Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Autor: Wolfgang Stock Seite 4 von 59

Der erste Rotationsroman in Deutschland? Ernest Hemingway!

In einem andern Land. Übersetzt von Annemarie Horschitz-Horst. Der Rotationsroman erscheint bei Rowohlt im Dezember 1946. Archiv Dr. Stock.

In the late summer of that year we lived in a house in a village that looked across the river and the plain to the mountains. So beginnt Ernest Hemingways grandioser Roman A Farewell to Arms, der 1929 bei Scribner’s in New York erscheint. In einem andern Land, so lautet die deutsche Fassung des Buches.  Im Spätsommer jenes Jahres lebten wir in einem Haus in einem Dorf mit Blick über den Fluss und die Ebene zu den Bergen.

Das Buch beginnt mit der Liebesgeschichte zwischen dem amerikanischen Sanitätsoffizier Frederic Henry und der englischen Krankenschwester Catherine Barkley. In dem Werk verarbeitet Hemingway seine Erlebnisse an der Front des Ersten Weltkriegs, wo er als 18-jährige Sanitätsfahrer bei Fossalta di Piave schlimm verwundet worden ist. Dieser Anti-Kriegsroman ist in seiner Herangehensweise nicht so drastisch wie beispielsweise Erich Maria Remarques zeitgleich veröffentlichtes Im Westen nichts Neues.

Hemingways Annäherung ist vielmehr ein subtiles Anpirschen, das düstere Fatum hängt über der ganzen Geschichte, man spürt mit jedem Kapitel, es wird nicht gut ausgehen. Das Resümee des Amerikaners ist klar und deutlich. The world breaks every one and afterward many are strong at the broken places. But those that will not break it kills. It kills the very good and the very gentle and the very brave impartially.

Dieser Krieg, der von 1914 bis 1918 gedauert hat, ist schrecklich gewesen, denn er vernichtet. Die Welt zerbricht jeden, und nachher sind viele stark an den zerbrochenen Orten. Doch diejenigen, die nicht zerbrechen wollen, die werden getötet. Und es trifft immer die Besten und die Sanftmütigsten und die Tapfersten, ohne Unterschied. 

So etwas gefällt den Nazis nicht. Im nationalsozialistischen Deutschland werden die Bücher von Ernest Hemingway verboten. Das Machwerk sei Wehrkraft-zersetzend, urteilten die braunen Zensoren, womit man ihnen recht geben muss. Bei der Bücherverbrennung im Mai 1933 wird In einem andern Land, dieser zweite große Roman des US-Amerikaners, von aufgeputschten Studenten in die Flammen geworfen.

Ernest Hemingway findet zwischen 1933 und 1945 in Deutschland nicht statt. Die Fronten sind klar. Die Nazis mögen ihn nicht, er mag die Nazis nicht. Doch der braune Spuk währt nicht ewig. Im Mai 1945 liegt die Nazi-Diktatur  – und mit ihr Deutschland – in Trümmern. Der Schriftsteller lebt auf Kuba, weit weg von der Apokalypse. Doch wie geht es weiter mit Ernest Hemingway in Deutschland?

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Die Rowohlt-Fassung beginnt mit einem Zitat von Christopher Marlowe. Dieses fehlt in der US-Originalausgabe, vermag jedoch die Titeländerung zu erklären.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg gründet die Familie Rowohlt, das traditionelle Verlagshaus des Ernest Hemingway, ihr Unternehmen neu. In Stuttgart erhält Heinrich Maria Ledig, der älteste Sohn von Ernst Rowohlt, Anfang 1946 von den Amerikanern eine Verlagslizenz. Im März 1946 bekommt auch Vater Ernst Rowohlt von den Briten in Hamburg eine Lizenz für eine Verlags-Neugründung.

