Ernest Hemingway auf dem Meer. Vor Cabo Blanco in Peru, April 1956. Foto: Modeste von Unruh/Colorized. Archiv Dr. Stock.
Er gilt als Rabauke und Raufbold der Weltliteratur. Möglicherweise ist Ernest Hemingway dies zu Beginn seines Werdegangs auch gewesen. Doch dieser flegelhaft auftretende Kerl, er ist vom Jahrgang 1899, hat eine Entwicklung durchlaufen. Von der Kriegsfront im Ersten Weltkrieg über die Stierkämpfe in Pamplona und den Safaris in Ostafrika bis hin zum alten Mann ist es ein weiter Weg. Ebenso wie der von einem scheinfrommen Vorort von Chicago bis hin ins tiefgläubige katholische Kuba.
Möglicherweise erlebt er die Reifung vom selbstgewissen Rebellen hin zum aufrichtig Suchenden. In seinem Spätwerk – vor allem in Der alte Mann und das Meer aus dem Jahr 1952 – hat Hemingway uns Erzählungen hinterlassen, die vor religiösen Chiffren und gottesfürchtigen Metaphern nur so übersprudeln. Man muss indes sorgfältig lesen, denn der Entwicklungsprozess hin zu einem spirituellen Autor weiß der Amerikaner aus Oak Park gekonnt zu verstecken.
Da ist Santiago, der alte Mann aus Cojímar. Der schlichte Fischer kehrt zurück in das Heimatdorf, er hat seinen prächtigen Fang an die Haie verloren. Die Mühsal vieler Tage und Wochen ist umsonst gewesen. Der alte Fischer ist geschlagen, doch nicht gebrochen. Am nächsten Tag wird es ihn mit seinem schlichten Holzboot wieder auf das weite Meer ziehen. Zum Meer hin. Vom Meer heimkommen. Eine starke Metapher.
Das Meer nimmt den Menschen auf, an den meisten Tagen wirft es ihn zurück ins Leben. Niemand weiß, was der folgende Tag auf dem Meer bringen wird. Zumal selbst ein freudiger Abschluss einer Täuschung unterliegt. Über das große Ganze entscheiden andere, Fang und Rückkehr liegt nicht in den Händen des Menschen. Das Meer, was immer und wer immer auch damit gemeint sein mag, ist mächtiger.
La Mar. Umgangssprachlich nennen die meisten Fischer in Lateinamerika das Meer la Mar. Obwohl das Meer im Spanischen offiziell maskulin ist. El Mar. Auch der alte Fischer Santiago, so schreibt Ernest Hemingway in seinem Werk, dachte an die See immer an „la mar“, so nennt man sie auf Spanisch, wenn man sie liebt. Der alte Mann dachte immer an sie als etwas Weibliches, als etwas, was große Gunst gewährt oder vorenthalten kann.
Wie der Ausgangspunkt des Lebens erscheint das Meer, ebenso wie sein Endpunkt. Die Göttin der Liebe und der Schönheit – Aphrodite bei den Griechen und Venus bei den Römern – entsteigt traumhaft den Fluten. Das mit Blut und Samen vermischte Meereswasser schäumt auf und gebiert ein Lebewesen. Die schaumgeborene Göttin, die Herrscherin über Sexualität und Begierde, sichert die Fortpflanzung des Menschen.
Womit ein Pol des Lebens beschrieben wäre. Der andere Pol ist im Spanischen erstaunlicherweise feminin. La Muerte. Der Tod. Im Deutschen maskulin. Eigentlich verrät diese Konnotation die dahinter stehende Geisteshaltung. Das Mindset, wie es im modernen Sprachgebrauch heißt, verrät die Gesinnung der Hispanos. Viva la muerte, brüllen die Revolutionäre in allen Farben. Es lebe der Tod.
Am Meer geht es im Spanischen auch zu Ende. Volver al mar, klagen die Iberer altüberliefert, zum Meer zurückgehen. Und meinen damit, jetzt läuft es auf den Schlusspunkt zu. Die Philosophen sehen im Meer, das sich von den zufließenden Flüssen speist, aber nie überläuft, das Sinnbild für den Kreislauf des menschlichen Seins. Das Meer gibt und nimmt das Leben.
Das Meer ist mit einer Naturkraft ausgestattet, ohne die sich die Erde nicht drehen könnte. Es ist mächtiger als der Mensch. Und deshalb hat Hemingway zu Ende seines Lebens eine Erzählung zu Papier gebracht, in der kein
Ernest Hemingway und Fidel Castro haben sich einmal gesehen. An Land, bei einem Angel-Wettbewerb im Mai 1960. So einträchtig auf dem Meer – das kann allerdings nur die Künstliche Intelligenz unserer Tage. Foto: AI Grok.
In der Nacht vom 6. Februar 1984 führt der kubanische Journalist Norberto Fuentes im Palast der Revolution von Havanna ein ausführliches Interview mit Fidel Castro. Das einzige Thema: Ernest Hemingway. Was der Revolutionsführer über den US-amerikanischen Schriftsteller ausplaudert, ist hochinteressant. Man merkt, die Anmerkungen bleiben nicht bloß dahin gesagt, sondern hier kennt sich einer aus.
Hemingways Werke waren für mich stets gute Begleiter. Es ist doch so, dass man sich in bestimmten Büchern wiederkennen kann. Bei mir war es so, dass ich mich auf der Stelle mit Hemingways Erzählungen identifizieren konnte.
Der berühmte US-Autor, in Chicago geboren, lebte 21 Jahre auf Kuba. So lange hat seine Heimat ihn nie gesehen. Dabei fühlte er nahezu wie ein Kubaner, er fügte sich wie selbstverständlich ein in die fremde Welt. Aus Überzeugung. Mit Freude. Er lernte die Sprache. Die Finca Vigía, im Süden von Havanna. war sein Rückzugsort gewesen. Unter tropischen Palmen regierte hier das schiere Glück. Kuba und Ernest Hemingway, es passte wie Yin und Yang. Die Wertschätzung erfolgte aus beiden Richtungen.
