
Sie werden nicht weise. Nur vorsichtig.»
«Vielleicht ist das Weisheit.»
Ernest Hemingway: In einem anderen Land, 1929
Unlängst im Café Mateika auf Sylt auf Ernesto gestoßen. Eggs Hemingway steht in dem feinen Kaffeehaus auf der Speisekarte. Es ist kein Einzelfall, in den Szene-Cafés landauf, landab veredelt diese Variation der Eggs Benedict jedes Angebot. Damit mausert sich Ernest Hemingway, der seit fast 65 Jahren friedlich auf dem Dorffriedhof von Ketchum liegt, zum Bestandteil einer hippen Frühstücks- und Brunch-Kultur. Aus den USA schwappt dieser Trend mehr und mehr zu uns nach Europa. Inklusive Eggs Hemingway.
Die ursprünglichen Eggs Benedict sind in den 1860er Jahren in New York erfunden worden. Diese Eierspeise ist wohl nach dem Börsenmakler Lemuel Benedict benannt, der das Gericht als Katerfrühstück im Waldorf Astoria bestellt haben soll. Eggs Benedict, in unsrer Zeit ein bekanntes amerikanisches Frühstücksgericht, besteht aus einem englischen Muffin, Schinken, pochiertem Ei und Sauce Hollandaise.
Weltweit findet man die Eierspeise in zahlreichen Variationen. Das Gericht bietet sich für Anreicherungen und Austausch geradezu an. Der Fantasie werden keine Grenzen gesetzt. Mit Tomatenscheiben, dazu Bacon, mit Spinat oder Artischocken. Auch mit Toast, Zwieback oder Biskuits statt der Muffins. In Mexiko kann man die Huevos Benedict mit Avocado anstelle von Schinken und mit hochscharfer Salsa entdecken.
Doch was hat Ernest Hemingway mit diesen Eiern zu tun? Eggs Hemingway, auch bekannt als Eggs Atlantic, Eggs Copenhagen oder Eggs Royale, ist eine solche Abwandlung der Eggs Benedict. Bei der hemingway’schen Variation wird der Schinken durch Räucherlachs ersetzt. Diese fischige Spielart ist besonders in Ländern wie Großbritannien, Kanada und Australien beliebt. Kein Top-Hotel kommt ohne dieses Gericht aus.
Eggs Hemingway sind nach dem bärtigen Autor benannt, da er – mit maritimem Wohnsitz Key West und später Kuba – eine Vorliebe für geräucherten Fisch gehabt haben soll. Zusätzlich geht die Fama um, der Nobelpreisträger von 1954 habe eine Abneigung gegen Schinken an den Tag gelegt. Stattdessen habe er den proteinreichen Lachs als Ergänzung zu den pochierten Eiern und der Sauce Hollandaise bevorzugt.
Wie so oft bei kommerziellen Auswüchsen in Sachen Ernst Hemingway gibt es weder Beispiele noch Belege für diese Legende. Gleichermaßen bin ich in 40 Jahren Forschung keiner diesbezüglichen Animosität Ernestos begegnet. Schinken-Aversion? Kann sein, vielleicht auch nicht. Der Löwenanteil an dieser ganzen Eier-Geschichte liegt vermutlich in schlauem Marketing.
Ein paar Werbeleute haben wohl gemeint, es passe halt verdammt gut zum kernigen Image des Schriftstellers. Eggs Hemingway zu bestellen, hört sich auf jeden Fall cooler an, als wenn man dem Kellner Eggs Atlantic zurufen würde. Denn der Gast outet sich hiermit als Mann oder Frau von Welt. Und in diesem Punkt haben die Marketing-Fritzen ja recht. Das Gericht wird als Eggs Hemingway kulinarisch, vor allem aber semantisch auf eine neue Stufe gehoben.
Vielleicht ist das Entzücken in Sachen Eggs Hemingway ja für den einen oder anderen
Ernest Hemingway ist ein Autor ohne Frauen. Mehr noch, der Nobelpreisträger von 1954 gilt den meisten als einschlägiger Männer-Versteher. Ernesto, der Ober-Macho in der Literatur. Es ist nicht zu leugnen: Seine Erzählungen und Romane kommen nahezu ohne Frauen aus. Was ist bloß los mit dem Mann?
An dieser Stelle sollte man jedoch Werk und Mensch fein trennen. Im richtigen Leben ist er von der Damenwelt umzingelt. Vier Ehen, dazu zahllose Affären. An manchen Tagen kommt er mit drei Frauen zusammen. Vormittags auf Finca Vigía mit Ehefrau Mary, nachmittags bei der Dauergeliebten Leopoldina in der Altstadt von Havanna und abends möglicherweise dann noch die schnelle Nummer.
Als physischer Mann ist dieser Kerl electrico. In seinen Romanen und Erzählungen, als Schriftsteller in Bezug auf Frauen: tote Hose. So bleibt es bei einer reinen Männerwelt zwischen zwei Buchdeckeln. Vor den Bullen in Pamplona laufen die verwegenen Burschen der Stadt. In seinem Meisterwerk Der alte Mann und das Meer kommt erst gar keine Frau vor. Auch in seiner brillanten Kurzgeschichte Der Unbesiegte nicht. Oder in The Killers. Alles Stücke ohne Frauen. Null, nada, nichts. Nicht einmal in einer Nebenrolle.
Es gibt Geschichten von Hemingway, da schleichen sich Hunde und Katzen in den Plot, Bullen und Stiere ohnehin. Jedoch keine Frauen. In seiner ganz famosen Kurzgeschichte aus dem Spanischen Bürgerkrieg Alter Mann an der Brücke sorgt sich ein greiser Mann auf der Flucht vor den Faschisten um seine Tiere, die er zurücklassen muss. Men Without Women – zu Deutsch Männer ohne Frauen – heißt eine Sammlung von frühen Short Stories aus dem Jahr 1927. Welch ein Buchtitel! Es geht um blutigen Stierkampf, gedungene Mörder und feiste Boxer – wahrlich kein Dunstkreis für das schöne Geschlecht.
Seinen Kritikern und vor allem seinen Kritikerinnen macht es dieser Schriftsteller allerdings leicht. Besondern Feministinnen weisen mit gutem Recht darauf hin, hier entlarve sich in persona wie auch in seinen Erzählungen ein reaktionärer Chauvinist. Ein Sexist, wie er im Buche steht. Ein Pascha, ein Obermacker. Alles richtig und zutreffend. Zumal dieser Naturbursche aus dem Mittleren Westen der USA ja alles tut, um die Vorurteile zu bestätigen.
