Ernest Hemingway auf dem Pazifik vor Cabo Blanco in Peru. Im April 1956. Foto: Modeste von Unruh, AI-colorized. Archiv: Dr. Stock.
Jeder Mensch kämpft einen Kampf. Diese Schlacht ist nicht greifbar und laut, sondern versteckt und dauerhaft. If you want to understand a certain kind of quiet heroism, read Hemingway. He found the extraordinary in the ordinary. Dieses Zitat stammt von Tom Hanks. Das Außergewöhnliche im Gewöhnlichen finden. So sieht der berühmte Schauspieler das stille Heldentum des hemingway’schen Helden.
Die Hollywood-Legende liegt richtig. Tom Hanks hat die Essenz des Werkes von Hemingway verstanden. Nebenbei bemerkt: Der Mime besitzt ein Ferienhaus in Ketchum, dem Sterbeort von Ernest. Als Schauspieler dramatischer Rollen vermag er den Kern von Hemingways Helden wohl klarer zu erkennen als andere. Was nicht ganz einfach ist. Denn Papas Helden leiden, aber sie leiden still. Doch bei Hemingway kann das Schweigen lauter sein als der Radau.
Der Nobelpreisträger von 1954 ist ein Virtuose des Weglassens. Es ist wie der Blick auf den Eisberg, zwischen den Zeilen steht mehr als erzählt wird. Einerlei, ob es sich um den Boxer handelt, der seine besten Jahre hinter sich hat. Oder um den Soldaten, der den Krieg nicht aus seinem Kopf bekommt. Oder um den Stierkämpfer, der um eine Corrida bettelt. Hemingways Protagonisten suchen nach Würde in einer Welt, die für Verlierer wenig bereithält. Trotzdem muss der Held seinen letzten Kampf ausfechten.
Seinen letzten Kampf? Ernests Leitfiguren – häufig Stierkämpfer, Jäger oder Fischer – kämpfen, um ihre Würde zu bewahren. Ihr Kampf ist leise und unsichtbar und wird zur Bewährungsprobe. Wie bei dem alten Fischer Santiago in Der alte Mann und das Meer. Seine Niederlage gegen die Haie symbolisiert nicht das Scheitern. Sondern den inneren Sieg. Stolz, Durchhaltevermögen und Hoffnung wiegen stärker als das Debakel.
Jeder Kampf in den Erzählungen des Ernest Hemingway ist weit mehr als nur eine physische Auseinandersetzung. Letztlich folgen seine Helden einer ethischen Überzeugung: Tapferkeit und Würde im Angesicht des Todes. Von den Protagonisten fordert die Beschäftigung mit der eigenen Endlichkeit große Seelenstärke und Charakterfestigkeit. Äußerlich lassen sich die inneren Konflikte nicht lösen. Es sei denn, man gibt auf. Für den bärtigen Naturburschen vom Michigan See selbstverständlich keine Option.
In seinen Erzählungen umreißt Ernest den Konflikt, unter schwierigen Bedingungen mit Würde zu leben. Der Mann aus Chicago zeigt, dass Haltung und Mut im Kampf eine tiefere Bedeutung haben als der Sieg selbst. Am meisten beeindruckt, wie diese Helden mit einer Niederlage umgehen. Trotz der Pleite starten sie jeden Tag einen weiteren Versuch. Kein großes Wehklagen. Kein Lecken der Wunden. Ohne jede Motivation von außen.
Der alte Mann Santiago strahlt trotz seiner Niederlage eine menschliche Größe aus. Weil er sich nicht besiegt gibt und am nächsten Tag mit seinem armseligen Fischerboot wieder herausfahren wird. Und jeder Mensch, diese Botschaft will Ernest uns mit auf den Weg geben, vermag seine ureigene Würde zu wahren. Denn Siegen ist einfach. Die Niederlage hingegen verliert ihr Stigma, wenn der Verlierer mit moralischer Stärke antwortet.
Oft sind es traditionelle Werte und Ansichten, die vor dem Schlimmeren schützen. Wertvorstellungen, die Ernest nicht in den satten USA vorgefunden hat, sondern in bitterarmen Ländern wie Kuba und Spanien. Katholische Glaubenssätze wie Sünde, Buße und Vergebung erlebt er besonders während der Semana Santa in Andalusien und bei den Sanfermines im Baskenland. Insofern sind Hemingways Werte weder neu noch fremd. Dieser ungehobelte Autor hat den althergebracht Wertekanon des Abendlandes nur neu verpackt und in die heutige Zeit geschoben.
Hemingways säkulare Helden stellen sich dem Leben und dem Tod mit kühler Geradlinigkeit. Seine Protagonisten kommen
Lebewesen töten, die größer sind als man selbst. Angelfreund Elicio Argüelles, ein Marlin von 730 Pfund und Ernest Hemingway. Cabo Blanco, am 27. April 1956. (colorized) Photo: Modeste von Unruh.
Im Alltag ist Ernesto ganz vernarrt in seine Tiere. Auf seinem riesigen Anwesen Finca Vigía nahe bei Havanna hält der Schriftsteller ein halbes Dutzend Hunde und noch mehr Katzen. Mit Hingabe betreut der Autor sie, schützt sie, er streichelt und drückt sie ans Herz. Wie mit einem Sohn oder einer Tochter spricht er mit ihnen. Der Nobelpreisträger umsorgt die Kreaturen, als seien es Familienmitglieder. Er liebt die Tiere mit ehrlichem Gefühl. Das ist die eine Seite. Die andere Seite seiner Wirklichkeit ist barbarisch.
Ernest Hemingway jagt die Lebewesen – die Marline und Schwertfische, die Tauben und Fasane, die Antilopen, die Büffel und die Löwen, die Elefanten – er verletzt sie und er tötet sie. Es machte mir nichts aus, zu töten, ein Tier, es sollte nur sauber geschehen. Sie mussten alle sterben, und mein Beitrag in das nächtliche und saisonale Töten, das die ganze Zeit geschah, war bedeutungslos und ich hatte überhaupt kein schlechtes Gefühl dabei. Er hat sein kaltes Credo festgehalten, er macht kein Geheimnis daraus, er schreibt es in Die grünen Hügel Afrikas.
