Das Portal zu Leben und Werk von Ernest Hemingway

Schlagwort: Reportagen

Ernest Hemingway als Journalist – die Pomadigkeit hat ausgedient

Ernest Hemingway
Reportagen
Die Kulturrevolution im Journalismus. Und ihr Ahnvater heißt Ernest Hemingway. Foto: W. Stock.

Im Laufe der Jahre habe ich einige getroffen, die sich im publizistischen Metier bestens auskennen und meinen, Ernest Hemingway sei als Journalist ebenso überzeugend wie als Romancier. Mindestens. Eigentlich sei er als Zeitungs- und Zeitschriftenschreiber sogar besser. Das kann man so sehen.

Ernest Hemingway arbeitet ab Februar 1920 für die große kanadische Tageszeitung Toronto Star. Aus heutiger Sicht sind seine Artikel Fingerübungen zu Themen bei denen er sich auskennt. Das Forellenangeln, das Zelten in freier Natur oder der Boxkampf. Der kernige Mann vom Michigan See, er ist Jahrgang 1899, geht ohne Scheu an seine Sujets. Dass er kein Studium vorweisen kann, muss er durch eine gewisse Schnoddrigkeit überspielen.

Ab Februar 1922 wird es dann spannend. Mit Anfang zwanzig erhält er einen Vertrag als Korrespondent in Paris. Von dort bereist er ganz Europa, einen Kontinent im Umbruch. Eine Katastrophe hat man hinter sich, die nächste kündigt sich an. Es gibt viel zu berichten. Früher galt Distanz als Grundsatz des Journalismus. Die reservierte Beobachtung aus der Entfernung, mit dem Fernrohr. Anders Hemingway. Sein Credo: Mittendrin und ein Teil davon.

Er schreibt es 1926 wortwörtlich in Fiesta, seinem grandiosen Debütroman: Nach dem Essen gingen wir hinüber ins Iruña. Es war schon ziemlich voll, und als der Beginn des Stierkampfs nahte, wurde es noch voller, und die Tische wurden dichter zusammengeschoben. Ein dichtes Summen lag in der Luft, wie jeden Tag vor einem Stierkampf. Dieses Geräusch herrschte zu keiner anderen Zeit in dem Café, ganz gleich, wie voll es war. Das Summen hielt sich, und wir waren mittendrin und ein Teil davon.

Nur mittendrin erlebt man alles. Ein Journalist muss mit den Stieren laufen, um Spanien zu begreifen. Der Pulverdampf der Bomben sollte in seine Nase steigen, wenn er vom Krieg spricht. Ein guter Reporter muss mit den ausgemergelten Bauern auf der Flucht im Bürgerkrieg gesprochen haben, um zu wissen, was Unmenschlichkeit bedeutet. Und wer über den Kampf mit dem Marlin schreibt, der sollte selbst mit einem Fisch am Haken gekämpft haben. Ein solcher Journalismus findet nicht im Schreibstübchen statt, sondern in den fremden und bedrohlichen Ecken wo auch immer.

Der Erzähler wird Teil der Geschichte, die er beschreibt. Deshalb sollte ein Reporter zunächst gründlich beobachten, bevor er das Geschehen niederschreibt. Hemingways Vorgehen bedeutet ausdrücklich, sich auf Tuchfühlung anzupirschen, ranzugehen an das Ereignis wie ein aufdringlicher Paparazzo. Das lauschige Sesselpupsen in den Redaktionen hat ausgedient. Andere Leitbilder werden wichtig: Action statt Pomadigkeit, Nähe statt Distanz.

Reportagen über den Krieg, über Gewalt und über den Kampf schreien nach der spürbaren Emotionalität eines Ernest Hemingway. Eine Kampfhandlung muss nach Blut stinken, nach Todesangst und nach vollgeschissenen Hosen – und darf nicht in kühler Inspektion das Feld räumen. Die behördenhafte Berichterstattung wirkt wie eine Belehrung, das journalistische Miterleben hingegen erlaubt eine wahrhaftige Teilhabe.

Das Verdienst von Ernest Hemingway ist, dem Journalismus eine andere Blickrichtung gegeben zu haben. Seine Herangehensweise verlangt, genau hinzuschauen. So präzise wie ein Chirurg. Manchmal wirkt sein Ansatz sehr detailverliebt, aber eine kräftige Beobachtungsgabe ist genauso wichtig wie das Talent, exzellent schreiben zu können. Man achte auf die Landschaftsbeschreibungen von Hemingway, die wie ein Gemälde anmuten.

