Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Autor: Wolfgang Stock Seite 1 von 62

Eine etwas andere Sichtweise auf Hemingway & Co.: 111 Actionszenen der Weltliteratur

Ernest Hemingway
Actionszenen der Weltliteratur
Eine wunderbare Neuerscheinung. Die andere Bibliothek: 111 Actionszenen der Weltliteratur.

In diesem neuen Buch zeigen sich gefeierte Autorinnen und Autoren der Weltliteratur, wie wir sie bislang noch nicht kannten: mitten im Geschehen, im Nahkampf und im Getümmel. Als Schurken, als Opfer oder als Helden. Tolstoi, Proust, Shelley, Oscar Wilde, James Joyce und viele andere Berühmtheiten in Action!

Und der Leser ist mitten drin. Als Cervantes in der Schlacht von Lepanto kämpfte. Als Tolstoi von einem Bären gebissen wurde. Als Jules Verne Achterbahn fuhr und Antoine de Saint-Exupéry vier Bruchlandungen überstand. Als die Schwestern Brontë den Weltuntergang erlebten. Als Marcel Proust sich duellierte und die Polizei nach Agatha Christie fahndete. Als Mary Shelley am Genfer See ihr Monster traf und Emily Dickinson den Sturm der Liebe erlebte. Als Bob Dylan sich in Woodstock das Genick brach und David Foster Wallace im Fitnessklub zu Boden ging.

Diese Neuerscheinung sammelt die besten Stories aus der gleichnamigen Kult-Serie in der LITERARISCHEN WELT, die von Mara Delius und Marc Reichwein herausgegeben wird. Eine andere Geschichte der Literatur, in deren Licht sich die herkömmlichen Literaturgeschichten allesamt blass und anämisch ausnehmen. Die grandiose grafische und editorische Gestaltung dieser Novität durch Paul Fretter und Manja Hellpap im Rahmen der Anderen Bibliothek im Aufbau Verlag bleibt hervorzuheben.

Auch Ernest Hemingway mischt bei diesen Actionszenen mit. Wie sollte es anders sein! Ich habe die Freude, in dem Band von seinen zwei Flugzeugabstürzen in Ostafrika zu berichten. Action genug. So schlimm, dass die beiden Unglücke im Jahr 1954 so etwas wie

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Der schönste Hemingway-Satz: Die Fiesta explodiert

„Sonntagmittag, 6. Juli, explodierte die Fiesta. Anders kann man das nicht nennen. Den ganzen Tag waren Leute vom Land in die Stadt gekommen, aber sie wurden von der Stadt absorbiert und fielen nicht weiter auf. Der Platz lag so still in der heißen Sonne wie an jedem anderen Tag. Die Bauern waren in den Weinläden der Außenbezirke. Dort tranken sie und machten sich für die Fiesta bereit. “

Ernest Hemingway: Fiesta, 1926

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Ernest Hemingway verehrt den Boxer Max Schmeling

Max Schmeling
Der deutsche Boxer Max Schmeling, im Jahr 1938. Photo: C. Greene, World Telegram.

Das Boxen mochte er immer. Zumal dieser begnadete Schriftsteller sich für einen grandiosen Boxerkämpfer hält. Doch auf die Kenner der Materie wirkt der Mann aus Chicago eher wie ein Maulheld. My writing is nothing, my boxing is everything, solch einen blühenden Blödsinn sondert Ernest Hemingway gerne ab. Sein Schreiben sei nichts, seine Boxkunst alles. Es ist genau anders herum, wie sollte es auch sein, bei einem Nobelpreisträger und Star-Autoren.

Doch der Boxsport lässt Hemingway nicht kalt. Er zeigt sich gerne als Box-Kämpfer, lässt Fotos mit sich in Positur aufnehmen. Und er fightet gerne. Gegen Kollegen am liebsten. In seinen Pariser Anfangsjahren verdient er sich ein paar Francs dazu als Sparringspartner für Schwergewichtler. Boxer – wie der Kubaner Kid Tunero – gehören zu seinem engen Freundeskreis. Zeitlebens bleibt der Boxsport seine große Leidenschaft.

