Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Kategorie: Italien Seite 1 von 3

Ein Scoop: Ernest Hemingway trifft Benito Mussolini

Der Duce inspiziert 1935 italienische Truppen in Äthiopien. Photo Credits: Wikimedia Commons.

Vom 11. Juni bis zum 18. Juni 1922 reist das Ehepaar Hemingway zusammen mit dem Familienfreund Eric Chink Dorman-Smith durch Italien. Ernest genießt die Zeit, denn Italien ist immer sein Land gewesen. Was dort passiert, das lässt den jungen Amerikaner aus Chicago nicht kalt. Bei ihrem Aufenthalt in Mailand schiebt der Europa-Korrespondent des Toronto Star einen journalistischen Termin ein. Denn es eröffnet sich ihm die Möglichkeit, einen der führenden Politiker Italiens zu interviewen.

Auch Benito Mussolini befindet sich zu diesem Zeitpunkt in Mailand. Es gelingt dem jungen Reporter der kanadischen Tageszeitung, einen Vier-Augen-Termin beim zukünftigen Diktator zu erhalten. Dies ist ein Scoop, ein publizistischer Knüller, zumal für einen Neuling vor Ort, Ernest ist erst ein halbes Jahr in Europa. Das Gespräch findet in den Redaktionsräumen der Zeitung Il Popolo d’Italia statt.

Am 24. Juni 1922 wird Hemingways Artikel im Toronto Daily Star veröffentlicht. Unter der nüchternen Überschrift Fascisti Party Half-Million. Die faschistische Partei hat eine halbe Million Mitglieder. Der Journalist bietet seinen Lesern in Kanada einen bildhaften Eindruck des Italieners. Benito Mussolini, Führer der Bewegung, sitzt an seinem Schreibtisch (..) und streichelt ab und an die Ohren eines Wolfshundwelpen. (..) Mussolini ist ein stämmiger Mann mit braunem Gesicht, hoher Stirn, einem träge lächelnden Mund und großen, ausdrucksvollen Händen.

Die  Faschisten seien nun eine militärisch organisierte Partei mit einer halben Million Mitgliedern, verrät Mussolini bei der Begegnung. Unverblümt umreißt der zukünftige Despot gegenüber Hemingway, wie er den Aufstieg an die Macht schaffen will. Mittels Gewalt. Mit Soldaten, mit paramilitärischen Stoßtruppen und mit seinen Schwarzhemden. Wir sind schlagkräftig genug, um jede Regierung zu stürzen.

Der Italiener ist schon in jenen Jahren eine schillernde Gestalt. Hemingway skizziert in seinem langen Artikel den Werdegang des Benito Amilcare Andrea Mussolini. In der Kleinstadt Dovia di Predappio im Jahr 1883 geboren, wird er von Beruf Schullehrer, dann Journalist. 1914 ernennt ihn die Sozialistische Partei in Mailand zum Chefredakteur ihrer linken Zeitung Avanti!. Später gründet er eine eigene Gazette, den Il Popolo d’Italia. Im Ersten Weltkrieg geht er als Soldat an die Front.

Ernest Hemingway und Benito Mussolini haben einiges gemeinsam. Beide werden im Ersten Weltkrieg schwer verwundet, alle zwei werden vom italienischen Staat aufgrund ihrer Tapferkeit mit Medaillen geehrt. Beide Männer erholen sich im Mailänder Rotkreuz-Hospital von ihren Kriegsverletzungen. Sowohl der Italiener als auch der US-Amerikaner sind Zeitungsjournalisten. So bleibt zu Anfang wohl ein wenig Sympathie zu spüren, Hemingway zeichnet den Politiker in seinem Artikel auch in weichen Farben. He is not the monster he has been pictured. Er sei nicht das Ungeheuer, als das er meist dargestellt werde.

Das Interview in Mailand bleibt nicht die letzte Begegnung zwischen Ernest Hemingway und Benito Mussolini. Bei der Lausanner Conference, es geht um die Neuregelung der Reparationszahlungen Deutschlands, sehen sich beide Mitte Juni 1923 wieder. Da ist der Italiener schon Premierminister seines Landes. Hemingway, neugierig, stellt sich bei einer Pressekonferenz hinter Mussolini und schaut ihm über die Schulter. Und bekommt zu sehen, welches Buch der Regierungschef vor sich liegen hat. Es ist ein Wörterbuch.

