebten Himmel aufgestiegen. Für einen jungen Mann, der dieser nüchternen Enge des amerikanischen Mittelwestens entflohen ist, gleicht das Paris der 1920er Jahre in der Tat einem Himmelreich. Der Journalist begegnet in der Stadt an der Seine anregenden Frauen und Männern, er steht direkt neben der Wiege neuartiger Ideen und kühner Anschauungen in Literatur, Musik und Malerei.

Mit dem Surrealismus, dem Dadaismus und dem Kubismus versuchen die Künstler jener Tage in Paris, althergebrachte Wege zu verlassen. Bei der Familie Hemingway in Oak Park, einem Vorort von Chicago, wird die traditionelle Kultur geschätzt, der Vater ist Arzt, die Mutter Opernsängerin. Es herrschen zudem die rigiden Vorgaben einer calvinistischen Freudlosigkeit. Strebsamkeit, Arbeitseifer und ein tiefer Gottesglaube prägen das strenge Elternhaus.

In Frankreich wird der junge Hemingway in einen Kontrastkosmos hinein geschleudert. Schon nach den ersten Tagen in Saint-Germain-des-Prés verwandelt sich Ernest in einen Bonvivant, er genießt die angenehmen Seiten seines Lebens als Reporter und Mann. Während in der Heimat Wirtschaftskrisen, Mafia und Prohibition die gute Laune verderben, hocken die aus dem Land Vertriebenen im Café de Flore vor einem café noir und palavern.

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Im Café de Flore am Boulevard Saint-Germain finden Genießer ihr Paradies. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Paris, es ist ganz und gar seine Stadt. Weil sie seinen intellektuellen und emotionalen Horizont erweitert und auch weil die Stadt jene dunklen Winkel des Lebens ausleuchtet, die in der biederen Welt der Hauskonzerte und Kirchgänge im heimatlichen Illinois nicht vorkommen. Gerade das Verbotene und das bisher Ausgegrenzte locken den jungen Mann.

Solch ein freizügiges Denken und das offene Experimentieren mit neuen Lebensformen kennt Ernest aus seiner Heimat nicht, ein neuer Horizont an Selbstverwirklichung und Lebensfreude eröffnet sich ihm in Paris. Gerade auch in Sachen Sexualität. Das Spektrum erweitert sich in der französischen Metropole. Hetero, homo, bi, in allen Ausprägungen und Zwischenstufen, offen und freizügig.

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Als Clarence Hemingway 1923 das Debüt seines Sohnes – Three Stories & Ten Poems – durchgelesen hat, schickt er das Buch erbost zurück nach Paris.

Die braven Eltern, die seinen Erzählungen lauschen, fallen vor Schreck vom Stuhl. Der junge Hemingway erzählt von Saufgelagen und Müßiggang, von Lesben und freier Liebe, extremely shocking. Für die bigotten Mittelstandsbürger vom Michigan See muss Paris wie das nachtschwarze Hinterzimmer einer Opiumhöhle erscheinen. Ernest amüsiert sich köstlich.

Der junge Mann, in der Schlafmützigkeit der dörflichen Vorstadt aufgewachsen, genießt die Aufbruchstimmung in den Pariser Künstlerkreisen. Der kernige Bursche birst vor Tatendrang, er tritt hungrig und viril auf, er saugt das Unbekannte nur so auf. Als Schreiber beflügeln ihn die neuen Ideen und Anregungen, die er bei den Kollegen und Freunden kennenlernt. Persönlich und als Ehemann jedoch ist der 22-Jährige in dieser ausgelassenen Welt überfordert.

Denn in Paris sieht sich der junge Hemingway einem breiten Panorama sexueller Verlockungen ausgesetzt. Er zieht Frauen an und Frauen ziehen ihn an. Er spielt mit den Reizen, fühlt sich zu lesbischen und bisexuellen Frauen hingezogen. Zu Sylvia Beach, der Buchhändlerin, zu seiner Mentorin Gertrude Stein, die mit ihrer Gefährtin Alice Toklas in der Rue de Fleurus lebt, auch Virginia Pfeiffer, Paulines Schwester, ist lesbisch.

Das alles ist neu und spannend für ihn, er scheint wie aufgedreht. Seine Ehefrau wirkt

Ernest Hemingway in Paris: Ankunft im Hôtel Jacob et d’Angleterre

Das Hotel d’Angleterre befindet sich in der quirligen Rue Jacob, im Stadtteil Saint-Germain-des-Prés. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Am 21. Dezember 1921 erreichen Ernest Hemingway und Hadley Richardson auf dem französischen Atlantikdampfer Leopoldina die europäische Küste. Nach zwei Wochen auf See, sie kommen aus Hoboken bei New York, freuen sie sich auf neue Herausforderungen. In Cherbourg nimmt das Ehepaar den Nachtzug nach Paris. Wenige Monate zuvor, Anfang September, haben der 22-jährige Ernest und die acht Jahre ältere Elizabeth Hadley Richardson in Horton Bay, in Michigan, im Familienkreis geheiratet.

Das junge Paar plant, sich für längere Zeit in Paris niederzulassen. Am liebsten gleich für mehrere Jahre. Zunächst steigen sie im Hôtel Jacob et d’Angleterre in der Rue Jacob 44 ab, im Stadtteil Saint-Germain-des-Prés. Der Kollege Sherwood Anderson, er ist Monate zuvor hier Gast gewesen, hat es den Hemingways empfohlen. Knapp drei Wochen werden die Hemingways im Hotel bleiben, in dem Zimmer auf der 2. Etage mit der Nummer 14.

Ihre Unterkunft in Paris, im späten 18. Jahrhundert erbaut, ist ein kleines Hotel an rive gauche, dem linken Ufer südlich der Seine. Früher ist in dem Gebäude die britische Botschaft untergebracht gewesen, daher der Name. Das Hotel d’Angleterre, wie das Gasthaus heute verkürzt heißt, befindet sich ganz in Nähe der belebten Boulevards und der bekannten Sehenswürdigkeiten.

Tritt man aus dem Torbogen des Hotels auf die Rue Jacob, so wird man sogleich in die Lebensfreude der französischen Hauptstadt geworfen. Ernest Hemingway hat es nur 250 Meter bis zu den bekannten Restaurants und Bistros am Boulevard Saint-Germain. Im Les Deux Magots oder in der Brasserie Lipp wird der Amerikaner vom Michigan See stundenlang an einem der kleinen Tische sitzen, das rege Treiben beobachten, und er wird schreiben.

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Der Patio des Hotels d’Angleterre. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Heute ist das Hotel d’Angleterre ein kleines Privathotel mit drei Sternen. Die 26 Zimmer und Suiten gehen entweder zur Strasse oder zum grün bepflanzten Patio hin. Es sind keine Standardzimmer wie im Gewerbe heutzutage üblich, sondern Zimmer mit Charme und Persönlichkeit. Mit Marmorbädern und Himmelbetten, mit Holzböden und hohen Decken, mit offenen Kaminen und Kronleuchtern im Stile von Louis XV.

Künstler und Prominente haben im Hôtel Jacob et d’Angleterre genächtigt. Benjamin Franklin, der die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten mit formulierte, die Schriftstellerin Djuna Barnes war hier, Charles Lindbergh hat in diesem Hotel übernachtet, im Mai 1927 nach seiner Atlantiküberquerung von New York nach Paris.

Eine Glasvitrine in der Lobby neben der Rezeption erinnert an den berühmtesten Besucher. Den Charme alter Tage hat das Hotel d’Angleterre glücklicherweise bewahren können. Hemingways Unterkunft liegt im Herzen von Paris. Man durchquert das Künstlerviertel mit den Galerien und Akademien, geht weiter über die Seine zum Louvre. Das D’Angleterre ist kein schlechter Ort, in Paris anzukommen. Nicht nur für Ernest Hemingway.

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Eine Glasvitrine in der Lobby des Hotels erinnert an die illustren Gäste. Ernest Hemingway vorne dran. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Der 22-Jährige aus gutem Haus ist unbedarft und weiß noch nicht viel vom Leben, er wird aber aufgewühlt vom Abenteuerdurst und der Lust nach dem Neuen. Vom ersten Moment an empfindet Ernest eine tiefe Verbundenheit mit seiner Wahlheimat – und zugleich eine große Dankbarkeit. Er wird den Protagonisten seines ersten großen Romans – The Sun Also Rises aus dem Jahr 1926 – in Anlehnung an den Hotelnamen Jacob nennen, Jacob Barnes, Spitzname Jake.

Als Korrespondent der kanadischen Tageszeitung Toronto Star kommt der junge Ernest Hemingway nach Übersee, mit dem Auftrag, sich in Europa umzuschauen. Die Alte Welt ist in jenen Jahren ein Kontinent im Umbruch, mit Ländern, die nach dem schlimmen Ersten Weltkrieg durchgerüttelt werden von politischen Konflikten und sozialen Erschütterungen.

Frisch verliebt und voller Träume leben Ernest und Hadley von wenig Geld in der Hauptstadt Frankreichs. Als freier Korrespondent verdient er nicht gerade üppig, die Erträge einer kleinen Erbschaft von ihr lassen sie jedoch unbeschwert leben. Das Liebespaar verbringt sorglose Monate in der so quirligen Metropole an der Seine, sie sind arm, aber glücklich, wie Ernest in seinen Erinnerungen ein wenig dick aufträgt.

In der Stadt des Lichtes finden amerikanische Intellektuelle den Glanz und Glamour, jenen joie de vivre, den sie in der heimatlichen Tristesse aus Wirtschaftsdepression und Prohibition so schrecklich vermissen. Ernest Hemingway und Paris – es

Noch mehr Leserstimmen zu ‚Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru‘

Wolfgang Stock: Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru. BoD über amazon.de

Ich bin Ihnen sehr dankbar für dieses Buch  – hauptsächlich deswegen,  weil  es Ihnen gelungen ist,  darzustellen,  was  für ein Mensch  Ernesto wirklich war. Ich glaube,  dass ich aufgrund Ihrer Schilderungen und  Ihrer Ausführungen ganz  gut in Ernesto hineinschauen konnte. Mit anderen Worten: Ernesto ist jetzt  für mich verdammt lebendig geworden. 
Hubert M. Wenz-Géronne 

Ein Superbuch. Ich bin sehr sehr beeindruckt von Ihrem Buch. Das kann ich als Hemingway-Fan nur wärmstens weiterempfehlen! Absolut einzigartig!!!
Marcus Stellwag

Als Hemingway Fan seit meinem 14. Lebensjahr bin ich durch eine Lesung von Wolfgang Stock in der Buchhandlung „Lesezeit“ in Düsseldorf auf „Cabo Blanco“ gestoßen. Habe das Buch mit großem Interesse gelesen. Besonders gut fand ich als Psychologin das Einfühlungsvermögen in seine komplizierte Seele. 
Dr. Susanne Altweger

Der Mann, der die Sonne umarmen will

Die US-amerikanische Erstausgabe von The Sun Also Rises.

Im Winterurlaub in Schruns legt Ernest Hemingway letzte Hand an sein Erstlingswerk. Er hat mit dem Roman über eine Spanien-Reise Ende Juli 1925 in Valencia begonnen und ihn im September in Paris fertiggestellt. Im April 1926 endlich lässt er das Manuskript seinem Lektor Max Perkins in New York zukommen.

Das Werk erscheint in den USA bei Scribner’s im Oktober 1926 unter dem Titel The Sun Also Rises, ein Jahr später wird der Londoner Verlag Jonathan Cape das Werk unter dem Titel Fiesta publizieren. Mit einem Mal ist der 27-jährige Mann aus Chicago eine Größe bei Leser und Kritik.

Ab Mitte der 1920er Jahre ist Ernest Hemingway nicht nur ein wirklich guter Schreiber mit eigenem Stil, sondern darüber hinaus auch ein sprachlicher Erneuerer. Seine Art zu schreiben, ist unverbraucht, seine Sätze klingen frisch und freiheraus. Während andere zeitgenössische Autoren weiterhin eine gespreizte Stilistik pflegen, kommt dieser Ernest Hemingway geradlinig zur Sache. Auch seine Themen scheinen nicht gedrechselt, sondern wie ein entstaubtes Abbild der konfusen Nachkriegswelt mit ihren geplatzten Träumen.

Ernest Hemingway klingt wie ein Revolutionär, wie der erste, der einer neuen Generation eine neue Sprache gibt. Seine Herangehensweise ist eine Mischung aus Realismus und Neugier, der Blick geht endlich wieder über den Tellerrand. Nach Weltkrieg und Wirtschaftskrisen ist man des Eiapopeias der Väter und Großväter überdrüssig. Ein neues Zeitalter wird eingeläutet. Die Blümchen-Prosa des Charles Dickens und seiner Adepten sieht mit einem Schlag arg alt aus.