Es fasziniert den Amerikaner, wie beim Stierkampf in Spanien mit dem Tod gespielt wird, wie der bunte Torero den schwarzen Bullen neckt und vorführt, um ihn dann unter dem Gejohle der Zuschauer blutig abzuschlachten. Ernest Hemingway mag das Schauspiel, bei dem der Mensch als Todesbote auftritt, die Kollegen Dramatiker haben es allegorisch viele Jahrhunderte auf der Theaterbühne aufführen lassen. Doch Hemingways Tod tritt ohne dunkles Gewand und ohne Maske auf. Der richtige und blutige Tod ersetzt die Allegorie.
You killed him for pride and because you are a fisherman. Du tötest aus Stolz und weil du ein Fischer bist. Ernest Hemingways Romanfigur Santiago aus Der alte Mann und das Meer angelt aus Tradition. Doch Ernest Hemingway tötet nur aus pride. Wobei pride in der deutschen Übersetzung sowohl Stolz als auch Hochmut meinen kann. In der Persönlichkeit dieses Burschen vom Michigan See liegt beides nahe beieinander.
Dass er mit dem Abknallen und Abstechen der Lebewesen einen gewaltigen Fehler begeht, er spürt es schon. Das Töten stellt einen schrecklichen Frevel dar, der Mensch darf sich nicht über die Tiere erheben. Die Schöpfung besitzt ihre eigene Würde und ihre eigene Ordnung. Und der Mensch ist lediglich ein Teilstück dieser Schöpfung, nicht ihr Gebieter. Ein Mensch darf die Schöpfung nicht mutwillig antasten, über dieses Privileg verfügt nur ihr Erschaffer.
Der Tabubruch indes lockt ihn. Lebewesen zu töten, die größer und stärker sind als man selbst. Sich als Herrscher und Gebieter aufzuspielen. Wenn ein Mensch gegen den Tod rebelliert, so wie ich gegen den Tod rebelliere, macht es ihm Freude, ein Sonderrecht der Götter für sich in Anspruch zu nehmen: die Macht, den Tod zu geben. Man muss den Satz zweimal lesen und den Sinn dahinter begreifen: Ein Mensch, der Gott sein will? Schlimmer geht es nicht.
Dieser Mann hat Grauenhaftes gesehen und erlebt. Granaten-Einschläge, einen grausamen Bürgerkrieg, Meere aus Blut und Hunderte Leichen. Den geliebten Vater hat er zu früh verloren, Clarence bringt sich selber ums Leben, im elterlichen Schlafzimmer. Möglicherweise ist dieses Trauma zu viel gewesen für Ernest. Kann es sein, dass er sich mit dem Töten der Tiere gegen Gott auflehnen will, weil er sich ungerecht behandelt fühlt? Er vermisst den Vater so sehr.
Irgendwann muss Ernesto seinen größten Löwen schießen. Der Tod des Jägers ist die Folgerichtigkeit seiner immerwährenden Gotteslästerung. Dabei gäbe es den Zauber der Evolution zu bewundern. Dem Werden des Menschen wohnt eine Faszination inne, ebenso wie seinem Verlöschen. Es läuft auf eine krankhafte Selbstüberhöhung hinaus, dieses natürliche Regelwerk von Blühen und Verblühen außer Kraft zu setzen. Es ist abscheulich und es ist enthemmend. Denn wo
Die Kulturrevolution im Journalismus. Und ihr Ahnvater heißt Ernest Hemingway. Foto: W. Stock.
Im Laufe der Jahre habe ich einige getroffen, die sich im publizistischen Metier bestens auskennen und meinen, Ernest Hemingway sei als Journalist ebenso überzeugend wie als Romancier. Mindestens. Eigentlich sei er als Zeitungs- und Zeitschriftenschreiber sogar besser. Das kann man so sehen.
Ernest Hemingway arbeitet ab Februar 1920 für die große kanadische Tageszeitung Toronto Star. Aus heutiger Sicht sind seine Artikel Fingerübungen zu Themen bei denen er sich auskennt. Das Forellenangeln, das Zelten in freier Natur oder der Boxkampf. Der kernige Mann vom Michigan See, er ist Jahrgang 1899, geht ohne Scheu an seine Sujets. Dass er kein Studium vorweisen kann, muss er durch eine gewisse Schnoddrigkeit überspielen.
Ab Februar 1922 wird es dann spannend. Mit Anfang zwanzig erhält er einen Vertrag als Korrespondent in Paris. Von dort bereist er ganz Europa, einen Kontinent im Umbruch. Eine Katastrophe hat man hinter sich, die nächste kündigt sich an. Es gibt viel zu berichten. Früher galt Distanz als Grundsatz des Journalismus. Die reservierte Beobachtung aus der Entfernung, mit dem Fernrohr. Anders Hemingway. Sein Credo: Mittendrin und ein Teil davon.
Er schreibt es 1926 wortwörtlich in Fiesta, seinem grandiosen Debütroman: Nach dem Essen gingen wir hinüber ins Iruña. Es war schon ziemlich voll, und als der Beginn des Stierkampfs nahte, wurde es noch voller, und die Tische wurden dichter zusammengeschoben. Ein dichtes Summen lag in der Luft, wie jeden Tag vor einem Stierkampf. Dieses Geräusch herrschte zu keiner anderen Zeit in dem Café, ganz gleich, wie voll es war. Das Summen hielt sich, und wir waren mittendrin und ein Teil davon.