Wegen des Mangels an Buchpapier druckt der Verlag von 1946 bis 1949 die ersten Romane im großen Zeitungsformat auf einer Rotationsmaschine. Im Dezember 1946 erscheinen bei Rowohlt die ersten

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Charles Bukowski: Und dann kam Hemingway daher

Charles Bukowski, Ham on Rye. 1982

And then along came Hemingway. What a thrill! He knew how to lay down a line. It was a joy. Words weren’t dull, words were things that could make your mind hum. If you read them and let yourself feel the magic, you could live without pain, with hope, no matter what happened to you.

Charles Bukowski, Ham on Rye

Und dann kam Hemingway daher. Was für ein Nervenkitzel! Er wusste, wie man eine Zeile festzurrt. Es war eine Freude. Wörter waren nicht stumpf, Wörter waren Dinge, die deinen Verstand ins Brummen bringen konnten. Wenn du sie liest und dich in die Magie fallen lässt, kannst du ohne Schmerzen leben, mit Hoffnung, egal was mit dir passiert ist.

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Tänzeln um den Tod – Ernest Hemingway begreift den Stierkampf

Mit Fiesta – im Original heißt der Titel The Sun Also Rises – dringt der Amerikaner Ernest Hemingway 1926 tief in die spanische Tradition ein.

Der Stierkampf ist ein blutiges Schauspiel auf Leben und Tod. Der schwarze Riesenbulle gegen den kleinen bunten Torero. Im antiken Drama kommt der Tod im dunklen Gewand, im Stierkampf preschen 600 Kilo auf vier Beinen auf den Menschen zu. Ein ungleicher Kampf. Doch der Matador wehrt sich, er spielt mit dem Stier, was bleibt ihm übrig, denn er will den Kopf aus der Schlinge ziehen.

Sie sah, wie Romero jede schroffe Bewegung vermied und die Stiere für den letzten Augenblick schonte, wo er sie nicht erschöpft und gereizt haben wollte, sondern auf sanfte Weise ermüdet. Nun bleibt die Frage, wer auf sanfte Weise ermüdet wird. Doch der Stierkampf lebt eh von der Verkehrung des Sachverhaltes.

In seinem Erstling Fiesta – als scharfer und kluger Beobachter der Sanfermines – beschreibt der US-Amerikaner Ernest Hemingway das Spektakel in Pamplona. Zum ersten Mal hat der junge Autor im Jahr 1923 den Encierro und die anschließenden Stierkämpfe besucht. Und er wird insgesamt zehn Mal kommen, im Juli nach Pamplona. Der Mann aus Chicago begreift dieses Großereignis, das seit dem 16. Jahrhundert alljährlich aufgeführt wird, gleichermaßen in seiner weltlichen wie religiösen Tragweite.

Von Anfang an dringt Hemingway tiefgründig in die spanische Seele ein. Gerade über die Corrida de Toros. In Spanien wundern sich viele, wie profund ein Ausländer sich einfühlen kann in ihre Tradition. Zudem ein Amerikaner! Gerade Ernests Schilderungen von den Plazas de Toros und aus der Welt des Stierkampfes tragen gründlich zur Popularität des Amerikaners in Spanien bei.

Am Rande merkt Ernest Hemingway in Fiesta an, dass es für den Begriff Stierkampf oder Bullfight keine direkte Entsprechung in der spanischen Sprache gibt. Eine Corrida de Toros – der Auflauf der Stiere – zielt in eine andere Richtung, ebenso wie der Terminus Tauromaquia, der eher das fachliche Regelwerk umschreibt. Beiden spanischen Begriffen fehlt jedenfalls die Facette der Kampfhandlungen.

