Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Schlagwort: Argentinien

Jorge Luis Borges und Ernest Hemingway

Jeder hat so seine Vorstellung vom Paradies.
Foto: W. Stock; München, im Juni 2020.

Das Paradies als eine Bibliothek. So kann man es sehen, so sieht es der Argentinier Jorge Luis Borges. Ein Ernest Hemingway setzt andere Akzente. Unter dem Himmel stelle ich mir eine große Stierkampfarena vor, meint der bärtige Schriftsteller aus den USA. Mit zwei ständig für mich reservierten Plätzen an der Barrera, während draußen ein Forellenbach vorbei rauscht, in dem ich und meine Freunde angeln dürfen.

Oder wenn Ernest Hemingway ein ander Mal von einem Leben im Himmel träumt nach dem Tod, dann spielt sich das im Pariser Ritz ab. Er sieht sich in einer lauen Sommernacht, trinkt ein paar Martinis an der schwarzen Bartheke des Luxushotels, anschließend ein köstliches Dinner mit einer schönen Frau im Le Petit Jardin unter dem blühenden Kastanienbaum. Nach dem einen oder anderen Brandy geht er dann hoch auf sein Zimmer und schmeißt sich in eines von diesen riesigen Betten des Ritz.

So unterschiedlich kann man das Leben betrachten, so unterschiedlich sind die Persönlichkeiten dieser beiden Literatur-Giganten. Jorge Luis Borges, der Porteño vom Jahrgang 1899, brilliert als ein hochgeistiger Tausendsassa: Lyriker, Romancier, Essayist, Philosoph, er ist ein Autor von beeindruckender Belesenheit und mit einer extravaganten Stilkunst. Nach dem Sturz des Autokraten Juan Domingo Perón wird er im Jahr 1955 in Buenos Aires Direktor der Nationalbibliothek, bis ins hohe Alter.

Ernest Hemingway, ebenfalls Jahrgang 1899, ist der offensichtliche Antipode. Ein Naturbursche, eine Schnapsnase, ein Weiberheld. Jemand, der mit breiten Beinen hinaus geht in die Welt. Am liebsten dorthin, wo es mächtig donnert und kracht. Er mag den Stierkampf, die Safari-Jagd und das Angeln von Großfischen. Als Schreiber ist er ein lakonischer Erzähler mit einem einfachen, schnörkellosen Stil. Den Nobelpreis für Literatur kriegt Hemingway, Borges nicht.

Beide Autoren haben sich zu Lebzeiten gekabbelt. Er sei ein Autor von minderer Qualität, hat Borges Anfang 1950 gelästert, bloß ein Journalist mit einer gewissen Fingerfertigkeit, jedoch einer mit kleinem Verstand. Das lässt Hemingway nicht auf sich sitzen. Die Leute um mich sagen, Du wärst der beste spanische Schreiber, kontert der erboste Amerikaner. Aber Du kannst mir mal den Arsch küssen, denn Du hast in Deinem Leben noch nie einen Ball aus dem Spielfeld geschlagen.

Über solch verbale Scharmützel hinweg darf nicht vergessen werden, dass Ernest Hemingway ein Autor ist, den die Lateinamerikaner verehren und innig lieben. Obendrein ist der Vorwurf von Jorge Luis Borges unzutreffend und arg selbstherrlich. Zumal es kaum einen anderen US-Autor gibt, der so viel für den Triumph der lateinamerikanischen Literatur getan hat wie der Mann aus Oak Park bei Chicago.

Ernest Hemingway, der über zwanzig Jahre auf Kuba gelebt hat und leidlich Spanisch spricht, mag die lateinamerikanische Literatur. Dass der Aufschwung der lateinamerikanischen Literaten später in einer solchen Weltgeltung münden konnte, ist auch

Loading

Ernest & Jorge

Zwei unterschiedlichere Schriftsteller vermag man sich kaum vorzustellen: Jorge Luis Borges, der feine Argentinier aus Buenos Aires. Ein weltgewandter Intellektueller, ein Poet und Philosoph. Magischer Realismus. Ein Mann der Imagination und der Phantasie. Zurückhaltend, gebildet und vornehm.

Als Gegensatz dazu Ernest Hemingway: Ein Anti-Intellektueller ohne universitäre Bildung, ein Realist und Kriegsteilnehmer, der Schreiber knapper Sätze und spröder Wörter. Im Leben ein Säufer und Weiberheld, ziemlich frech und ungehobelt.

Zwischen diesen zwei Schriftstellern –  beide vom Jahrgang 1899 übrigens – liegen Ozeane. Sie mochten sich nicht groß leiden. Obwohl der US-Amerikaner Ernest Hemingway die lateinamerikanische Literatur im allgemeinen bewunderte. Doch Hemingways Liebe zu den lateinamerikanischen Autoren beruht nicht immer auf Wechselseitigkeit.

Er sei ein Autor minderer Qualität, hat der große Jorge Luis Borges einmal gelästert, bloß ein Journalist mit einer gewissen Fingerfertigkeit, jedoch einer mit wenig Verstand. Hemingway habe sich schließlich umgebracht, weil er gemerkt habe, dass er literarisch kein großes Licht sei, meint der Argentinier giftig. Diese Klarsicht rette ihn in seinen Augen, so Borges, ein wenig zumindest.

In der Tat kann man sich zwei gegensätzlichere Charaktere kaum vorstellen. Ernest Hemingway, der das Schreiben über das Erleben und das Tun definiert, und Jorge Luis Borges, der sich als Meister der Imagination gefällt. Von so einem Warmduscher jedenfalls lässt sich ein Ernest Hemingway natürlich nicht beleidigen.

Und so hat Hemingways Konter nicht lange auf sich warten lassen. Am 13. März 1950 schickt Ernest Hemingway aus Havanna seinem Kritiker Jorge Luis Borges eine deftige Postkarte. Dear Jorge, mein kubanischer Freund Lino Novás Calvo gab mir ‚The Aleph‘. Klar, das ist ein verdammt gutes Buch. Die Leute um mich sagen, Du wärst der beste spanische Schreiber. Aber Du darfst mal meinen Arsch küssen. Du siehst das Schreiben zu salbungsvoll. Das richtige Leben hast Du viel zu spät entdeckt. Am besten kommst Du hier zu mir runter und wir machen das in einem Kampf unter Männern aus, mit einem alten Knaben wie mir, von 50 Jahren und mit einem Gewicht von 95 Kilo, der denkt, Du bist ein Stück Scheiße, Jorge, und ich würd‘ Dir hier den Arsch aufreißen. Da bleibt Dir die Spucke weg, mein Herr. Mit besten Grüßen, Papa.

Trotz allen verbalen Geplänkels mit Jorge Luis Borges bleibt Ernest Hemingway ein Autor, der die Lateinamerikaner verehrt und vielleicht bewundert der Amerikaner aus Chicago ja insgeheim seinen argentinischen Kollegen. Wie auch immer, man sollte das Scharmützel unter Literatur-Titanen nicht allzu hoch hängen. Wahrscheinlich ist es doch so, dass die wilden Geschichten des Ernest Hemingway ebenso zum Leben des Menschen gehören wie auch die gedankenreiche Phantasie eines Jorge Luis Borges.

Loading

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén