Ernest Hemingway merkt, die Sanduhr seines Lebens rieselt Korn für Korn herab. Im September 1955 hat er sein Testament geschrieben, in enger Handschrift, mit blauer Tinte, beidseitig auf einem Blatt Papier in der Finca Vigía. Dieser Hemingway ist – allem Lautsprechen zum Trotz – tief im Innern eine empfindsame und verletzliche Seele. Je mehr sein Ruhm wächst, desto einsamer wird er. Innen, innen drin.
Und das größte Unglück ist, dass ihm das Schreiben schwerfällt. Das Blatt vor ihm bleibt lange weiß. Vielleicht hat er sich ja leer geschrieben, so wie ein guter Füller einmal keine Tinte mehr hat. Möglicherweise hat er ja auch alles geschrieben, was zu schreiben ist: über den Spanischen Bürgerkrieg, über den Stierkampf, über sein Kuba, über die Frauen und den Suff, über die grünen Hügel Afrikas, über Venedig, über die Krauts, und, über das Sterben. Vielleicht sind da aber doch noch genügend Sätze und Geschichten in ihm drin, und er kann sie nur nicht herauslassen. Wie auch immer. Es will einfach nicht mehr kommen.
Früher, da schleppte er einen Koffer voller Ideen und Geschichten mit sich herum. Früher. Aber heute, da muss er feststellen, der Koffer ist leer. Und wieder landete er in kompletter Leere. Er war unfähig, den Satz hinzuschreiben, der folgen sollte, obwohl er ihn kannte. Erneut schrieb er einen einfachen Aussagesatz, und es war ihm unmöglich, den nächsten Satz aufs Papier zu bringen. Er machte vier Stunden so weiter, bevor er erkannte, dass Entschlossenheit machtlos war gegen das, was hier passierte.
Verdammt noch mal, alter Knabe, es wird ernst. Ziemlich ernst. Oft kommen ihm nun die Gedanken an das Ende. Eine ganze Weile lang dachte er an all die schönen Plätze, wo er gern begraben sein würde, und er überlegte, von welchem Stück Erde er gern ein Teil geworden wäre.
Es ist, es war ein großartiges Leben. Viel Leben für die Jahre. Was hat er nicht alles gesehen? Er hat Orte besucht, die unsterblich sind. La Bodeguita, die Laconda Cipriani, das Ritz, Andalusien, alles bunt und für die Ewigkeit. Und was hat er nicht alles erlebt? Er hat diesem Dreckskerl Francisco Franco eins ausgewischt, er hat die Deutschen aus Paris vertrieben und den Diktator Batista der Lächerlichkeit preisgegeben.
Nun geht es ihm schlecht. Sein Kopf ist leer vom Whiskey und den vielen Jahren. Der große Ernest Hemingway, machen wir uns nichts vor, lebt und kann nicht mehr schreiben. Jedoch, er hat mehr geschrieben als ein Mensch zu schreiben im Stande ist. Er hat mehr gesehen als jeder andere Mann und er hat seine Zeit gelebt, wie ein König.
Er hat so gut geschrieben, dass die Menschen ihn für eine seiner Romanfiguren halten. Ja, denn er hat nicht zuletzt über sich geschrieben. Er ist zu seinem Held geworden. Seine Helden messen sich am Leben, sie lehnen sich auf, sie geben sich nicht klaglos dem Schicksal anheim. Das Leben ist Kampf. Der Kampf um ein Zipfelchen Glück. So tickt er, so ticken seine Helden. Bis zum Umfallen.
Helden, allerdings, die nicht aufgeben und kämpfen. Und – manchmal – siegen. Aber es funktioniert nicht. Winner Take Nothing. Denn der beste Kämpfer steht am Ende doch als Verlierer da, weil irgendeine Kraft stärker ist als alle Helden.
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