Ich muss „Wem die Stunde schlägt“ mehr als drei Mal gelesen haben. Und ich kenne den Film. Ich habe auch „In einem andern Land“ und „Der alte Mann und das Meer“ mehrfach gelesen. Dazu seine Erlebnisse in Afrika – ich beziehe mich auf seine Erzählungen und Artikel. Alles habe ich verschlungen. Und natürlich die Stücke über seine Abenteuer in der Karibik.
Der Jurist und Rechtsanwalt Fidel Castro ist ein Mann mit hohem Scharfsinn. Studiert, belesen, charismatisch. Man übertreibt wohl nicht, wenn man den Yankee Ernest Hemingway als seinen Lieblingsautor bezeichnet. Dies überrascht, denn Kuba selbst hat viele erstklassige Schriftsteller hervorgebracht. Man sollte dieser wunderlichen Zuneigung also auf den Grund gehen.
Der erste Grund, warum er mich anzieht, ist sein Realismus. Weil Hemingway mich alles mit großer Sauberkeit und Klarheit sehen lässt. Es gibt keine Schwachstellen in seinen Texten. Alles ist überzeugend und alles ist so wirklichkeitsnah. Er hat das Talent, dich in die afrikanische Tiefebene oder in eine Stierkampfarena zu entführen, und es fällt dir schwer, das Gelesene zu vergessen. Weil es so geschrieben ist, als hättest du es selbst erlebt.
Ernest Hemingway ist bekanntlich ein Mann des Meeres. Er liebt das große Wasser über alles. Am liebsten hält er sich nahe dem Ozean auf. Für ihn ist das Meer ein Symbol von Freiheit und Unabhängigkeit. Dazu die Quelle der Evolution. Das Meer gebiert das Leben und am Ende nimmt es das Leben. Es ist unsterblich, da hat es dem Menschen etwas voraus. Diese wundersame Kraft des Meeres ist gleichsam das Thema des Ernest Hemingway.
Ich will etwas verraten. Ein anderer Grund meiner Bewunderung: Hemingway schreibt über das Meer. Ich verbringe viel Zeit auf dem Wasser. Wenn es irgendwie geht, versuche auch ich, ans Meer zu kommen. Ich kenne ihn und ich bewundere ihn. Ich glaube, ich verstehe Hemingways Gefühle, wenn er auf unseren Gewässern segelt.
Er ist ein Weltenbummler, dieser Hemingway. Ein Abenteurer, ohne Frage. Ernesto, ein Mann mit Cojones. Ein kerniger Kerl, der unbeirrt seinen Weg geht. Mit Rückgrat. Und einer, der sich einen Dreck darum schert, was am Wegesrand getuschelt wird.
Ein anderer Grund meiner Bewunderung ist, dass Hemingway ein Abenteurer war. Ein Abenteurer im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Gefühl, das meiner Meinung nach schön ist. Ein Abenteurer ist ein Mensch, der mit der Welt um sich herum unzufrieden ist und es als seine Aufgabe sieht, sie zu verändern. Er muss mit Konventionen brechen. Um dies zu tun, stürzt er sich ins Abenteuer. Dabei lernt er, dass die Welt auch ihn verändern wird. Er wird nicht unversehrt aus diesen Kämpfen kommen. Verletzungen sind unvermeidlich.
Nun ist Ernest Hemingway kein Revolutionär im strengen Sinn gewesen. Ein Marxist schon gar nicht. Auch wenn Fidel Castro ihn ein wenig für seine Ziele einvernehmen möchte. Doch für kollektivistische Ideen ist der Nobelpreisträger eigentlich nicht zu haben. Dazu ist er viel zu sehr Individualist. Kann ein Individualist zugleich Revolutionär sein? Nach innen vielleicht?
Der andere Grund, warum ich Hemingway schätze, hat mit dem zu tun, was ich seine Kühnheit nennen würde. Aber diese Eigenschaft ist etwas, das ich nicht nur an Hemingway, sondern an allen Schriftstellern bewundere.
Möglicherweise hat der Comandante etwas gelernt aus den Romanen und Erzählungen des Amerikaners. Bei dieser Frage kommt der Revolutionsführer ins Schwärmen. Mit Abstand betrachtet, wirkt er in diesem Punkt allerdings ein wenig unglaubwürdig.
„Wem die Stunde schlägt“ erzählt von einer Guerilla und davon, wie sie als Nachhut in einem vom Feind kontrollierten Gebiet völlig frei agieren kann. Ich bin fasziniert von der lebhaften Beschreibungen in diesem Roman. Als ich das Werk zum ersten Mal las, als Student, kam mir vor Augen, wie eine subversive Rebellion aus politischer und militärischer Sicht bei uns auf Kuba aussehen könnte. Als wir dann selber kämpften, wuchs mir das Buch noch mehr an Herz.
Wie steht es um sein berühmtestes Werk? Der alte Mann und das Meer – abgesehen davon, dass diese Erzählung ein nahezu perfekter Roman ist – scheint mir ein höchst merkwürdiges Buch. Diese Novelle handelt von dem kubanischen Fischer Santiago, von dem Jungen Manolín als seinem Helfer, die Handlung spielt sich ab in einem kargen kubanischen Fischerdorf und vor allem auf dem Golfstrom vor Kuba. Alles an dem Roman ist kubanisch – nur sein Autor nicht.
Ich halte „Der alte Mann und das Meer“ für ein Meisterwerk. Es ist außergewöhnlich, dass ein Autor in der Lage ist, so einen fesselnden Roman zu schreiben mit einer einzigen Figur, die sich tagelang in einem Boot auf dem Meer befindet. Mit einen Mann, der zu sich selbst spricht. Ich sage Ihnen, was ich an Hemingway am meisten mag, es sind die Monologe. Ich kenne keinen anderen Autor, der dazu in der Lage ist.
In der Tat spielt sich die Handlung in der kleinen Schaluppe auf dem Golf von Mexiko ab. Wobei der Begriff ‚Handlung‘ ein wenig übertrieben scheint. Zwar kämpft der alte Mann Santiago gegen die gefräßigen Haie, der eigentliche Gegner jedoch scheint ein anderer. Und so kommt es, dass der einfache Fischer andauernd mit sich selber spricht, aber möglicherweise sind seine Monologe, sie kommen dem Leser vor wie Gebete und Fürbitten, an jemand anders gerichtet.