Andererseits gibt es Geschichten – von Fiesta bis Inseln im Strom – da tauchen schon Frauen auf. Aber mit solchem Stereotyp, dass es beim Lesen mitunter weh tut. In derlei Texten findet man die blutjunge Geliebte in Venedig, die herzerfrischenden Huren aus dem El Floridita, eine nymphomanische Lady bei den Sanfermines – irgendwie plagt diesen Mann ein gehöriges Problem in Bezug auf sein Frauenbild.
Es hat wohl mit seiner Kindheit zu tun, mit der dominanten Mutter und einem Waschlappen namens Vater. Den Vater Clarence verehrt er, die Mutter Grace hasst er. An dieser Prägung mag es liegen, dass viele meinen, dieser Autor sei aus der Zeit gefallen. Sein Blick auf Männer und Frauen bleibt von Anfang an eindimensional. Für die Gender-Forschung unserer Tage ist dieser Mann ein Glücksfall.
Aber Hemingways Themenkreise sind wirklichkeitsnah. Qualvoll obendrein. Der Mann aus Oak Park beschreibt die brüchige Welt der Verlorenen Generation. Schlachten, Kämpfe, tote Stiere. Wie kann es anders sein, bei einem Kerl, der als 18-Jähriger im Ersten Weltkrieg lebensgefährlich verwundet wird. Der zwei Flugzeug-Unglücke überstanden hat. Allzeit den Tod vor Augen dekliniert Ernesto seine Helden an der kaputten Realität rauf und runter. Als Idealbild eines männlichen Kämpfers. Der seine Probleme alleine lösen muss. Und scheitert. Ein Krieger ohne Sieg. Dies alles ist keine Entschuldigung, bestenfalls eine Erklärung.
Welche Chance vergibt Hemingway in seinem Männerbild! Das Zulassen einer weichen Seite in uns, eines gefühlvollen Kerns, dies ist nicht seine Sache. Dieser Mann vermag nicht über seinen Schatten zu springen, die Prägung ist zu stark, die Verletzungen sind zu groß. Aber Obacht. Wir liegen nicht
Ernest Hemingway läuft man über den Weg in Pamplona und Ronda, in Venedig und in Fossalta, hoch in den Alpen oder im tiefen Schwarzwald, in Paris natürlich, auch in der deutschen Schnee-Eifel, in der Karibik, auf Kuba, am Fuße der Rocky Mountains oder in Afrika. Auch wenn die Verehrung oft nur an der Oberfläche kratzt, die Bewunderung für diesen Mann ist echt, sie kommt von unten, von den Menschen.
Keiner hat hier etwas befohlen oder angeordnet, nichts läuft top down, die Hochachtung erfolgt bottom up. Es sind die Leute, die wollen, dass dieser Tote lebendig bleibt. Dieser Schriftsteller hat ein ziemlich buntes Leben vorzuweisen, das macht den Unterschied zu anderen aus, mit seiner Lebensgeschichte kann uns dieser Erzähler ebenfalls packen. Seine Person und sein Tun sollte man deshalb nicht von seinem Werk trennen.
Eigentlich lebt er wie eine seiner Romanfiguren. Auf den einen oder anderen Beobachter mag Ernest Hemingway mit seinem Riesen-Ego aufgeblasen wirken. Wie ein Aufschneider und Großkotz. Aber Obacht, der Mann mit dem grauen Bart ist kein Blender oder Sprücheklopfer. Er liebt die Rolle eines Zampano. Doch in Wirklichkeit ist er ein bienenfleißiger und pingeliger Schreiber. Seine Passion nimmt er ernst und legt eine bemerkenswerte schreiberische Emsigkeit an den Tag.
Diesem Autor ist sein Erfolg nicht in den Schoß gefallen. Aber Ernest Hemingway ist immer eine Kämpfernatur gewesen. Unzählige Male hat er Courage und Draufgängertum bewiesen, schon als Grünschnabel im Veneto, im ersten großen Krieg, wo sein Leben am seidenen Faden hing. Und er war auch später überall dabei, wo es krachte und schepperte, im Hürtgenwald zu Ende des Zweiten Weltkriegs, in Spanien, wo sich Brüder und Freunde massakrierten.
Für das Geplapper der Großstadt ist dieser Kerl nicht gemacht. New York, Chicago, Boston – zu viel heiße Luft und zu wenig Bodenhaftung. Er muss die Tür zur freien Natur aufstoßen. Am Golf von Mexiko, vor Key West, auf den Bahamas, am Pazifik wirkt dieser kernige Bursche ausgeglichen und lebt auf. Er zieht die Gesellschaft von einfachen Fischern, zünftigen Schankwirten und bodenständigen Kleinhändlern vor.
Professoren und Intellektuelle findet man in seinem engen Freundeskreis so gut wie nicht. Er will keinen kopflastigen Glorienschein, Ernest Hemingway selbst tut einiges für sein schlechtes Image. Er säuft bis zum Umfallen, jagt jedem Rock nach, plustert sich auf, gibt allerlei Räuberpistolen zum Besten. So stellt man sich einen Nobelpreisträger der Literatur nicht gerade vor. Viele rümpfen die Nase, andere finden es großartig.
Hemingway ist nicht unbedingt ein Schreiber für die gebildete Schickeria. Dies ist außergewöhnlich in der Weltliteratur, Ernesto wird gerade auch von einfachen Menschen mit großer Passion gelesen. Er selbst hat nie studiert, seine Universität sind die Plätze und Kneipen auf allen Kontinenten. In den letzten Jahren und Jahrzehnten bin ich sechs, sieben Frauen und Männern begegnet, die ihn gut gekannt haben. Und allesamt berichten das Gleiche: Dieser Literat ist nahbar, ohne Allüren, ein Kerl wie du und ich.
Diese Nähe zum normalen Menschen mag erklären, warum dieser Nobelpreisträger solch tiefe Spuren hinterlassen hat. Und weshalb die Leute ihre Verehrung ohne Anweisung ins Werk setzen. Dieser Autor holt den Leser ab in seiner Welt, es ist auch die Sphäre dieses Schriftstellers. Die Hommage der Menschen gilt einem Freund. Es ist das Leben, unser aller Leben über das hier geschrieben wird.
Seine Themen köcheln im tiefsten Inneren. Die ewige
Vor genau hundert Jahren – im Sommer 1925 – druckte ein Berliner Kulturmagazin die Kurzgeschichte eines völlig unbekannten US-Schriftstellers. Es sollte der Auftakt eines rasanten Aufstiegs werden. Der Name des Neulings: Ernest Hemingway.
