Das Portal zu Leben und Werk von Ernest Hemingway

Autor: Wolfgang Stock Seite 2 von 68

Ernest Hemingway: Tiere töten

Ernest Hemingway
Modeste von Unruh
Lebewesen töten, die größer sind als man selbst. Angelfreund Elicio Argüelles, ein Marlin von 730 Pfund und Ernest Hemingway. Cabo Blanco, am 27. April 1956. (colorized) Photo: Modeste von Unruh.

Im Alltag ist Ernesto ganz vernarrt in seine Tiere. Auf seinem riesigen Anwesen Finca Vigía nahe bei Havanna hält der Schriftsteller ein halbes Dutzend Hunde und noch mehr Katzen. Mit Hingabe betreut der Autor sie, schützt sie, er streichelt und drückt sie ans Herz. Wie mit einem Sohn oder einer Tochter spricht er mit ihnen. Der Nobelpreisträger umsorgt die Kreaturen, als seien es Familienmitglieder. Er liebt die Tiere mit ehrlichem Gefühl. Das ist die eine Seite. Die andere Seite seiner Wirklichkeit ist barbarisch.

Ernest Hemingway jagt die Lebewesen – die Marline und Schwertfische, die Tauben und Fasane, die Antilopen, die Büffel und die Löwen, die Elefanten – er verletzt sie und er tötet sie. Es machte mir nichts aus, zu töten, ein Tier, es sollte nur sauber geschehen. Sie mussten alle sterben, und mein Beitrag in das nächtliche und saisonale Töten, das die ganze Zeit geschah, war bedeutungslos und ich hatte überhaupt kein schlechtes Gefühl dabei. Er hat sein kaltes Credo festgehalten, er macht kein Geheimnis daraus, er schreibt es in Die grünen Hügel Afrikas.

Es fasziniert den Amerikaner, wie beim Stierkampf in Spanien mit dem Tod gespielt wird, wie der bunte Torero den schwarzen Bullen neckt und vorführt, um ihn dann unter dem Gejohle der Zuschauer blutig abzuschlachten. Ernest Hemingway mag das Schauspiel, bei dem der Mensch als Todesbote auftritt, die Kollegen Dramatiker haben es allegorisch viele Jahrhunderte auf der Theaterbühne aufführen lassen. Doch Hemingways Tod tritt ohne dunkles Gewand und ohne Maske auf. Der richtige und blutige Tod ersetzt die Allegorie.

You killed him for pride and because you are a fisherman. Du tötest aus Stolz und weil du ein Fischer bist. Ernest Hemingways Romanfigur Santiago aus Der alte Mann und das Meer angelt aus Tradition. Doch Ernest Hemingway tötet nur aus pride. Wobei pride in der deutschen Übersetzung sowohl Stolz als auch Hochmut meinen kann. In der Persönlichkeit dieses Burschen vom Michigan See liegt beides nahe beieinander.

Dass er mit dem Abknallen und Abstechen der Lebewesen einen gewaltigen Fehler begeht, er spürt es schon. Das Töten stellt einen schrecklichen Frevel dar, der Mensch darf sich nicht über die Tiere erheben. Die Schöpfung besitzt ihre eigene Würde und ihre eigene Ordnung. Und der Mensch ist lediglich ein Teilstück dieser Schöpfung, nicht ihr Gebieter. Ein Mensch darf die Schöpfung nicht mutwillig antasten, über dieses Privileg verfügt nur ihr Erschaffer. 

Der Tabubruch indes lockt ihn. Lebewesen zu töten, die größer und stärker sind als man selbst. Sich als Herrscher und Gebieter aufzuspielen. Wenn ein Mensch gegen den Tod rebelliert, so wie ich gegen den Tod rebelliere, macht es ihm Freude, ein Sonderrecht der Götter für sich in Anspruch zu nehmen: die Macht, den Tod zu geben. Man muss den Satz zweimal lesen und den Sinn dahinter begreifen: Ein Mensch, der Gott sein will? Schlimmer geht es nicht.

Dieser Mann hat Grauenhaftes gesehen und erlebt. Granaten-Einschläge, einen grausamen Bürgerkrieg, Meere aus Blut und Hunderte Leichen. Den geliebten Vater hat er zu früh verloren, Clarence bringt sich selber ums Leben, im elterlichen Schlafzimmer. Möglicherweise ist dieses Trauma zu viel gewesen für Ernest. Kann es sein, dass er sich mit dem Töten der Tiere gegen Gott auflehnen will, weil er sich ungerecht behandelt fühlt? Er vermisst den Vater so sehr.

Irgendwann muss Ernesto seinen größten Löwen schießen. Der Tod des Jägers ist die Folgerichtigkeit seiner immerwährenden Gotteslästerung. Dabei gäbe es den Zauber der Evolution zu bewundern. Dem Werden des Menschen wohnt eine Faszination inne, ebenso wie seinem Verlöschen. Es läuft auf eine krankhafte Selbstüberhöhung hinaus, dieses natürliche Regelwerk von Blühen und Verblühen außer Kraft zu setzen. Es ist abscheulich und es ist enthemmend. Denn wo

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Der schönste Hemingway-Satz: Andere haben Gott

„It’s sort of what we have instead of God.“

Andere haben Gott, wir haben das.

Ernest Hemingway: 
Fiesta, 1926

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Das traurige Ende von Mary Welsh, der Ehefrau Ernest Hemingways

Mary Welsh Hemingway
Das Grab von Mary Welsh Hemingway. Sie ruht neben ihrem Ehemann auf dem Dorffriedhof von Ketchum. Foto: W. Stock, im April 2018.

Für Mary Welsh ist der Selbstmord ihres Ehemannes am 2. Juli 1961 besonders schmerzlich. Sie hat sich jahrelang zurückgenommen und nun tritt Ernest aus dem gemeinsamen Leben, ohne ein Wort zu sagen und ohne Abschied von der Familie. Tief im Inneren spürt sie, dass die beiden Patronen auch eine Abrechnung mit ihr sind. Doch Mary wahrt die Fassung, erzählt der Öffentlichkeit und der Presse etwas über einen Unfall beim Waffenreinigen und lebt nach Ernests Selbsttötung weiterhin in dem Haus im Sun Valley.

Nach seinem Tod lässt sich Miss Mary zu einem trotzigen Seitenhieb hinreißen. Zusammen mit ihrer Freundin Clara Spiegel bricht sie auf zu einer Safari nach Afrika, nach Kenia und Tansania. Sie will es sich beweisen: Es geht auch ohne ihn. Und ohne Debba, oft hatte Ernest von der Massai-Schönheit geschwärmt. Ansonsten führt Mary ein zurückgezogenes Witwenleben in Ketchum, erst später zieht sie um nach New York in ihr Apartment.

Mit Fidel Castro persönlich handelt Miss Mary Mitte der 1970er Jahre in Havanna eine Vereinbarung aus. Sie darf einige Manuskripte, Bilder, Unterlagen und Erinnerungsstücke ihres verstorbenen Mannes aus der Finca Vigía in die USA mitnehmen. Im Gegenzug muss sie das komplette Anwesen samt restlichem Inventar an den kubanischen Staat übereignen, an the Pueblo of Cuba, wie die schlaue Mary etwas verschachtelt in der handgeschriebenen Abtretungsurkunde formuliert.

Als Generalerbin verwaltet die Witwe den umfangreichen literarischen Nachlass. Ernest ist unglaublich fleißig gewesen und hat über 3.000 unveröffentlichte Manuskriptseiten hinterlassen. Nach und nach wird einiges von Mary schließlich zum Abdruck freigegeben. So die Erinnerungen an seine Zeit mit Hadley in Europa unter dem Titel Paris – Ein Fest fürs Leben im Jahr 1964, die kubanische Erzählung Inseln im Strom im Jahr 1970 und der Experimental-Roman Der Garten Eden im Jahr 1986.

Miss Mary ist eine selbstbewusste Frau, die nach der Heirat mit Ernest immer im Schatten stehen muss. Die einst ehrgeizige Journalistin kann neben ihrem prominenten Ehemann nicht leuchten, sie ist so klug, dies zu wissen. Es reicht ihr, wenn beide auf Finca Vigía bei gleicher Augenhöhe ihren Alltag meistern. Sie hat an Ernest hier und da herumgenörgelt, ohne ihn umerziehen zu wollen, wie dies mitunter bei Martha Gellhorn der Fall gewesen ist.

Die burschikose Frau kennt seine Macken und Schwächen, auch die Sauftouren und Seitensprünge bleiben ihr nicht verborgen. Und doch ist Mary auf eine pragmatische Art und Weise mit den Exzessen ihres Ehemannes zurecht gekommen. Ihn zu bändigen, sie weiß es, ist zwecklos. Mary schaut über seine Fehltritte hinweg , blendet die Missstände aus und richtet den Blick auf die schönen Stunden.