Als ich den Roman zum ersten Mal las, hätte ich mir vielleicht etwas mehr Action gewünscht. Ich habe den Wert dieses Werkes damals nicht in seiner Ganzheit schätzen können. Aber je öfter ich „Der alte Mann und das Meer“ gelesen habe, desto mehr bewundere ich die Erzählung. Wie Hemingway die Aufmerksamkeit des Lesers fesseln kann, allein durch den Dialog eines Mannes mit sich selbst. Und dann kommt die letzte Frustration.
Hemingways Novelle geht tief, sehr tief. Dies hat Doktor Fidel Castro treffsicher erkannt. Ein Mann kämpft, gegen wen und was auch immer. Die 84 Tage des Fischers Santiago auf dem Meer mögen das Abstrampeln des Menschen auf seinem Lebensweg symbolisieren. Die Botschaft wird schnell klar, gekämpft werden muss immer. Um das kleine Glück des kleinen Menschen festzuhalten.
Der Mensch kann sich der widrigen Umgebung stellen, er muss es sogar tun. Der Ausgang des Kampfes ist offen, der Triumph wird nicht immer erreicht werden. Aber die Aufforderung ist, es zu versuchen, den Kampf aufzunehmen. Und dies ist die Botschaft Hemingways, die wir hier, in Kuba, inmitten einer Revolution, im Kopf behalten haben.
Die Haltung des US-Amerikaners zum kubanischen Umsturz des Fidel Castro und des Che Guevara ist zwiespältig. Eigentlich hat er sich nicht mehr vereinnahmen wollen, wie damals im Spanischen Bürgerkrieg. Er hat Freunde auf beiden Seiten. Jedoch mit dem Bauch und den Gefühlen neigt er den bärtigen Revolutionären zu. Der Kopf sendet ihm das eine oder andere widersprüchliche Signal. Doch El Comandante will den berühmten Schriftsteller – nachträglich – ganz auf seine Seite ziehen.
Hemingway war in den entscheidenden und sehr schwierigen Momenten ein wirklicher Gefährte. Auch wir sind seit Jahrzehnten verwundbar und der Zerstörung ausgesetzt. Aber die revolutionäre Losung ist immer wieder und fest: „Den Rückschlag in einen Sieg verwandeln“. Oder: „Sie können uns tausendmal vernichten, aber niemals besiegen“. Das sind revolutionäre Schlachtrufe bei Kundgebungen und Paraden in den letzten 20 Jahren. Hemingway hatte absolut Recht: Ein Mensch kann zerstört werden, aber niemals besiegt.
Ernest Hemingway und Fidel Castro sind sich auf Kuba ein einziges Mal über den Weg gelaufen. Am 15. Mai 1960 beim Torneo Anual de Pesca in Marina Barlovento nahe bei Havanna. Der Revolutionsführer macht beim Angel-Wettbewerb mit und – wie sollte es anders sein – gewinnt das Turnier. Ernest Hemingway ist anwesend, sie treffen sich bei der Pokalübergabe. Es bleibt keine Zeit zum gründlichen Gespräch. Nur ein wenig Small Talk. Dabei wäre der Meinungsaustausch zwischen beiden Bärtigen wohl
Oje, die Krawatte mal wieder viel zu kurz gebunden. Ernest Hemingway auf Reisen. In Talara, in Nordperu, am 16. April 1956. Foto: Mario Saavedra-Pinón.
In einer famosen Reportage für die Zeitschrift HOLIDAY lässt Ernest Hemingway im Juli 1949 tief in sein Inneres blicken. Seit zehn Jahren lebt der amerikanische Starautor auf einem tropischen Anwesen in der Nähe von Havanna. Die Menschen fragen mich, warum ich auf Kuba lebe, und ich sage, weil ich es mag. So weit, so gut. Doch jetzt wird es spannend. Ich kann natürlich auch sagen, ich lebe gerne auf Kuba, weil ich Schuhe nur anziehen muss, wenn ich in die Stadt fahre. Schuhe, immer wieder die Schuhe.
Kein Zweifel, der US-Amerikaner passt wunderbar zu Kuba. Zu dem anarchischen Alltag, zu dem beschaulichen Ehrgeiz, zur entspannten Lebenslust. Er kann sich nicht vorstellen, in New York oder Boston zu leben, seine Heimat ist ihm über die Jahre irgendwie fremd geworden. Und so lässt er sich auf der Insel am liebsten mit Ernesto ansprechen, als einer der ihren. Ernest Hemingway ist ein altmodischer Mann in einem altmodischen Land.
Der Schriftsteller hasst diese aufgesetzte Theatralik anderenorts. Das Geschnatter in der Großstadt, die sozialen Verwicklungen der urbanen Mittelschicht. Alles Oberfläche für ihn, im besten Falle Zerstreuung und Ablenkung vom Alltag. Darum sollen sich andere Autoren kümmern, sein Kosmos ist bodenständig und heißt Italien, Andalusien und Ostafrika. Es sind die Berge und Wälder, die ihn faszinieren, die wilden Stiere, die weite Steppe, das blaue Meer.
Als sein Nachbar Frank Steinhart in San Francisco de Paula April 1948 den Besuch des feinen Duke of Windsor anzeigt und zu einer eleganten Party lädt, da muss er mehrmals überredet werden. Eigentlich will er dort nicht hin, es ist nicht seine Welt. Lieber bleibt er auf seiner Finca Vigía. Doch Steinhart lässt nicht locker, drängt wiederholt am Telefon, Ehefrau Miss Mary pocht ebenfalls auf Teilnahme ihres Gatten.
Schließlich lässt der prominente Schriftsteller sich breitschlagen und geht widerwillig hin. Allerdings nicht in feinem Zwirn und langer Hose, sondern wie im Alltag, in Shorts und Sandalen. Ganz so, als komme er geradewegs vom Swimming-pool im Garten. Unter all den Anzugsträgern wird der Autor zum Tuschel-Thema des Abends. Doch der ehemalige König Eduard VIII. nähert sich ihm, man unterhält sich zwanglos. Schließlich legt der englische Aristokrat sein Jackett ab und lockert seine Krawatte.