Von Wolfgang Stock
Deutschland zu hassen, dafür gäbe es auf Ernest Hemingways Lebensweg genug Anlässe. Nach Machtübernahme der Nazis kommt der US-Autor auf die Schwarze Liste, im Mai 1933 wird sein Anti-Kriegs-Buch In einem andern Land öffentlich verbrannt. Als Reporter im Spanischen Bürgerkrieg erlebt er das gnadenlose Bombardement der Legion Condor gegen die einheimische Zivilbevölkerung. In den Vogesen wird im Oktober 1944 sein ältester Sohn von der Wehrmacht festgenommen und ein halbes Jahr im Kriegsgefangenenlager Moosburg an der Isar inhaftiert. Dem blanken Horror begegnet der Amerikaner dann im Winter 1944, wenige Kilometer hinter der Front im Hürtgenwald, wo in den dichten Wäldern der Nordeifel eine der blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs stattfindet.
Kaiser Wilhelm, Hitler, die Nazis – die Krauts zu verabscheuen, das müsste dem Autor aus Oak Park bei Chicago eigentlich leichtfallen. Doch Ernest Hemingway hasst Deutschland und die Deutschen nicht. Vor allem aus einem Grund, ein Mensch verhindert dies. Sein Name: Hermann von Wedderkop. Von Freunden Weddo gerufen. Heute ist dieser bedeutende Medienmann der Weimarer Republik fast vergessen. Wedderkop ist wunderbar. Sie zahlen mir 550 Francs, jubelt in Paris der junge Autor im Januar 1925. Er kann das Geld aus Berlin gut gebrauchen.
Seit Dezember 1921 lebt Ernest Hemingway in der Metropole an der Seine, es sind beschwerliche Lehrjahre für den ambitionierten Journalisten. Mühsam hält der junge Vater, Sohn John wird 1923 geboren, seine dreiköpfige Familie über Wasser. Ein kleiner Erbschaftsfonds von Ehefrau Hadley verhindert das Schlimmste. Vor kurzem hat er seinen einträglichen Vertrag als Europa-Korrespondent der kanadischen Tageszeitung Toronto Star gekündigt, Ernest Hemingway geht voll ins Risiko. Der Sohn eines Arztes hat einen Traum: Er möchte Schriftsteller werden.
Paris ist in jenen Jahren eine Weltstadt im Aufbruch. Literaten, Maler und Musiker auf der Suche nach neuen Ideen zieht es nach Saint-Germain-des-Prés oder zum Boulevard du Montparnasse, wo im Café de Flore oder Le Dôme die Freude am Dasein ausgelebt wird. Einem jungen Amerikaner, der mit den calvinistischen Werten des Mittleren Westens aufgewachsen ist, muss Rive Gauche vorkommen wie eine Pforte ins Himmelreich. Autoren, die berühmt werden wollen, gibt es zur Genüge in der Stadt an der Seine. Zwar hat der Mittzwanziger, Hemingway ist vom Jahrgang 1899, bereits in zwei Pariser Kleinstverlagen veröffentlicht, doch sind diese Schriften eher Privatdrucke seiner Expat-Freunde Robert McAlmon und Bill Bird. Von seinem Erstling Three Stories and Ten Poems kommen 1923 gerade einmal 300 Exemplare in Umlauf. Ernest hält Ausschau nach einem zahlungskräftigen Verlag, doch der bleibt weit und breit nicht auszumachen.
Der Traum vom Erfolgs-Schriftsteller
Ernest Hemingway erhält von Verlagshäusern aus den USA eine Ablehnung nach der anderen. Seine Frau versucht, ihn wieder aufzurichten. Hadley glaubt an mich und das ist mehr als genug, um den Schmerz der Absagen zu überbrücken. Das Schreiben der Stories ist schon schwer genug gewesen, aber noch schwerer war, dass sie abgelehnt wurden. In seinem Heimatland findet er kein Periodikum, das seine Kurzgeschichte über Spanien drucken will. Damit hat er nicht gerechnet. Jede angesehene Zeitschrift und auch die verrufenen Magazine haben die Stierkampf-Story abgelehnt. Es sei eine großartige Geschichte, aber sie können sie nicht veröffentlichen, erklärt der Newcomer resigniert in einem Brief. Die Story sei zu hart für die Leser. Voller Zweifel beginnt Hemingway, sich als Autor in Frage zu stellen. Den Kerl mit dem riesigen Ego übermannen erste Depressionsschübe.
Nach vielen Tiefschlägen trifft in Paris endlich eine Zusage ein. Zur Überraschung kommt das Angebot nicht aus den USA, sondern aus Deutschland. Hermann von Wedderkop, der Herausgeber einer Berliner Zeitschrift mit dem Titel Der Querschnitt, will die Torero-Erzählung veröffentlichen. Wedderkop schreibt, meine Stierkampf-Story sei wunderbar, verkündet er stolz seinem Freund Harold Loeb. All mein Zeug werde demnächst erscheinen, sagt er. Persönlich treffen sich Hermann von Wedderkop und der junge Amerikaner dann am 9. Oktober 1924, im Pariser Apartment von Ezra Pound, der schon öfter für das Berliner Magazin geschrieben hat. Ernest zeigt sich angetan von dem 24 Jahre älteren Deutschen. Der Kerl ist zu gut, um sich lange halten zu können.
Die Kulturzeitschrift mit dem seltsamen Namen Der Querschnitt erscheint seit 1921 in Berlin. Gegründet hat sie der Kunsthändler Alfred Flechtheim, zunächst als Mitteilungsblatt seiner Galerie. Mitte der 1920er Jahre reiht der Großverleger Hermann Ullstein das Magazin in seinen Propyläen Verlag ein, das Erscheinen wird auf Monatsrhythmus erhöht, die Druckauflage steigt auf 20.000 Exemplare. Jeden Monat überrascht Der Querschnitt mit einem snobistischen Scharfblick auf Kunst, Literatur und Gesellschaft. Dazu hier und da ein ästhetischer Akt, in weiblicher oder männlicher Ausprägung. Als Chefredakteur und Herausgeber entwickelt der Autodidakt Hermann von Wedderkop die kleinformatige Gazette zur vielbeachteten Avantgarde-Zeitschrift in der Weimarer Republik.
Ein wunderbarer Kerl aus Berlin
Zunächst druckt Der Querschnitt im Herbst 1924 einige schlüpfrige Gedichte Hemingways. Wedderkop veröffentlicht meine ganzen obszönen Arbeiten schneller als ich sie schreiben kann. Der US-Amerikaner zeigt sich begeistert von dem Berliner Zeitgeist-Magazin. Sie behaupten, sie würden alles kaufen, egal, was ich schreibe. Ich fürchte, Von Wedderkop ist verrückt. Aber er ist ein wunderbarer Kerl. Und solange Von Wedderkop nicht gefeuert wird, bin ich im Geschäft, schwärmt Hemingway in einem Brief aus den Winterferien in Schruns im Januar 1925. Sein Hang zur Großsprecherei prägt sich schon damals aus: In Deutschland bin ich als der junge amerikanische Heine bekannt.