Wenn man sich das Oeuvre von Ernest Hemingway anschaut, merkt man über kurz oder lang, dass Boxen und auch die Boxsportler in zahlreichen Erzählungen vorkommen. Joe Louis, Georges Carpentier, Jack Walker, Kid Norfolk, Charles Ledoux, Jack Sharkey oder Max Schmeling – all diese Boxkämpfer finden sich in den Büchern des Nobelpreisträgers von 1954. In einigen seiner Kurzgeschichten geht es ebenso ums Boxen.

Nicht nur die Kriegsschlacht und der Stierkampf sind zentrale Motive seines Werkes. Auch das Boxen passt gut in die Erzählstränge seiner Romane. Denn anhand dieses Sports lassen sich die Tugenden und Ideale festmachen, über die Ernest Hemingway schreibt. Tapferkeit, Tollkühnheit, Kampfeslust und den Willen, niemals aufzustecken.

Einen Boxer bewundert er vor allem. Den Deutschen Max Schmeling. Am 22. Juni 1938 fliegt Ernest Hemingway von seinem Wohnort Key West nach New York, um sich den Kampf von Joe Louis gegen Max Schmeling im Yankee Stadium anzusehen. Der Schriftsteller mag beide Boxer. Herkunft, Hautfarbe, Reisepass, völlig schnurz für einen Fan wie ihn. Jubel in ganz Amerika, als Joe Louis dem Deutschen in der ersten Runde einen K.o.-Schlag verpasst. Beide Boxer werden trotz aller Rivalität zu Freunden.

Max Schmeling, der im September 1905 in Klein Luckow in Vorpommern geboren wird und der im Februar 2005 im niedersächsischen Wenzendorf stirbt, ist der populärste deutsche Schwergewicht-Boxer. Zwischen 1930 und 1932 ist er Box-Weltmeister. Ein Comeback als World Champion gelingt ihm nicht, trotz eines Sieges im Jahr 1936 gegen Joe Louis. Im entscheidenden Rückkampf vom Juni 1938 geht er mit Pauken und Trompeten unter. Seiner Popularität tut die Niederlage keinen Abbruch.

Bis heute gilt er als tadelloser Sportsmann, nicht nur in seiner Heimat. Gerade Max Schmeling, den er verehrt und häufig erwähnt, ist als Persönlichkeit wichtig: Der Box-Weltmeister zeigt Hemingway und der Welt in dieser schwierigen Zeit ein differenziertes Bild von Deutschland. Der Schwergewichtler lebt vor, dass man

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Ernest Hemingway – der Moderne aus der Mottenkiste

Ernest Hemingway
The Sun Also Rises
Fiesta
Sein Debüt The Sun Also Rises erscheint im Jahr 1926. Mit einer Wucht, als habe ein Revolutionär einer verstaubten Epoche den Todesstoß versetzt.

Dieser Kerl mit dem himmlischen Rauschebart will den Kosmos um sich herum für die Ewigkeit inszenieren. Unsterblichkeit ist sein Ziel gewesen. Die hat er ja sogar irgendwie bekommen, auch wenn er seit über 60 Jahren still und leise auf dem Dorffriedhof von Ketchum ruht. Bei einem Schriftsteller, der derart aneckt, ist es kein Wunder, dass sich die Kritiker und Neider lauthals melden. Angriffsfläche bietet der Bärtige genug.

Hauptvorwurf: Er sei unmodern. Er passe nicht in die heutige Zeit. Seine Inhalte und sein Stil – schrecklich altbacken. Moderne Themen, die unter den Nägeln brennen, seien bei ihm nicht zu finden. Mit dem Alltag und seinen Schattenseiten hat er in der Tat nichts am Hut. Berufsprobleme, Ehezwist, Emanzipation, der Moloch der Großstadt, prekäres Leben, Diskriminierung, soziale Benachteiligung. Gibt es alles, mehr als erträglich, schlimm genug. Doch dies sind nicht Hemingways Themen. Und die langen, komplizierten Sätze und die eierköpfige Annäherung erst recht nicht.

Ernest mag vielmehr die unangestrengte und grundehrliche Erzählung. Alles selbst gesehen und schmerzlich erlebt. Das ist seine Welt. Fischer, Kneipiers und Malocher gehören zu seinen Freunden. Professoren und Intellektuelle eher nicht. Ernest Hemingway verachtet die literarische Selbstbemitleidung der Großstadt-Neurotiker. Deshalb hat er sich in seine tropische Finca auf Kuba verkrochen, weit weg vom Blitzlichtgewitter der Presse. Und noch wichtiger: Weit weg von den Kollegen.

Gegner tauchen trotzdem auf. Man reibt sich an ihm. Einerseits. Andererseits kopiert man ihn, man folgt seiner Marschroute. Sein schnörkelloser Stil, die Aneinanderreihung kurzer Aussagesätze und die kraftvolle Sprache werden typisch für viele Schriftsteller, weltweit. Ernest Hemingway wird ein Stilbildner, ganze Autorengenerationen hat er beeinflusst. Truman Capote, Nelson Algren, Malcolm Lowry, Bruce Chatwin. Alles Top-Schreiber, alleine aus der angelsächsischen Sprachwelt.

Die Enkel rücken in den 1960er Jahren noch näher. Mit dem New Journalism proben sie die Kulturrevolution, Hemingway ist ihr bewunderter Großvater. Hunter S. Thompson, Gay Talese, Truman Capote, Tom Wolfe. Dieser New Journalism geht voll rein, er ist ein ästhetischer Barrikadenkampf gegen die pomadig schreibenden Väter. Doch in ihrer schrillen Subjektivität besitzen die neuen Reportagen etwas, das auch Hemingways Texte haben: Nähe und Authentizität.

Und in unseren Tagen? Mittlerweile sind die ungestümen Enkel vom New Journalism ebenfalls Geschichte. Doch der Großvater, oh Wunder, springt noch immer quicklebendig umher. Einer, der ernsthaft schreibt, kommt nicht vorbei an ihm. Denn jeder ambitionierte Reporter an Zeitungen und Zeitschriften, ein jeder Korrespondent in der Ferne, ist irgendwann und irgendwie durch die Schule des Alten gegangen. Auch wenn so mancher die Nase gerümpft hat. Gelernt von ihm haben alle.

Einen Ernest Hemingway von heute, den gibt es nicht, es kann auch keinen geben. Ein übersprudelnder Lebemann wie er, egomanisch und ungehobelt, wird in der Zeit weichspülender Political Correctness und flüchtiger Handy-Filmchen nur schwer einen Platz finden. Ein Ernest Hemingway wäre in der Welt der Belanglosigkeiten, wo jeder Pups auf Facebook oder X stolz vermeldet wird, ganz schrecklich aus der Zeit gepurzelt.

Mit dem Hochadel, in welcher Ausprägung auch immer, hat der Mann aus einem Vorort von Chicago wenig am Hut. Er kommt aus der bodenständigen Tradition eines Mark Twain. Es ist ihm gelungen, die englische Literatur von den hochherrschaftlichen Manierismen der Charles Dickens-Schule zu befreien. Literaturhistorisch bleibt dies sein Verdienst. Auch seine Themen scheinen zeitlos. Neben dem Wunschtraum nach dem Wahren und Schönen beschreibt er, dass kein Tag ohne Kampf vergeht.

Dieser Schriftsteller kann das Außenleben messerscharf beobachten. Millimetergenau wie ein Bauzeichner legt er seine Sätze und Dialoge an. Weil seine Prosa kraftvoll auf die

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Jack Hemingway wird von den Deutschen gefangen gehalten

Ernest Hemingway mit seinen Söhnen Patrick, mit Jack in Uniform und Gregory im Club de Cazadores del Cerro auf Kuba. Photo Credits: Ernest Hemingway Photograph Collection, John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

In Paris erfährt Hash im Frühjahr 1923, dass sie schwanger ist. Der Sohn John Hadley Nicanor, mit Kosename kurz Bumby genannt, kommt im Oktober bei einem mehrmonatigen Aufenthalt im kanadischen Toronto zur Welt. John sollte das einzige Kind aus der Ehe von Ernest Hemingway mit Hadley Richardson bleiben. Der Sohn wächst wohlbehütet in Paris auf.