Schuhe, Schlips, Sakko. Ein Graus für Ernesto. Wenn er auf Reisen ist, zieht er im Hotelzimmer als erstes das dicke Jackett und sein langärmeliges Hemd aus. Er entledigt sich der langen Hose, schießt die steifen Schuhe in die Ecke, rupft die Socken und feuert die blöde Krawatte in den Koffer. Dann kramt er die weißen Shorts hervor, streift ein kurzärmeliges Polo aus Baumwolle über und schlüpft in offene Sandalen.
Freunden und Besuchern fällt auf, dass er wenig Wert auf Kleidung legt. Die Farbe des Jacketts, in der Regel grünlich, ist, nun ja, von unbegrenzt modischem Zauber. Man sieht, der prominente Autor hat es nicht so mit dem Äußeren. Die Hose oft zu knapp geraten, die Krawatte meist zu kurz gebunden, die Fußbekleidung ungeputzt. Gerade in lateinamerikanischen Gefilden ist dies ein No-Go, denn in jenen Breiten gilt gutes und sauberes Schuhwerk als Ausweis von Vornehmheit.
Doch vornehm will er nicht sein. Allüren und Blasiertheit sind ihm fremd. Die Optik ist ihm einerlei. Und Schuhe hasst er wie die Pest. Am liebsten läuft er barfuß rum wie ein armer Schlucker. Bestenfalls schlüpft er in Sandalen oder Mokassins. Den feinen Anzug und dunkles Schuhwerk braucht er nicht, da kann der Kaiser von China kommen.
Trotzdem wird die Party beim Nachbarn Steinhart dann doch noch zum Erfolg. Denn der Duke of Windsor ist eine verdammt
Der rüstige Gregorio Fuentes vor seinem schlichten Haus in der Anhöhe von Cojímar. Kuba, im April 1983. Foto: W. Stock.
Im April 1983 hatte ich das Glück, mit Gregorio Fuentes in Cojímar sprechen zu können. Es war ein abenteuerlicher Weg bis in das kleine Fischerdorf. Denn die sozialistische Insel war zu jener Zeit abgeschottet zu westlich-kapitalistischen Staaten, die Öffnung zum internationalen Tourismus kam erst ein paar Jahre später. Doch ergab sich die Möglichkeit, mit einer mexikanischen Gruppe einzureisen, Visum inklusive, und ich konnte mich auf Kuba mehr oder weniger frei bewegen.
Irgendwann traf ich in Cojímar dann Gregorio Fuentes, über zwei Jahrzehnte der Kapitän von Ernest Hemingways Boot Pilar. Und gerne plauderte der Skipper über seine Zeit mit dem Nobelpreisträger, erst viel später war er dazu nur gegen harte Dollars zu bewegen. Auch gesundheitlich schien Gregorio voll auf der Höhe, der 85-Jährige besaß eine feste Stimme und ein gutes Gedächtnis. Auch wenn er in seinen Anekdoten manches zu übertreiben pflegte, halt ganz der Papa.
Beim Stöbern in alten Unterlagen ist mir die Audio-Datei von 1983 in die Hände gefallen. Das Treffen, nun schon über 40 Jahre her, bleibt in Erinnerung. Ich war damals ein junger Wissenschaftler von der RWTH Aachen, für zwei Jahre lebte ich in Mexico City. Auf den Spuren Ernest Hemingways bewegte ich mich damals noch nicht, vielmehr zog mich eine Feldforschung im Medienbereich auf Fidel Castros Insel.
Das Gespräch mit Gregorio fängt deshalb etwas förmlich an. Jedoch mag die Begegnung mit dem alten Gregorio in der Retrospektive möglicherweise die Initialzündung zu tieferer Befassung mit Ernest Hemingway gewesen sein.
Hier ein kleiner Ausschnitt aus dem Gespräch. Interview mit Gregorio Fuentes, Cojímar, April 1983.
Wie ist Ihr Name und in welcher Beziehung standen Sie zu dem großartigen Schriftsteller? Ich heiße Gregorio Fuentes. Die Beziehung zu Hemingway? Ich habe mit ihm gearbeitet. Hatten Sie selbst ein eigenes Boot? Nein, er hatte sein eigenes Boot gehabt. Ich war sein Bootsführer. Waren sie so etwas wie Freunde? Von dem Moment an, wo ich für ihn arbeitete, waren wir enge Freunde. Wenn man so viele Jahre mit einem Herrn wie Hemingway zusammenarbeitet, dann ist man Freund. Sonst hätte ich auch nicht so lange für ihn gearbeitet.
Ernest Hemingway mit seinen baskischen Freunden fachsimpeln auf Finca Vigía über das Pelota-Spiel.
Schon seit den 1920er Jahren wusste Ernest Hemingway um das Ballspiel Pelota. In seinem Geburtsort Chicago gab es den Rainbow Garden, eine Anlage, die sich ganz diesem baskischen Nationalsport verschrieben hatte. Lokale Pelota-Spieler wie Erdoza, El Fenómeno und Atano sind ihm ein Begriff, er hat ihre Wettkämpfe gesehen. Bei einem Besuch des Frontón Cancha im Jahr 1927 in San Sebastián verfällt Ernest endgültig dem baskischen Ballspiel.
Während seiner 21 Jahre auf Kuba besucht der US-Autor oft den Frontón Jai Alai, an der Kreuzung der Calle Concordia mit der Lucena. Der Frontón ist eine populäre Wettkampf-Halle in Havanna, die der Volksmund auch als Palacio de los Gritos, als Palast der Jubelschreie, kennt. In dieser langgezogenen Sporthalle geht es lauthals her, denn dort werden die Meisterschaften ausgetragen.
José María Iparraguirre hat 1853 Gernikako Arbola – der Baum von Guernica – komponiert, ein Lied, das zur inoffiziellen baskischen Nationalhymne wurde. Der Baum steht für den Freiheitswillen und die Unabhängigkeit des Baskenvolks. Und so wundert es nicht, dass auf Kuba Gernikako Arbola im Palacio de los Gritos vor jedem Pelota-Spiel ertönt, ebenso wie in anderen Pelota-Spielstätten weltweit.