Dies ist kein Zufall, denn beim Stierkampf geht es nicht um ein blutiges Abschlachten. Der Mut und die Eleganz des Toreros sollen bewundert werden, ebenso wie das Temperament und die Energie des Bullen. Auch darauf hat Ernest Hemingway mehrmals hingewiesen. Der Tod des Stieres ist nicht vergnüglich, kein Tod ist dies. Das blutige Ende gilt nicht

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Ein Sexprotz? Die Wahrheit über Ernest Hemingway wird viele überraschen

Ernest Hemingway
Martha Gellhorn
Sex
Martha Gellhorn, die dritte Mrs. Hemingway, und ihr Gatte Ernest 1940 im Sun Valley, Idaho. Credit Line: Ernest Hemingway Collection. John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Zu Weihnachten 1936 donnert eine hinreißende 28-jährige Amerikanerin aus Missouri in das Leben von Ernest Hemingway. Am späten Nachmittag betritt Martha Gellhorn in Begleitung ihrer Mutter und des Bruders das Sloppy Joe’s in Key West. Die junge Frau trägt ein schwarzes Kleid, das ihre langen goldblonden Haare noch goldener strahlen lässt. Die Schönheit, mit der Figur eines Models und mit einem mädchenhaften Gesicht, zieht die Blicke aller Männer in der Kneipe auf sich. 

An der Theke schnellt ein schnauzbärtiger Mittdreißiger, ohne zu überlegen, aus seinem Barhocker und nähert sich dem Tisch der Gellhorns. Ernest Hemingway, stellt er sich vor, Sie müssen den doppelten Daiquirí probieren. Mutter Gellhorn nickt flüchtig. Vier Papa Dobles, ruft der Autor dem schwarzen Barkeeper Al Skinner zu. 

Ein ungewöhnliches Pärchen hat sich da im Sloppy Joe’s gefunden. Hier die bildhübsche, ein wenig blassgesichtige und chic gekleidete Intellektuelle, dort der groß gewachsene sonnengebräunte Hallodri, dem das ungekämmte Haar wild über die Stirn ins Gesicht fällt und der seine Fischershorts mit einem Hanfstrick gebunden hat. Aus dem ungleichen Paar wird ein Liebespaar, im November 1940 heiraten beiden, es ist die dritte Ehe des prominenten Autors. Die Ehe hält nicht lange, die Scheidung erfolgt fünf Jahre später im Dezember 1945. 

Das Eheleben besteht aus vielen Hochs und noch mehr Tiefs. Denn Martha Gellhorn ist nicht bereit, für Ernest  ihre Eigenständigkeit aufzugeben. Sie ist eine famose Kriegsreporterin, sie hat ihren eigenen Kopf. Die erfolgreiche Journalistin ist so ganz anders als die mütterliche Hadley und die fürsorgliche Pauline. Sie mag ihre Freiheit, sie ist ehrgeizig und von einem eisernen Willen geprägt. Sie hat den Anspruch, es in ihrem Beruf zu etwas zu bringen, ohne sich selbst zu verbiegen. Martha ist eine kluge und zupackende Frau.

Auf der anderen Seite ihr Gatte. Bekanntlich ein Schürzenjäger und Womanizer. Denkt man. Wie der Sex mit Ernest gewesen sei, selbst darauf gibt Martha offenherzig Antwort. Such a ghastly lover — wham bam thank you ma’am, or maybe just wham bam. Ihr Urteil ist ein Tiefschlag für den allseits angehimmelten Hemingway. So ein grässlicher Liebhaber – ruck zuck, und vielen Dank, Madam, oder vielleicht nur ruck zuck.

Und Martha liefert die Begründung zu dem Desaster. Keine Erfahrung. Zwei jungfräuliche Ehefrauen vor mir, und ich habe meine Stimme nicht erhoben, ich habe mich nicht beschwert, weil ich glaubte, es sei meine Schuld, dass ich nicht komme. Der große Sex-Erzähler und Schriftsteller muss in der Tat Angst vor Frauen gehabt haben. Bemerkenswert…