Oft macht er sich lustig über seinen Verleger, es ist ein gutes Zeichen. Wedderschnitt, persifliert Hemingway den Namen des Chefredakteurs liebevoll, der Wedderschnitt vom Querkopf. Hermann von Wedderkop wird im November 1875 in Eutin geboren, er entstammt einem Adelsgeschlecht aus Niedersachsen. In München, Kiel und Berlin studiert er Rechtswissenschaft, dazu Kunstgeschichte und Archäologie. Zunächst arbeitet der Jurist als Regierungsbeamter in Brüssel und Köln. Doch die Staatsverwaltung ist nicht seine Welt, es zieht ihn zur zeitgenössischen Malerei. Weddo schreibt lieber Artikel und Bücher über moderne Kunst. Dabei lernt er den Kunsthändler Alfred Flechtheim kennen, der ihn Anfang 1924 zum Chefredakteur seines Magazins Der Querschnitt beruft.
Hermann von Wedderkop wird dafür gerühmt, innovative Autoren mit originellen Themen und realistischem Stil zu fördern. Die pomadigen Satzgirlanden eines Thomas Mann hält er für unzeitgemäß. Die neuen Taktgeber heißen Gottfried Benn, Bert Brecht und Alfred Döblin, die in ihren Werken die herrschende Trostlosigkeit schonungslos sezieren. Ernest Hemingway fühlt sich verstanden, auch er ist dabei, mit lebensechten Erzählungen und seinem kargen Eisberg-Stil den viktorianischen Rührstücken à la Charles Dickens ein für alle Mal den Garaus zu machen.
Im Sommerheft des Jahres 1925 ist es dann soweit: Der Querschnitt übersetzt und druckt Hemingways Stierkampf-Story. Im nächsten Heft, der Nr. 7 vom Juli, findet sich der zweite Teil der Erzählung über einen gealterten Torero. Der ehemals berühmte Matador Manuel Garcia erbettelt einen letzten Kampf. Im Verlauf der Corrida wird Garcia von dem Stier mehrfach verwundet, er kann dem Bullen aber letztendlich den Todesstoß versetzen. Schwer verletzt wird der Stierkämpfer von den Helfern aus der Arena getragen und in ein Hospital gebracht. Sofort kommt er auf den Operationstisch. Ob das Leben des Matadors gerettet werden kann? Der Autor lässt es offen.
Gekonnt improvisiert schon diese Kurzgeschichte von gut 30 Seiten über die Grundmelodie des Hemingway’schen Werkes: den heroischen Kampf gegen die menschlichen Grenzen und die Wahrung von Würde in der unvermeidlichen Niederlage. Nach Veröffentlichung in Der Querschnitt tritt die Short Story über den Torero Manuel Garcia unter dem Titel The Undefeated (zu Deutsch: Der Unbesiegte) ihren Siegeszug um die Welt an. Diese typische Hemingway-Erzählung wird in der Winter-Ausgabe 1925/1926 des Pariser Literaturmagazins This Quarter veröffentlicht und schließlich 1927 als Buch in der Sammlung Men Without Women (Männer ohne Frauen) in New York herausgegeben.
Der Durchbruch mit Fiesta
Die lakonische Prosa des Neulings zieht Leser und Kritiker in den Bann. Die Klarheit der Sprache wird ebenso gelobt wie die Unterkühltheit in den Dialogen. Während andere Schriftsteller noch die gespreizte Stilistik der Vätergeneration pflegen, kommt Ernest Hemingway ohne Umschweife zur Sache. In seinem grandiosen Debütroman The Sun Also Rises – zu Deutsch: Fiesta – fängt der junge US-Autor im Oktober 1926 das konfuse Lebensgefühl der Verlorenen Generation wirklichkeitsnah ein. Die von Gertrude Stein so titulierten Männer und Frauen leiden nach dem Zivilisationsbruch unter Werteverfall und Orientierungslosigkeit.
Wie ein anschauliches Menetekel zwischen zwei schrecklichen Kriegen erscheint da Hemingways Fiesta. Amerikanische Intellektuelle in Paris und auf Besuch der Sanfermines in Pamplona geben den Blick frei auf eine Verlorenheit, die bei dem mittelalterlichen Bullen-Spektakel mit reichlich Alkohol und allerlei erotischen Eskapaden verdrängt werden möchte. Auf solch eine Unverblümtheit hat die Leserschaft sehnsüchtig gewartet. Von Europa aus erklimmt der 27-Jährige mit Fiesta den Gipfel der Literatur. Wie ein kraftvoller Bannerträger, wie jemand, der Klartext redet und damit einer bedrückten Generation eine frische Stimme gibt. Ernest Hemingway, nahbar und leutselig, steigt auf zum Weltstar.
So viel Glück ist seinem Mentor in Berlin nicht beschieden. Nach der erfolgreichen Zeit beim Querschnitt, die sich von 1924 bis 1931 erstreckt, versucht sich Hermann von Wedderkop selbst als Autor. Er schreibt launige Reiseführer, über das Rheinland, über Paris, London und Rom. Wie man Freunde gewinnt, den Bestseller des US-Motivationstrainers Dale Carnegie, überträgt er ins Deutsche, wird gar Co-Autor des Werkes. Im Jahr 1933 tritt er der NSDAP bei und hegt offene Sympathien für Benito Mussolini. Allerdings gerät er wegen seiner Vorliebe für moderne Kunst wiederholt in Konflikt mit der braunen Obrigkeit. Der polyglotte Adlige zieht sich zurück und verbringt die Zeit des Nationalsozialismus überwiegend in Italien.
Im Kulturbetrieb der Nachkriegszeit verschwimmt das Profil dieses einst gewichtigen Blattmachers. Er selbst meidet weitgehend die große Öffentlichkeit, lieber übersetzt er ein Buch des italienischen Reiseschriftstellers Emilio Cecchi. Seine Erfolge um die Förderung der künstlerischen Avantgarde mit seinem Zeitgeist-Magazin Der Querschnitt geraten über die Jahre in Vergessenheit. Der medialen Aufmerksamkeit entschwunden und kinderlos stirbt Hermann von Wedderkop nach langen Sanatoriumsaufenthalten in der Schweiz im Oktober 1956 mit 80 Jahren in Hamburg.
Zwei Jahre zuvor, im Oktober 1954, ist seinem ehemaligen Schützling in Stockholm der Nobelpreis für Literatur verliehen worden. Der Novize aus Pariser Tagen, schon lange eine Berühmtheit, vergisst seinen frühen Förderer nicht. In Paris – Ein Fest fürs Leben, dies sind biografisch gefärbte Erzählfragmente seiner sieben Jahre in Europa, erinnert Ernest Hemingway an seinen ersten Verleger. Im Dialog mit der Buchhändlerin Sylvia Beach, er nutzt Shakespeare and Company in der Rue de l`Odéon als Postadresse, erwähnt er seinen Berliner Mentor.
Es war ein Brief, und er fühlte sich an, als ob Geld darin sei.
„Wedderkop“, sagte Sylvia.
Es muss vom ‚Querschnitt’ sein (…). Es sind 600 Francs. Er schreibt, es kommt mehr. Es ist verdammt komisch, dass Deutschland das einzige Land ist, wo ich etwas verkaufen kann.
Hemingway dankt seinem Entdecker
Der Querschnitt ist das erste namhafte Medium gewesen, das diesen ehrgeizigen Jungautor veröffentlicht hat. Somit haben die Deutschen ihn ein wenig entdeckt, noch vor allen anderen. In The Green Hills of Africa setzt Ernest Hemingway dem Berliner Magazin 1935 ein literarisches Denkmal, als er mit einem österreichischen Safari-Kameraden über seinen Beginn als Autor plaudert. The Querschnitt war eine deutsche Zeitschrift, für die ich einige ziemlich obszöne Gedichte geschrieben habe, und wo ich eine längere Erzählung veröffentlicht habe, Jahre bevor ich in Amerika überhaupt etwas verkaufen konnte.
Die ausführliche Passage aus Die grünen Hügel Afrikas druckt Der Querschnitt im Juni 1936 unter dem Titel The Man with the Tyrolese Hat bei Nennung des Autors auf anderthalb Seiten nach. Dieser Mut erstaunt. Denn Hemingways Name befindet sich auf der Liste unliebsamer Autoren. Politisch bleibt das Magazin zwar diffus, doch eckt es mit seiner Unangepasstheit mehrfach bei den nationalsozialistischen Machthabern an. Unter dem 12. Oktober 1936 notiert Propagandaminister Joseph Goebbels in sein Tagebuch: „Gestern: gelesen, gearbeitet. Zwei Zeitschriften Inneres Reich und Querschnitt wegen dreister Unverschämtheiten verboten. Das hat wohlgetan. Die waren wieder frech wie Dreck.“
Mit Der Querschnitt erfährt Ernest Hemingway eine emotionale Bindung zu Deutschland und darüber hinaus einen Zugang zur deutschen Literatur. Thomas Mann bewundert er, Ringelnatz ebenso. Der Amerikaner ist ein offener und neugieriger Mensch, als Nicht-Studierter muss er sich vieles abschauen. Über allem Ruhm vergisst er nicht, wer seine erste Spanien-Geschichte und die vorlauten Poeme veröffentlicht hat. Eine deutsche Zeitschrift und ihr Chefredakteur haben an ihn geglaubt, während Verlage in der Heimat seine Manuskripte in den Papierkorb geschleudert haben.
Dankbar blickt der Nobelpreisträger zurück auf den Beistand von Weddo in den schwierigen Anfangsjahren. Die insgesamt sieben Veröffentlichungen in dem Berliner Magazin werden Ernest Hemingway vor einem Trugschluss bewahren, der gemeinhin schnell gemacht ist. Deutschland ist nicht allein das Land der Bücherverbrenner und der Joseph Goebbels. Deutschland, das ist ebenso das Land von Der Querschnitt und des Hermann von Wedderkop.
Dr. Wolfgang Stock lebt als Journalist und Buchautor in Herrsching am Ammersee. Er betreibt das Portal Hemingways Welt (www.hemingwayswelt.de) und hat eine Biografie über den Nobelpreisträger geschrieben (Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru).
But never think that war, no matter how necessary, nor how justified, is not a crime. Ask the infantry and ask the dead.
Ernest Hemingway:
The Sling and the Pebble, 1946
Aber denken Sie niemals, dass Krieg, egal wie notwendig oder gerechtfertigt er sein mag, kein Verbrechen ist. Fragen Sie die Fußtruppen und fragen Sie die Toten.
Ernest Hemingway:
Die Steinschleuder und der Kieselstein, 1946
In der Nacht vom 6. Februar 1984 führt der kubanische Journalist Norberto Fuentes im Palast der Revolution von Havanna ein ausführliches Interview mit Fidel Castro. Das einzige Thema: Ernest Hemingway. Was der Revolutionsführer über den US-amerikanischen Schriftsteller ausplaudert, ist hochinteressant. Man merkt, die Anmerkungen bleiben nicht bloß dahin gesagt, sondern hier kennt sich einer aus.
Hemingways Werke waren für mich stets gute Begleiter. Es ist doch so, dass man sich in bestimmten Büchern wiederkennen kann. Bei mir war es so, dass ich mich auf der Stelle mit Hemingways Erzählungen identifizieren konnte.
Der berühmte US-Autor, in Chicago geboren, lebte 21 Jahre auf Kuba. So lange hat seine Heimat ihn nie gesehen. Dabei fühlte er nahezu wie ein Kubaner, er fügte sich wie selbstverständlich ein in die fremde Welt. Aus Überzeugung. Mit Freude. Er lernte die Sprache. Die Finca Vigía, im Süden von Havanna. war sein Rückzugsort gewesen. Unter tropischen Palmen regierte hier das schiere Glück. Kuba und Ernest Hemingway, es passte wie Yin und Yang. Die Wertschätzung erfolgte aus beiden Richtungen.
Ich muss „Wem die Stunde schlägt“ mehr als drei Mal gelesen haben. Und ich kenne den Film. Ich habe auch „In einem andern Land“ und „Der alte Mann und das Meer“ mehrfach gelesen. Dazu seine Erlebnisse in Afrika – ich beziehe mich auf seine Erzählungen und Artikel. Alles habe ich verschlungen. Und natürlich die Stücke über seine Abenteuer in der Karibik.
Der Jurist und Rechtsanwalt Fidel Castro ist ein Mann mit hohem Scharfsinn. Studiert, belesen, charismatisch. Man übertreibt wohl nicht, wenn man den Yankee Ernest Hemingway als seinen Lieblingsautor bezeichnet. Dies überrascht, denn Kuba selbst hat viele erstklassige Schriftsteller hervorgebracht. Man sollte dieser wunderlichen Zuneigung also auf den Grund gehen.
