
Im November 1938 lässt Ernest Hemingway über den Deutschen Freiheitssender – eine auf Deutsch sendende Radiostation auf Kurzwelle 29,8 – eine Rede verlesen. Der Sender, von Kommunisten der KPD gegründet und betrieben, sendet von Pozuelo del Rey bei Madrid jeden Tag eine Stunde Programm nach Nazi-Deutschland. Auch Exilanten wie Thomas Mann und Albert Einstein haben über den Sender Botschaften an das deutsche Volk ausgestrahlt.
Bei Hemingways Mitteilung handelt es sich um eine vier Minuten lange Rede aus Spanien an das deutsche Volk. Ich bin aber auch traurig (um offen zu sein), traurig mit deinem Schicksal, deutsches Volk, so kommt Ernest direkt im ersten Abschnitt zur Sache. Der Amerikaner bekennt seine Verbundenheit zu Deutschland. Er erzählt von seinem Urlaub im Schwarzwald, von den Besuchen in Berlin. Der US-Autor preist die Schönheit des Landes und den Humor seiner Bewohner. Und fragt unvermittelt: Und das soll alles zu Ende sein?
Als Kriegsreporter steht er unter dem Eindruck des Kampfes gegen den Putschisten General Franco. Die Völker wollen gleich und gleich nebeneinander leben. Sie wollen sich nicht in Kriegen für Tyrannen zerfleischen. Der damals schon berühmte Schriftsteller spannt sodann den Bogen zur Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland. Und eines Tages wird es [das deutsche Volk] den einzigen Krieg machen, der noch lohnt, den Krieg gegen die Nazi-Tyrannei.
Im Sommer ist der US-Kriegsreporter an der Ebro-Front gewesen und hat die Heinkel– und Junkers-Flugzeuge der Legion Condor über friedliche Dörfer dahinstürmen sehen. Bomben werden auf zivile Ziele abgeworfen. Doch Hemingway lässt seine Zuhörer wissen, dies sei nicht das wahre Deutschland. Ich grüße diese [wahren] Deutschen und verfluche die anderen, die in den Junkers sitzen, samt denen, die die feigen Bombenschmeißer da unten hingeschickt haben.

Auf zwei Seiten druckt Die Weltbühne Ernest Hemingways Rede an das deutsche Volk. Foto: Archiv Dr. Stock.
Hemingways Rede an das deutsche Volk, so zutreffend und forsch ihr Inhalt ist, besitzt eine unüberhörbare Schwachstelle: Sie stammt nicht von Ernest Hemingway. Denn dieser überhöhte Polit-Pathos gehört nicht zu seinem Duktus. Genauso wenig wie ein Amerikaner eine so abgedroschene Phrase nutzen würde, um die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in einer Diktatur zu umschreiben: Keiner soll mehr reden dürfen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist? Eine solche Redewendung existiert in der angelsächsischen Sprache nicht, dieser burschikose Zungenschlag entstammt nicht dem Schnabel von Ernesto. Die Feder muss ein anderer geführt haben, aus Propaganda-Gründen ist sie als Opus des berühmten US-Autors verkauft worden.
Am Drehbuch zum Spanien-Film The Spanish Earth lässt sich hingegen erkennen, wie Ernest Hemingway in Wirklichkeit stilistisch vorgeht. Über einzelne Menschen und über individuelle Schicksale. Der Mann aus Chicago erzählt Geschichten und beschreibt, was er zu Augen bekommt. Gefühle und Empfindungen verbirgt er stets unter der Oberfläche. Die doktrinäre Pathetik, die linken Autoren so in Fleisch und Blut liegt, bleibt Ernest ein Leben lang fremd.
Doch wer ist der tatsächliche Autor dieser Rede? Ein Hinweis hält der Text bereit, wo im vorletzten Abschnitt das Bataillon Thälmann der Internationalen Brigaden erwähnt wird. Es wird ein Loblied gesungen auf die tapferen Brigadisten, die aufopferungsvoll kämpfen und nach gewonnener Schlacht die Einheimischen verpflegen. Sie machten gut, was die Junkers schlecht gemacht hatten.
Für Propaganda beim Thälmann-Bataillon ist der Schriftsteller Gustav Regler zuständig. Aus Überzeugung nimmt der Saarländer, wie viele andere republikanisch oder links eingestellte Intellektuelle, am Bürgerkrieg in Spanien teil. Er wird Politischer Kommissar innerhalb der XII Brigade, dort sind im Thälmann Bataillon die deutschen Freiwilligen organisiert.
Während des Krieges freunden sich der Amerikaner und der Saarländer an. Gustav Regler arbeitet Hemingway zu bei dessen Lieblingsprojekt The Spanish Earth, einem internationalen Kinofilm für die Sache der Republik. Ernest erwähnt darin den Deutschen namentlich mit Stolz und Enthusiasmus.
Gustav Regler beteiligt sich – im Gegensatz zu Hemingway – aktiv an den Kampfhandlungen, er schreibt aus nächster Nähe über die Schlachten im spanischen Hinterland. Seine Tagebuchaufzeichnungen fließen ein in seinen Roman über den Bürgerkrieg, der 1940 in der englischen Fassung als The Great Crusade erscheint, mit einem Vorwort seines Freundes Ernest versehen. Der Saarländer besucht den Amerikaner später dann in den USA, in Key West.
Vom Stil her passt die Rede an das deutsche Volk nicht zu Ernest Hemingway, ich tippe auf Gustav Regler als eigentlichen Autor. Denn es muss ein politisch heller Kopf dahinter stehen, zudem linksideologisch oder kommunistisch ausgerichtet. All dies ist der spätere Nobelpreisträger nie gewesen. In der Argumentation der Rede hat er wohl mitziehen können. Denn auch er ist gegen jede Form der Diktatur. Den Optimismus im Kampf gegen die Diktatur kann Ernest jedenfalls ohne Einschränkung unterschreiben. Aber ich weiß auch, daß es nicht ewig dauert.
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