Hemingways Schreibstil ist in der Tat wegweisend: Kühl reiht der Amerikaner Beobachtung an Beobachtung und Dialog an Dialog. Die Lakonik der Beschreibung und die Dürre der Dialoge erzeugen einen geschickten Spannungsbogen in den Subtext. Die Aneinanderreihung kurzer Aussagesätze wird typisch für viele Autoren der Lost Generation. Sie bauen Dialoge, die von sprachlicher Kargheit geprägt sind, denn die enttäuschten Romanfiguren breiten ihre Gefühle nur ungern aus. Man ahnt jedoch Schlimmes.

The Sun Also Rises hat Ernest Hemingway seinen ersten Roman überschrieben, merkwürdigerweise spielt er damit auf eine Bibelstelle an. Oritur sol et occidit et ad locum suum revertitur ibique renascens. Im Alten Testament wird Kohelet – die Lutherbibel führt es unter dem Titel Der Prediger Salomo – als Buch der Weisheit betrachtet. Die Sonne geht auf und geht unter und läuft an ihren Ort, dass sie wieder daselbst aufgehe, steht in Prediger Salomo, Kapitel 1, Vers 5. 

Die Sonne geht auf und wandert nach dem Tag an den Platz ihres Wiederaufstiegs. So lautet das Regelwerk unseres Kosmos. Die Sonne wird bleiben, und

Ernest Hemingway und die Deutschen – ein kompliziertes Ding

Ernest Hemingway, Skulptur von Robert Berks,
Hemingway Memorial, Ketchum. Foto: W. Stock, 2018.

Bei einer Umfrage des Meinungsforschungs-Instituts Allensbach aus dem Jahr 1987 sind die Deutschen gefragt worden, wer die zwei bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts seien. Die Antwort ist eindeutig ausgefallen: Thomas Mann und Ernest Hemingway. Es gibt sie, die Verehrung und die Zuneigung der Deutschen zu dem bärtigen Autor, der auf dem Dorffriedhof von Ketchum in Idaho begraben liegt.

Der US-Amerikaner aus Chicago und das Land der Teutonen – es ist beileibe keine einfache Beziehung. Eine Liebe auf den ersten Blick, wie bei Italien und Spanien, das ist es schon gar nicht. Ein Kreativitäts-Turbo wie das Flair von Paris, das ist Deutschland auch nicht gewesen. Von einem Wohlfühl-Ambiente wie auf Kuba, keine Spur. Zugleich ist da allerdings auch kein Hass und keine Verachtung gewesen, wie manche uns weismachen wollen. 

Vielmehr ist es ein ziemlich kompliziertes Ding. Doch diese Vielschichtigkeit macht neugierig, der Sache auf den Grund zu gehen. Schauen wir uns die Sache von seiner Seite an. Im Ersten Weltkrieg wird er schwer verwundet, getroffen von österreichischen Granatsplittern, Österreich und Deutschland sind die Gegner der entente cordiale. Im Zweiten Weltkrieg sieht er die Gräuel der Wehrmacht an der Front im Hürtgenwald bei Aachen. Auch persönlich setzten die Deutschen dem US-Schriftsteller heftig zu. Sein Sohn Jack wird von den Deutschen als Kriegsgefangener inhaftiert. Alles keine gute Basis für überbordende Sympathie.

Umso merkwürdiger: Drei seiner vier Ehefrauen haben deutsche Vorfahren. Pauline Pfeiffer, Martha Gellhorn, Mary Welsh. Die Nachnamen verraten es. Die Großeltern von Marys Mutter Adeline Beehler stammen aus dem Badischen. Auch gehören einige Deutsche zu seinem engen Freundeskreis. Marlene Dietrich beispielsweise. Oder der Dresdener Peter Viertel, ein Drehbuchautor, der in Los Angeles lebt.

Er selbst kann ein paar Brocken Deutsch, nichts weltbewegendes, am liebsten Schimpfwörter wie Schweinehund. Er hat sie bei seinen mehrmonatigen Winteraufenthalten im österreichischen Schruns aufgeschnappt. Genau 291 deutsche Wörter und Begriffe findet man in Hemingways Werk, ein akribischer Kopf hat nachgezählt. In allen Büchern – mit Ausnahme In einem andern Land – kommen Deutsche als Personen oder als Begrifflichkeit vor.