In der Öffentlichkeit leuchtet das Renommee des Schriftstellers in hellsten Farben. Ein Mannskerl, der nichts anbrennen lässt. So sein Image. Sein Image. Er baut es auf von sich. Der Mann vom Michigan See hegt und pflegt sein kerniges Ansehen, wo er nur kann. Ernest Hemingway – die Verkörperung von Männlichkeit und Virilität. Doch wie

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General Franco vs. Ernest Hemingway – Das Wort gegen die Kriegswaffe

Ernest Hemingway und der Kameramann Joris Ivens 1937 im Spanischen Bürgerkrieg während der Aufnahmen zu The Spanish Earth. Credit Line: Ernest Hemingway Collection. John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Dem Spanischen Bürgerkrieg steht Ernest Hemingway anfangs zwiegespalten gegenüber. Er mag zunächst weder für die Putschisten noch für die Regierungstreuen Partei ergreifen, denn er besitzt Freunde in beiden Lagern. Doch dann vermeldet ihm sein Instinkt, wo in dem Konflikt seine politische Heimat zu finden ist: auf der Seite der einfachen Menschen, bei den liberalen und linken Bürgern und an der Seite all jener, die sich gegen den Umsturz durch das Militär stellen.

In seinen Depeschen berichtet der Kriegsreporter hautnah von den Kämpfen in Spanien. Seine Anteilnahme im Süden Europas sieht Ernest nicht nur politisch, sondern in erster Linie als Verneigung vor der spanischen Seele. Seine Zeit auf der iberischen Halbinsel bezeichnet er zärtlich als meine spanischen Jahre. Trotzig lässt Hemingway seinen Protagonisten Robert Jordan in Wem die Stunde schlägt ausrufen: Die Welt ist ein schöner Ort und wert, dass man um sie kämpft.

Selbst in seiner Heimat lässt ihn der Krieg im fernen Europa nicht los. In Key West will er den Kommentar zu dem Film The Spanish Earth fertigstellen, einem Propaganda-Streifen, den der niederländische Filmemacher Joris Ivens erstellt hat. Im Juni 1937 reist der Schriftsteller dann nach New York zum Schriftstellerkongress der League of American Writers. In der Carnegie Hall werden am 4. Juni vor 3.500 Besuchern erste Ausschnitte von The Spanish Earth gezeigt, ohne Tonspur.

Und Ernest Hemingway ersteigt das Podium und hält einen siebenminütigen flammenden Appell. Es gibt nur eine Regierungsform, die keine guten Schriftsteller hervorbringen kann, ruft er unter dem tosenden Beifall der Kollegen in den Saal, und dieses System ist der Faschismus. Dem Amerikaner ist klar: Ob Schurken wie dieser Franco durchkommen, ob es einen riesigen Knall gibt, nicht nur in Spanien, dafür wird auf der iberischen Halbinsel das Vorspiel gegeben.  

Doch der General Francisco Franco y Bahamonde wird nicht besiegt. Als Ernest Hemingway und Martha Gellhorn im November 1938 ein letztes Mal in den Bürgerkrieg zurückkehren, sind die meisten republikanischen Frontabschnitte zusammengebrochen und in die Hand der Nationalisten gefallen. Der Sieg der Putschisten ist nur eine Frage von Tagen. Die Loyalisten verlieren diesen Krieg und ein desillusionierter Schriftsteller kehrt in die USA zurück. Ende Januar 1939 fällt Barcelona, im März Madrid, und auch Ernest Hemingway persönlich hat nun diese grausame Schlacht verloren. 

Jahrelang darf Ernest Hemingway nicht einreisen nach Spanien. Er verspürt dazu auch keine Lust, viele seiner Freunde sitzen im Gefängnis. Im Jahr 1953 wird der Bann aufgehoben, der berühmte Schriftsteller versucht

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Ernest Hemingway: Schnee auf dem Kilimandscharo. Drei Übersetzungen

Ernest Hemingway: The Snows of Kilimanjaro (Schnee auf dem Kilimandscharo).