Ihre Sicht der Ereignisse legt Mary Welsh in der umfänglichen Biografie How it was erstaunlich unbeschönigt dar. Immer häufiger zieht sie sich in ihr Penthouse am Central Park zurück und igelt sich ein. Nach wie vor hört man kein böses Wort von ihr über den verstorbenen Mann. Doch Mary fühlt sich einsam, ohne Mann, ohne Kinder und ohne Enkel. Trost sucht sie mehr und mehr im Alkohol.

Die letzten Jahre in ihrem Apartment an New Yorks 65th Street sind nicht schön. Krankheiten und das Alleinsein setzen ihr zu. Das Telefon bleibt immer öfter still. Ernests Freunde sind nicht die ihren gewesen. Nach langem Leiden stirbt sie im November 1986 im St. Luke’s Hospital in Manhattan im Alter von 78 Jahren. Ihr Körper wird eingeäschert und die Urne nach Idaho überführt. Mary Welsh liegt

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Ernest Hemingway als Journalist – die Pomadigkeit hat ausgedient

Ernest Hemingway
Reportagen
Die Kulturrevolution im Journalismus. Und ihr Ahnvater heißt Ernest Hemingway. Foto: W. Stock.

Im Laufe der Jahre habe ich einige getroffen, die sich im publizistischen Metier bestens auskennen und meinen, Ernest Hemingway sei als Journalist ebenso überzeugend wie als Romancier. Mindestens. Eigentlich sei er als Zeitungs- und Zeitschriftenschreiber sogar besser. Das kann man so sehen.

Ernest Hemingway arbeitet ab Februar 1920 für die große kanadische Tageszeitung Toronto Star. Aus heutiger Sicht sind seine Artikel Fingerübungen zu Themen bei denen er sich auskennt. Das Forellenangeln, das Zelten in freier Natur oder der Boxkampf. Der kernige Mann vom Michigan See, er ist Jahrgang 1899, geht ohne Scheu an seine Sujets. Dass er kein Studium vorweisen kann, muss er durch eine gewisse Schnoddrigkeit überspielen.

Ab Februar 1922 wird es dann spannend. Mit Anfang zwanzig erhält er einen Vertrag als Korrespondent in Paris. Von dort bereist er ganz Europa, einen Kontinent im Umbruch. Eine Katastrophe hat man hinter sich, die nächste kündigt sich an. Es gibt viel zu berichten. Früher galt Distanz als Grundsatz des Journalismus. Die reservierte Beobachtung aus der Entfernung, mit dem Fernrohr. Anders Hemingway. Sein Credo: Mittendrin und ein Teil davon.

Er schreibt es 1926 wortwörtlich in Fiesta, seinem grandiosen Debütroman: Nach dem Essen gingen wir hinüber ins Iruña. Es war schon ziemlich voll, und als der Beginn des Stierkampfs nahte, wurde es noch voller, und die Tische wurden dichter zusammengeschoben. Ein dichtes Summen lag in der Luft, wie jeden Tag vor einem Stierkampf. Dieses Geräusch herrschte zu keiner anderen Zeit in dem Café, ganz gleich, wie voll es war. Das Summen hielt sich, und wir waren mittendrin und ein Teil davon.

Nur mittendrin erlebt man alles. Ein Journalist muss mit den Stieren laufen, um Spanien zu begreifen. Der Pulverdampf der Bomben sollte in seine Nase steigen, wenn er vom Krieg spricht. Ein guter Reporter muss mit den ausgemergelten Bauern auf der Flucht im Bürgerkrieg gesprochen haben, um zu wissen, was Unmenschlichkeit bedeutet. Und wer über den Kampf mit dem Marlin schreibt, der sollte selbst mit einem Fisch am Haken gekämpft haben. Ein solcher Journalismus findet nicht im Schreibstübchen statt, sondern in den fremden und bedrohlichen Ecken wo auch immer.

Der Erzähler wird Teil der Geschichte, die er beschreibt. Deshalb sollte ein Reporter zunächst gründlich beobachten, bevor er das Geschehen niederschreibt. Hemingways Vorgehen bedeutet ausdrücklich, sich auf Tuchfühlung anzupirschen, ranzugehen an das Ereignis wie ein aufdringlicher Paparazzo. Das lauschige Sesselpupsen in den Redaktionen hat ausgedient. Andere Leitbilder werden wichtig: Action statt Pomadigkeit, Nähe statt Distanz.

Reportagen über den Krieg, über Gewalt und über den Kampf schreien nach der spürbaren Emotionalität eines Ernest Hemingway. Eine Kampfhandlung muss nach Blut stinken, nach Todesangst und nach vollgeschissenen Hosen – und darf nicht in kühler Inspektion das Feld räumen. Die behördenhafte Berichterstattung wirkt wie eine Belehrung, das journalistische Miterleben hingegen erlaubt eine wahrhaftige Teilhabe.

