Hemingway in Heaven
Hemingway im Himmel
Der Heiligenschein steht diesem kernigen Mannsbild nun wirklich nicht. Foto: AI-ChatGPT.

Mitte Oktober 1954 erreicht Petrus im Autoren-Himmel eine Nachricht aus Stockholm. Das Königliche Komitee beabsichtige, dem US-Amerikaner Ernest Hemingway den Nobelpreis für Literatur zu verleihen. Ob Einwände bestehen?

Eilig beruft Petrus den Ältestenrat der Nobelautoren ein. Und da sitzen die Giganten der Sprache an einem Tisch über den Wolken und sind gespannt. Verehrte Damen, meine Herren, hebt Petrus an, der Nobelpreis soll in diesem Jahr an den Kollegen Ernest Hemingway gehen. Die schwedische Akademie möchte unsere Meinung dazu.

Schrecklich, ergreift Thomas Mann als Erster das Wort, ganz grauenvoll. Im Grunde seines Herzens ist der Kerl ein ungehobelter Plebejer. Wer kann mir etwas über seine Familie sagen?
Petrus wirft einen Blick in die Unterlagen. Der Vater war Arzt in einem Vorort von Chicago, die Mutter Opernsängerin.
Entsetzlich, jammert Thomas Mann. Alles Kleinbürger. Lässt sich nicht ein Fürst in der Ahnengalerie finden?
Ach, Thomas, Du mit deinem Aristokraten-Fimmel, fährt ihm Luigi Pirandello in die Parade, in Amerika gibt es keine Fürsten.
Dann wenigstens ein Graf, lässt der Mann aus Lübeck nicht locker.

Der Bursche hat keinen Humor, meint George Bernard Shaw, ich kenne nicht eine einzige Stelle in seinen Büchern, wo ich gelacht hätte. Vollkommen sauertöpfisch, dieser Herr.

Noch schlimmer, er ist ein Bourgeois durch und durch, meldet sich nun Sinclair Lewis. Die Arbeiterklasse kommt nicht vor in seinem Werk, auch Berufsprobleme scheinen nicht existent. Soziale Kämpfe gibt es nicht, stattdessen Kämpfe mit Stieren. Meine Damen und Herren, diese gesellschaftliche Ignoranz dürfen wir nicht auch noch befördern.

Ehrlich gesagt, mir gefällt sein Lebenswandel nicht. Der Alkohol. Und wie er die Frauen behandelt, hebt jetzt Pearl S. Buck an, alles bis zum Exzess. Er ist nicht mehr als ein Alkoholiker. Kein Schriftsteller, der trinkt. Sondern ein Säufer, der schreibt.

Aber er mag Lateinamerika, wirft Gabriela Mistral zaghaft ein. Er lebt auf Kuba, kennt Mexiko und Peru. Hoffentlich kommt er auch einmal nach Chile. Papperlapapp, Gabriela, er ist ein Macho, fährt ihr John Galsworthy in die Parade. Er lebt gerne in euren Breiten, weil er da für seine Frauengeschichten und die Säufertouren auch noch Beifall bekommt. Das ist der einzige Grund.

Er ist kein Humanist, raunt Hermann Hesse mit leiser Stimme, es fehlt mir die philosophische Tiefe bei dem Mann. Ich glaube, wir hätten uns nicht verstanden, wenn er mich in Montagnola besucht hätte. Große Bedenken von meiner Seite, wegen flatterhaftem Charakter und weltanschaulicher Oberflächlichkeit.

Hemingway und Nobelpreis, das geht überhaupt nicht. William Faulkner setzt einen ernsten Gesichtsausdruck auf. Ich bleibe der beste amerikanische Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Daran sollte man keine Zweifel lassen. Wenn dann ein Amerikaner an der Reihe ist, würde ich auf jeden Fall John Steinbeck vorziehen.

Petrus hat eine solch vehemente Kritik nicht erwartet und ist ratlos.

Nun ergreift der Ehrenpräsident Johann Wolfgang von Goethe, kooptiertes Mitglied auf ewig, das Wort: Meine verehrten Damen und Herren, Sie vergessen bei Ihrer Kritik eines: die Menschen mögen ihn. Sie lieben ihn und lesen ihn. Er verkauft mehr Bücher als wir alle zusammen. Und er hat gegen Franco und Hitler gekämpft. Die kleinen Sünden, nun ja, manchmal vermisse ich sie hier oben. Auch ich habe gerne bei einem guten Glas Wein und mit einer hübschen Frau auf dem Schoß dem Eckermann diktiert. Es hat der Literatur nicht geschadet. Petrus, bitte übersenden Sie dem schwedischen Komitee die Stellungnahme, dass wir alle mit der Verleihung des Nobelpreises an Ernest Hemingway einverstanden sind. Einstimmig!

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