Wohl die schönste Prosa aus der Feder von Ernest Hemingway. The Snows of Kilimanjaro. Zu Deutsch: Schnee auf dem Kilimandscharo. Eine eher lange Kurzgeschichte von etwa 40 Seiten.

Im August 1936 wird diese Short Story in der Zeitschrift Esquire erstveröffentlicht und im Jahr 1938 in die Sammlung The Fifth Column and the First Forty-nine Stories aufgenommen. 
Der Schriftsteller Harry, auf Safari in Ostafrika, liegt im Sterben, der schneebedeckte Gipfel des Kilimandscharo in Sichtweite. Nachstehend eine meiner Lieblingsstellen.

All he could see, as wide as all the world, great, high, and unbelievably white in the sun, was the square top of Kilimanjaro. And he knew that there was where he was going.
Ernest Hemingway, 1936

  • Dort vor ihnen, so weit er sehen konnte, so weit wie die ganze Welt, groß, hoch und unvorstellbar weiß in der Sonne war der flache Gipfel des Kilimandscharo. Und dann wußte er, dorthin war es, wohin er ging. 
    Annemarie Horschitz-Horst, 1961
  • Und er sah, weit wie die ganze Welt, riesenhaft und hoch und unglaublich weiß in der Sonne, den breiten Gipfel des Kilimandscharo. Und dann wusste er, das war der Ort, an den er ging.
    Werner Schmitz, 2015
  • Dort vor ihnen, so weit das Auge reichte, so fern wie die ganze Welt, großartig, gewaltig und unvorstellbar weiß in der Sonne war der kantige Gipfel des Kilimandscharo. Und dann wusste er, dorthin war es, wohin er ging. 
    Wolfgang Stock, 2023

Man kann die Prosa des Ernest Hemingway verschieden übersetzen. Man muss sich nur tief einfühlen in seine Welt. Übersetzungen von Hemingway sind fast

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Der schönste Hemingway-Satz: große Angst im Krieg

Ich wusste, dass mich etwas getroffen hatte, und beugte mich vor und legte eine Hand auf mein Knie. Mein Knie war nicht da. Meine Hand tastete weiter und fand das Knie unten an meinem Schienbein. Ich wischte die Hand an meinem Hemd ab, und beim Schein eines gemächlich nieder schwebenden Leuchtgeschosses besah ich mein Bein und bekam große Angst. Oh Gott, sagte ich, hol mich hier raus.

Ernest Hemingway, 1929: In einem anderen Land

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Ernest Hemingway: Ein Ende in Würde?

Ernest Hemingway unterm Kreuz. In La Cónsula bei Málaga, im Sommer 1959. Zwei Jahre sollten ihm noch bleiben. Photo Credits: Ernest Hemingway Photograph Collection, John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Erschwernisse und Verwehrungen pflastern des Menschen Lebensweg. Und am Horizont wartet auf jeden Einzelnen ohne sein Zutun der endgültige Niedergang. Ein Mann kann zerstört werden, aber nicht besiegt. Allgemein verständlich umschreibt Ernest Hemingway in der Der alte Mann und das Meer die Kraft, die man zum Leben braucht. A man can be destroyed but not defeated. Ein Mensch kann äußerlich zerstört werden und innerlich trotzdem stark bleiben.

Jeder von uns hat solch eine Situation schon erlebt. Ein Mensch kann eine Niederlage erleiden, er muss jedoch kämpfen bis zum Schluss. Beated but not defeated, man kann geschlagen werden, aber nicht besiegt. Solange ein Mann – der Nobelpreisträger von 1954 meint natürlich ein Mensch – sich nicht selber aufgibt, einerlei wie viele Tiefschläge er erlitten hat, solange kann er nicht besiegt werden.