Der musikalisch begabte Ernest Hemingway hat die Hymne der Basken Dutzende Male gehört, zum Teil kennt er den Text. Miss Mary hat verraten, dass ihr Ehemann selbst in der afrikanischen Steppe des Öfteren dieses baskische Lied angestimmt hat.
Auf Kuba hat Ernest die Zeitschrift Cancha abonniert. Das mexikanische Heft trägt den Untertitel Revista Quincenal de Pelota Vasca. Das vierzehntägliche Magazin über das baskische Pelota-Spiel. In Cancha erklärt Hemingway im Jahr 1945 seine Faszination für den baskischen Nationalsport. Es sei ein großartiger Wettkampf, spektakulär und voller Passion. Dazu schnell und brachial, wie kein anderer Sport, den er kennt.
Ernest Hemingway auf Kuba ist Abonnent der mexikanischen Pelota-Zeitschrift Cancha.
Ernest Hemingway kommt ins Schwärmen. Jai Alai is the format of pelota that attracts me most. Perhaps because it’s the one I’ve seen most times and among whose players are to be found my oldest and best friends. Seine besten und ältesten Freunde seien Pelotari und er habe unzählige Wettkämpfe beobachten können.
Jai Alai – auf Baskisch: fröhliches Fest – ist eine Variante des baskischen Pelota-Spiels, das Auswanderer aus Nordspanien auf die karibische Insel gebracht haben. Das Match beruht auf das Werfen des Balles gegen eine Wand. Anstatt eines Schlägers verwendet jeder Spieler eine schmale korbförmige Verlängerung an seinem Wurfarm, was eine
Im Baskenland geht für viele der Blick übers Meer. Das Glück muss in der Ferne gesucht werden. So auch bei dem Priester Andrés Untzaín aus Mundaka. Skulptur in Bermeo. Foto: W. Stock, 2024.
Zum Freundeskreis des Schriftstellers auf Kuba gehört der baskische Priester Andrés Untzaín. Wegen seines schwarzen Priestergewandes ruft Ernest ihn liebevoll Don Black. Don Black stammt aus Mundaka, einem Küstenflecken 40 Kilometer nordöstlich von Bilbao. Es ist eines der ältesten Dörfer Spaniens, hier wird Andrés Untzaín im August 1895 geboren.
Nach seiner Priesterweihe übernimmt er die Kirchengemeinde von Kanala, das auf der anderen Seite des Rio de Mundaka liegt. Kanala, damals schrieb man es auf Spanisch als Canala, ist ein hübsches Fleckchen am Meeresarm der rauen baskischen Küste mit Blick auf den Naturschutzpark Reserva de la Biosfera de Urdaibai.
Bei Ausbruch des Bürgerkrieges 1936 steht der Pastor fest auf republikanischer Seite, er wird Militär-Kaplan des baskischen Saseta-Bataillons. El cura rojo – der rote Priester – so nennen ihn die Franco-Getreuen in der Region abfällig. Als die Putschisten im August 1937 das Baskenland einnehmen, flieht Padre Andrés zunächst nach Frankreich. Die Rache der Franquisten macht auch vor Kirchenautoritäten nicht halt. Viele Pfarrer und Nonnen werden erschossen oder ins Gefängnis geworfen.
Ende 1937 erreicht Andrés Untzaín Havanna, wo eine Schwester von ihm lebt. Auf Kuba wird der rote Priester von der dortigen Amtskirche mit Argwohn betrachtet und so setzt man ihn auf eine bitterarme und entlegene Kirchengemeinde, jene von Catalina de Guines und Melena del Sur. Im Jahr 1942 wird er Presbyter und leitet die Pfarrgemeinde von Guara, 40 Kilometer südlich der Hauptstadt. Bei seinen Schäfchen ist der Pastor, von kräftiger und großer Gestalt, überaus beliebt.
Ein Freundestrio: Ernest Hemingway mit den Basken Juan Duñabeitia (links) und Padre Andrés Untzaín (mit Glas) auf Finca Vigía, Kuba 1947.
Der Kirchenmann bleibt ein baskischer Nationalist durch und durch. Als der Exil-Präsident des Baskenlandes José Antonio de Aguirre der Insel Kuba einen Besuch abstattet, mischt Padre Andrés an vorderster Front mit. Die Daheimgebliebenen spüren währenddessen die Unterdrückung in der Diktatur von General Franco. Ihre Sprache wird verboten, ebenso wie alle baskischen Symbole und die regionalen Parteien.
Padre Andrés Untzaín ist ein Priester, wie man ihn sich wünscht. Umgänglich, leise, offen, er mag den Wein und gutes Essen. Ein Gottesmann, ganz von dieser Welt. Oft besucht er den Frontón des Jai Alai, ohne Soutane, mit einer Zigarre im Mund, in der Hand einen Jaibol, einen Likör mit Wasser, Soda oder einen bloßen Refresco. Und der Priester schaut andauernd nervös auf seinen Wettschein.
Jeden Mittwochnachmittag kommt Don Black zur Finca Vigía. Mit den anderen baskischen Freunden – den Brüdern Patxi und Julián Ibarluzea, Félix Areitio, bekannt unter dem Spitznamen Ermua, Paco Garay, Juan Duñabeitia – geht es feucht und fröhlich zu. Man isst reichlich, trinkt mehr als üblich, springt in den Pool, schwelgt in Erinnerungen und der Krieg gegen General Franco wird dann irgendwie doch noch gewonnen.
Ein wenig kommt Don Black die Rolle des Seelenhirten von Ernest Hemingway zu, manchmal auch die eines Beichtvaters. Der Schriftsteller ist kein gottesgläubiger Mensch, er ist vielmehr einer von jener Sorte Atheist, der andauernd von Gott redet. Kommt er neu in eine Großstadt, dann ist die Besichtigung der Kathedrale eine Selbstverständlichkeit.
Padre Andrés Untzaín zu Besuch bei Ernest auf der Finca Vigía beim Fachsimpeln über das Pelota-Spiel.