Insgesamt scheint der 22-jährige Neuling Hemingway mit dem ideologischen Phänomen überfordert, seine Analyse gerät ein wenig struppig. In seinem Interview-Artikel beschreibt er den Politiker einmal als extrem konservativ, dann als abtrünnigen Sozialisten. Wie auch immer. Mussolini hat alle überrascht. Wohl am meisten den jungen Amerikaner. Als Duce del Fascismo, als Führer des Faschismus, stellt er sich von 1925 an als Autokrat an die Spitze eines brutalen Regimes. Es wird schlimm enden, für das Land, für Europa und später auch für ihn selbst.

Im Laufe der Zeit wird Hemingways Haltung zu Mussolini kritisch. Schon im Januar 1923 verfasst der Korrespondent im Toronto Daily Star einen weiteren Artikel über den Duce. Überschrift: Mussolini, Europe’s Prize Bluffer. Nun redet Ernest Hemingway Tacheles. Mussolini is the biggest bluff in Europe, schreibt der Amerikaner, Mussolini sei die größte Mogelpackung in Europa. Der Duce versuche die Arbeiterschaft und das Unternehmertum unter dem Dach

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Paolo Conte: Hemingway

Oltre le dolcezze dell‘ Harrys Bar
E le tenerezze di Zanzibar
C’era questa strada
Oltre le illusioni di Timbuktu
E le gambe lunghe di Babalù
C’era questa strada

Questa strada zitta che vola via
Come una farfalla, una nostalgia
Nostalgia al gusto di Curaçao
Forse un giorno meglio mi spiegherò

Zazaza-zaza, zazazazaza
Zazaza-zaza, zazazazaza
Zazaza-zaza, zazaza-zaza, zazaza-zaza
Et alors, monsieur Hemingway, ça va?
Et alors, monsieur Hemingway, ça va mieux?

Jenseits der Süße von Harrys Bar
Und der Zärtlichkeit Sansibars
Es gab diese Straße
Jenseits der

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Machtprobe im großen Krieg: Mr. Hemingway gegen Mrs. Hemingway

Die Collier’s-Ausgabe von 30. September 1944 veröffentlicht einen Artikel von Ernest Hemingway, wie auch einen von seiner Ehefrau Martha Gellhorn.

Sechs Artikel schreibt Ernest Hemingway für das US-Wochenmagazin Collier’s aus dem Zweiten Weltkrieg. Der damals schon berühmte Autor berichtet aus London, von der Landung in der Normandie, aus Paris, von der Front in der Schnee-Eifel. Die Reportagen werden zwischen Juli und November 1944 in der viel gelesenen Zeitschrift veröffentlicht. Cabled from Paris steht über dem Text, die Artikel werden über Funk dem Magazin durchgegeben.

Collier’s, im Jahr 1888 von Peter Fenelon Collier gegründet, ist eine linksliberale Wochenzeitschrift, mit einem guten investigativen Journalismus und Beiträgen von zahlreichen Edelfedern. Auch die Cartoons und Illustrationen gehören mit zum Besten in der damaligen Zeit. Mitte der 1940er Jahre erreicht das Wochenmagazin in den USA eine Auflage von 2,8 Millionen Exemplaren.

Anfang 1944 bietet sich Ernest dem Magazin als Kriegsreporter in Europa an. Sein Verhalten gründet einen Tiefpunkt in der Ehe mit Martha Gellhorn. Die dritte Mrs. Hemingway, eine renommierte Journalistin, hat schon für Collier’s aus dem Spanischen Bürgerkrieg berichtet. Und sie ist nicht bereit, nach der Eheschließung beruflich kürzer zu treten.

Are you a war correspondent or wife in my bed?, faucht Ernest 1943 seine Ehefrau an, als Martha ihm ihre Pläne offenbart. Sie möchte aus Europa über den Zweiten Weltkrieg berichten. Ob seine Frau eine Kriegskorrespondentin oder die Frau in seinem Bett sei, die Antwort bekommt er von der resoluten Martha postwendend. Denn die ehrgeizige Journalistin wird sich gegen seinen Willen aufmachen von ihrem sonnigen Refugium Finca Vigía auf Kuba nach Europa.