Jack, so wird er in der Familie gerufen, besucht das Dartmouth College und die University of Montana. Ohne Abschluss, Pearl Harbor kommt dazwischen, er geht zur Armee. Mit Eintritt der USA in den Krieg wird Jack Hemingway 1944 nach Frankreich abgeordnet. Schließlich arbeitet er beim militärischen US-Geheimdienst OSS. Da er der französischen Sprache mächtig ist, wird er als Verbindungsoffizier zur Résistance eingesetzt. 

Dann der Schock für ihn und die ganze Familie: In den Vogesen wird Jack im Oktober 1944 von der Wehrmacht festgenommen und ein halbes Jahr im Kriegsgefangenenlager Moosburg an der Isar inhaftiert. In diesem Lager zwischen München und Landshut magert er dramatisch ab. Von 95 Kilo auf 64 Kilo. Nach seiner Befreiung Anfang April 1945 macht er sich auf in Richtung Paris, wo er am 8. Mai den Feierlichkeiten zum Kriegsende beiwohnt.

Trotz seiner Gefangenschaft verbleiben bei Jack keine Ressentiments. Die Wehrmacht hat ihm kräftig zugesetzt, doch er weiß zu unterscheiden. Als ich Jack auf der Frankfurter Buchmesse Ende der 1980er Jahre treffe, kommt er mir als ein liebenswürdiger und offener Gesprächspartner entgegen. Die Deutschen als Feinde, nicht vergessen, aber es ist Historie. So hat auch der Vater gedacht.

Nach dem Krieg wird er kurz in West-Berlin und Freiburg stationiert, dann in Fort Bragg, in North Carolina, bevor er die Armee verlässt. Im Zivilleben widmet er sich seiner Passion, dem Fischen, er betreibt einen Handel mit Angelutensilien. Dann schreibt Jack seine Autobiografie und hält die Erinnerungen an den Vater fest. Misadventures of a Fly Fisherman: My Life With and Without Papa.

Ab 1967 lebt er in Ketchum, in den Bergen Idahos. Dort, wo auch sein Vater die letzten beiden Jahre verbracht hat. Und wo der Nobelpreisträger begraben liegt. Von 1971 bis 1977  ist er Beauftragter des Idaho Fish and Game-Beirates gewesen. Er setzt sich für den Erhalt der Natur ein. In der Region des Sun Valley und des Silver Creek hat er sich als Umweltschützer einen guten Namen erworben.

Jack Hemingway Ketchum

John Hadley Nicanor, genannt Jack, ist der älteste Sohn von Ernest Hemingways. Auch Jack findet seine letzte Ruhe auf dem Dorffriedhof von Ketchum. Foto: W. Stock, 2018.

Drei Kinder. Mariel, die Hollywood-Schönheit. Joan, genannt Muffet. Und Margaux, ein Model und ebenfalls eine Schauspielerin. Jack stirbt am 1. Dezember 2000. Er liegt auf dem Dorffriedhof von Ketchum begraben. One of Natur’s Noblemen steht auf seinem Grabstein. Ein Edler

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Mythos Hemingway? Eigentlich ist er ein schüchterner Mensch gewesen

Das Hemingway Memorial in Ketchum, Idaho. Foto: W. Stock, 2018.

Ein Umstand wird viele überraschen, denn er entspricht nicht der Vorstellung, die wir von diesem Schriftsteller mit uns tragen. Auch wenn die Auffassung gewagt ist, es lohnt sich, darüber nachzudenken: Ernest Hemingway ist in seinem Innersten ein überaus schüchterner Mensch. Selbst wenn er in den Zeitungen und Zeitschriften sein Leben bis ins Einzelne ausbreitet, ein Hans Dampf in allen Gassen ist er nie gewesen.