Der erste Grund, warum er mich anzieht, ist sein Realismus. Weil Hemingway mich alles mit großer Sauberkeit und Klarheit sehen lässt. Es gibt keine Schwachstellen in seinen Texten. Alles ist überzeugend und alles ist so wirklichkeitsnah. Er hat das Talent, dich in die afrikanische Tiefebene oder in eine Stierkampfarena zu entführen, und es fällt dir schwer, das Gelesene zu vergessen. Weil es so geschrieben ist, als hättest du es selbst erlebt.
Ernest Hemingway ist bekanntlich ein Mann des Meeres. Er liebt das große Wasser über alles. Am liebsten hält er sich nahe dem Ozean auf. Für ihn ist das Meer ein Symbol von Freiheit und Unabhängigkeit. Dazu die Quelle der Evolution. Das Meer gebiert das Leben und am Ende nimmt es das Leben. Es ist unsterblich, da hat es dem Menschen etwas voraus. Diese wundersame Kraft des Meeres ist gleichsam das Thema des Ernest Hemingway.
Ich will etwas verraten. Ein anderer Grund meiner Bewunderung: Hemingway schreibt über das Meer. Ich verbringe viel Zeit auf dem Wasser. Wenn es irgendwie geht, versuche auch ich, ans Meer zu kommen. Ich kenne ihn und ich bewundere ihn. Ich glaube, ich verstehe Hemingways Gefühle, wenn er auf unseren Gewässern segelt.
Er ist ein Weltenbummler, dieser Hemingway. Ein Abenteurer, ohne Frage. Ernesto, ein Mann mit Cojones. Ein kerniger Kerl, der unbeirrt seinen Weg geht. Mit Rückgrat. Und einer, der sich einen Dreck darum schert, was am Wegesrand getuschelt wird.
Ein anderer Grund meiner Bewunderung ist, dass Hemingway ein Abenteurer war. Ein Abenteurer im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Gefühl, das meiner Meinung nach schön ist. Ein Abenteurer ist ein Mensch, der mit der Welt um sich herum unzufrieden ist und es als seine Aufgabe sieht, sie zu verändern. Er muss mit Konventionen brechen. Um dies zu tun, stürzt er sich ins Abenteuer. Dabei lernt er, dass die Welt auch ihn verändern wird. Er wird nicht unversehrt aus diesen Kämpfen kommen. Verletzungen sind unvermeidlich.
Nun ist Ernest Hemingway kein Revolutionär im strengen Sinn gewesen. Ein Marxist schon gar nicht. Auch wenn Fidel Castro ihn ein wenig für seine Ziele einvernehmen möchte. Doch für kollektivistische Ideen ist der Nobelpreisträger eigentlich nicht zu haben. Dazu ist er viel zu sehr Individualist. Kann ein Individualist zugleich Revolutionär sein? Nach innen vielleicht?
Der andere Grund, warum ich Hemingway schätze, hat mit dem zu tun, was ich seine Kühnheit nennen würde. Aber diese Eigenschaft ist etwas, das ich nicht nur an Hemingway, sondern an allen Schriftstellern bewundere.
Möglicherweise hat der Comandante etwas gelernt aus den Romanen und Erzählungen des Amerikaners. Bei dieser Frage kommt der Revolutionsführer ins Schwärmen. Mit Abstand betrachtet, wirkt er in diesem Punkt allerdings ein wenig unglaubwürdig.
„Wem die Stunde schlägt“ erzählt von einer Guerilla und davon, wie sie als Nachhut in einem vom Feind kontrollierten Gebiet völlig frei agieren kann. Ich bin fasziniert von der lebhaften Beschreibungen in diesem Roman. Als ich das Werk zum ersten Mal las, als Student, kam mir vor Augen, wie eine subversive Rebellion aus politischer und militärischer Sicht bei uns auf Kuba aussehen könnte. Als wir dann selber kämpften, wuchs mir das Buch noch mehr an Herz.
Wie steht es um sein berühmtestes Werk? Der alte Mann und das Meer – abgesehen davon, dass diese Erzählung ein nahezu perfekter Roman ist – scheint mir ein höchst merkwürdiges Buch. Diese Novelle handelt von dem kubanischen Fischer Santiago, von dem Jungen Manolín als seinem Helfer, die Handlung spielt sich ab in einem kargen kubanischen Fischerdorf und vor allem auf dem Golfstrom vor Kuba. Alles an dem Roman ist kubanisch – nur sein Autor nicht.
Ich halte „Der alte Mann und das Meer“ für ein Meisterwerk. Es ist außergewöhnlich, dass ein Autor in der Lage ist, so einen fesselnden Roman zu schreiben mit einer einzigen Figur, die sich tagelang in einem Boot auf dem Meer befindet. Mit einen Mann, der zu sich selbst spricht. Ich sage Ihnen, was ich an Hemingway am meisten mag, es sind die Monologe. Ich kenne keinen anderen Autor, der dazu in der Lage ist.
In der Tat spielt sich die Handlung in der kleinen Schaluppe auf dem Golf von Mexiko ab. Wobei der Begriff ‚Handlung‘ ein wenig übertrieben scheint. Zwar kämpft der alte Mann Santiago gegen die gefräßigen Haie, der eigentliche Gegner jedoch scheint ein anderer. Und so kommt es, dass der einfache Fischer andauernd mit sich selber spricht, aber möglicherweise sind seine Monologe, sie kommen dem Leser vor wie Gebete und Fürbitten, an jemand anders gerichtet.
Als ich den Roman zum ersten Mal las, hätte ich mir vielleicht etwas mehr Action gewünscht. Ich habe den Wert dieses Werkes damals nicht in seiner Ganzheit schätzen können. Aber je öfter ich „Der alte Mann und das Meer“ gelesen habe, desto mehr bewundere ich die Erzählung. Wie Hemingway die Aufmerksamkeit des Lesers fesseln kann, allein durch den Dialog eines Mannes mit sich selbst. Und dann kommt die letzte Frustration.
Hemingways Novelle geht tief, sehr tief. Dies hat Doktor Fidel Castro treffsicher erkannt. Ein Mann kämpft, gegen wen und was auch immer. Die 84 Tage des Fischers Santiago auf dem Meer mögen das Abstrampeln des Menschen auf seinem Lebensweg symbolisieren. Die Botschaft wird schnell klar, gekämpft werden muss immer. Um das kleine Glück des kleinen Menschen festzuhalten.
Der Mensch kann sich der widrigen Umgebung stellen, er muss es sogar tun. Der Ausgang des Kampfes ist offen, der Triumph wird nicht immer erreicht werden. Aber die Aufforderung ist, es zu versuchen, den Kampf aufzunehmen. Und dies ist die Botschaft Hemingways, die wir hier, in Kuba, inmitten einer Revolution, im Kopf behalten haben.