Ein Mensch kann zerstört werden, aber nicht besiegt. Auf solche Weise würdigt dieser oft ungehobelte Wüterich aus Chicago den freien Willen von uns Männern und Frauen. Er möchte die Willenskraft des Einzelnen stärken, indem er der Eigenverantwortlichkeit des Menschen ein literarisches Denkmal setzt. Dieser merkwürdige Trunkenbold und Weiberheld vom Michigan See singt das wunderbare Loblied auf das wundersame Individuum.

Besiegt werde ich nur, wenn ich es zulasse. In Würde verlieren. Vor allem darum geht es Ernest Hemingway. Doch wie verliert man in Würde? Indem man sich mit einem Jagdgewehr das halbe Hirn wegpustet? Oder wie der alte Mann, der geschlagen und mit leeren Händen in sein Dorf zurückkommt? Jedoch nicht besiegt ist. Santiago strahlt trotz seiner Niederlage eine menschliche Größe aus, auch weil er sich nicht besiegt gibt.

Der kubanische Fischer wird am nächsten Tag mit seinem einfachen Boot wieder herausfahren. Vielleicht wird er wieder verlieren. Es liegt nicht in seiner Hand. Mehr als den Versuch kann er nicht lenken. Aber der alte Fischer lässt sich seine Würde nicht nehmen. Und jeder Mensch, genau dies will uns Ernest Hemingway mitteilen, kann seine Würde wahren. Selbst wenn die Niederlage grenzenlos erscheint. 

Ein schlichter und braver Mensch – also eigentlich wir – muss sich in der Welt behaupten. Er kämpft um seine Würde. Dieser Schreiber hat sein Gleichnis vom würdevollen Scheitern des einfachen Fischers so beeindruckend erzählt, dass wir alle fasziniert sind. Die arme Seele Ernest Miller Hemingway selbst jedoch bringt die Kraft nicht auf, dem Vorbild seiner Romanfigur zu folgen. 

Don Ernesto hat sich anders entschieden. Es bleibt zu respektieren. Doch kann man in Würde aus eigenem Entschluss abtreten? Im christlichen wie im humanistischen Dogma folgt die Menschwerdung höheren Prinzipien. Kein Mensch kann sich selbst ins Leben setzen, jeder Mensch wird ohne sein Zutun in die Welt geworfen. Und so wie diesem Werden eines Menschen eine Magie innewohnt, so besitzt

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So hoffnungslos ist die ‚verlorene Generation‘ in Ernest Hemingways ‚Fiesta‘

Ernest Hemingway
Fiesta
Fiesta von Ernest Hemingway. So heißt der Roman in Europa. The Sun Also Rises lautet der Titel im amerikanischen Original aus dem Jahr 1926.

„Alle benehmen sich schlecht“, sagte ich. „Wenn man ihnen die Möglichkeit gibt.“ Und Gelegenheit gibt es reichlich nach dem schrecklichen Ersten Weltkrieg. Eigentlich sollten Zuversicht und Aufbruch herrschen. Die zerstörten Länder müssen wieder aufgebaut werden und das Zusammenleben neu auf den Weg gebracht werden. Stattdessen Zerfall, Defätismus und allerorts eine wabernde Untergangsstimmung. Der Erste Weltkrieg führt zum Einschnitt in der Menschheitsgeschichte.

Die guten traditionellen Werte sind weg. Übrig bleibt eine bedrückte, gottverlassene und verlorene Generation. Du bist heimatlos. Du hast die Bodenhaftung verloren. Du bist unecht. Falsche europäische Vorbilder haben dich kaputtgemacht. Du säufst dich zu Tode. Du bist vom Sex besessen. Statt zu arbeiten, redest du immer nur. Du bist heimatlos.

Als Verlorene Generation wird literaturhistorisch eine Gruppe US-amerikanischer Schriftsteller bezeichnet, die während des Ersten Weltkriegs aufwächst, und in den 1920er Jahren in Paris als Auslands-Amerikaner leben. Die Aussage You are a lost generation geht zurück auf Gertrude Stein. Die einflussreiche Mäzenin aus Pittsburgh subsumiert darunter all die Orientierungslosigkeit und all den Zynismus ihrer Zeitgenossen, hervorgerufen durch den Zivilisationsbruch in den Jahren von 1914 bis 1918.