Das Verdienst von Ernest Hemingway ist, dem Journalismus eine andere Blickrichtung gegeben zu haben. Seine Herangehensweise verlangt, genau hinzuschauen. So präzise wie ein Chirurg. Manchmal wirkt sein Ansatz sehr detailverliebt, aber eine kräftige Beobachtungsgabe ist genauso wichtig wie das Talent, exzellent schreiben zu können. Man achte auf die Landschaftsbeschreibungen von Hemingway, die wie ein Gemälde anmuten.

Hemingways Sichtweise hat Generationen von Reportern geprägt. Bis heute. Gerade bei jenen, die ihr Metier grandios beherrschen, bemerkt man den Einfluss des Mannes aus einem Vorort von Chicago. Paul Ronzheimer oder Katrin Eigendorf sind deshalb so gut, weil sie keine Scheu haben, nahe heranzugehen. Dadurch besitzen ihre Reportagen nicht nur Gefühl und Gespür, sondern auch Tempo und Temperament.

In seinen Pariser Anfangsjahren schreibt Ernest Hemingway mit

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Ernest Hemingway – Die Wahrheit kennt keine Ende

Fiesta
Ernest Hemingway
The Sun Also Rises – in Deutschland: Fiesta. Aus dem Jahr 1926. Ernest Hemingways Durchbruch. Mit einem merkwürdigen Ende.

Ein gut geschriebenes Ende sollte eine Erzählung abrunden. So ein Roman kann auf verschiedene Art und Weise ausklingen. Es hängt ab vom Thema, vom Genre, von der beabsichtigten Wirkung und ebenso von der Persönlichkeit des Autors. Letztendlich läuft es auf die Frage zu: Wie will ich meine Leser und meine Leserinnen in den Alltag entlassen?

Am schönsten ist das Happy End. Die Konflikte sind gelöst, die Protagonisten finden ihr Glück. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Das genaue Gegenteil umschreibt das tragische Ende. Die Akteure scheitern oder sterben. Er wurde von Handwerkern getragen. Da ist etwas schiefgelaufen. Kein Wunder, hier hat sich ein Mensch aus Liebeskummer das Leben genommen und in den Sarg befördert. Mit diesem genialen Finalsatz beschreibt Johann Wolfgang von Goethe die Beerdigung seines jungen Werther. 

Ernest Hemingway ist weder ein Anhänger des guten wie des schlechten Endes. Der Nobelpreisträger von 1954 bevorzugt das offene Ende. Irgendwie gemein! Der Ausklang verbleibt unklar, der Leser muss selber schauen, wie er klarkommt. Was er mit einem uneindeutigen Schlusspunkt anfängt, bleibt einzig und allein dem armen Büchernarr überlassen. Fast jede Geschichte aus der Feder Hemingways wird nicht abgeschlossen – und das ist in Ordnung so.

Typisch: Seine Short Story unter dem Titel The Undefeated (zu Deutsch Der Unbesiegte) lässt den Leser am Ende ratlos zurück. Der abgehalfterte Torero Manuel Garcia darf gegen ein Gnadenbrot einen letzten Kampf bestreiten. Im Verlauf der Corrida wird der ehemals berühmte Matador von dem Stier mehrfach verwundet, kann dem Bullen aber den Todesstoß versetzen. Schwer verletzt wird der Stierkämpfer aus der Arena getragen und in ein Krankenhaus gebracht. Dann bricht die Erzählung ab. Ob Manuel Garcia überlebt? Unklar. Ernest Hemingway lässt den Ausgang offen.

Vom Meer kehrt der alte Mann zurück in sein Heimatdorf, er hat seinen Fang an die Haie verloren. Die Mühe vieler Wochen war umsonst. Der alte Fischer ist geschlagen, doch nicht gebrochen. Er wird am nächsten Tag mit seinem Holzboot wieder hinaus aufs Meer fahren. Wahrscheinlich. Auch dies schleierhaft. Schlimm? Nein. So funktioniert das Leben. Niemand weiß, was der folgende Tag bringen wird.

Ist dies kein schöner Gedanke? So lässt Ernest seinen grandiosen Roman Fiesta enden. Die Erzählung beschreibt das zynische Lebensgefühl nach dem Ersten Weltkrieg. Der letzte Satz lautet: Isn’t it pretty to think so?. Diese Frage von Jake Barnes, dem Protagonisten, geht an Lady Brett Ashley, die nicht unterscheiden kann zwischen Liebe und Gier. Es hätte eine reizvolle Liebesbeziehung in Spanien werden können, doch es hat nicht sollen sein. Die Liebe – wie das Leben – gestaltet sich schwierig.

