Christiania 
Ketchum Idaho
Hemingway
Ein letztes Mahl in seinem Lieblingsrestaurant Christiania. Photo by W. Stock, Ketchum 2018.

Der große Ernest Hemingway, gefeiert von aller Welt, ist am Ende seiner Lebensreise ernüchtert und unglücklich.  Große Männer fallen tief. Und er, der beste Schriftsteller seiner Zeit, fällt tief, ganz tief. Seine italienische Übersetzerin Fernanda Pivano, die ihn aus den Büchern und vielen Begegnungen gut kennt, meint nach seinem Selbstmord: „Ernest schien nie wirklich glücklich. Er war unaufhörlich auf der Jagd nach seiner selbst. Nie fand er den Frieden mit sich.“

Die letzten Tage seines Lebens sind entsetzlich für ihn. Alles, was er liebt, wird unerreichbar. Der Schatten auf seiner Schulter ermächtigt sich seiner. Der Autor ist an den Zeitpunkt gelangt, an dem er abschließen möchte mit der Welt, er sieht keinen Sinn mehr und keinen Lichtblick in seinem Leben. Er möchte es zu einem Ende bringen, es soll jedoch ein Abschied sein nach seinen Regeln.

Am letzten Abend gehen die Mary und Ernest Hemingway mit ihrem Freund George Brown in das Christiania Restaurant an der Walnut Avenue im Zentrum von Ketchum. The Christy, wie das Haus bei den Einheimischen genannt wird, in ein rustikales, aber doch vornehm gehaltene Speiselokal aus Holz. Der Schriftsteller erhält seinen Stammtisch, Tisch Nummer 5, den Ecktisch hinten links, von dort aus vermag er den ganzen Speiseraum zu überblicken. Es ist Samstag, der 1. Juli 1961.

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Am Abend des 1. Juli 1961 besucht Ernest Hemingway zusammen mit Mary und einem Freund das Christiania. Stunden später wird der Nobelpreisträger tot sein. Photo by W. Stock, Ketchum 2018.

Ein kräftiges New York Steak, wie immer rare gebraten, dazu Idaho-Kartoffeln und ein einfacher grüner Salat, es ist sein Lieblingsgericht. Ernest trinkt dazu eine Flasche Châteauneuf-du-Pape, seinen roten Lieblingswein. Mary nimmt den Caesar Salad mit Parmesan und bleibt den ganzen Abend bei Martini. Doch die Paranoia lässt ihn auch im Christiania nicht los. Längere Zeit sitzt der bärtige Autor versunken und schweigend am Tisch.

Wer sind die beiden Männer dahinten, fragt Ernest Hemingway unvermittelt die Kellnerin June Maella, eine 20-jährige Einheimische, die den berühmten Schriftsteller im Christiania schon häufig bedient hat. Ich glaube, es sind zwei Vertreter aus Twin Falls, bekommt er zur Antwort. Nein, nein, sagt der Nobelpreisträger fahrig, nicht am Samstagabend, da müssten sie bei ihren Familien sein. Das sind FBI-Agenten.

George Saviers, sein Hausarzt, kommt an diesem Abend zufälligerweise auch ins Christiania Restaurant, wenn auch nicht zusammen mit den Hemingways. Der Doktor und sein Patient unterhalten sich länger. Der 45-jährige Dr. Saviers, mittlerweile ein Freund der Familie, hat lange helfen können. Doch schon vor Monaten hat der Dorfarzt die Krankenakte mit den Depressionen und dem Verfolgungswahn an die Fachkollegen der Mayo-Klinik abgegeben. 

Gegen elf Uhr nachts, sie sind die letzten Gäste, verlassen das Ehepaar Hemingway und George Brown das Christiania. George, der den Schriftsteller zwei Tage zuvor aus dem Krankenhaus in Rochester abgeholt und nach Ketchum gefahren hat, übernachtet in der Laube hinter dem Haus. Die Nacht legt sich schwer über das Tal in den Ausläufern der Rocky Mountains. Morgen, am Sonntag, dem 2. Juli 1961, wird die kleine Silberminen-Stadt Ketchum auf der ganzen Welt ein Begriff sein.

Zwei Kugeln, an einem Sonntagmorgen im Sommer 1961, werden den körperlichen Verfall dieses einst so kräftigen Haudegens offenlegen. Doch der überall umschwärmte Ernest Hemingway ist nicht nur physisch am Ende. Er hat resigniert, nicht so sehr vor dem Schicksal, dieser Mensch hat kapituliert vor seiner eigenen Utopie. Wie unglücklich muss ein Mann sein, der sich Knall auf Fall aus dem Leben abmeldet, ohne sich wenigstens bei seiner Frau und den Kindern zu verabschieden?

Miss Mary befindet sich in ihrem großen Schlafzimmer im Obergeschoss des Hauses der Hemingways am East Canyon Run Boulevard. Sie streift ihr Nachtgewand über und stimmt spontan die Melodie des italienischen Volksliedes Bionda, o bella bionda an und Ernest aus seinem gegenüber liegenden Schlafzimmer fällt in den Refrain ein, non farmi morir d’amor. Lass mich nicht aus Liebe sterben.

Die nichts ahnende Mary wünscht ihrem Ehemann eine gute Nacht. Und Ernest erwidert kaum vernehmlich, Gute Nacht, mein Kätzchen. Es werden die letzten Worte des Schriftstellers auf dieser Welt sein.

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