So tritt er höchst selten vor Publikum auf. Bei Ansprachen fühlt er sich eher unwohl. Seine Sprechweise scheint oft von Unsicherheit und Brüchigkeit geprägt. Nur wenn ihm etwas wichtig ist, dann legt er seine Leidenschaft rein. Dem Propagandafilm für die spanische Republik – The Spanish Earth – leiht er seine Stimme. Ansonsten gibt es wenig aus dem Radio oder Television mit ihm. Dem Medium Fernsehen begegnet er mit Abstand.

Nur wenige Interviews hat er Journalisten gewährt. Sie stehen Schlange. Umsonst. Auch die Buchautoren hält er auf Distanz. Mit keinem seiner Biografen hat er zusammengearbeitet oder diesen unterstützt. Noch nicht einmal seinen Bruder Leicester, der die erste Biografie über ihn geschrieben hat. Im Gegenteil. Er soll wütend darüber gewesen sein.

Zelebritäten sind hinter ihm her. Wollen sich mit dem Nobelpreisträger und Star-Schriftsteller ablichten lassen. Er jedoch zieht sich zurück. Je berühmter er wird, desto mehr igelt er sich ein. Nur, wenn er etwas will, wenn es in seinen Kosmos passt, dann kennt er kein halten. Safaris, Bullenrennen, Schippern auf dem Meer. Spanien und Italien. Da blüht er auf. Das sind Sphären, wo seine eigene Persönlichkeit und die Welt da draußen sich überschneiden. Mit den Bussi-Partys in New York gibt es eine solche Schnittmenge nicht.

Ernest Hemingway hat immer Wert gelegt auf Privatsphäre. Er hat sich zurückgezogen in sein tropisches Refugium Finca Vigía im Hinterland von Havanna. Um zu ihm zu gelangen, muss man durch versteckte Ortschaften und über staubige Dorfstraßen. Hinter die Telefonklingel auf seinem Anwesen kann er ein Stückchen Papier klemmen, dann hat er seine Ruhe. In den letzten beiden Jahren zieht es ihn nach Ketchum, in ein Silberminen-Kaff, irgendwo in den Ausläufern der Rocky Mountains, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.

Auf der anderen Seite gibt es Tausende Darstellungen von ihm. Von den besten Fotografen weit und breit. Von Robert Capa und Man Ray, von Alfred Eisenstaedt und Yousuf Karsh. Die Aufnahmen scheinen der These von der Schüchternheit zu widersprechen. Doch eines fällt auf. Bei den allermeisten Fotos posiert er nicht. Es sind Schnappschüsse. Keine gestellte Lichtbilder.

Mythos Hemingway. Er hat ihn zwar befeuert, aber nicht absichtlich erzeugt. Es gibt von ihm keine Strategie, sich als öffentliche Person darzustellen. Eher haben wir ihn gemacht. Wir, die Leser und die Bewunderer. Denn die Zeit ist reif dafür gewesen. Weil der Adenauer-Mief und der Eisenhower-Muff nach einem solchen Mythos verlangt haben. Nach einem kernigen Macho wie ihn, der sich die Welt anschaut, unabhängig und eigenwillig. Auch nach einem Menschen mit Ecken und Kanten.

Das Hamsterrad in den Jahren des stürmischen Wirtschaftswachstums zieht am Ende einen Eskapismus mit sich. Man will hinaus in die Welt. Zu neuen Ufern aufbrechen. JFK verkörpert dies, später auch

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Der schönste Hemingway-Satz: Verzweiflung

Writers are desperate people and when they stop being desperate they stop being writers.

Schreiber sind verzweifelte Menschen und wenn sie aufhören, verzweifelt zu sein, dann hören sie auf, Schreiber zu sein.