Der Einwand sei erlaubt: Ist solch eine simple Frage nicht zu unambitioniert für einen Nobelpreisträger? Von wegen! Die angezogene Handbremse hat Methode, sie ist typisch für Hemingway. Alles bleibt kompliziert. Ein schlichtes Ende – ob gut oder schlecht – wird den Herausforderungen des Lebens nicht gerecht. Zumal ein freudiger Abschluss einer Täuschung erliegt, denn jedes Happy End kann auf der Lebensbahn lediglich eine Momentaufnahme darstellen. Über das große Ganze entscheiden andere, es liegt nicht in den Händen des Menschen.

Ernest bringt seine Erzählung mit voller Absicht meist nicht zum Ende. Er lässt den Leser baumeln, im Schmerz leiden, manchmal sogar genervt zurück. Aber so ist die Realität. Die wichtigen Lebensbereiche – es geht Hemingway ums Kämpfen für das kleine Glück und um den Erhalt der Würde – diese Fragen bleiben ohne Antwort. Man darf den Leser nicht ins Eiapopeia entlassen. Denn ein gutes Ende ist immer

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Ernest Hemingway/Jorghi Poll: Der alte Mann & das Meer

Ernest Hemingway
Der alte Mann & das Meer
Ernest Hemingway/Jorghi Poll: Der alte Mann & das Meer.

Eigentlich ist zu Hemingways Erzählung aus dem Jahr 1952 alles gesagt. Sie ist das bekannteste und wohl auch das am meisten perfekte Werk von Ernest. Eine Parabel auf das Leben und den Menschen. Zwei Jahre später wird der auf Finca Vigía, nahe Havanna, ansässige Autor mit dem Nobelpreis für Literatur belohnt. Ausdrücklich für diese biblisch anmutende Novelle von zeitloser Brisanz.

Aus diesem Grund ist es Aufgabe von Verlegern, Lektoren und Journalisten, Hemingways Buch auch für nachfolgenden Generationen lebendig zu halten. Nun kommt Ernestos Klassiker bei der Ars Edition in einem opulenten Geschenkband daher. Dankenswerterweise wohl für eine jüngere Leserschaft, sehr abwechslungsreich und voller typografischer Überraschungen.

Die prächtige Schmuckausgabe von Der alte Mann und das Meer bringt die bewegende Geschichte des kubanischen Fischers Santiago und seines Kampfes mit einem gigantischen Marlin in einer Neuauflage in die Bücherregale der Literaturliebhaber. Die Neugestaltung lehnt sich an die bekannte Rowohlt-Ausgabe an, mit der famosen Übersetzung von Werner Schmitz. 

Hemingways Novelle erzählt meisterhaft von Hingabe und Ausdauer des Menschen im Überlebenskampf. Heute würde man sagen: Der Mann aus einem Vorort von Chicago schreibt über Purpose und Resilienz. Erstaunlicherweise hat das Enfant terrible der Weltliteratur die Geschichte dieses Kampfes in eine Erzählung voller gottgefälliger Metaphern und Chiffren verpackt.

Der vom Pech verfolgte alte Fischer Santiago bekommt nach 84 erfolglosen Tagen einen großen Marlin an den Haken. Der Kampf mit dem Großfisch bringt den einfachen Mann an seine Grenzen. Am Ende steht das Debakel, der Fang geht an die gefräßigen Haie. Doch auch wenn die Beute verloren geht, dieser schlichte Mensch behält in der Niederlage seine Würde. 

Die außergewöhnlichen Illustrationen geben diesem weltberühmten Roman ein unverwechselbares neues Gewand. Die Visualisierungen von Jorghi Poll sind überaus gelungen. Der Wiener ist ein junger Illustrator, der schon zahlreiche Bücher und Magazin-Ausgaben für profil und Falter entworfen hat. Jorghi Poll zeichnet eine sorgfältige und feinfühlige Strichführung aus.

Insbesondere die klug ausgewählten Wörter-Spiele im Innenteil und die Detail-Darstellungen überzeugen. Leider ist das Cover misslungen. Der alte Mann Santiago sieht mit seiner Prinz-Heinrich-Mütze und der Tabakpfeife nicht aus wie ein armer Fischer aus Cojímar, sondern wie ein satter norddeutscher Seebär aus Eckernförde. Ob dieser Stilbruch beabsichtigt ist? Die Illustrationen im Innenteils machen dieses Manko freilich mehr als wett. 