Die Haltung des US-Amerikaners zum kubanischen Umsturz des Fidel Castro und des Che Guevara ist zwiespältig. Eigentlich hat er sich nicht mehr vereinnahmen wollen, wie damals im Spanischen Bürgerkrieg. Er hat Freunde auf beiden Seiten. Jedoch mit dem Bauch und den Gefühlen neigt er den bärtigen Revolutionären zu. Der Kopf sendet ihm das eine oder andere widersprüchliche Signal. Doch El Comandante will den berühmten Schriftsteller – nachträglich – ganz auf seine Seite ziehen.
Hemingway war in den entscheidenden und sehr schwierigen Momenten ein wirklicher Gefährte. Auch wir sind seit Jahrzehnten verwundbar und der Zerstörung ausgesetzt. Aber die revolutionäre Losung ist immer wieder und fest: „Den Rückschlag in einen Sieg verwandeln“. Oder: „Sie können uns tausendmal vernichten, aber niemals besiegen“. Das sind revolutionäre Schlachtrufe bei Kundgebungen und Paraden in den letzten 20 Jahren. Hemingway hatte absolut Recht: Ein Mensch kann zerstört werden, aber niemals besiegt.
Ernest Hemingway und Fidel Castro sind sich auf Kuba ein einziges Mal über den Weg gelaufen. Am 15. Mai 1960 beim Torneo Anual de Pesca in Marina Barlovento nahe bei Havanna. Der Revolutionsführer macht beim Angel-Wettbewerb mit und – wie sollte es anders sein – gewinnt das Turnier. Ernest Hemingway ist anwesend, sie treffen sich bei der Pokalübergabe. Es bleibt keine Zeit zum gründlichen Gespräch. Nur ein wenig Small Talk. Dabei wäre der Meinungsaustausch zwischen beiden Bärtigen wohl
Am 8. Februar 1922 besuchen Ernest Hemingway und seine Frau Hadley zum ersten Mal die amerikanische Schriftstellerin Gertrude Stein, es ist eine Einladung zum Nachmittagstee. Die wohlhabende Kunstsammlerin und einflussreiche Mäzenin wohnt in Paris zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Alice Toklas in einem feudalen Apartment in der Rue de Fleurus. Gertrude Stein ist zu jenem Zeitpunkt 48 Jahre alt, Ernest gerade einmal 22. Die resolute Frau nimmt schnell die Aufgabe einer Mentorin ein für den jungen Mann aus Oak Park.
Gertrude Stein ist eine Schriftstellerin von ungeheuerem Fleiß und mit Mut zur Veränderung. Sie veröffentlicht originelle Erzählungen und Bühnenwerke, auch der Umfang ihres Briefwechsels bleibt beachtlich. Mit ihrer experimentellen Erzählweise – wie in ihrem tausend Seiten dicken Hauptwerk The Making of Americans – setzt sie sich über die üblichen grammatikalischen Konventionen hinweg, verzichtet weitgehend auf Satzzeichen und baut endlose Variationen und Satzwiederholungen ein. Doch der kommerzielle Erfolg der risikofreudigen Autorin erreicht nicht den verdienten Ruhm. Ihr Einfluss auf die Vertreter der Lost Generation allerdings bleibt beachtlich, gleichermaßen wie ihre Rolle als Vorkämpferin feministischer Ideale.
Paris in den 1920er Jahren ist ein brodelnder Ideentopf. Auf einmal wird nicht mehr nur impressionistisch oder expressionistisch gemalt, sondern es elektrisieren Stilrevolutionen wie Kubismus, Surrealismus und Dadaismus. Künstler malen wirr und konfus, wie aus einem überdrehten Traum. Schriftsteller schreiben ohne Punkt und Komma, mancher Roman liest sich wie aus dem Tollhaus geworfen. All dies ist eine aufregende Welt für einen Arztsohn aus dem biederen Speckgürtel von Chicago.
Bei Frau Stein in Paris gehen die experimentierfreudigen Künstler jener Zeitepoche ein und aus. Die Maler Pablo Picasso, Henri Matisse, Juan Gris und Georges Braque, auch die Schriftsteller Ezra Pound, F. Scott Fitzgerald, Ford Madox Ford und James Joyce oder die Komponisten Darius Milhaud und Arthur Honegger. Zu ihnen gesellt sich ab Februar 1922 ein unbekannter Journalist namens Ernest Hemingway. Der hochgewachsene Korrespondent für die kanadische Tageszeitung Toronto Star fällt auf durch ein gesundes Selbstbewusstsein und höhere Ambition.
Die Mäzenin aus Pittsburgh ist eine Person von Einfluss und Erfahrung in den Pariser Künstlerkreisen, sie findet Gefallen an dem kernigen Kerl und fördert seine Begabung als Autor. Sie erkennt die innovative Qualität von Ernests Schreibweise auf den ersten Blick. Er könne vielleicht irgendeine neue Art von Schriftsteller werden, sagt sie. Doch mehr als einmal fällt der hemdsärmelige Amerikaner unangenehm auf in der soignierten Runde des literarischen Salons in der Rue de Fleurus 27.
Der junge Journalist redet in einem fort über Sex. „A man talking so much about sex“, meint Frau Stein pikiert, „must be either important or impotent.“ Wer so viel über Sex redet, der müsse entweder important oder impotent sein. Auch Hadley hat zu knabbern. Die bodenständige Mrs. Hemingway wird mit der lesbischen Künstlerin nicht so recht warm und fühlt sich in deren Gesellschaft unwohl. Sprachlos reagiert sie, als Gertrude Stein vorschlägt, Hadley solle ihr schönes langes Haar doch kurz schneiden lassen.
Trotz manch Reibereien wird Gertrude Stein zu einer scharfsinnigen Lehrmeisterin für den angehenden Erzähler. Sie liest seine Entwürfe, korrigiert umsichtig, regt Verbesserungen an. Als sie das Manuskript Up in Michigan durcharbeitet, bezeichnet sie die Geschichte als unpublizierbar. Gertrude Stein hält vor allem Hemingways Schauplätze für passé, das meiste spielt sich in der nördlichen Seenlandschaft seiner ländlichen Heimatregion ab. Er möge doch nicht über Dinge schreiben, die keiner lesen will. Im gebeutelten Europa lägen die Themen doch auf der Strasse.
Klar und deutlich erkennt die lebenskluge Gertrude Stein das Potential von Ernest Hemingway als Romancier und als Schreiber von Kurzgeschichten. Einen Zeitungsreporter sieht sie in ihm nicht, verschwendetes Talent. Als der Mittzwanziger die nicht einfache Entscheidung treffen muss, mit dem Journalismus aufzuhören und seinen Korrespondentenvertrag zu kündigen, ermutigt sie ihn, ins Risiko zu gehen. Ihre literarischen Ratschläge sind für den Novizen noch wichtiger.