Collier's Magazine

Einträchtig steht das Ehepaar Ernest Hemingway und Martha Gellhorn im Impressum von Collier’s untereinander. Doch in Wirklichkeit scheppert es.

Was dann kommt, gleicht einer Seifenoper. Der erzürnte Ernest lässt sich in seiner Wut zu einem hundsgemeinen Winkelzug hinreißen. Auch er geht für Collier’s nach Europa, er schreibt für dasselbe Magazin und will so seine Ehefrau vor den Augen der Leser in den Schatten stellen. Und so kommt es, dass Ernest aus dem Zweiten Weltkrieg berichtet, um seiner Gattin eins auszuwischen.

Battle for Paris nennt Ernest eine Reportage, sie beginnt auf Seite 11 in der Ausgabe vom 30. September 1944. Man erwartet einiges. „Hier ist die erste Depesche des Collier’s-Korrespondenten, der selbst lange in der Stadt des Lichts lebte“, wird der Bericht angekündigt.

Während dieser Zeit wurde ich von den Kämpfern der Résistance als „Herr Hauptmann“ angesprochen. Das ist im Alter von fünfundvierzig Jahren ein sehr niedriger Rang, und so sprachen sie mich in Gegenwart von Fremden gewöhnlich mit „Herr Oberst“ an. Denn sie waren ein wenig aufgebracht und beunruhigt über meinen sehr niedrigen Rang. Und einer von ihnen, dessen Aufgabe es seit einem Jahr war, sich Minen zu schnappen und deutsche Munitionslastwagen und Stabswagen in die Luft zu jagen, fragte mich vertraulich: „Mein Hauptmann, wie kommt es, dass Sie trotz Ihres Alters, Ihrer zweifellos langen Dienstzeit und Ihrer offensichtlichen Verwundungen (verursacht in London durch den Aufprall mit einem stehenden Lastwagen mit Wassertank) immer noch nur Hauptmann sind?“ „Junger Mann“, antwortete ich ihm, „ich konnte im Rang nicht aufsteigen, weil ich weder lesen noch schreiben kann.“

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist ColliersBattle2-1-1-806x1024.jpg

Battle for Paris überschreibt Hemingway seine Reportage.

Es könnte lustig sein, wenn alles nicht so ernst wäre. Als Ungedienter, Ernest ist 1918 durch die Musterung gefallen, plagt ihn mal wieder sein Komplex eines nicht vorhandenen Offiziersrangs. Wenn es nur das wäre! Weil Ernests Gedanken vornehmlich um ihn kreisen, beißt sich Battle for Paris an Äußerlichkeiten fest. Diese selbstverliebte Geschwätzigkeit des Autors stösst mehr als einmal sauer auf. Doch Hemingway in seiner Eigensucht sieht nur sich selbst, dieser Krieg, der die Welt aus dem Fundament reißt, erscheint wie ein Ausflug zum Baseball-Match gegen die Mannschaft aus der Nachbarstadt.

Welch ein Unterschied zu seinen Reportagen aus dem Spanischen Bürgerkrieg! Sechs Jahre zuvor hat er leidenschaftliche Berichte aus Spanien geliefert, detailgenau und anschaulich, die Sprache ist engagiert und packend. Im Spanischen Bürgerkrieg erreicht der Journalist Hemingway wohl den Höhepunkt seiner Kreativität. Doch nun – im Zweiten Weltkrieg – plätschern seine Reports an der Oberfläche, dieser begnadete Stilist und Beobachter bleibt störrisch, er geht nicht in die Tiefe.

Ganz anders Martha Gellhorn, die derweil in Europa auf eigenen Spuren wandelt. In der Collier’s-Ausgabe vom 30. September 1944 kommt es unfreiwillig zu einem Showdown. In diesem Heft wird ein langer Artikel von Ernest, als auch eine dreiseitige Reportage von Martha veröffentlicht. Hemingway gegen Hemingway. Er erzählt

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Adriana – Ernest Hemingways amour fou

In ihren Memoiren La Torre Bianca schreibt Adriana über ihre Begegnungen mit Ernest Hemingway.