Ernest Hemingway
Death in the Afternoon

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Ernest Hemingway – Die Zerstörung of a Masterpiece

Ernest Hemingway
Memorabilia
Solches Allerlei wird auf großen Auktionen angeboten: Hemingway-Schnipsel. In Wirklichkeit eine Zerstörung. Da wird geschnitten und Einzelelemente werden wieder zusammengestellt, die nicht zusammengehören. Am Ende bleibt die Verwüstung.

Der Markt für Hemingway-Memorabilia ist bunt. Fotos, Manuskripte, Briefe, Bücher mit Widmung. Erinnerungsstücke an den 1961 verstorbenen Nobelpreisträger. Eine Verneigung der Jünger und Liebhaber. Viele Sammler auf der Welt schätzen dies. Neben den Sammlerstücken in den Archiven der Ernest Hemingway Collection in der John F. Kennedy Presidential Library and Museum in Boston lagern zahlreiche Kostbarkeiten in den Händen von privaten Sammlern.

Alles schön und gut. Jedoch eine Abart der Memorabilia treibt mir regelmäßig den Puls nach oben: ausgeschnittene Fragmente. Da werden aus signierten Büchern oder Briefen die Namenszeilen abgetrennt und als Bruchstücke einzeln verkauft. Welch ein Frevel! Die Kunst des Ernest Hemingway sollte unantastbar sein.

Kunst umgibt etwas Heiliges. Der gesamte Brief oder das signierte Buch sind Meisterwerke. Brocken herauszuschneiden und proportioniert in den Verkauf zu geben, ist nicht nur dumm und krank, sondern zertrümmert mit einem Schlag das Gesamtkunstwerk. Dem wahren Kenner tut solch ein Sezieren körperlich weh.

Hoffen wir, dass demnächst nicht jemand auf die Idee kommt und ein Gemälde von Paul Cézanne oder Auguste Renoir zerschnippelt und die Fetzen als Einzelteile verkauft. Dies ist keine Kunst, es wäre die Zerstörung der Kunst.  

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Über so etwas stolpert man bei Auktionen: Schnipsel. Die antiseptischen Teilstücke finden ihre Käufer. Doch wer bloß will ein geschreddertes Meisterwerk?

Es ist Kultur als abgepackte Portionsware. Ein Warencharakter der Kunst, um den letzten Dollar herauszuquetschen. Faszination, Charakter und Historie werden damit abgemurkst. Was zählt, ist der Mammon.

Dass solche Schnipselware den Fälschern und Tricksern Tür und Tor öffnet, davon wollen wir gar nicht reden. Denn zurückverfolgen oder einwandfrei verifizieren lassen sich die Splitter nach dem Zerschneiden immer weniger.   

Übrigens, was zudem aufregt: Die Hemingway-Schnipsel finden

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Ernest Hemingway im Deutschlandfunk: Literatur als Erlebnis

Ernest Hemingway
Pamplona
Café Iruña
Der älteste Gast: Ernest Hemingway im Café Iruña von Pamplona. Foto: W. Stock, 2024.

Am 21. Juli 2024 erinnerte der Deutschlandfunk (DLF) in mehreren Sendungen an den 125. Geburtstag von Ernest Hemingway. Der Journalist Florian Ehrich befasste sich dabei mit dem Thema: Ernest Hemingway – Eine neue Art zu schreiben. Für seinen Beitrag hat der Redakteur auch Wolfgang Stock, den Gründer und Macher von Hemingways Welt, befragt.

Auszug der Sendung: Am 21. Juli 1899, vor 125 Jahren, wurde Ernst Hemingway geboren. „Die englische Literatur beharrt immer noch auf diesem belehrenden Aristokraten-Touch mit viktorianischen Themen.“ Der Hemingway-Biograf Wolfgang Stock über die aus seiner Sicht altmodische englischsprachige Dichtung Anfang der 1920er Jahre.