Zunächst sensibilisiert Gertrude Stein den jungen Autor für die Wichtigkeit der Wörter, sie erklärt ihm die Bedeutung von Wortwiederholungen, drängt ihn zu einer minimalistischen Erzählweise, Ernests lakonische Sätze zeigen ihren Einfluss. Der junge Journalist akzeptiert Gertrude Stein als seine Lehrmeisterin, es geht so weit, dass er ihre Angewohnheiten kopiert und beispielsweise seine Texte in einem blauen Notizbuch festhält, ganz wie sie. Ernest zeigt sich als ein aufmerksamer Zuhörer und eifriger Schüler.
Hemingway, der nie eine Hochschule besucht hat, lernt schnell. Ab 1924 ist er nicht mehr auf die Ratschläge der Frau Stein angewiesen. Seine Sicht der Dinge, seine Themenkreise und sein literarischer Stil beginnen sich zu festigen. Auch die Leser erkennen sein Talent. Sein erster großer Roman The Sun Also Rises – er spielt vorwiegend in Pamplona während der Sanfermines – schlägt 1926 ein wie eine Bombe. Ernests Art zu schreiben und seine Themen wirken unverbraucht und freiheraus.
Der Erste Weltkrieg hat die Menschen verändert. Die Kämpfe an der Front sind grausam gewesen. Ein solcher Zivilisationsbruch lässt eine lost generation zurück, der Begriff ist von Gertrude Stein geprägt. Er meint eine Generation, deren Werte und Zuversicht mit einem Schlag zerstört worden sind. Mit dem Naturburschen, der rund um den Lake Michigan aufgewachsen ist, kommt nun ein neuer Typus in die Welt der Literatur. Ernest Hemingway schwingt sich empor zur Stimme der belesenen Mittelschicht, dieses Mannsbild erstrahlt als Identifikationsfigur, auf die so viele gewartet haben. Endlich! Ein Erlöser, wenn man will, literarisch zumindest.
Privat vertieft sich die Freundschaft zunächst. Gertrude Stein und Alice Toklas werden Taufpatinnen von Sohn John, der im Oktober 1923 geboren wird und in Paris aufwächst. Liebevoll kümmert sich das lesbische Paar um den Sprössling der Hemingways, es geht mit dem Baby spazieren, besucht die Spielplätze und die Parks, wie den Jardin du Luxembourg, der bei der Rue de Fleurus um die Ecke liegt.
Die Freundschaft jedoch zerbricht nach wenigen Jahren, 1926 verkracht sich Ernest mit Gertrude, es sind
William Faulkner über Ernest Hemingway:
“Er ist dafür bekannt, Wörter zu verwenden, die der Leser nicht im Lexikon nachschlagen muss.“
Ernest Hemingways Antwort:
“Armer Faulkner. Glaubt er wirklich, dass nur große Wörter große Gefühle auslösen?”
Er liebt gutes Essen, hohe Prozente, er mag gerne in die Fremde reisen und hält beide Augen auf den Frauen. Dieser Autor – das hebt ihn von vielen Kollegen ab – ist ein Lebe-Mensch in allen Schattierungen. Er schreibt über Siege, doch vor allem über das Misslingen und die Niederlagen. Dabei überreicht er dem geneigten Publikum die Zerrissenheit der eigenen Biografie, ohne jede Beschönigung. Laster, Fehler, Irrwege – alles wird im Schaufenster ausgebreitet.
Oberflächlich betrachtet könnte man Ernest Hemingway für einen narzisstischen Rüpel halten. Sein Tempo und seine Deutlichkeit wirken beängstigend. Alles obertourig, vom frühen Morgen bis in die späte Nacht, für halbe Sachen ist dieser Mann nicht zu haben. Er schreibt, er säuft und er treibt es auch sonst ziemlich bunt. Ach herrje, dieser Lebenswandel! Allerdings ist es nicht auszuschließen, dass er von vielen so hart kritisiert wird, damit diese sich nicht selber kritisieren müssen.
Für eine lockere Lebensart empfindet dieser Naturbursche eine tiefe Sympathie. Sein Wunsch ist immerfort und überall, sich selber zu fühlen. Er braucht dieses Lebensgespür als Gegenpart zum Tod. Denn das Mysterium um das menschliche Dasein bleibt. Wir werden ohne unser Zutun ins Leben geworfen, ebenso wie wir ohne unser Zutun aus dem Leben herausgeholt werden. Fix sind beide Endpunkte. Geburt und Tod.
Was hindert uns daran, die knappe Zeit dazwischen voll auszukosten? Möglicherweise liegt darin die Botschaft dieses Schriftstellers auf der Metaebene. Er macht es uns vor. In der Tat, Ernesto lebt für sich. Aber auch ein wenig für uns. Vielleicht sollten wir so leichtsinnig werden wie er, dazu so sinnlich und draufgängerisch, man könnte wieder die wilde Lust am Leben spüren. Zügellos und ohne billige Zerstreuung. So macht er es vor.
Voll aufgedreht wirkt dieser Mann auf manche überspannt, wie ein aufgeblasener Wichtigtuer. Vieles davon ist der Lust am Dasein geschuldet. Denn wenn man als Mensch den Trubel zulässt, dann erlaubt man sich eine neue Sinnenfreude. Die Gier am Leben, in den Tropen ohnehin, löst einen deutlichen erotisierenden Reflex aus und eine spürbare Allgewalt der Körperlichkeit. All das kann man zwischen den Zeilen seiner Erzählungen bemerken.
Auch aus diesem Grund hat ihn die Lebenslust 30 lange Jahre gezogen nach Key West und Kuba. Denn die Sonne und die Hitze sind für ihn der Gegenentwurf zum langen, kalten Tod. Dazu kitzelt die Glut manch verschüttete Begierde hervor. Der Mensch ergibt sich in jene so selbstverständliche Natürlichkeit, sobald man den Lebensregulator aufdreht und das Schicksal in die eigenen Hände nimmt. Dieser Kerl aus dem kühlen Chicago könnte sich – trotz seines abträglichen Lebenswandels – als ein Vorbild anbieten.
Der Nobelpreisträger von 1954 hat erkannt, dass die Leidenschaft eines erstklassigen Schriftstellers sich nicht im Schreibstübchen erschöpft. Die Bücher sind nicht das Ziel des Schreibens, sondern Ergebnis. Die Sinnhaftigkeit eines wirklich guten Autors liegt woanders. In einer lustvollen Haltung zur Welt. An der Vorführung dieser Lebenslust tragen Autoren – von Goethe bis García Márquez – als unsere Mentoren eine gehörige Verantwortung. Und auch Ernest Hemingway lebt auf
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