Das Hemingway Memorial in Ketchum, Idaho. Foto: W. Stock, 2018.

Ein Umstand wird viele überraschen, denn er entspricht nicht der Vorstellung, die wir von diesem Schriftsteller mit uns tragen. Auch wenn die Auffassung gewagt ist, es lohnt sich, darüber nachzudenken: Ernest Hemingway ist in seinem Innersten ein überaus schüchterner Mensch. Selbst wenn er in den Zeitungen und Zeitschriften sein Leben bis ins Einzelne ausbreitet, ein Hans Dampf in allen Gassen ist er nie gewesen.

So tritt er höchst selten vor Publikum auf. Bei Ansprachen fühlt er sich eher unwohl. Seine Sprechweise scheint oft von Unsicherheit und Brüchigkeit geprägt. Nur wenn ihm etwas wichtig ist, dann legt er seine Leidenschaft rein. Dem Propagandafilm für die spanische Republik – The Spanish Earth – leiht er seine Stimme. Ansonsten gibt es wenig aus dem Radio oder Television mit ihm. Dem Medium Fernsehen begegnet er mit Abstand.

Nur wenige Interviews hat er Journalisten gewährt. Sie stehen Schlange. Umsonst. Auch die Buchautoren hält er auf Distanz. Mit keinem seiner Biografen hat er zusammengearbeitet oder diesen unterstützt. Noch nicht einmal seinen Bruder Leicester, der die erste Biografie über ihn geschrieben hat. Im Gegenteil. Er soll wütend darüber gewesen sein.

Zelebritäten sind hinter ihm her. Wollen sich mit dem Nobelpreisträger und Star-Schriftsteller ablichten lassen. Er jedoch zieht sich zurück. Je berühmter er wird, desto mehr igelt er sich ein. Nur, wenn er etwas will, wenn es in seinen Kosmos passt, dann kennt er kein halten. Safaris, Bullenrennen, Schippern auf dem Meer. Spanien und Italien. Da blüht er auf. Das sind Sphären, wo seine eigene Persönlichkeit und die Welt da draußen sich überschneiden. Mit den Bussi-Partys in New York gibt es eine solche Schnittmenge nicht.

Ernest Hemingway hat immer Wert gelegt auf Privatsphäre. Er hat sich zurückgezogen in sein tropisches Refugium Finca Vigía im Hinterland von Havanna. Um zu ihm zu gelangen, muss man durch versteckte Ortschaften und über staubige Dorfstraßen. Hinter die Telefonklingel auf seinem Anwesen kann er ein Stückchen Papier klemmen, dann hat er seine Ruhe. In den letzten beiden Jahren zieht es ihn nach Ketchum, in ein Silberminen-Kaff, irgendwo in den Ausläufern der Rocky Mountains, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.

Auf der anderen Seite gibt es Tausende Darstellungen von ihm. Von den besten Fotografen weit und breit. Von Robert Capa und Man Ray, von Alfred Eisenstaedt und Yousuf Karsh. Die Aufnahmen scheinen der These von der Schüchternheit zu widersprechen. Doch eines fällt auf. Bei den allermeisten Fotos posiert er nicht. Es sind Schnappschüsse. Keine gestellte Lichtbilder.

Mythos Hemingway. Er hat ihn zwar befeuert, aber nicht absichtlich erzeugt. Es gibt von ihm keine Strategie, sich als öffentliche Person darzustellen. Eher haben wir ihn gemacht. Wir, die Leser und die Bewunderer. Denn die Zeit ist reif dafür gewesen. Weil der Adenauer-Mief und der Eisenhower-Muff nach einem solchen Mythos verlangt haben. Nach einem kernigen Macho wie ihn, der sich die Welt anschaut, unabhängig und eigenwillig. Auch nach einem Menschen mit Ecken und Kanten.

Das Hamsterrad in den Jahren des stürmischen Wirtschaftswachstums zieht am Ende einen Eskapismus mit sich. Man will hinaus in die Welt. Zu neuen Ufern aufbrechen. JFK verkörpert dies, später auch Woodstock. Die Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben wird gleicherweise auf diesen Schriftsteller verdichtet. Reisen, Frauen, Saufen, den Alltag genießen. Der Mann aus Oak Park wird zum Helden, auch weil er Schwäche zulässt.

So kennen wir ihn: Hemingway, den Rabauken und Großkotz. Den Macho und Weltenbummler. Dieser Mythos, auf den die biedere Wirtschaftswunder-Welt gewartet hat, wir haben ihn geschaffen. Als Projektion unserer Wünsche und Sehnsüchte. Ernest braucht bloß ein wenig nachzulegen und voller Vergnügen auf das Spektakel herabzublicken.

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