Die edle Schmuckausgabe verleiht Ernest Hemingways Klassiker eine besondere Wertigkeit. Das Standardwerk der Weltliteratur in einem neuen ästhetischen Gewand für junge Leser und Leserinnen. Lobenswert, dass sich ein

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Der schönste Hemingway-Satz: Altersweisheit

«Nein, es ist ein großer Irrtum. Die Weisheit der Alten.
Sie werden nicht weise. Nur vorsichtig.»
«Vielleicht ist das Weisheit.»

Ernest Hemingway: In einem anderen Land, 1929

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Was hat Ernest Hemingway mit ‚Eggs Hemingway‘ zu tun?

Eggs Hemingway
Sylt
Westerland
Eggs Hemingway‘ im Mateika von Westerland auf Sylt. Foto: W. Stock 2025.

Unlängst im Café Mateika auf Sylt auf Ernesto gestoßen. Eggs Hemingway steht in dem feinen Kaffeehaus auf der Speisekarte. Es ist kein Einzelfall, in den Szene-Cafés landauf, landab veredelt diese Variation der Eggs Benedict jedes Angebot. Damit mausert sich Ernest Hemingway, der seit fast 65 Jahren friedlich auf dem Dorffriedhof von Ketchum liegt, zum Bestandteil einer hippen Frühstücks- und Brunch-Kultur. Aus den USA schwappt dieser Trend mehr und mehr zu uns nach Europa. Inklusive Eggs Hemingway

Die ursprünglichen Eggs Benedict sind in den 1860er Jahren in New York erfunden worden. Diese Eierspeise ist wohl nach dem Börsenmakler Lemuel Benedict benannt, der das Gericht als Katerfrühstück im Waldorf Astoria bestellt haben soll. Eggs Benedict, in unsrer Zeit ein bekanntes amerikanisches Frühstücksgericht, besteht aus einem englischen Muffin, Schinken, pochiertem Ei und Sauce Hollandaise.

Weltweit findet man die Eierspeise in zahlreichen Variationen. Das Gericht bietet sich für Anreicherungen und Austausch geradezu an. Der Fantasie werden keine Grenzen gesetzt. Mit Tomatenscheiben, dazu Bacon, mit Spinat oder Artischocken. Auch mit Toast, Zwieback oder Biskuits statt der Muffins. In Mexiko kann man die Huevos Benedict mit Avocado anstelle von Schinken und mit hochscharfer Salsa entdecken.

Doch was hat Ernest Hemingway mit diesen Eiern zu tun? Eggs Hemingway, auch bekannt als Eggs Atlantic, Eggs Copenhagen oder Eggs Royale, ist eine solche Abwandlung der Eggs Benedict. Bei der hemingway’schen Variation wird der Schinken durch Räucherlachs ersetzt. Diese fischige Spielart ist besonders in Ländern wie Großbritannien, Kanada und Australien beliebt. Kein Top-Hotel kommt ohne dieses Gericht aus.

Eggs Hemingway sind nach dem bärtigen Autor benannt, da er – mit maritimem Wohnsitz Key West und später Kuba – eine Vorliebe für geräucherten Fisch gehabt haben soll. Zusätzlich geht die Fama um, der Nobelpreisträger von 1954 habe eine Abneigung gegen Schinken an den Tag gelegt. Stattdessen habe er den proteinreichen Lachs als Ergänzung zu den pochierten Eiern und der Sauce Hollandaise bevorzugt.

Wie so oft bei kommerziellen Auswüchsen in Sachen Ernst Hemingway gibt es weder Beispiele noch Belege für diese Legende. Gleichermaßen bin ich in 40 Jahren Forschung keiner diesbezüglichen Animosität Ernestos begegnet. Schinken-Aversion? Kann sein, vielleicht auch nicht. Der Löwenanteil an dieser ganzen Eier-Geschichte liegt vermutlich in schlauem Marketing.

Ein paar Werbeleute haben wohl gemeint, es passe halt verdammt gut zum kernigen Image des Schriftstellers. Eggs Hemingway zu bestellen, hört sich auf jeden Fall cooler an, als wenn man dem Kellner Eggs Atlantic zurufen würde. Denn der Gast outet sich hiermit als Mann oder Frau von Welt. Und in diesem Punkt haben die Marketing-Fritzen ja recht. Das Gericht wird als Eggs Hemingway kulinarisch, vor allem aber semantisch auf eine neue Stufe gehoben.