Ein Jahrhundert der Katastrophen mit zwei Weltkriegen, Bürgerkriegen und Wirtschaftsdepressionen ist eingeläutet. Die Aufgabe der Verlorenen Generation wäre eigentlich gewesen, nach vorne zu blicken und ein neues Wertesystem aufzubauen. Doch fehlt dieser kleinmütigen Generation die Kraft dazu. In seinem grandiosen Roman The Sun Also Rises fängt Ernest Hemingway 1926 die gallige Stimmung der Verlorenen Generation – am Beispiel von Expats in Paris und Pamplona – treffend ein.

– Ist das nicht schrecklich? Es hat überhaupt keinen Sinn, dir zu sagen,            dass ich dich liebe.
– Du weißt, dass ich dich liebe.
– Lassen wir das. Reden bringt nichts.

Ernest Hemingway, der selber sieben Jahre in Europa gelebt hat und sich innerhalb dieser Kreise getummelt hat, vermag messerscharf zu beobachten und in seinen Dialogen die ätzende Stimmung jener Tage auf den Punkt wiederzugeben.

Fiesta kommt leicht daher als grandioses Epochen-Porträt zwischen zwei schlimmen Kriegen, als Blick auf eine Verlorenheit, die mit Alkohol, Sex und Oberflächlichkeiten weggetrunken werden möchte. Ein offener Türspalt ins Fegefeuer, in die Vorstufe zur Hölle. Immer dicht an der Apokalypse vorbei schrammend.

– Was bedeutet das für deine Werte?
– Auch das hat seinen Platz in meinen Werten.
– Du hast gar keine Werte. Du bist tot, sonst gar nichts.

Genau hier liegt das Problem. Alle Werte sind perdu. Vor allem durch diesen schlimmen Krieg. Alle Kriege sind schlimm, aber dieser war besonders schlimm, weil er so nutzlos gewesen ist. Beim Spanischen Bürgerkrieg oder dem Zweiten Weltkrieg ist klar, worum es geht. Doch in dem Ersten Weltkrieg sind die Rollen fließend verteilt, ein Stück weit ist man in ihn hineingeschlittert. Ein Krieg der Schlafwandler, wie ein britischer Historiker treffend umschrieben hat.

Am Ende des Krieges stehen alle als Verlierer da. Deutschland mit Elend, Hyperinflation und einer noch größeren Katastrophe vor Augen. Aber auch der Gewinner, die USA, mit einem freudlosen Jahrzehnt, das 1929 in der Weltwirtschaftskrise münden wird.

Das Schöne an The Sun Also Rises ist, dass Ernest Hemingway nicht

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Im Zweiten Weltkrieg fehlen Ernest Hemingway die Worte


Im US-amerikanischen Magazin Collier’s vom 18. November 1944 veröffentlicht Ernest Hemingway über vier großformatige Seiten eine Reportage aus dem Krieg.

Anfang September 1944 sitzt der Schriftsteller in Paris auf gepackten Koffern. Er kann es nicht mehr erwarten, denn zum ersten Mal geht es für Ernest Hemingway an die Front des Zweiten Weltkriegs. Von der französischen Hauptstadt steuert er über Belgien in Richtung deutsche Westgrenze. Ziel der Alliierten ist es dort, die Siegfried-Linie aufzubrechen, jenen Wall von Holland bis zur Schweiz mit seinen Bunkern, Stollen und Panzersperren. Erst dann können die Amerikaner bis zur strategisch wichtigen Rheingrenze vorstoßen.