Nur mittendrin erlebt man alles. Ein Journalist muss mit den Stieren laufen, um Spanien zu begreifen. Der Pulverdampf der Bomben sollte in seine Nase steigen, wenn er vom Krieg spricht. Ein guter Reporter muss mit den ausgemergelten Bauern auf der Flucht im Bürgerkrieg gesprochen haben, um zu wissen, was Unmenschlichkeit bedeutet. Und wer über den Kampf mit dem Marlin schreibt, der sollte selbst mit einem Fisch am Haken gekämpft haben. Ein solcher Journalismus findet nicht im Schreibstübchen statt, sondern in den fremden und bedrohlichen Ecken wo auch immer.
Der Erzähler wird Teil der Geschichte, die er beschreibt. Deshalb sollte ein Reporter zunächst gründlich beobachten, bevor er das Geschehen niederschreibt. Hemingways Vorgehen bedeutet ausdrücklich, sich auf Tuchfühlung anzupirschen, ranzugehen an das Ereignis wie ein aufdringlicher Paparazzo. Das lauschige Sesselpupsen in den Redaktionen hat ausgedient. Andere Leitbilder werden wichtig: Action statt Pomadigkeit, Nähe statt Distanz.
Reportagen über den Krieg, über Gewalt und über den Kampf schreien nach der spürbaren Emotionalität eines Ernest Hemingway. Eine Kampfhandlung muss nach Blut stinken, nach Todesangst und nach vollgeschissenen Hosen – und darf nicht in kühler Inspektion das Feld räumen. Die behördenhafte Berichterstattung wirkt wie eine Belehrung, das journalistische Miterleben hingegen erlaubt eine wahrhaftige Teilhabe.
Das Verdienst von Ernest Hemingway ist, dem Journalismus eine andere Blickrichtung gegeben zu haben. Seine Herangehensweise verlangt, genau hinzuschauen. So präzise wie ein Chirurg. Manchmal wirkt sein Ansatz sehr detailverliebt, aber eine kräftige Beobachtungsgabe ist genauso wichtig wie das Talent, exzellent schreiben zu können. Man achte auf die Landschaftsbeschreibungen von Hemingway, die wie ein Gemälde anmuten.
Hemingways Sichtweise hat Generationen von Reportern geprägt. Bis heute. Gerade bei jenen, die ihr Metier grandios beherrschen, bemerkt man den Einfluss des Mannes aus einem Vorort von Chicago. Paul Ronzheimer oder Katrin Eigendorf sind deshalb so gut, weil sie keine Scheu haben, nahe heranzugehen. Dadurch besitzen ihre Reportagen nicht nur Gefühl und Gespür, sondern auch Tempo und Temperament.
In seinen Pariser Anfangsjahren schreibt Ernest Hemingway mit
The Sun Also Rises – in Deutschland: Fiesta. Aus dem Jahr 1926. Ernest Hemingways Durchbruch. Mit einem merkwürdigen Ende.
Ein gut geschriebenes Ende sollte eine Erzählung abrunden. So ein Roman kann auf verschiedene Art und Weise ausklingen. Es hängt ab vom Thema, vom Genre, von der beabsichtigten Wirkung und ebenso von der Persönlichkeit des Autors. Letztendlich läuft es auf die Frage zu: Wie will ich meine Leser und meine Leserinnen in den Alltag entlassen?
Am schönsten ist das Happy End. Die Konflikte sind gelöst, die Protagonisten finden ihr Glück. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Das genaue Gegenteil umschreibt das tragische Ende. Die Akteure scheitern oder sterben. Er wurde von Handwerkern getragen. Da ist etwas schiefgelaufen. Kein Wunder, hier hat sich ein Mensch aus Liebeskummer das Leben genommen und in den Sarg befördert. Mit diesem genialen Finalsatz beschreibt Johann Wolfgang von Goethe die Beerdigung seines jungen Werther.
Ernest Hemingway ist weder ein Anhänger des guten wie des schlechten Endes. Der Nobelpreisträger von 1954 bevorzugt das offene Ende. Irgendwie gemein! Der Ausklang verbleibt unklar, der Leser muss selber schauen, wie er klarkommt. Was er mit einem uneindeutigen Schlusspunkt anfängt, bleibt einzig und allein dem armen Büchernarr überlassen. Fast jede Geschichte aus der Feder Hemingways wird nicht abgeschlossen – und das ist in Ordnung so.
Typisch: Seine Short Story unter dem Titel The Undefeated (zu Deutsch Der Unbesiegte) lässt den Leser am Ende ratlos zurück. Der abgehalfterte Torero Manuel Garcia darf gegen ein Gnadenbrot einen letzten Kampf bestreiten. Im Verlauf der Corrida wird der ehemals berühmte Matador von dem Stier mehrfach verwundet, kann dem Bullen aber den Todesstoß versetzen. Schwer verletzt wird der Stierkämpfer aus der Arena getragen und in ein Krankenhaus gebracht. Dann bricht die Erzählung ab. Ob Manuel Garcia überlebt? Unklar. Ernest Hemingway lässt den Ausgang offen.
Vom Meer kehrt der alte Mann zurück in sein Heimatdorf, er hat seinen Fang an die Haie verloren. Die Mühe vieler Wochen war umsonst. Der alte Fischer ist geschlagen, doch nicht gebrochen. Er wird am nächsten Tag mit seinem Holzboot wieder hinaus aufs Meer fahren. Wahrscheinlich. Auch dies schleierhaft. Schlimm? Nein. So funktioniert das Leben. Niemand weiß, was der folgende Tag bringen wird.
Ist dies kein schöner Gedanke? So lässt Ernest seinen grandiosen Roman Fiesta enden. Die Erzählung beschreibt das zynische Lebensgefühl nach dem Ersten Weltkrieg. Der letzte Satz lautet: Isn’t it pretty to think so?. Diese Frage von Jake Barnes, dem Protagonisten, geht an Lady Brett Ashley, die nicht unterscheiden kann zwischen Liebe und Gier. Es hätte eine reizvolle Liebesbeziehung in Spanien werden können, doch es hat nicht sollen sein. Die Liebe – wie das Leben – gestaltet sich schwierig.