Anfang Dezember 1948, der Schriftsteller befindet sich mit seinem italienischen Freund Carlo Kechler auf einer Ausfahrt rund um den Landsitz des Grafen bei Latisana, da steigt ein blutjunges Mädchen, tropfnass von einem heftigen Regenschauer, in den blauen Buick. Ernest Hemingway, auf dem Beifahrersitz neben dem Chauffeur, hat einen direkten Blick auf die Rückbank, wo die junge Frau Platz genommen hat.

Sie grüßt nett, man unterhält sich und es stellt sich heraus, dass sie weder Hemingway als Person, noch seine Bücher kennt. Und prompt ist es geschehen um den armen Mann. Der Autor, er geht stramm auf die 50 zu, verliebt sich bei diesem ersten Zusammentreffen augenblicklich in die schwarzhaarige Schönheit mit den grünen Augen und den vollen Lippen. Obwohl die junge Frau da gerade erst 18 Jahre alt geworden ist.

Marlene Dietrich hat eine amour fou berühmt gemacht, in Der Blaue Engel, dem UFA-Spielfilm des Josef von Sternberg aus dem Jahr 1930. Immanuel Rath, ein verschrobener greiser Gymnasialprofessor, der von seinen Schülern Professor Unrat gerufen wird, verliebt sich in eine blutjunge Tingelltangel-Sängerin namens Lola Lola, und wird von dieser an den Rand des Verstandes gebracht.

Ernest Hemingways Lola Lola heißt Adriana Ivancich. Der amerikanische Autor ist bis über beide Ohren verknallt in die aparte Aristokratentochter mit der markanten Nase und befördert sie zu seiner Muse. Er versucht, sie einzubinden in sein Leben. Der Autor lässt sie Grafiken für seine Bücher entwerfen, gibt ihr Manuskripte, fragt sie aus über Italien.

Bei einem weiteren Europa-Besuch des Schriftstellers im Frühjahr 1950 weicht Adriana wochenlang nicht von seiner Seite, nicht in Venedig und auch nicht in Paris. Ich liebe Dich aus tiefsten Herzen, offenbart sich ihr der liebeskranke Schriftsteller, und ich kann nichts dagegen tun. Der alternde Ernest blüht auf in der Zweisamkeit mit der jungen Italienerin, er findet wieder Gefallen am Leben und auch das Schreiben geht ihm leichter von der Hand.

Seiner jungen Muse schenkt Ernest zum Abschied seine Royal-Schreibmaschine. Liebe? Die junge Adriana vermag in dem alten Ernesto bestenfalls eine Art väterlichen Bewunderer zu sehen, sie kokettiert heftig und lässt sich gerne den Hof machen, möglicherweise gibt es ein paar unschuldige Küsse. Mehr nicht.

Im Oktober 1950 kommt Adriana Ivancich dann mit ihrer Mutter Dora für vier Monate auf die Finca Vigía. Ernesto auf seinem tropischen Landsitz nahe Havanna wirft sich in Schale, zeigt den Ivancichs die Schönheit der Insel, rückt seine Schokoladenseite ins Licht. Jeder merkt, was los ist. Doch Mutter Dora passt auf wie ein Wachhund.

Ich liebe nur Adriana, sagt der Schriftsteller zu seinem Arzt José Luis Herrera auf Finca Vigía in einem melancholischen Anfall, ich werde mich für sie erschießen. Gut, antwortet der Doktor, der ahnt, dass er in Ernest Hemingway einen aussichtslosen Fall vor sich hat, gut, erschieß Dich nur! Wo ist das Gewehr? Sag’s mir. Ich werde es persönlich laden und dann beobachten, wie Du den Abzug drückst.

