Das Portal zu Leben und Werk von Ernest Hemingway

Schlagwort: Vater

Als Clarence Hemingway erstmals ein Buch seines Sohnes Ernest liest

Three Stories & Ten Poems
Ernest Hemingway
Ernest Hemingways wilder Erstling: Three Stories & Ten Poems. Mit Themen, die dem Vater der Schreck in die Glieder fahren lässt.

Ernest Hemingway lebt seit Dezember 1921 als Korrespondent für den Toronto Star in Paris. Doch die europäische Berichterstattung für die kanadische Tageszeitung wird nicht die Erfüllung seiner Träume. Bald merkt er, die Ambition zieht ihn in Richtung eines Buchautors. Einige Kurzgeschichten, die zumeist in seiner nordamerikanischen Heimatregion spielen, hat er in den letzten Monaten fertiggestellt. 

Three Stories & Ten Poems heißt eine Anthologie, die 1923 in einer Auflage von nur 300 Exemplaren veröffentlicht wird. Verleger ist Robert McAlmon, der die Sammlung von Short Stories und Gedichten in seinem Pariser Kleinstverlag Contact Publishing herausbringt. Das Büchlein ist eher ein Privatdruck des Freundes Robert, aber immerhin, ein Anfang ist getan.

Aus der französischen Hauptstadt übersendet Ernest ein paar Exemplare seines Debütbuches an seine Schwester. Vorsichtig fügt der Mittzwanziger an: „Aber zeig‘ es nicht der Familie!“. Der Sohn weiß, wie die sittenstrengen Eltern ticken. Die Hemingways sind mit den calvinistischen Werten der Einwanderer groß geworden. Fleiß, Askese und ein tiefer Gottesglaube gelten als in Stein gemeißelte Leitlinien.

Da schlägt Sohnemann gehörig aus der Reihe. Sein Lebenswandel erweist sich in der Tat als überaus heikel für einen gutbürgerlichen Haushalt wie den der Hemingways. Es gefällt Ernest, fern jeder bildungsbürgerlichen Ambition, in Paris an Tabus zu rühren. In seinen Erzählungen schreibt der Novize über Kämpfe, über Gewalt, über Gedrücktheit und fehlende Hoffnung. Spürbar legt sich über die Handlung ein grauer Schleier. Der Tod ist in seinen Geschichten so präsent wie der liebe Gott im Vatikan.

Besonders die Kurzgeschichte Up in Michigan, im Jahr 1921 geschrieben, hat es in sich. Die knappe Story Oben in Michigan, spielt in Horton Bay, seinem Hochzeitsort. Unterkühlt beschreibt Ernest, wie die Hauptperson, der Schmied Jim Gilmore, bei einem Spaziergang am Hafen über seine Freundin Liz herfällt. Eine verstörende Handlung, eine Vergewaltigung wohl, hat dieser junge Autor zu Papier gebracht. Gut, dass die Eltern das Debüt ihres Sohnes nicht mitbekommen.

Zwei Jahre später erscheint dann in den USA ein Buch von Ernest. In Our Time lässt sich vor den Eltern nicht verheimlichen. Viele Szenen erscheinen nach wie vor düster und wenig erbaulich. Gerade die Erzählungen rund um den Knaben Nick und seinen Vater, die autobiografische Züge tragen und in der Heimat der Hemingways spielen, irritieren den Leser. Nicks Erlebnisse zeigen einerseits eine anheimelnde Seite der Kindheit, andererseits auch eine, in der Tod und Selbstmord vorkommen.

Die Eltern sind schockiert. Clarence Hemingway, ein angesehener Arzt in Oak Park, ist außer sich. Er empfindet das Werk des Sohnes als Teufelszeug. Einen solchen Dreck werde er in seinem christlichen Haus nicht dulden, brüllt er. Wutentbrannt will der Vater die Bücher an den Verlag zurückschicken. Die Mutter, eine Opernsängerin, drängt darauf, wenigstens ein Exemplar zu behalten.

Ernest fühlt sich herabgesetzt und stellt sich stur. Er lässt weniger von sich hören, die Briefe aus Paris an das Elternhaus werden seltener. Er sieht sich in seiner Autorenehre verletzt und als Schriftsteller verkannt. Die Eltern jedoch, in ihrem heilen Kosmos der bigotten Vorstadt, bekommen von den Wirren jener Zeit wenig mit. Kriege, Kämpfe und Wirtschaftskrisen laufen an

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Ernest Hemingways Vater

Dr. Clarence Hemingway mit seinem Sohn Ernest zu Hause in Oak Park, Chicago, im Jahr 1918.

Dem geliebten Familienoberhaupt will der junge Ernest Hemingway imponieren. Seinem Vater Clarence schreibt er am 9. Juni 1918 aus dem italienischen Mailand eine Postkarte nach Chicago: Alles bestens. Morgen geht es an die Front. Ernest Hemingway ist erst 18 Jahre alt, ein großer Kerl zwar, aber noch ziemlich grün hinter den Ohren.

Am gleichen Tag schreibt der Rotzlöffel eine Postkarte an einen Freund nach Kansas City: Having a wonderful time!!!. Mit drei Ausrufezeichen. Da steht ein unbedarfter Arztsohn aus dem mittleren Westen Amerikas vor den bluttriefenden Schlachtfeldern in Europa und freut sich auf das Kriegsgemetzel. Was ist da schief gelaufen? 

Zur Mutter bleibt das Verhältnis Zeit seines Lebens angespannt, zum Vater jedoch entwickelt Ernest Hemingway eine enge Beziehung. Es ist der Vater, der den Sohn prägt, es ist Clarence, der Ernest ins Leben führt. Der Vater hat ihn früh in die Natur mitgenommen und ihm an den Bächen und Flüssen um den Lake Michigan das Fischen beigebracht. Die Hemingways besitzen das Sommerhaus Windemere am Walloon Lake im Norden Michigans und die Eltern verbringen dort mit den Kindern die Sommermonate.

An Gewässern, an den Bachläufen oder am Meer fühlt Ernest Hemingway sich der Schöpfung nahe, er empfindet dort eine tiefere Aufmunterung als in der Stadt. „Porqué me trajiste, padre, a la ciudad?“ Warum nur, mein Vater, hast du mich in die Stadt gebracht, klagt der große Poet Rafael Alberti in Marinero en tierra im Jahr 1925. Und der Volksbarde aus El Puerto de Santa María, ganz im Süden Spaniens, meint damit im Grunde: Vater, warum hast du mich der Natur entrissen?

Durch den Vater hat Ernest den Respekt vor der Natur erfahren. In der unberührten Natur entdeckt er das Gerinnsel einer Quelle, das Wachsen zu einem Bachlauf, der breiter und breiter wird und schließlich in einem Fluss mündet, der dem Meer zufließt. Der Junge bestaunt die selbstverständliche Beständigkeit dieses Kreislaufes, so als sei sie von einer unsichtbaren Hand gezogen, die sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt.

Doch es ist auch die Natur, die dem Menschen seine Grenzen setzt. Die Natur – das Meer, die Seen, die Berge und die Wälder – zeigt sich launenhaft und folgt ihren eigenen Regeln, sie lässt sich um keinen Preis bändigen. Die Natur ist mächtiger als alles, als wirklich alles, was sie umgibt, mächtiger als der Mensch ohnehin. Die Menschen kommen und gehen, die Natur jedoch bleibt. 

In der Anmut der Natur lauert allerdings ein unsichtbarer Gegner. Denn zum Kreislauf der Natur gehört auch

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