Der Einwand sei erlaubt: Ist solch eine simple Frage nicht zu unambitioniert für einen Nobelpreisträger? Von wegen! Die angezogene Handbremse hat Methode, sie ist typisch für Hemingway. Alles bleibt kompliziert. Ein schlichtes Ende – ob gut oder schlecht – wird den Herausforderungen des Lebens nicht gerecht. Zumal ein freudiger Abschluss einer Täuschung erliegt, denn jedes Happy End kann auf der Lebensbahn lediglich eine Momentaufnahme darstellen. Über das große Ganze entscheiden andere, es liegt nicht in den Händen des Menschen.
Ernest bringt seine Erzählung mit voller Absicht meist nicht zum Ende. Er lässt den Leser baumeln, im Schmerz leiden, manchmal sogar genervt zurück. Aber so ist die Realität. Die wichtigen Lebensbereiche – es geht Hemingway ums Kämpfen für das kleine Glück und um den Erhalt der Würde – diese Fragen bleiben ohne Antwort. Man darf den Leser nicht ins Eiapopeia entlassen. Denn ein gutes Ende ist immer
Ernest Hemingway im April 1956 in Cabo Blanco, Peru. Foto: Modeste von Unruh. Archiv Dr. Stock.
Ernest Hemingway läuft man über den Weg in Pamplona und Ronda, in Venedig und in Fossalta, hoch in den Alpen oder im tiefen Schwarzwald, in Paris natürlich, auch in der deutschen Schnee-Eifel, in der Karibik, auf Kuba, am Fuße der Rocky Mountains oder in Afrika. Auch wenn die Verehrung oft nur an der Oberfläche kratzt, die Bewunderung für diesen Mann ist echt, sie kommt von unten, von den Menschen.
Keiner hat hier etwas befohlen oder angeordnet, nichts läuft top down, die Hochachtung erfolgt bottom up. Es sind die Leute, die wollen, dass dieser Tote lebendig bleibt. Dieser Schriftsteller hat ein ziemlich buntes Leben vorzuweisen, das macht den Unterschied zu anderen aus, mit seiner Lebensgeschichte kann uns dieser Erzähler ebenfalls packen. Seine Person und sein Tun sollte man deshalb nicht von seinem Werk trennen.
Eigentlich lebt er wie eine seiner Romanfiguren. Auf den einen oder anderen Beobachter mag Ernest Hemingway mit seinem Riesen-Ego aufgeblasen wirken. Wie ein Aufschneider und Großkotz. Aber Obacht, der Mann mit dem grauen Bart ist kein Blender oder Sprücheklopfer. Er liebt die Rolle eines Zampano. Doch in Wirklichkeit ist er ein bienenfleißiger und pingeliger Schreiber. Seine Passion nimmt er ernst und legt eine bemerkenswerte schreiberische Emsigkeit an den Tag.
Diesem Autor ist sein Erfolg nicht in den Schoß gefallen. Aber Ernest Hemingway ist immer eine Kämpfernatur gewesen. Unzählige Male hat er Courage und Draufgängertum bewiesen, schon als Grünschnabel im Veneto, im ersten großen Krieg, wo sein Leben am seidenen Faden hing. Und er war auch später überall dabei, wo es krachte und schepperte, im Hürtgenwald zu Ende des Zweiten Weltkriegs, in Spanien, wo sich Brüder und Freunde massakrierten.
Für das Geplapper der Großstadt ist dieser Kerl nicht gemacht. New York, Chicago, Boston – zu viel heiße Luft und zu wenig Bodenhaftung. Er muss die Tür zur freien Natur aufstoßen. Am Golf von Mexiko, vor Key West, auf den Bahamas, am Pazifik wirkt dieser kernige Bursche ausgeglichen und lebt auf. Er zieht die Gesellschaft von einfachen Fischern, zünftigen Schankwirten und bodenständigen Kleinhändlern vor.
Professoren und Intellektuelle findet man in seinem engen Freundeskreis so gut wie nicht. Er will keinen kopflastigen Glorienschein, Ernest Hemingway selbst tut einiges für sein schlechtes Image. Er säuft bis zum Umfallen, jagt jedem Rock nach, plustert sich auf, gibt allerlei Räuberpistolen zum Besten. So stellt man sich einen Nobelpreisträger der Literatur nicht gerade vor. Viele rümpfen die Nase, andere finden es großartig.
Hemingway ist nicht unbedingt ein Schreiber für die gebildete Schickeria. Dies ist außergewöhnlich in der Weltliteratur, Ernesto wird gerade auch von einfachen Menschen mit großer Passion gelesen. Er selbst hat nie studiert, seine Universität sind die Plätze und Kneipen auf allen Kontinenten. In den letzten Jahren und Jahrzehnten bin ich sechs, sieben Frauen und Männern begegnet, die ihn gut gekannt haben. Und allesamt berichten das Gleiche: Dieser Literat ist nahbar, ohne Allüren, ein Kerl wie du und ich.
Diese Nähe zum normalen Menschen mag erklären, warum dieser Nobelpreisträger solch tiefe Spuren hinterlassen hat. Und weshalb die Leute ihre Verehrung ohne Anweisung ins Werk setzen. Dieser Autor holt den Leser ab in seiner Welt, es ist auch die Sphäre dieses Schriftstellers. Die Hommage der Menschen gilt einem Freund. Es ist das Leben, unser aller Leben über das hier geschrieben wird.
Seine Themen köcheln im tiefsten Inneren. Die ewige
Auch er lacht viel zu selten. Hier ein glücklicher Ernest Hemingway. In Cabo Blanco, im April 1956. Foto: Mario Saavedra-Pinón.