Der liebestolle Ernest balzt weiter und lässt sich

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Fedele Temperini rettet das Leben des Ernest Hemingway

Ernest Hemingway erholt sich im Hospital des American Red Cross von seiner Verwundung. Mailand, im September 1918. Credit Line: Ernest Hemingway Collection. John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

In der Nacht vom 7. auf den 8. Juli 1918 befindet sich der Ambulanzfahrer Ernest Hemingway auf Versorgungsfahrt in Fossalta an der Piave, einer kleinen Stadt, eine halbe Stunde nördlich von Venedig. Im Osten wird das Städtchen von der sacht dahin fließenden Piave begrenzt, die hier knapp hundert Meter breit ist und über die weit und breit keine Brücke führt. Auf der anderen Seite des Flusses liegt der Feind.

Der 18-jährige Ernest passiert einen Abschnitt, den Einheimische als Buso de Burato, als das Loch des Burato, bezeichnen. Mit dem Fahrrad soll der junge Freiwillige den in Schützengräben liegenden italienischen Soldaten Lebensmittel überbringen. Und dazu ein paar kleine Annehmlichkeiten, die die Pein des Krieges ein wenig lindern sollen: Zigaretten, Schokolade, Kaffee, ein paar Frauenbildchen.

Am Westufer der Piave, am Ausläufer der kleinen Stadt, erreicht der junge Amerikaner den Damm, vor dem die Soldaten in Stellung liegen. Auf der anderen Seite der Piave, gerade einmal zweihundert Meter entfernt, lauern in den östlichen Uferauen die österreichischen Truppen, die die Italiener unter Dauerbeschuss halten.

Ernest Hemingway befindet sich gegen ein Uhr nachts auf dem Damm, er will Fedele Temperini, einem 26-jährigen italienischen Soldaten aus dem toskanischen Montalcino gerade die Mitbringsel überreichen, da schlägt nur drei Armlängen von den beiden entfernt eine Mörsergranate ein. Die Explosion mit ihrem lauten Knall und der Druckwelle reißt die beiden Burschen zu Boden.

Die hochkalibrige Granate ist von einem Minenwerfer am Ostufer abgefeuert worden und ist mit Eisenbolzen, Nieten, Stahlstiften und Metallschrott gefüllt. Kugelsplitter und Späne bohren sich tief in Hemingways rechtes Bein. Fedele Temperini, der direkt vor ihm gestanden ist, bekommt das allermeiste ab. Dem Italiener werden beide Beine zerfetzt, er überlebt die Mörsergranate nicht. Unbeabsichtigt hat der italienische Soldat mit seinem Körper den Amerikaner vor dem Beschuss abgeschirmt und ihm so das Leben gerettet.

Der junge Ernest liegt in einer dunkelroten Pfütze aus warmem Blut und Körperfetzen, um ihn herum verwundete Soldaten. Hemingways Verletzungen sind heftig, doch er befindet sich bei Bewusstsein. Wie in Trance zieht der 18-Jährige den verwundeten Soldaten Fedele vom Damm hinunter, nimmt ihn auf die Schulter und will sich in Richtung Kommandoposten schleppen. Nach wenigen Metern gerät Hemingway in eine Feuersalve von Maschinengewehren.

Trotz seiner beißenden Splitterverletzungen erreicht der US-Amerikaner mit dem getroffenen Soldaten auf der Schulter den rettenden Posten hinter der Dammsohle. Die Verletzungen von Ernest sind lebensbedrohlich, nur knapp entgeht er

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Ernest Hemingway – ein kämpferischer Weltenbummler

Eine Doppelseite von Ernest Hemingways Reisepass. Credit Line: Ernest Hemingway Papers Collection, Museum Ernest Hemingway, Finca Vigia, San Francisco de Paula, Cuba

Von seiner Zukunft besitzt der 17-jährige Schüler eine genaue Vorstellung. My name is Ernest Miller Hemingway. I want to travel and write, verrät er 1916 in seinem Notizbuch Memoranda an der Oak Park and River Forest High School. Der hochgewachsene Jugendliche aus einem Vorort von Chicago möchte in der Welt umherreisen und schreiben. Und Ernest Hemingway wird in seinem zukünftigen Lebensjahren diesen Traum verwirklichen.