Hemingways Sichtweise hat Generationen von Reportern geprägt. Bis heute. Gerade bei jenen, die ihr Metier grandios beherrschen, bemerkt man den Einfluss des Mannes aus einem Vorort von Chicago. Paul Ronzheimer oder Katrin Eigendorf sind deshalb so gut, weil sie keine Scheu haben, nahe heranzugehen. Dadurch besitzen ihre Reportagen nicht nur Gefühl und Gespür, sondern auch Tempo und Temperament.

In seinen Pariser Anfangsjahren schreibt Ernest Hemingway mit

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Sauerkraut im Atem – Ernest Hemingway über Deutsche und andere merkwürdige Zeitgenossen

Ernest Hemingway
Deutschland
Ernest Hemingway: Reportagen 1920 bis 1924. Rowohlt Verlag, 380 Seiten, Übersetzt von Werner Schmitz.

Von Dezember 1921 bis März 1928 lebt Ernest Hemingway mit Ehefrau Hadley in Paris. Seinen Lebensunterhalt bestreitet der Jungvermählte mit journalistischen Artikeln, er hat einen freien Vertrag mit der kanadischen Zeitung Toronto Star, bei der er als Europa-Korrespondent firmiert. Von Paris aus bereist der junge Pressevertreter den Kontinent, besonders oft sieht man ihn in Italien, in der Türkei, der Schweiz, Spanien und in Deutschland.

Über 80 Berichterstattungen aus jener Zeit sind in dem Band Reportagen 1920 – 1924 gesammelt. Seine frühen Reportagen sind ein faszinierender wie vergnüglicher Lesestoff, zumal in Paris die Weichen gestellt werden für seine Zukunft. Als Persönlichkeit und als Schreiber. Man darf nicht vergessen, Journalismus hat Hemingway weder studiert (wenn dies überhaupt möglich ist), noch von der Pike auf praktisch gelernt. Er hat ein paar nette Sachen geschrieben in der Schülerzeitung von Oak Park, dazu ein kurzes Intermezzo beim Kansas City Star als Polizeireporter. Dann ruft das Abenteuer: 22 Jahre jung, geht er nach Übersee, nach Paris.

Dort schreibt er viel aus und über Europa. Für einen Deutschen sind natürlich Hemingways Schilderungen aus Deutschland interessant. Der Mann aus Chicago hat sein Bild von den Teutonen, die acht Jahre zuvor mit Hurra in einen Krieg gezogen sind, und diesen vor gerade einmal vier Jahren verloren haben. Große Sympathie darf man da nicht erwarten, zumal die USA auf der anderen Seite der Front im Schützengraben lagen. Auch in Person eines 18-jährigen Sanitätsfahrers namens Ernest Hemingway.

Und so wundert es wenig, dass der US-Amerikaner sich fleißig an den Stereotypen über die Germanen abarbeitet. Wie sahen Mütter, die ihren rosigwangigen Kindern Bier aus großen Halbliterkrügen zu trinken gaben. Aha! Ob er es wirklich so gesehen hat, oder ob es im Nationalcharakter der Deutschen liegt, ihre Kinder mit Bier abzufüllen, das sei mal dahingestellt. Auf jeden Fall lesen sich Ernest Hemingways Eindrücke aus Süddeutschland – nun ja – ein wenig drollig.

Klamaukig gerät auch die Schilderung, wie Hemingway in Triberg von den Bürokraten in den Amtsstuben ein Angelschein verwehrt wird. Und er sich trotzdem auf den Weg macht zu seinem Forellenbach im Schwarzwald. Wir stellten fest, dass man selbst auf einem der wilderen und abgelegeneren Wege keine zwanzig Schritte gehen konnte, ohne auf sechs bis acht Deutsche zu stoßen, die mit rasierten Schädeln, nackten Knien, Hahnenfedern am Hut, Sauerkraut im Atem, Wanderlust im Blick und einer gegen ihre Beine klappernden Sammlung von Aluminiumgeschirr des Weges zogen. 

Wie auch immer, die Leserin und der Leser merken, dieser Schreiber pflegt mit Nachdruck seine Vorurteile. Gemahl speist zuerst, Weibchen kriegt die Krümel! heißt eine andere Reportage über eine Zugfahrt von Frankfurt nach Köln. Es geht gegen deutsche Ehemänner, die sich wenig galant zeigen gegenüber ihren Ehefrauen. Es ist so oft wie bei einer Reportage von ihm. Die Hälfte mag stimmen, die andere Hälfte ist zumindest genial geschrieben. Das Publikum daheim wird es mit Heiterkeit gelesen haben. 

Diese frühen Kabinettstückchen aus Deutschland für den Toronto Star, allesamt aus dem Jahr 1922, sind in anderer Hinsicht aufschlußreich. Denn sie verraten, wie der damals 23-jährige Ernest Hemingway als Schreiber funktioniert. Der junge Journalist besitzt eine

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