Vielleicht ist das Entzücken in Sachen Eggs Hemingway ja für den einen oder anderen

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Ernest Hemingway – ein Autor ohne Frauen

Ernest Hemingway
Ernest Hemingway auf Entenjagd in Idaho. Mit dem besten Freund des Mannes. Black Dog. Im Oktober 1941. Photo Credits: Ernest Hemingway Collection of the John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Ernest Hemingway ist ein Autor ohne Frauen. Mehr noch, der Nobelpreisträger von 1954 gilt den meisten als einschlägiger Männer-Versteher. Ernesto, der Ober-Macho in der Literatur. Es ist nicht zu leugnen: Seine Erzählungen und Romane kommen nahezu ohne Frauen aus. Was ist bloß los mit dem Mann?

An dieser Stelle sollte man jedoch Werk und Mensch fein trennen. Im richtigen Leben ist er von der Damenwelt umzingelt. Vier Ehen, dazu zahllose Affären. An manchen Tagen kommt er mit drei Frauen zusammen. Vormittags auf Finca Vigía mit Ehefrau Mary, nachmittags bei der Dauergeliebten Leopoldina in der Altstadt von Havanna und abends möglicherweise dann noch die schnelle Nummer.

Als physischer Mann ist dieser Kerl electrico. In seinen Romanen und Erzählungen, als Schriftsteller in Bezug auf Frauen: tote Hose. So bleibt es bei einer reinen Männerwelt zwischen zwei Buchdeckeln. Vor den Bullen in Pamplona laufen die verwegenen Burschen der Stadt. In seinem Meisterwerk Der alte Mann und das Meer kommt erst gar keine Frau vor. Auch in seiner brillanten Kurzgeschichte Der Unbesiegte nicht. Oder in The Killers. Alles Stücke ohne Frauen. Null, nada, nichts. Nicht einmal in einer Nebenrolle.

Es gibt Geschichten von Hemingway, da schleichen sich Hunde und Katzen in den Plot, Bullen und Stiere ohnehin. Jedoch keine Frauen. In seiner ganz famosen Kurzgeschichte aus dem Spanischen Bürgerkrieg Alter Mann an der Brücke sorgt sich ein greiser Mann auf der Flucht vor den Faschisten um seine Tiere, die er zurücklassen muss. Men Without Women – zu Deutsch Männer ohne Frauen – heißt eine Sammlung von frühen Short Stories aus dem Jahr 1927. Welch ein Buchtitel! Es geht um blutigen Stierkampf, gedungene Mörder und feiste Boxer – wahrlich kein Dunstkreis für das schöne Geschlecht.

Seinen Kritikern und vor allem seinen Kritikerinnen macht es dieser Schriftsteller allerdings leicht. Besondern Feministinnen weisen mit gutem Recht darauf hin, hier entlarve sich in persona wie auch in seinen Erzählungen ein reaktionärer Chauvinist. Ein Sexist, wie er im Buche steht. Ein Pascha, ein Obermacker. Alles richtig und zutreffend. Zumal dieser Naturbursche aus dem Mittleren Westen der USA ja alles tut, um die Vorurteile zu bestätigen.

Andererseits gibt es Geschichten – von Fiesta bis Inseln im Strom – da tauchen schon Frauen auf. Aber mit solchem Stereotyp, dass es beim Lesen mitunter weh tut. In derlei Texten findet man die blutjunge Geliebte in Venedig, die herzerfrischenden Huren aus dem El Floridita, eine nymphomanische Lady bei den Sanfermines – irgendwie plagt diesen Mann ein gehöriges Problem in Bezug auf sein Frauenbild.

Es hat wohl mit seiner Kindheit zu tun, mit der dominanten Mutter und einem Waschlappen namens Vater. Den Vater Clarence verehrt er, die Mutter Grace hasst er. An dieser Prägung mag es liegen, dass viele meinen, dieser Autor sei aus der Zeit gefallen. Sein Blick auf Männer und Frauen bleibt von Anfang an eindimensional. Für die Gender-Forschung unserer Tage ist dieser Mann ein Glücksfall.

Aber Hemingways Themenkreise sind wirklichkeitsnah. Qualvoll obendrein. Der Mann aus Oak Park beschreibt die brüchige Welt der Verlorenen Generation. Schlachten, Kämpfe, tote Stiere. Wie kann es anders sein, bei einem Kerl, der als 18-Jähriger im Ersten Weltkrieg lebensgefährlich verwundet wird. Der zwei Flugzeug-Unglücke überstanden hat. Allzeit den Tod vor Augen dekliniert Ernesto seine Helden an der kaputten Realität rauf und runter. Als Idealbild eines männlichen Kämpfers. Der seine Probleme alleine lösen muss. Und scheitert. Ein Krieger ohne Sieg. Dies alles ist keine Entschuldigung, bestenfalls eine Erklärung. 