Sein amerikanischer Reisepass braucht viele Seiten für all die Ein- und Ausreisestempel dieser Welt. USA, Kuba, Bahamas, Mexiko, Peru, Frankreich, Italien, Luxemburg, Belgien, Spanien, Österreich, Schweiz, Deutschland, Belgien, Bulgarien, Türkei, Hong Kong, China, Kenia, Uganda, Tansania. Die Liste kann nicht vollständig sein.

Wir reden nicht von heute, ICE, Jumbo Jet und Lufthansa Frankfurt nach Rio de Janeiro für 650 Euro, hin und retour natürlich. Wir müssen uns schon 100 Jahre in die Welt des jungen Hemingway zurückbeamen. Ernest fängt an im Mai 1918, kurz nach der Schule, als naiver Kerl mit achtzehn Jahren. Wochenlang auf dem Ozeandampfer von den USA nach Europa. Erster Weltkrieg, Italien, Ambulanzfahrer, Schlacht an der Piave. Sechs Monate Lazarett.

Es geht munter weiter im turbulenten Leben dieses Mannes. Bürgerkrieg in Spanien, Zweiter Weltkrieg, Aufstand in China, kubanische Revolution. Dazu Krankheiten, Abstürze mit dem viersitzigen Propeller-Flugzeug. Ernest Hemingway reist gerne dahin, wo es kracht und bummert. Das wird dann kein TUI-Urlaub, all inclusive, sondern mündet in harter Arbeit. Mit hohem Risiko für Leib und Seele. Und dieser Mann kommt nicht ohne Wunden nach Hause.

Der berühmte amerikanische Autor, im Jahr 1954 verleiht man ihm den Nobelpreis für Literatur, bereist gerne die versteckten Eckchen und die stürmischen Schauplätze unseres Erdballs. Dieser scheinbar ungehobelte Bursche, der nicht nur packende Reportagen und erstklassige Romane schreiben kann, ist zugleich bereit, dafür durch die große weite Welt zu preschen. Denn ihm ist klar, ein Frosch am Boden des Brunnens sieht nur einen kleinen Ausschnitt des Himmels.

Ein weiteres unterscheidet ihn von vielen Landsleuten: Der bärtige Rabauke lässt sich auf das Fremde ein mit Haut und Haaren. Die Welt ist so voll von so vielen Dingen, dass ich sicher bin, wir sollten alle glücklich sein wie die Könige. Ernest ist dafür bekannt, dass er die

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Die Geliebte Adriana Ivancich gratuliert dem noblen Ernest Hemingway mit Kisses

Lola gratuliert Professor Unrat per Telegramm zum Nobelpreis. Glücklich und stolz Deine Freundin zu sein, einst, jetzt und für ewig. Küsse. Credit Line: Ernest Hemingway Papers Collection, Museum Ernest Hemingway, Finca Vigia, San Francisco de Paula, Cuba

Der Schriftsteller, er geht stramm auf die 50 zu, verliebt sich gleich beim ersten Zusammentreffen im Veneto in die schwarzhaarige Adriana Ivancich. Obwohl das Mädchen mit den tiefschwarzen langen Haaren, den grünen Augen, der markanten Nase und den vollen Lippen da gerade erst 18 Jahre alt ist. Doch Ernest Hemingway gibt sich wie sein Oberst Cantwell, seine Romanfigur, die Leidenschaft flammt unlöschbar auf. Einerlei woher man kommt oder welche Jahreszahl in der Geburtsurkunde steht.

Bei einem weiteren Europa-Besuch des Schriftstellers, zusammen mit Ehefrau Miss Mary, weicht Adriana im Frühjahr 1950 wochenlang nicht von seiner Seite, nicht in Venedig und nicht in Paris. Ich liebe Dich aus tiefstem Herzen, eröffnet ihr der liebeskranke Autor, und ich kann nichts dagegen tun. Der alternde Ernest Hemingway blüht auf in der Zweisamkeit mit der jungen Italienerin, er findet wieder Gefallen am Leben und das Schreiben geht ihm leichter von der Hand.