Er liebt gutes Essen, hohe Prozente, er mag gerne in die Fremde reisen und hält beide Augen auf den Frauen. Dieser Autor – das hebt ihn von vielen Kollegen ab – ist ein Lebe-Mensch in allen Schattierungen. Er schreibt über Siege, doch vor allem über das Misslingen und die Niederlagen. Dabei überreicht er dem geneigten Publikum die Zerrissenheit der eigenen Biografie, ohne jede Beschönigung. Laster, Fehler, Irrwege – alles wird im Schaufenster ausgebreitet.
Oberflächlich betrachtet könnte man Ernest Hemingway für einen narzisstischen Rüpel halten. Sein Tempo und seine Deutlichkeit wirken beängstigend. Alles obertourig, vom frühen Morgen bis in die späte Nacht, für halbe Sachen ist dieser Mann nicht zu haben. Er schreibt, er säuft und er treibt es auch sonst ziemlich bunt. Ach herrje, dieser Lebenswandel! Allerdings ist es nicht auszuschließen, dass er von vielen so hart kritisiert wird, damit diese sich nicht selber kritisieren müssen.
Für eine lockere Lebensart empfindet dieser Naturbursche eine tiefe Sympathie. Sein Wunsch ist immerfort und überall, sich selber zu fühlen. Er braucht dieses Lebensgespür als Gegenpart zum Tod. Denn das Mysterium um das menschliche Dasein bleibt. Wir werden ohne unser Zutun ins Leben geworfen, ebenso wie wir ohne unser Zutun aus dem Leben herausgeholt werden. Fix sind beide Endpunkte. Geburt und Tod.
Was hindert uns daran, die knappe Zeit dazwischen voll auszukosten? Möglicherweise liegt darin die Botschaft dieses Schriftstellers auf der Metaebene. Er macht es uns vor. In der Tat, Ernesto lebt für sich. Aber auch ein wenig für uns. Vielleicht sollten wir so leichtsinnig werden wie er, dazu so sinnlich und draufgängerisch, man könnte wieder die wilde Lust am Leben spüren. Zügellos und ohne billige Zerstreuung. So macht er es vor.
Voll aufgedreht wirkt dieser Mann auf manche überspannt, wie ein aufgeblasener Wichtigtuer. Vieles davon ist der Lust am Dasein geschuldet. Denn wenn man als Mensch den Trubel zulässt, dann erlaubt man sich eine neue Sinnenfreude. Die Gier am Leben, in den Tropen ohnehin, löst einen deutlichen erotisierenden Reflex aus und eine spürbare Allgewalt der Körperlichkeit. All das kann man zwischen den Zeilen seiner Erzählungen bemerken.
Auch aus diesem Grund hat ihn die Lebenslust 30 lange Jahre gezogen nach Key West und Kuba. Denn die Sonne und die Hitze sind für ihn der Gegenentwurf zum langen, kalten Tod. Dazu kitzelt die Glut manch verschüttete Begierde hervor. Der Mensch ergibt sich in jene so selbstverständliche Natürlichkeit, sobald man den Lebensregulator aufdreht und das Schicksal in die eigenen Hände nimmt. Dieser Kerl aus dem kühlen Chicago könnte sich – trotz seines abträglichen Lebenswandels – als ein Vorbild anbieten.
Der Nobelpreisträger von 1954 hat erkannt, dass die Leidenschaft eines erstklassigen Schriftstellers sich nicht im Schreibstübchen erschöpft. Die Bücher sind nicht das Ziel des Schreibens, sondern Ergebnis. Die Sinnhaftigkeit eines wirklich guten Autors liegt woanders. In einer lustvollen Haltung zur Welt. An der Vorführung dieser Lebenslust tragen Autoren – von Goethe bis García Márquez – als unsere Mentoren eine gehörige Verantwortung. Und auch Ernest Hemingway lebt auf
Die legendäre Paris Review. In der Nummer 18, im April 1958, wird ein ausführliches Interview mit Ernest Hemingway veröffentlicht. So grandios, wie sonst nirgends.
Das beste Interview mit Ernest Hemingway findet man in der Paris Review. In diesem US-Magazin verrät ein Autor in heiterer Laune, was ihm für sein Schreiben wichtig und existenziell scheint. Der amerikanische Nobelpreisträger, der auf Kuba lebt, gibt selten Interviews. Das Räsonieren und gelehrt daher reden liegt ihm nicht. Schon gar nicht will er über seine Bücher diskutieren.
Für die Paris Review macht er eine Ausnahme. Das lange Gespräch mit ihm führt Chefredakteur George Plimpton, die Zeitschrift wird es in der Nummer 18, im Frühjahr 1958, veröffentlichen. In dem tief schürfenden Gedankenaustausch, der Anfang März auf Finca Vigía stattfindet, verrät der bärtige Schriftsteller seine Techniken und Angewohnheiten, die Stil und Prosa zu Gute kommen.
Wenn ich an einem Buch oder an einer Geschichte arbeite, dann fange ich jeden Morgen nach Tagesanbruch an, so früh wie möglich. Niemand ist da, der einen stört, und es ist frisch und kühl, und man geht mit Tatkraft ans Werk. Zuerst lese ich, was ich gestern geschrieben habe. Denn ich höre immer dann auf, wenn ich mich noch im Schreibfluss befinde und weiß, wie es weitergehen soll. An das gestrige Pensum knüpfe ich dann an. Ich schreibe solange, wie die Energie reicht und ich den Fortgang der Handlung im Kopf behalte. Sodann schließe ich mein Tagespensum ab mit der Vorfreude auf morgen. Und am nächsten Tag lege ich dann wieder los.
George Plimpton besucht Ernest Hemingways auf Kuba und beschreibt sein Anwesen in San Francisco de Paula, mit scharfem Blick auf die Arbeitsnische im Schlafzimmer. Die vollgestopften Bücherregale, den übervollen Schreibtisch mit Zeitungen, Manuskripten und den Stapeln Papiere.