Ernest Hemingway geht die Selbstgewissheit des Katholizismus ab, er bleibt zeitlebens ein Suchender. Jemand, der spürt, dass über den Gesetzen der Natur eine höhere Macht steht. Er möchte diese Autorität begreifen, sie entschlüsseln und in Kontakt mit ihr treten. Mit seinem Freund Andrés Untzaín kann der Schriftsteller über die Ideenwelt des Ignatius von Loyola philosophieren, die Ideenwelt der Jesuiten stößt bei beiden auf Interesse.
In seinem letzten Lebensjahr schreibt Ernest Hemingway in einem Brief an Malcolm Cowley über seine Freundschaft mit dem Priester. Auf Kuba sei Andrés Untzaín einer seiner drei besten Freunde gewesen. Deshalb habe er auch ein Dach für seine Kirchengemeinde gestiftet. Don Andrés, der Gemeindepfarrer auf Kuba, pflegte den Leuten zu sagen, dass er mein geistlicher Lehrer sei. Aber bei mir ist nichts zu gewinnen, außer beim Rennen.
Mit den Jahren auf Kuba mehren sich beim Pater die Probleme mit der Gesundheit. Er geht 1954 zurück in sein baskisches Heimatdorf. Als Pensionär, im Casino von Mundaka, überrascht ihn beim Kartenspiel ein Herzinfarkt. Andrés Untzaín stirbt im Oktober 1955 und wird seiner Heimaterde übergeben.
Als Hemingway im August 1959 in Bilbao weilt, macht er einen Abstecher nach Mundaka. Dort trifft der Nobelpreisträger
Ein heiterer Ernest Hemingway mit einer unbekannten Frau und Juan Sinsky Duñabeitia in einer kubanischen Kneipe, um 1953/1954. Foto: Archiv Dr. Stock.
Im Havanna der 1940er Jahre findet sich unter den Exil-Spaniern eine bunte Mischung: Funktionäre der Kommunistischen Partei, Carlisten, Anarchisten, Falangisten, Franco-Getreue und baskische Nationalisten. Ernest Hemingway, der seit 1939 auf der Insel lebt, baut sich schnell einen ansehnlichen Freundeskreis auf. Eine Opposition zum Franco-Regime bringt Pluspunkte. Besondere Sympathie hegt der bärtige Amerikaner für die in Havanna lebenden Basken.
Zu seinen baskischen Freundeskreis gehören Juan Duñabeitia aus Bilbao, Paco Garay aus Vitoria-Gasteiz, der Priester Andrés Untzaín, die Pelota-Spieler Francisco Patxi and Julián Ibarluzea, zwei Brüder aus Markina und Félix Areitio aus Ermua bei Eibar. Oft kommt der Freundeskreis auf Finca Vigía zusammen und Ernesto genießt die Stunden mit den Basken. An den Basken bewundert Hemingway vor allem die unverbrüchliche Loyalität zur Republik, den Humor und die Lebensfreude.
Wenn Ernest Hemingway Spanien besucht, dann darf ein Abstecher in den Norden nicht fehlen. Mit Leidenschaft taucht der US-Amerikaner ein in die Kultur des Baskenlandes, der Mann aus Chicago mag ihre Feste, den Sport, das Essen und Trinken. Auch die Geschichte, die Gebräuche und den Alltag der Basken faszinieren den Schriftsteller.
Einer seiner besten Freunde ist Juan Duñabeitia, den alle Welt Simbad, el marino nennen. Weil er so ein athletischer Typ ist mit einer fast magische Sprungkraft und mühelos über Autos und Zäune zu springen vermag. Simbad ist ein drahtiger Mann, ein Meter achtzig groß, achtzig Kilo von Gewicht. Hemingway ruft den Freund leicht abgewandelt Sinsky.
Juan Duñabeitia wird im April 1898 in Bilbao geboren. Dort studiert er Meereskunde und fährt später zur See. Er besitzt eine musikalische Ader, vor dem Bürgerkrieg hat er mit seiner wohlklingenden Stimme in den Musikbars von Bilbao gesungen, immer mit einem Tanz verbunden. Der aparte Mann hat einen Schlag bei den Frauen. Ein Junggeselle, aber ein Don Juan, wie er im Buche steht.
Während des Bürgerkriegs, Juan Duñabeitia ist Attaché der republikanischen Marine im Baskenland, erhält er den Auftrag,
Der Nobelpreisträger Ernest Hemingway im April 1956 in Cabo Blanco. Foto: Modeste von Unruh.
Wunderbar lassen sich die ersten 20 Jahre seines Literaten-Daseins an. Als im Oktober 1926 sein Erstling The Sun Also Rises – zu Deutsch: Fiesta – bei Scribner’s in New York herauskommt, da wird er als ein Wegbereiter gefeiert. Er ist ein Revolutionär, ein Vorkämpfer, der den Charles Dickens-Schnörkeleien endlich den Todesstoß verpasst. Mit neuen Themen und einer klaren Sprache. Ernest Hemingway steht da wie ein literarischer Heilsbringer, auf den Millionen sehnsüchtig gewartet haben.
Der Amerikaner aus Chicago tritt auf als die neue Stimme einer neuen Generation. Die späten 1920er und die 1930er Jahre werden zu einer hochproduktiven Phase seines Schaffens. So ziemlich alles, was er anpackt, wird zum Erfolg. Beim Publikum, bei den Kritikern, auch vor der Literaturgeschichte. A Farewell to Arms (dt. In einem andern Land, 1929), die Kurzgeschichten A Clean, Well-Lighted Place (dt. Ein sauberes, gutbeleuchtetes Café, 1927) und vor allem The Snows of Kilimanjaro (dt. Schnee auf dem Kilimandscharo, 1936).
Alles erstaunlich grandios, und noch mehr, alles allseits bewundert. Dieser Schriftsteller prägt nun für Jahre die Sprach-Melodie einer ganzen Literaturepoche. Mit seinem bunten Leben und als umtriebiger Weltenbummler wird er zur öffentlichen Figur, die man an allen Ecken und Enden erkennt und verehrt. Mehr geht eigentlich nicht. Ernest Hemingway blickt vom Thron herab auf die Konkurrenz.