In Paris offenbart der Autor sich ein weiteres Mal der hübschen Venezianerin. „Aber Du hast Mary“, entgegnet Adriana halbherzig. Der unrettbare Romantiker Ernest Hemingway steckt wieder einmal tief im Gefühlssumpf. Ach ja, Mary, erwidert der vernarrte Schriftsteller, sie ist natürlich nett und solide und tapfer. Aber ein Paar kann einen Teil des Weges gemeinsam gehen und dann unterschiedliche Richtungen einschlagen. Das ist mir schon passiert.

Der 50-jährige Schriftsteller ist bereit, für Adriana alles aufzugeben. Ich liebe Dich in meinem Herzen, und ich kann nichts dagegen tun. Er habe nur beste Absichten, beteuert er. Ich weiß, was Du brauchst, um glücklich zu sein. Ich werde fortan leben, um Dich glücklich zu machen, säuselt Ernest Hemingway wie ein verknallter Oberprimaner.

Der Schriftsteller steht unter Testosteron und vermag keinen klaren Gedanken zu fassen. Ich liebe Dich mehr als den Mond und den Himmel und ich werde Dich so lieben, solange ich lebe. Selbst das Schreiben scheint ihm nebensächlich, zum Abschied lädt er sie auf seine Farm Finca Vigía nach Kuba ein und schenkt der jungen Muse seine Royal-Schreibmaschine.

Zum Nobelpreis gratuliert ihm Adriana per Telegramm Ende Oktober 1954 mit Kisses. Die italienische Lola kokettiert heftig mit dem alternden Autor und lässt sich gerne den Hof machen, möglicherweise gibt es sogar ein paar unschuldige Küsse. Mehr wohl nicht. Doch der liebestolle Ernest hört nicht auf und

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Ernest Hemingway & Agnes von Kurowsky

Agnes von Kurowsky mit dem verletzten Ernest Hemingway und zwei anderen Krankenschwestern des American Red Cross beim San Siro-Pferderennen in Mailand, Italien 1918. Credit Line: Ernest Hemingway Collection. John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Im Zug wird Ernest Hemingway im Juli 1918 nach Mailand transportiert, in das Hospital des American Red Cross, das sich in einen alten Palazzo an der Via Alessandro Manzoni 10 befindet. Dort wird er mit drei anderen Verwundeten des Ersten Weltkriegs in ein Krankenzimmer gelegt und vor Erschöpfung fällt der junge Amerikaner sogleich in einen langen Schlaf. In Mailand wird er dann geröntgt und die Wunden werden klinisch behandelt.

Der junge Ernest Hemingway ist schlimm verletzt, er muss monatelang im Mailänder Hospital behandelt werden. Die Verwundungen erweisen sich als dauerhaft, manche Nerven bleiben taub für den Rest seines Lebens, die Kniescheibe seines rechten Beines wird künstlich ersetzt. Broken Doll, zerbrochenes Püppchen, wird der noch jugendlich wirkende Ernest im Croce Rossa Americana genannt. Und Püppchen hat verdammt viel Glück gehabt. Nur einem neu entwickelten Wundwaschverfahren hat er es zu verdanken, dass sein Bein nicht amputiert werden muss.

In der Mailänder Klinik des American Red Cross lernt Ernest Hemingway seine erste große Liebe kennen. Sein Schwarm heißt Agnes von Kurowsky, eine US-Amerikanerin, ihr Vater stammt aus Polen. Agnes, eine mütterlich wirkende Frau, arbeitet als Krankenschwester im amerikanischen Rotkreuz-Hospital. Ernest, vor ein paar Tagen 19 Jahre alt geworden, hat gerade sein erstes großes Abenteuer, den Ersten Weltkrieg, mit einer Mörsergranate im Bein verloren.

Vom Krankenbett weg verliebt sich der junge Patient in die große Frau mit schönem schwarzen Haar. Die bezaubernde Agnes ist sieben Jahre älter als Ernest und kommt aus Washington D.C., wo sie in einer Bibliothek gearbeitet hat. Der junge Ernest Hemingway ist hin und weg von der Frau, am liebsten möchte er Agnes sofort heiraten. Er offenbart sich und schreibt ihr flammende Liebesschwüre, auch Agnes ist von dem stattlichen Kerl angetan, man kommt sich näher und beide schmieden Pläne einer gemeinsamen Zukunft in den Staaten.