Le mot juste – die richtigen Worte finden
Plimpton fragt, wie viel er denn umschreiben müsse. Es kommt darauf an, antwortet Ernest Hemingway. Ich habe das Ende von ‚In einem andern Land‘ oft umgeschrieben. Die letzte Seite neununddreißigmal, bevor ich zufrieden gewesen bin. ‚Worin lag das Problem‘, fragt der Interviewer. Die richtigen Worte zu finden, antwortet Hemingway knapp. Le mot juste, so umschreibt die französische Literaturwissenschaft den Anspruch an das treffende Wort. An den millimetergenau passenden Begriff. Und auch Hemingway gibt sich nicht zufrieden, bis er das vollkommene Wort gefunden hat.
Mit offenen Fragen kitzelt George Plimpton einiges aus Ernesto heraus. Der Journalist aus New York ist ein Profi, zumal er als Chefredakteur von 1953 bis zu seinem Tod im September 2003 die Geschicke der Zeitschrift lenkt. Der Nobelpreisträger, in beschwingter Stimmung, redet frei heraus. Wer denn seine Vorbilder seien?
Mark Twain, Flaubert, Stendhal, Bach, Turgenjew, Tolstoi, Dostojewski, Tschechow, Andrew Marvell, John Donne, Maupassant, der gute Kipling, Thoreau, Captain Marryat, Shakespeare, Mozart, Quevedo, Dante, Virgil, Tintoretto, Hieronymus Bosch, Brueghel, Patinir, Goya, Giotto, Cézanne, Van Gogh, Gauguin, San Juan de la Cruz, Góngora – ich bräuchte einen Tag, damit mir jeder in den Sinn kommt.
Bei der Aufzählung überrascht, dass die Liste sich nicht nur auf Literaten beschränkt. Auch Maler und Komponisten befinden sich darunter. Dies bedarf einer Erläuterung.
Ich habe auch Maler genannt, weil ich von den Malern genauso viel über das Schreiben gelernt habe wie von Schriftstellern. Sie werden fragen, in welcher Hinsicht? Das würde einen weiteren Tag der Erklärung erfordern. Ich denke, was man auch von Komponisten und aus dem Studium der Harmonielehre und des Kontrapunkts lernen kann, ist klar und deutlich.
Die Paris Review wird 1953 in der französischen Hauptstadt von einer Gruppe enthusiastischer US-Literaten gegründet. Die Zeitschrift fördert und veröffentlicht etablierte als auch junge Autoren, vorwiegend aus dem angelsächsischen Sprachraum. Die Mission der heute vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift besteht darin, die Entwicklung kreativer Menschen, seien es Schriftsteller oder andere Künstler, zu fördern. In über sieben Jahrzehnten hat das Magazin viel zur öffentlichen Wertschätzung in Literatur und Grafik beigetragen. Als Mäzen des Literaturmagazins wirkte in den Anfangsjahre der steinreiche Aga Khan, der die Finanzierung sicherte. Der Multimillionär übernahm die Rolle des Verlegers für 23 Jahre.
Mit den Augen schreiben
Wie sein Handwerk funktioniere, fragt Plimpton. Ich glaube, es für einen Schriftsteller schwierig, darüber zu sprechen, wie er schreibt. Ich schreibe, um vom Auge gelesen zu werden. Über diesen Sachverhalt sollte keine weitere Erklärung nötig sein. Wenn sie mit den Augen schreiben, können sie sicher sein, dass die Prosa mehr enthält, als man beim ersten Lesen erkennen wird.
Rasch findet die Paris Review Anerkennung in der englischsprachigen Literaturszene. Der Erfolg hängt vor allem mit George Plimpton zusammen. Er macht die Zeitschrift zu seinem Lebenswerk. „I would give up my own writing before I would give up editing The Paris Review“. Der Chefredakteur ist ein Spitzenkönner in der Liga der Literaturkritik. Ob Hemingway andere Autoren als Konkurrenten sehe?
Noch nie. Früher habe ich versucht, besser zu schreiben als der eine oder andere bereits verstorbene Autor, von dessen Prosa ich beeindruckt gewesen bin. Seit geraumer Zeit versuche ich einfach, so gut zu schreiben, wie ich kann. Manchmal habe ich Glück und schreibe besser, als ich es kann.
Seit der ersten Ausgabe wird die Paris Review gerühmt für ihre Art of Fiction-Interviews, in denen zeitgenössische Schriftsteller über ihre Handwerkskunst sprechen. Diese Gespräche mit Autoren werden von den Lesern verschlungen. Von Ersterscheinen im Jahr 1953 bis zum Frühjahr 2025 wurden über alle Ausgaben des Magazins hinweg weit über 450 Autoren interviewt, viele von ihnen gelten heute als moderne Klassiker. „Kommen Ihnen die Buchtitel, während Sie an der Geschichte arbeiten?“, fragt George Plimpton den Nobelpreisträger von 1954.
Nein. Ich erstelle eine Liste mit Titeln, erst nachdem ich die Erzählung oder den Roman fertiggestellt habe. Bisweilen stehen auf der Liste bis zu hundert Vorschläge. Dann fange ich an, zu streichen. Manchmal streiche ich alle.
Das Interview macht Ernest Hemingway sichtlich Freude. Kluge Fragen, kluge Antworten. Hier ist sein Leben und seine Berufung drin. Der Schriftsteller mit dem ergrauten Bart wird in seinem kubanischen Refugium herausgefordert. Nicht zuletzt, auch über sich nachzudenken. Wir schreiben das Jahr 1958, der Korridor bis zu seinem Tod ist nicht arg lang. Er spürt es. Der Gedankenaustausch scheint wie der Rückblick auf ein großes Literatenleben. Möglicherweise redet hier ein Mensch von seinem literarischen Vermächtnis. Auf jeden Fall bietet das Gespräch die eine oder andere Anregung für die nachfolgenden Generationen.