Die Infanterie durchbrach die Siegfried-Linie. Sie knackte sie an einem kalten, regnerischen Morgen, als nicht einmal die Krähen flogen, geschweige denn die Luftwaffe. Zwei Tage zuvor, am letzten Tag vor dem Einbruch des Schlechtwetters, waren wir am Ziel des Rattenrennens angelangt. Es war eine schöne Rattenjagd von Paris bis nach Le Cateau, mit erbitterten Kämpfen bei Landrecies, die nur wenige gesehen haben und an die sich noch weniger erinnern können. Dann waren die Pässe des Ardennenwaldes bezwungen worden, in einer Landschaft, die den Illustrationen zu Grimms Märchen glich, nur viel grimmiger.

Ernest Hemingway schlägt sein Quartier zunächst nicht hinter der Frontlinie im Hürtgenwald auf, sondern weiter südlich, mitten in der Schnee-Eifel, in kleinen Ortschaften wie Schweiler und Buchet. Die vorrückende US-Army nimmt Dorf für Dorf ein, sie ist den deutschen Truppen materiell und personell überlegen, doch aufgrund des unebenen Geländes geht es nur langsam voran. Der Widerstand der Wehrmacht ist in der ländlichen Eifel heftig, der Diktator hat ein Halten der Linien bis zum letzten Mann befohlen.

Als Kriegsberichterstatter für das Wochenmagazin Collier’s begleitet Hemingway den Vormarsch der Fourth Infantry Division’s 22nd Regiment im Gebiet der belgisch-deutschen Grenze. Der Autor bewegt sich hinter der Kampflinie, auf  luxemburgischem Territorium, in der Schnee-Eifel und schließlich weiter nördlich in der Nähe von Aachen. Der prominente Schriftsteller schließt sich meist den Truppen von Colonel Charles Lanham an, den alle Freunde Buck nennen. Bis Ende 1944 sollte Hemingway mehrmals zwischen Paris und den Frontabschnitten pendeln, im November und Dezember kommt er auf insgesamt 18 Einsatztage.

Ernest Hemingway Collier's

WAR IN THE SIEGFRIED LINE heißt Ernest Hemingways Reportage von der Front des Zweiten Weltkriegs in Collier’s. BY RADIO VIA PARIS.

Im Winter 1944 gelangen die amerikanischen Bodentruppen an den Hürtgenwald im Süden zwischen Aachen und Düren, wo ihr Vormarsch zum Stehen kommt. Das zerklüftete Gebiet erlebt von Oktober 1944 bis Februar 1945 blutige Gemetzel mit hohen Verlusten auf beiden Seiten. Das unebene Gelände mit den dichten Waldungen ist militärisch schwer zu nehmen, die Kämpfe, Mann gegen Mann, sind an Grausamkeit kaum zu überbieten. Ernest Hemingway hätte also einiges zu berichten in die Heimat.

Die Ansätze sind da, wie eine mehrseitige Reportage für die Collier’s-Ausgabe vom 18. November 1944 unter Beweis stellt. Zunächst skizziert Ernest Hemingways Prosa – wie so häufig – ein Landschafts-Panorama aus Bergen, Wäldern und Bächen. Der kleine Mensch in der großen Natur. Das Naturreich begrenzt als Rahmen das gewaltige Gemälde, der winzige Mensch irrt kopflos in der Pracht der Schöpfung umher. Das kann Ernest sehr gut, wie immer, es ist gekonnt.

Wir befanden uns auf einer Anhöhe, außerhalb des Waldes, und all die sanften Hügel und Wälder, die wir vor uns sahen, waren Deutschland. Aus dem Tal eines Baches unter uns ertönte ein schweres, vertrautes Dröhnen, als die Brücke gesprengt wurde. Und hinter der schwarzen Rauch- und Trümmerwolke, die aufstieg, sah man zwei feindliche Halbkettenfahrzeuge, die die weiße Straße hinauffuhren, die in die deutschen Berge führte.

Doch urplötzlich fällt seine Reportage in ein Loch. Ernest Hemingway hört auf,

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