Als es ihm besser geht, unternehmen die beiden Verliebten Ausflüge in die Umgebung. Sie besuchen das Pferderennen in San Siro und erkunden das Zentrum von Mailand. Ernest, an einem Krückstock, trägt die Uniform des American Red Cross ohne Rangabzeichen und am Ärmel mit einem großen „V“ für Volunteer. Während sein linker Fuß in Springerstiefel steckt, trägt Ernest Hemingway an seinem verletzten rechten Fuß über dem Verband eine Hauspantoffel.

Doch nach ein paar Wochen lässt die Angebetete den jungen Kerl kalt

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Adriana Ivancich, die späte Muse, lässt Ernest Hemingway völlig durchdrehen

Auch wenn seine blonde Ehefrau Mary dabei ist, hat Ernest Hemingway nur Augen für Adriana. Havanna, im Oktober 1950; Credit Line: Ernest Hemingway Collection. John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Die Liebesbeziehungen des Menschen, wenn sie denn scheitern, lesen sich meist als Trauerspiel. Im Alter, wenn die Gefühle sich nochmals trotzig aufbäumen, können solche Tragödien allerdings schon mal zum Schwank ausarten. Ernest Hemingway bleibt von einer solcher Erfahrung nicht verschont. Ihr Name lautet Adriana. Adriana Ivancich.

Ernest verliebt sich in die 18-jährige Schönheit Adriana und befördert sie zu seiner Muse. Die junge Adriana vermag in dem alternden Schriftsteller bestenfalls eine Art väterlichen Bewunderer zu sehen, sie kokettiert mit ihm und lässt sich gerne den Hof machen. Ernest Hemingway, als liebestrunkener alter Knabe von bald 50 Jahren, torkelt unbeirrt durch sein Liebesabenteuer. Bei aller Schwärmerei für Adriana merkt Ernest Hemingway nicht, dass diese Eskapade im Herbst seines Lebens ihn in seiner Umgebung mehr und mehr der Lächerlichkeit preisgibt. 

Im Oktober 1950 kommt Adriana Ivancich dann mit ihrer Mutter Dora für vier Monate auf die Finca Vigía und Ernest Hemingway kauft sich im El Encanto, Havannas feinem Kaufhaus, brandneue Kleidung, moderne Guayaberas, Hosen, Shorts und neue Schuhe. Er nimmt das junge Mädchen mit in seine Welt, zu Ausfahrten auf der Pilar, zum Jagen in den Club de Cazadores del Cerro in Rancho Boyeros, ins Floridita. Adrianas gestrenge Mutter schaut missbilligend drein, doch der liebestolle Ernest balzt lustig weiter. 

Und Adriana lässt den von Frühlingsgefühlen übermannten Ernest weiterhin um sich herumschwirren. Was die junge Frau allerdings nicht davon abhält, auf

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Across the River and into the Trees

AcrosslowAls das Werk im Jahr 1950 erscheint, wird es von der Kritik fast einhellig verrissen. Eine Eigen-Parodie Hemingways sei diese Erzählung wird in den Feuilletons geschrieben, ein peinliches Altherren-Geschwätz.

Die Rede ist von Across the River and into the Trees, in dessen Mittelpunkt der amerikanische Kriegsveteran Richard Cantwell steht. Colonel Cantwell, der beide Weltkriege mitgemacht hat, trifft im Gritti seine junge Geliebte, die wunderschöne Venezianerin Contessa Renata. Der Colonel ist todkrank, verbittert und kriegsmüde. Nur die Liebe zu Renata hält ihn wach, Hemingway ist trotz harter Schale ein Romantiker, die Liebe als das Heilmittel gegen die Wunden des Krieges.

Als Über den Fluss und in die Wälder erscheint, da halten nur wenige Literaturkritiker das Werk für gelungen. Die meisten können mit dem Roman über Venedig und die Lagune wenig anfangen. Die Geschichte um den Oberst Cantwell wird bei Kritik und Lesern als zu gekünstelt abgetan. Auch die Öffentlichkeit nimmt die Erzählung als Enttäuschung auf, Ernest wirkt tief gekränkt.

Man sollte jedoch

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