Schreiben wie beim Blick auf einen Eisberg
Für Ernest Hemingway ist das Beobachten die Königsdisziplin eines Autors. Wenn ein Schriftsteller aufhört zu beobachten, ist er am Ende. Er darf jedoch weder einseitig beobachten, noch an das Ergebnis denken. (…) Ich versuche, nach dem Prinzip des Eisbergs zu schreiben. Auf jeden sichtbaren Teil kommen sieben Achtel unter Wasser. All ihr Wissen sollten Sie weglassen, es wird dadurch den Eisberg stärken. Ihre Kenntnis wird zum Anteil, der nicht sichtbar ist.
Plimpton berichtet davon, wie Hemingway seinen täglichen Fortschritt festhält, auf einer großen Tabelle, die er aus der Seite eines Kartons gebastelt hat und an der Wand unter der Trophäe eines Gazellenkopfes aufgehängt hat. Die Zahlen mit dem täglichen Wortausstoß variieren bei 450, 575, 462, 1.250 und 512. Eine höhere Produktivität entlastet das schlechte Gewissen, der kernige Naturbursche kann den nächsten Tag unbeschwert mit dem Angeln im Golfstrom verbringen. Doch Obacht: Bei allen Zahlen, Ausführlichkeit ist nicht Hemingways Ziel, im Gegenteil. Die gerade mal hundert Seiten von Der alte Mann und das Meer zeigen es beispielhaft auf.
‚Der alte Mann und das Meer‘ hätte ich auch über tausend Seiten lang schreiben können. Ich hätte jede Figur des Dorfes entwerfen und ihren Alltag beschreiben können. Wie die Fischer ihren Lebensunterhalt verdienen, wie ihre Kindheit verlaufen ist, die Erziehung, ob sie Kinder haben, und so weiter. Das können manche Autoren hervorragend. Ich jedoch habe ein anderes Konzept verfolgt. Zunächst habe ich versucht, alles auszusondern, was den Leser von der Kernhandlung ablenkt. Mit dem Ziel, dass ich Unmittelbarkeit schaffe. Alles soll der eigenen Phantasie des Lesers dienen und so erscheinen, als habe sich alles tatsächlich so zugetragen. Das ist eine verdammt schwere Übung gewesen, ich habe hart daran gearbeitet.
Solche Gespräche für die The Paris Review können mehrere Stunden dauern, häufig treffen sich die Interview-Partner auch zu Gesprächsrunden an verschiedenen Tagen. Für die Veröffentlichung des Interviews mit Ernest Hemingway räumt die Zeitschrift 21 Seiten frei.
Ein Scheiße-Sensor als Alarm-Sirene
„Was braucht ein Schriftsteller“, fragt George Plimpton harmlos. Die wichtigste Voraussetzung für einen guten Schriftsteller ist ein eingebauter, stoßfester Scheiße-Sensor. Dies ist die Alarm-Sirene eines Autors und alle großen Schriftsteller haben ihn.
Was ihn antreibt, will George Plimpton zu Ende des Gesprächs aus dem Jahrhundert-Autor heraus kitzeln.
Von allem was geschieht und mit all deiner Erfahrung und Kreativität erzeugst du eine neue Wirklichkeit. Du machst alles lebendig, und wenn du gut genug bist, dann machst du diese neue Wirklichkeit unsterblich. Deshalb schreibe ich, aus keinem anderen Grund.
Unsterblichkeit als Ziel. Mit seinen Büchern. Wie könnte es anders sein? Doch was bedrückt ihn
Ein Gewehr, Ernest Hemingway und der Sohn Patrick, genannt Mouse. Es ist Urlaubszeit in Idaho, 1946. Photo Credits: Ernest Hemingway Collection of the John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.
Ernest Hemingway kann mit Kindern so gar nichts anfangen. Erst als die Söhne groß genug sind, um eine Angel zu halten oder gar ein Gewehr, dann erwacht sein Interesse. An der Angelrute und an einem Schießeisen – beides Apparaturen, die den Tod bringen – sieht er sich als Lehrmeister des Nachwuchses. Wie tief ist die Sehnsucht zur Vernichtung bei Ernest ausgeprägt?
Damit argumentativ keine Schieflage auftritt: Der Nobelpreisträger von 1954 besitzt wunderbare Charakterzüge. Er ist offen und zugewandt, ein guter Freund, er hilft, wenn Hilfe gebraucht wird, jeder soziale oder intellektuelle Dünkel ist ihm fremd. Aber Ernest Hemingway hat auch eine andere Seite. Eine dunkle Seite, auf der Feindseligkeit und Groll zu Hause sind.
Meist fängt es klein an. Der Zorn entlädt sich mehr oder weniger verbal. Den Personen um ihn herum gibt er launige Namen. Pickle, mein Gürkchen, für Ehefrau Mary, Feo, der Hässliche, für seinen Arzt Dr. José Luis Herrera Sotolongo, Mouse für den Sohn Patrick. Mrs. Fathouse Pig – fettes Hausschwein – für seine wunderschöne dritte Ehefrau Martha Gellhorn.
Die zweite Stufe der Wut bezieht sich auf das Handeln. Subtil, in der Regel. Im Leben des Schriftstellers fällt schon auf, dass er vieles, was er liebt, schlecht behandelt. Seine Ehefrauen, die Söhne und letztendlich wohl auch sich selbst. Steckt Schlimmeres dahinter? Ist es vielleicht ein Zwang, wenn er etwas liebt, immer darauf herumzuhauen bis es kaputt ist?
Will ernest Hemingway mit seinem Hass auf alles und jedes letzten Endes etwa die Liebe totschlagen? Oder, noch schlimmer, kann er möglicherweise gar nicht lieben? Außer die Natur vielleicht, die er tief und innig liebt. Aber was ist mit den Menschen?