In seinen vollen Bücherwänden auf Finca Vigía findet man zahlreiche Werke deutschsprachiger Autoren. Thomas Mann, Heinz Helfgen, Joachim Ringelnatz, Rainer Maria Rilke, Erich Maria Remarque, Arnold Zweig, Ludwig Renn, Gregor von Rezzori, B. Traven, Kurt Tucholsky, Stefan Zweig. Was er davon gelesen hat? Schwer zu sagen. Aber er ist Nicht-Akademiker, er muss sich sein Wissen hart erarbeiten.

Mit Rainer Maria Rilke geht er in Die Grünen Hügel Afrikas hart ins Gericht: Ich habe keine Geduld für so etwas. Er ist mir zu versnobt. Na ja, ein hartes Urteil, aber so ganz unrecht hat er nicht. Andererseits, Joachim Ringelnatz findet er grandios. Es zeigt: Für ihn gibt es solche und solche. Nicht nur in der Literatur. In allen Sparten, auf jeder Seite, in allen Ländern.

Ernest Hemingway schert nicht alle und alles über einen Kamm. Nicht nur schwarz oder weiß. Eher schwarz und weiß. Doch der Nobelpreisträger von 1954 versteht auch die Zwischentöne. Er vermag, abwägend zu urteilen. Viele Deutsche sind für Hitler. Doch viele kämpfen auch gegen ihn. Er weiß es aus persönlicher Erfahrung. Manche seiner Freunde machen ihn darauf aufmerksam.

Am 22. Juni 1938 fliegt Ernest Hemingway von seinem Wohnort Key West nach New York, um sich den bedeutenden Kampf von Joe Louis gegen Max Schmeling im Yankee Stadium anzusehen. Der Schriftsteller mag

Ernest Hemingway – ein toxischer Autor?

Ein lockerer Ernest Hemingway mit einem befreundeten Ehepaar in einer einfachen Cantina auf Kuba. Foto: Archiv Dr. Stock.

Er passe einfach nicht mehr in unsere Zeit. Ein Macho, ein Frauenfeind, ein Tierquäler, ein Alkoholiker – alles in allem ein toxischer Mann, wie mir in diesen Tagen zugerufen wird. Nicht viel besser sei sein Werk. Stiere, die zum Vergnügen blutig abgeschlachtet werden, Antilopen, die er auf Safaris erlegt, Fische, die nach langem Kampf an den Haken kommen. Je größer die Beute, desto besser. Kurz: Geschichten von gestern und ein Sprücheklopfer von vorgestern.

Kein Zweifel: Ernest Hemingway ist ein Mann mit, nun ja, Stärken und Schwächen. Doch wer will den ersten Stein werfen? Menschen machen Fehler und Fehler machen Menschen. Man kann sich auf seine dunkle Seite kaprizieren, vergißt darüber aber die helle Seite. Beispielsweise seine Generosität, das Fehlen jeden Dünkels, seine Umgänglichkeit, seine Offenheit zu Menschen.

Möglicherweise tragen seine Schwächen sogar zu seiner Popularität bei. Er legt keinen Wert darauf, ein Schriftsteller mit Glorienschein zu sein, wie so mancher Kollege. Er macht kein Geheimnis daraus, ein Kerl mit Fehlern und Fehltritten zu sein, ein Mann mit Ecken und Kanten ohnehin. Also ein Mensch wie du und ich. Ein nahbarer Zeitgenosse, keiner wie Thomas Mann, wo man sich nicht trauen würde, ihn in Lübeck auf der Strasse anzusprechen.

Ernest Hemingway mag das Leben und er kostet es aus. Er reist gerne in die Ferne, voller Neugier und Entdeckerfreude, er hört den Frauen und Männern in der Fremde zu. Seine Unvollkommenheit erweist sich hierbei als seine Stärke, denn sie öffnet ihm die Welt. Und die Menschen öffnen sich ihm. Kurz gesprochen: Dieser Hemingway ist einer von uns.

In seinen Erzählungen wimmelt es von Stieren, Soldaten und Partisanen, von Safari-Beute und von zynischen Schmugglern. Oft geht es um Schlachten und um Bürgerkriege. Doch dieser Ernest Hemingway will mehr als nur eine blutige Geschichte erzählen. Letztlich geht es ihm vor allem um Liebe und Würde. Seine Erzählungen kommen tief aus dem Inneren, wollen vor allem eine Frage des Lebens entschlüsseln.