Doch nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgt der Einbruch. Eine neue Generation übernimmt das Ruder. Mit einem Schlag ist er nur noch ein Schnapsbruder, ein Rabauke, ein Macho-Mann, der die Frauen schlecht behandelt. Jedenfalls, irgendwie ganz schrecklich aus der Zeit gefallen. Das Publikum verlangt in den Jahren des Wirtschaftswunders nun andere Themen und einen anderen Stil. Berufsprobleme, Ehezwist, Emanzipation – alles Großstadt-Stoffe. Damit hat Ernest Hemingway nichts am Hut.
Literarisch hat er tiefe Spuren hinterlassen. Ernest Hemingway hat einer bedrückten Generation nach einer schrecklichen Katastrophe und den fatalen Wirtschaftskrisen der 1920er Jahre eine Stimme gegeben und sie für die Beschwernis, aber ebenso für die Schönheit dieser Welt sensibilisiert. Er schreibt innovativ und stilbildend zugleich. Seine Satz-Melodie und sein Sprach-Rhythmus haben sich fest in den Köpfen verankert und stehen für Freiheit und Individualität. Soll das alles nicht mehr zählen?
Die Welt um ihn herum hat sich verändert, er allerdings ist der Gleiche geblieben. Mit einem Mal sind lange Sätze und vielschichtige Charaktere angesagt – Hemingway weiß, dass er mit einem weiteren Roman über den Stierkampf da nicht mithalten kann. Zum Glück hat der Schriftsteller sich in den Jahren der literarischen Durststrecke nach dem Zweiten Weltkrieg abgekapselt in seinem behaglichen Refugium Finca Vigía auf Kuba. Doch im Umgang wird er zunehmend unleidlich und depressiv.
Im Oktober 1954 erfolgt dann der Befreiungsschlag, Ernest Hemingway erhält den Nobelpreis für Literatur. Die Trophäe holt ihn aus seinem Tief. Er sei ein Innovator, so die Laudatio, er habe eine neue Erzähltechnik entwickelt. „Für seine kraftvolle und stilbildende Beherrschung der modernen Erzählkunst, wie zuletzt in Der alte Mann und das Meer“, schwärmt die schwedische Akademie in ihrer Begründung. Ernest Hemingway ist tief gerührt.
Dieser Nobelpreis kommt für ihn zur rechten Zeit. Denn als Autor durchleidet der Mann aus Chicago eine düstere Phase. Sein vorletztes Buch Über den Fluss und in die Wälder, das Werk ist im Jahr 1950 erschienen, wird ein Misserfolg. Die Kritiker lassen kein gutes Haar an der Liebesgeschichte um den alten Colonel Richard Cantwell und die junge venezianische Contessa Renata. Unübersehbar ist diese Erzählung zu fahrig im Aufbau und arg hölzern in den Dialogen. Das Publikum jedenfalls hat mehr von ihm erwartet und er selbst spürt, sein Roman ist Durchschnittsware.
Einen weiteren Schlag ins Wasser hätte ein Autor mit solch einem Ego wie Hemingway nur schwer verkraftet. Doch sein nächstes Manuskript – Der alte Mann und das Meer – wird im Herbst 1952 zum Riesenerfolg. Diese Erzählung über den kubanischen Fischer Santiago und dessen Kampf auf dem Meer donnert in sein Leben wie eine urplötzliche Erlösung. Das schwedische Ding befreit den bärtigen Autor mit einem Mal von seinen heftigen Selbstzweifeln.
Dabei ist Der alte Mann und das Meer ein merkwürdiger
Ein Fotomotiv aus Peru (links oben) für Kuba. Ernest Hemingway auf der Miss Texas, April 1956.
Per Zufall stosse ich auf kubanische Briefmarken aus dem Jahr 2010 mit Ernest Hemingway. Genauer gesagt: auf eine kubanische Marke, mit Motiv Peru, von einer deutschen Fotografin geschossen. Gewidmet Ernest Hemingway. Dahinter steckt eine abenteuerlustige Geschichte. Es ist die Geschichte der Modeste von Unruh.
Modeste von Unruh, sie ist vom Jahrgang 1927, verbrachte ihre Kindheit in Babelsberg bei Potsdam und durchlief nach Schulabschluss eine Ausbildung zur Fotoreporterin bei Hamburger Tageszeitungen. Ihre Familie stammte aus Westpommern, wo ihr Vater als Landwirt das Hammermühler Gut des Grafen Krockow verwaltete, später wanderte der Vater dann nach Australien aus. Auch Modeste von Unruh wurde bald vom Fernweh gepackt. Kurzentschlossen ließ sie im Jahr 1954 ihren VW-Käfer über den Atlantik verschiffen, denn ihre Leidenschaft gehörte dem amerikanischen Kontinent.
Nach einem Jahr Panamericana blieb die junge Frau auf dem Highway in Peru hängen. In Lima lernte Modeste von Unruh dann den ungarischen Kunsthistoriker Dr. László von Balás-Piry kennen. Die beiden heirateten und bezogen ein hübsches Häuschen mit Garten und Pool in Chaclacayo, gut 40 Kilometer östlich von Lima, in 650 Metern Höhe, in einem Ort mit ständigem Frühlingswetter. Als freie Korrespondentin arbeitete Modeste von Unruh in Peru für das Hamburger Magazin Kristall.
Ein Auftrag führte sie nach Cabo Blanco, in den Norden Perus, wo Ernest Hemingway auf Besuch weilte. Es ist der 26. April 1956. Und es ist ein Donnerstag, an dem sich der Weg der jungen Fotojournalistin und der Weg des gefeierten Schriftstellers kreuzen. Im Cabo BlancoFishing Club steht die 28-Jährige am frühen Abend vor dem Nobelpreisträger, der doppelt so alt ist wie die deutsche Fotografin.
Welch eine imposante Erscheinung, dieser Ernest Hemingway, denkt die junge Frau bei sich. An den Schriftsteller erinnert sie sich als an einen Mann von mittlerer Größe, jedoch von kräftiger Statur, like a tree trunk, wie ein wuchtiger Baumstamm, wird die Reporterin später zu einem Foto für die Londoner Bildagentur Black Star schreiben.