Je mehr Narben über seiner Seele liegen, desto dünnhäutiger wird er. Weil er in seinem Wertekanon nicht stabil genug ist und auch, weil seine Persönlichkeit in Sachen Liebe über die Jahre emotional nicht mitgewachsen ist. Im Gegenteil: Seit der Ehe mit Hadley geht es mit ihm seelisch bergab. Er lässt sich ablenken, von blonden Strähnen, von langen Flinten und wilden Stieren.
Die höchste Stufe seiner Feindseligkeit kehrt er heraus, wenn er angegriffen wird. Sobald er das Gefühl bekommt, von einem Menschen gekränkt zu werden oder in seinen Empfindungen verletzt zu sein. Dann reagiert er wie ein angeschossenes Raubtier. Ernest kontert schließlich mit offener Aggression, mit kaum verborgenem Hass, er verhöhnt die betreffende Person lang und breit, oft unter der Gürtellinie, auch in seinen Werken.
Lassen sich mildernde Umstände ausmachen? Ernest Hemingway ist ein Gefühlsmensch durch und durch, in allen Facetten. Er kennt den emotionalen Gegenpol zur Missgunst. In ruhigen Stunden ist er ein sympathischer Romantiker. Dieser leutselig auftretende Mann bleibt tief im Inneren eine empfindsame und verletzliche Seele. Dessen harte Schale meist nur den weichen Kern schützen will.
Es gibt die Stunden, wo er in blinder Aggression um sich schlägt. Hinter seinem Zorn liegt oft Selbsthass. Hinter jedem guten Schriftsteller verbirgt sich ein Drama, so sagt man. Es ist ein Unglück, dass dieser so grandiose Schreiber es nicht geschafft hat, seinen inneren Frieden zu finden. Außer in den frühen Jahren vielleicht, mit der
Es ging lebhaft zu bei Thomas Morus mit Ernest Hemingway. Referent Wolfgang Stock hatte ein Programm von zehn Stunden über den Nobelpreisträger zusammengestellt. Foto: C. Stock.
Die Thomas Morus Akademie in Bensberg bei Köln hat ein Unterfangen gewagt. Zwei Tage Ernest Hemingway pur. Ich hatte Vergnügen und Ehre in fünf Sitzungen ein Wochenende zu gestalten, das von A bis Z ganz dem Nobelpreisträger von 1954 gewidmet war. Der Zuspruch mit über 30 zahlenden Teilnehmern war überaus beeindruckend.
In den klosterartigen Gemäuern des Kardinal Schulte Haus in Bensberg bei Köln fand der Workshop statt. Das Anwesen besitzt eine kontemplative Aura, wie auch die ideenreichen Schwingen der Kreativität zu spüren sind. Die zehn Stunde Input und Diskussion über Ernest Hemingway teilten sich auf zu fünf Sessions.
Der erste Block fokussierte sich auf die Persönlichkeit dieses Jahrhundert-Schriftstellers, die zweite Ausführung auf seine Rolle in der Literaturgeschichte. Der dritte Input analysierte seine Prosa und dechiffrierte ein paar Tricks und Kniffe seiner Schreibe. Die vierte Präsentation befasste sich mit Feinschmecker-Themen wie die Magie des ersten Satzes, der Entwicklung von Anfang und Ende eines Romans und dem Aufbau eines Buchtitels. In der abschließenden fünften Darbietung gab es eine launige Fotoreise zu den Schauplätzen seines Lebens und Wirkens.
Und siehe da: Die Resonanz war überwältigend. Die Teilnehmer – kluge und belesene Zeitgenossen und Zeitgenossinnen – machten kräftig mit. Sie stellten Nachfragen, brachten Ergänzungen an und spannten den Bogen zu anderen Literaturgrößen. Und so kamen auch Thomas Mann, John Steinbeck und Karl May in die Akademie nach Bensberg.
In den Pausen am Kaffeetisch durfte der Referent im weitgereisten Publikum rege mit einer literaturbegeisterten Physikerin, einem Professor und einem Diplomaten debattieren. Auch wurde ein wenig gelesen. So Hemingways wunderbaren Kölner Artikel für den Toronto Star aus dem September 1922, Hubby Dines First, Wifie Gets Crumbs! Eigene Projekte der Seminarteilnehmer – hier ein Hörspiel – wurden angesprochen. In einer Art Schreibwerkstatt wurden Titel und Einstieg diskutiert und verbessert.
Alle Scheinwerfer jedoch immer auf den bärtigen Ernesto gerichtet. Wenn man zehn Stunden über ihn doziert und spricht, merkt man erst – oder erst recht – welch eine Größe und sprachliche Kraft dieser Schriftsteller ausstrahlt. Seine Prosa – sofern man ihn richtig und aufmerksam liest – weist eine Vitalität auf, die den Leser und die Leserin auch nach hundert Jahren immer wieder packt.
Das Hemingway-Abenteuer hat die Thomas Morus Akademie in Person von Felicitas Esser gewagt. Die erfahrene Seminarleiterin zog umsichtig, kompetent und allzeit engagiert die Fäden. Übernachtung, Speise und Trank – und natürlich Ernest Hemingway – ließen das Gesamtpaket zu einem überaus gelungenes Erlebnis wachsen. Teilnehmer als auch Referent gingen beschwingt und zufrieden zurück in ihren Alltag.
Wenn anderweitig Interesse an zwei vollen Tagen Ernest Hemingway pur besteht, Interessenten mögen
Wir verwenden Technologien wie Cookies, um Geräteinformationen zu speichern und/oder darauf zuzugreifen. Wir tun dies, um das Surferlebnis zu verbessern und um (nicht) personalisierte Werbung anzuzeigen. Wenn du diesen Technologien zustimmst, können wir Daten wie das Surfverhalten oder eindeutige IDs auf dieser Website verarbeiten. Wenn du deine Zustimmung nicht erteilst oder zurückziehst, können bestimmte Funktionen beeinträchtigt werden.
Funktional
Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.