Der Mann aus Chicago verzichtet weitgehend auf kunstvolle Allegorien und Metaphern, sein Werk ist dafür voll von Chiffren – von Naturbildern überwiegend. Diese nüchterne Sprache und die lakonischen Darstellungen sind einfach zu entschlüsseln, weil sie sich innerhalb unserer Welt bewegen, und nicht dem Kosmos der Gebildeten vorbehalten bleiben. Es sind die Bilder, die sich seither in der Literatur eingeprägt haben.

Es ist eine zeitgemäße Version der Welt von Homer, Cervantes oder Goethe.  Schiffe auf dem Meer, Windmühlen, gegen die man anreitet, ein Mensch, der im sonnigen Süden sein Seelenheil sucht. Ernest Hemingway kennt die alten Klassiker, ebenso wie die Bibel. Übrigens, ein Monumentalwerk, voll mit hochbrutalen Ereignissen. Dennoch, richtig gelesen, ein Appell zur Lauterkeit und zum Gottesglaube. Wenn man allerdings schief in die Welt schaut, dann kommt einem auch die Bibel toxisch daher, und auch die Verse der Ilias, der Don Quijote oder Goethes Faust

Dieser Kerl, der zwei Jahrzehnte auf Kuba leben durfte, hat wenig ausgelassen im Leben. Er hat Lasterhaftes und Liederliches nicht ausgespart, aber er hat auch Außergewöhnliches und Bemerkenswertes geleistet. Vielleicht ist ein wahres Leben ohne Irrtümer und Verfehlungen nicht angelegt, vielleicht ist der Mensch zu unvollkommen dafür. Eine Welt der reinen Tugendhaftigkeit wäre ein Horror, das Lernen aus Fehlern und das Streben nach dem Besseren wären schmerzlich vermisst.

Wer Fehler ausgrenzt, der grenzt auch Menschen aus. Viele werden nicht übrig bleiben, wenn nur die Tugendhaften zurückbleiben. In einer Welt ohne Fehler wäre, nebenbei bemerkt, die Literatur überflüssig, ebenso wie die Religion und eine vernünftige Edukation. Und auch Freiheit bedürfte einer neuen Auslegung, denn

Welche Frau war die beste Mrs. Hemingway?

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Vor genau 100 Jahren: Ernest Hemingway fährt mit dem Orient-Express in die Türkei

Irgendwie erscheint Ernest Hemingway verloren in dieser ihm unbekannten Welt. Istanbul, das damals Konstantinopel hieß. Foto: W. Stock, Februar 2020

Im Gare de Lyon besteigt Ernest Hemingway am Abend des 25. September 1922 den Orient-Express, einen Luxus-Zug aus Schlaf- und Speisewagen, der seit 1883 Paris mit Konstantinopel verbindet. In Europa wird mehr gereist, komfortable Verbindungen ohne lästiges Umsteigen werden von der anspruchsvollen Kundschaft verlangt. Gerade der Orient-Express steht für diesen hochwertigen Fortschritt in der abendländischen Zivilisation.

Nach dem Ersten Weltkrieg fährt der Simplon-Orient-Express täglich die neue südliche Route über Lausanne, durch den Simplon-Tunnel von der Schweiz nach Italien, dann Mailand, Venedig, Triest nach Zagreb, Belgrad, Sofia bis nach Konstantinopel. Die türkische Metropole am Goldenen Horn ist das Tor zum Orient, das nach der Revolution des Kemal Atatürk bis heute Istanbul heißt. 

Als Reporter des Toronto Daily Star soll Ernest Hemingway für seine Zeitung Artikel über die Friedensverhandlungen zwischen Türken und Griechen schreiben. Mit den Friedensverhandlungen läuft es gut, mit dem Schreiben weniger. Der US-Autor bleibt lange in seinem Hotelzimmer, er ist erkrankt, und er nimmt nur wenige Pressetermine wahr. Er vermisst seine Ehefrau Hadley, die in Paris geblieben ist.

Der amerikanische Korrespondent für den Toronto Daily Star schreibt in der Metropole am Bosporus wenig. Zwei Artikel in den ersten zehn Tagen, das ist erstaunlich schwach für Ernest Hemingway. Die Artikel für die kanadische Tageszeitung bilden eigentlich keine große Herausforderung für ihn, er speist sie überwiegend aus den westlichen Quellen vor Ort.

Doch die Widrigkeiten in der Grenzlage zwischen Morgen- und Abendland werden zu einer unerwarteten Herausforderung für den Amerikaner. Gesundheitlich geht es ihm von Tag zu Tag schlechter. Mit hohem Fieber lässt er sich

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