„Doch dann kommt Hemingway um die Ecke, kraftvoll, breitbeinig. Ein Autor, der Literatur über das Erleben definiert. Eine neue Art des Schreibens entsteht, kurz, lakonisch, auf das Wesentliche reduziert.“

Hier die Sendung als Datei:

Ernest Hemingway begann als Reporter. Geboren am 21. Juli 1899 in Oak Park bei Chicago. Beim Kansas City Star lernte er das Schreiben. In einem Brief an den Vater meint er: „Ich versuche, ein Gefühl vom wirklichen Leben zu vermitteln. Nicht bloß das Leben zu beschreiben oder zu kritisieren, sondern es wirklich lebendig zu machen. So dass man, wenn man etwas von mir gelesen hat, die Sache tatsächlich durch mich erlebt. Das kann man nicht erreichen ohne das Schlechte und das Hässliche genauso zu zeigen, wie das Schöne.

Hemingway arbeitet hart, um diese Unmittelbarkeit zu erreichen. Im Jahr 1921 ging er nach Paris und lernte von der dort ansässigen literarischen Avantgarde. Auch die Kunst des impressionistischen Malers Paul Cézanne bestärkt ihn in seinem Streben nach Einfachheit im Ausdruck. Hemingway kann in wenigen Sätzen eine Landschaft plastisch einfangen oder

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SR2 Kulturradio: Ist Ernest Hemingway heute noch gesellschaftstauglich?

Ernest Hemingway
Pamplona
Ein Lebemann? Mehr noch: Ein Abenteurer des Lebens. Ernest Hemingway im Café Iruña von Pamplona. Foto: W. Stock, 2024.

Zu Ernest Hemingways 125. Geburtstag strahlte der Saarländische RundfunkSR2 Kultur – am 19. Juli 2024 ein Gespräch aus von Moderator Kai Schmieding mit Wolfgang Stock, dem Macher und Herausgeber von Hemingways Welt. Das Thema: Ist Ernest Hemingway heute überhaupt noch gesellschaftstauglich?

Kai Schmieding: Der wichtigste Schriftsteller seit dem Tode William Shakespeares, schrieb die New York Times im Jahr 1950. Kommen Sie drauf, wen die Zeitung damals meinte? Der Mann hat vier Jahre später den Nobelpreis erhalten. Es ist Ernest Hemingway. Sie denken natürlich sofort an Der alte Mann und das Meer. Kennen wir alle. Heute sehen Hemingway manche allerdings auch mit anderen Augen, einige Kritiker sagen, er passe nicht mehr so recht in die Welt des 21. Jahrhunderts, seine Werke seien aus der Mode gekommen, unter anderem wegen ihrer Darstellung von Geschlechterrollen. Am Sonntag würde Hemingway 125 Jahre alt. Das ist Anlass zu fragen, wie relevant ist er für uns heute noch, was sagt er uns heute. Wir sprechen darüber mit Wolfgang Stock. Er ist Journalist, Verleger, Lektor und Autor eines Hemingway-Buches.

(Guten Tag, Herr Stock.
Ja, hallo Herr Schmieding.)

Kai Schmieding: Hemingway galt als literarischer Gigant und inszenierte sich als Lebemann, der heute kaum mehr gesellschaftstauglich wäre, schreibt ein Kritiker heute. Sehen Sie das auch so, wäre Hemingway tatsächlich heute nicht mehr gesellschaftstauglich?

Wolfgang Stock: Ich tue mich etwas schwer mit einer Antwort auf diese Frage. Schauen wir uns zunächst einfach einmal die quantitativen Zahlen an. Seine Werke sind in Deutschland ja im Rowohlt Verlag erschienen. Schlagen Sie dort das Impressum auf. Dann sehen Sie: Auflage 700.000 verkaufte Exemplare, 800.000 Verkaufte. Dies ist ja die harte Währung für einen Autor. Die verkaufte Auflage. Gerade in Deutschland hat sich Ernest Hemingway sehr gut verkauft und verkauft sich immer noch. Also, es muss was dran sein an dem Mann.

(…) Das Wichtigste ist: Man muss sich nur einlassen auf diesen Autor… 

Hier das vollständige Interview als Audio-Datei. SR2 Kultur: Wolfgang Stock über Ernest Hemingway.

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