
Für Mary Welsh ist der Selbstmord ihres Ehemannes am 2. Juli 1961 besonders schmerzlich. Sie hat sich jahrelang zurückgenommen und nun tritt Ernest aus dem gemeinsamen Leben, ohne ein Wort zu sagen und ohne Abschied von der Familie. Tief im Inneren spürt sie, dass die beiden Patronen auch eine Abrechnung mit ihr sind. Doch Mary wahrt die Fassung, erzählt der Öffentlichkeit und der Presse etwas über einen Unfall beim Waffenreinigen und lebt nach Ernests Selbsttötung weiterhin in dem Haus im Sun Valley.
Nach seinem Tod lässt sich Miss Mary zu einem trotzigen Seitenhieb hinreißen. Zusammen mit ihrer Freundin Clara Spiegel bricht sie auf zu einer Safari nach Afrika, nach Kenia und Tansania. Sie will es sich beweisen: Es geht auch ohne ihn. Und ohne Debba, oft hatte Ernest von der Massai-Schönheit geschwärmt. Ansonsten führt Mary ein zurückgezogenes Witwenleben in Ketchum, erst später zieht sie um nach New York in ihr Apartment.
Mit Fidel Castro persönlich handelt Miss Mary Mitte der 1970er Jahre in Havanna eine Vereinbarung aus. Sie darf einige Manuskripte, Bilder, Unterlagen und Erinnerungsstücke ihres verstorbenen Mannes aus der Finca Vigía in die USA mitnehmen. Im Gegenzug muss sie das komplette Anwesen samt restlichem Inventar an den kubanischen Staat übereignen, an the Pueblo of Cuba, wie die schlaue Mary etwas verschachtelt in der handgeschriebenen Abtretungsurkunde formuliert.
Als Generalerbin verwaltet die Witwe den umfangreichen literarischen Nachlass. Ernest ist unglaublich fleißig gewesen und hat über 3.000 unveröffentlichte Manuskriptseiten hinterlassen. Nach und nach wird einiges von Mary schließlich zum Abdruck freigegeben. So die Erinnerungen an seine Zeit mit Hadley in Europa unter dem Titel Paris – Ein Fest fürs Leben im Jahr 1964, die kubanische Erzählung Inseln im Strom im Jahr 1970 und der Experimental-Roman Der Garten Eden im Jahr 1986.
Miss Mary ist eine selbstbewusste Frau, die nach der Heirat mit Ernest immer im Schatten stehen muss. Die einst ehrgeizige Journalistin kann neben ihrem prominenten Ehemann nicht leuchten, sie ist so klug, dies zu wissen. Es reicht ihr, wenn beide auf Finca Vigía bei gleicher Augenhöhe ihren Alltag meistern. Sie hat an Ernest hier und da herumgenörgelt, ohne ihn umerziehen zu wollen, wie dies mitunter bei Martha Gellhorn der Fall gewesen ist.
Die burschikose Frau kennt seine Macken und Schwächen, auch die Sauftouren und Seitensprünge bleiben ihr nicht verborgen. Und doch ist Mary auf eine pragmatische Art und Weise mit den Exzessen ihres Ehemannes zurecht gekommen. Ihn zu bändigen, sie weiß es, ist zwecklos. Mary schaut über seine Fehltritte hinweg , blendet die Missstände aus und richtet den Blick auf die schönen Stunden.
Ihre Sicht der Ereignisse legt Mary Welsh in der umfänglichen Biografie How it was erstaunlich unbeschönigt dar. Immer häufiger zieht sie sich in ihr Penthouse am Central Park zurück und igelt sich ein. Nach wie vor hört man kein böses Wort von ihr über den verstorbenen Mann. Doch Mary fühlt sich einsam, ohne Mann, ohne Kinder und ohne Enkel. Trost sucht sie mehr und mehr im Alkohol.
Die letzten Jahre in ihrem Apartment an New Yorks 65th Street sind nicht schön. Krankheiten und das Alleinsein setzen ihr zu. Das Telefon bleibt immer öfter still. Ernests Freunde sind nicht die ihren gewesen. Nach langem Leiden stirbt sie im November 1986 im St. Luke’s Hospital in Manhattan im Alter von 78 Jahren. Ihr Körper wird eingeäschert und die Urne nach Idaho überführt. Mary Welsh liegt auf dem Ketchum Cemetery begraben, Seite an Seite mit ihrem Ehemann.
In dem kleinen Dorf am Rande der Rocky Mountains befindet sich die Grabstätte von Ernest und Mary im zentralen hinteren Teil des Friedhofs, unter zwei Kiefern, und ist flach über der Erde mit einer hellen Steinplatte abgedeckt. Ernest Miller Hemingway, July 21, 1899 – July 2, 1961 lautet die schlichte Inschrift bei ihm. Miss Mary liegt direkt daneben, Mary Welsh Hemingway, Apr. 5, 1908 – Nov. 27, 1986, steht bei ihr. Dünne verwelkte Kiefernnadeln bedecken die letzte Ruhestätte von Mary, der letzten Mrs. Hemingway.
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