Nachdem der prominente Schriftsteller die deutsche Fotografin kritisch gemustert hat, bricht schnell das Eis und Ernest Hemingway scheint die junge Frau zu akzeptieren. Die forsche Hamburgerin erkennt ihre Chance. Nehmen Sie mich mit auf das Boot, sagt die schlanke blonde Frau keck zum weltberühmten Schriftsteller. Und fügt dann an: Ich werde Ihnen Glück bringen.
Mit solch einer Berühmtheit wie Ernest Hemingway einen ganzen Tag lang auf einem Boot zu verweilen, ist ein seltener Glücksfall für einen Reporter. Normalerweise nimmt der Nobelpreisträger nie die Presse mit an Bord. Doch hier macht er eine Ausnahme. Der Schriftsteller kommt auf die Miss Texas, in Bermudas, einem kurzärmeligen Baumwollhemd, darüber die Jacke, auf dem Kopf eine graue Jockey-Kappe als Schutz. Und Ernest Hemingway behandelt die junge Modeste von Unruh mit ausgesuchter Aufmerksamkeit, vielleicht erinnert er sich an seine Anfänge als Journalist, vielleicht mag er sie einfach.
Ein Schnappschuss mit Ernest Hemingway auf der Miss Texas. Wie das Motiv auf der Briefmarke. Cabo Blanco, im April 1956. Foto: Modeste von Unruh.
Modeste von Unruh sollte mit ihrer kessen Glücksvorhersage vom Vortag richtig liegen. Denn als die junge Fotografin an diesem Tag das einzige Mal mit dem Schriftsteller, seinen kubanischen Freunden und der peruanischen Crew hinausfährt, geschieht das Unerwartete. Endlich, zum ersten Mal seit fast zwei Wochen, kommt das Anglerglück, auf das er seit Tagen so sehnsüchtig hofft, zu Ernest Hemingway. Und es erweist sich als das ganz große Anglerglück. Ein kolossaler Schwarzer Marlin von 730 Pfund Gewicht wird an Bord gehievt.
Der Schriftsteller umarmt als ersten den peruanischen Kapitän der Miss Texas. Ich danke dir sehr, sagt ein ausgelassener Schriftsteller zu Jesús Ruiz More, du bist ein erstklassiger Schiffsführer. Anschließend herzt der Schriftsteller die adrette Fotografin. Modeste von Unruh hat
Über zwei Jahrzehnte der Kapitän von Hemingways Boot Pilar und ein guter Freund: Gregorio Fuentes, in Cojímar auf Kuba. Foto: W. Stock, im April 1983.
Gregorio Fuentes wird am 11. Juli 1897 in Arrecife auf Lanzarote geboren, auf den Kanarischen Inseln. Er wächst in der kanarischen Gemeinde von Casablanca auf, sein Berufsweg als Seemann ist vorherbestimmt. Es ist der Broterwerb seines Vaters, die Familie ist nicht gerade begütert. In der Mehrzahl mittellose Seeleute, hält man sich mehr schlecht als recht über Wasser. Die Eltern denken ans Auswandern, man hofft auf die Güte des Schicksals.
Die Familie spart für ein Ticket nach Kuba. Die Eintrittskarte in das Glück, so glaubt man ringsherum. Als Gregorio Fuentes 1903, im Alter von fünf Jahren, mit seinem Vater ein Schiff besteigt, auf dem sein Vater arbeitet, kann er nicht ahnen, dass er als Waise von Bord gehen wird. Ein kleiner Bursche von sechs Jahren erreicht Havanna, ohne den Vater. Gregorio ist alleine in einer fremden Welt.
Doch Kuba meint es gut mit dem jungen Einwanderer. Verwandte nehmen sich seiner an, er besucht die Grundschule und ergreift den Beruf eines Fischers. Von Anfang an arbeitet Gregorio hart für sein kleines Glück. Nach einigen Jahren hat er so viel angespart, dass er seine Familie in Spanien besuchen kann. Bei diesem Aufenthalt in der Heimat lernt er seine Cousine Dolores kennen, die er heiratet und die sieben Jahrzehnte die Frau an seiner Seite bleiben wird.
Seinen Glückstag erlebt er im April 1939. Er lernt einen hochgewachsenen Schriftsteller aus Key West näher kennen. Ernest Hemingway ist mit seinem Boot Pilar von Florida aus im Golfstrom fischen, Kapitän ist Carlos Gutiérrez, Gregorio und José sind seine Helfer. Schon 1931 ist der Kubaner dem US-Amerikaner kurz über den Weg gelaufen, bei den Ausfahrten zu den Dry Tortugas, man kennt sich in dem Gewerbe. Ernest ist angetan von dem hageren Skipper, von seinen Kenntnissen des Meeres und wie er das Boot ordentlich und sauber hält.
Später wird dann Gregorio der Kapitän der Pilar. Weit mehr, er wird zu einem Freund Hemingways und zum Weggefährten des Autors. Zugleich ist er der Experte für alles, was mit dem Meer zu tun hat. Papa, rufen die Bewohner von Cojímar den stattlichen Gringo, der nun auf der Finca Vigía, nahe von Havanna, wohnt. Schnell wird Ernesto zu einer Vaterfigur für den Fischer, obwohl der Kubaner zwei Jahre älter ist.
Es wird ein abenteuerliches Leben, der Alltag von Papa und Gregorio. Fischefangen im Golf von Mexiko, die Malin-Jagd am Pazifik von Peru, sich gegen die Wirbelstürme im Herbst behaupten, Ausschau halten nach U-Booten der Nazis in den Gewässern der Karibik während des Zweiten Weltkriegs. Ernest und Gregorio, sie bilden eine Einheit. Der arme Waisenjunge aus Lanzarote und der gefeierte Schriftsteller aus Chicago.
Und der Nobelpreisträger setzt seinem kubanischen Freund literarische Denkmale. Unsterblich wird Gregorio durch die Figur des Antonio in der Erzählung Inseln im Strom. Und in dem fabelhaften Zeitschriften-Artikel The Great Blue River lässt Ernest seinen Gregorio, als ein kapitaler Fisch an der Leine zappelt, in dessen breitem kubanischen Akzent brüllen: Feesh, Papa, feesh.
Es ist wie eine Blutsbrüderschaft, zwei ganz unterschiedliche Lebenswelten finden zueinander. Hier der
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