Welche Chance vergibt Hemingway in seinem Männerbild! Das Zulassen einer weichen Seite in uns, eines gefühlvollen Kerns, dies ist nicht seine Sache. Dieser Mann vermag nicht über seinen Schatten zu springen, die Prägung ist zu stark, die Verletzungen sind zu groß. Aber Obacht. Wir liegen nicht

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Ist Ernest Hemingway ein Blender und Aufschneider?

Ernest Hemingway
Cabo Blanco
Ernest Hemingway im April 1956 in Cabo Blanco, Peru. Foto: Modeste von Unruh. Archiv Dr. Stock.

Ernest Hemingway läuft man über den Weg in Pamplona und Ronda, in Venedig und in Fossalta, hoch in den Alpen oder im tiefen Schwarzwald, in Paris natürlich, auch in der deutschen Schnee-Eifel, in der Karibik, auf Kuba, am Fuße der Rocky Mountains oder in Afrika. Auch wenn die Verehrung oft nur an der Oberfläche kratzt, die Bewunderung für diesen Mann ist echt, sie kommt von unten, von den Menschen.

Keiner hat hier etwas befohlen oder angeordnet, nichts läuft top down, die Hochachtung erfolgt bottom up. Es sind die Leute, die wollen, dass dieser Tote lebendig bleibt. Dieser Schriftsteller hat ein ziemlich buntes Leben vorzuweisen, das macht den Unterschied zu anderen aus, mit seiner Lebensgeschichte kann uns dieser Erzähler ebenfalls packen. Seine Person und sein Tun sollte man deshalb nicht von seinem Werk trennen. 

Eigentlich lebt er wie eine seiner Romanfiguren. Auf den einen oder anderen Beobachter mag Ernest Hemingway mit seinem Riesen-Ego aufgeblasen wirken. Wie ein Aufschneider und Großkotz. Aber Obacht, der Mann mit dem grauen Bart ist kein Blender oder Sprücheklopfer. Er liebt die Rolle eines Zampano. Doch in Wirklichkeit ist er ein bienenfleißiger und pingeliger Schreiber. Seine Passion nimmt er ernst und legt eine bemerkenswerte schreiberische Emsigkeit an den Tag.

Diesem Autor ist sein Erfolg nicht in den Schoß gefallen. Aber Ernest Hemingway ist immer eine Kämpfernatur gewesen. Unzählige Male hat er Courage und Draufgängertum bewiesen, schon als Grünschnabel im Veneto, im ersten großen Krieg, wo sein Leben am seidenen Faden hing. Und er war auch später überall dabei, wo es krachte und schepperte, im Hürtgenwald zu Ende des Zweiten Weltkriegs, in Spanien, wo sich Brüder und Freunde massakrierten.

Für das Geplapper der Großstadt ist dieser Kerl nicht gemacht. New York, Chicago, Boston – zu viel heiße Luft und zu wenig Bodenhaftung. Er muss die Tür zur freien Natur aufstoßen. Am Golf von Mexiko, vor Key West, auf den Bahamas, am Pazifik wirkt dieser kernige Bursche ausgeglichen und lebt auf. Er zieht die Gesellschaft von einfachen Fischern, zünftigen Schankwirten und bodenständigen Kleinhändlern vor.

Professoren und Intellektuelle findet man in seinem engen Freundeskreis so gut wie nicht. Er will keinen kopflastigen Glorienschein, Ernest Hemingway selbst tut einiges für sein schlechtes Image. Er säuft bis zum Umfallen, jagt jedem Rock nach, plustert sich auf, gibt allerlei Räuberpistolen zum Besten. So stellt man sich einen Nobelpreisträger der Literatur nicht gerade vor. Viele rümpfen die Nase, andere finden es großartig.

Hemingway ist nicht unbedingt ein Schreiber für die gebildete Schickeria. Dies ist außergewöhnlich in der Weltliteratur, Ernesto wird gerade auch von einfachen Menschen mit großer Passion gelesen. Er selbst hat nie studiert, seine Universität sind die Plätze und Kneipen auf allen Kontinenten. In den letzten Jahren und Jahrzehnten bin ich sechs, sieben Frauen und Männern begegnet, die ihn gut gekannt haben. Und allesamt berichten das Gleiche: Dieser Literat ist nahbar, ohne Allüren, ein Kerl wie du und ich. 

Diese Nähe zum normalen Menschen mag erklären, warum dieser Nobelpreisträger solch tiefe Spuren hinterlassen hat. Und weshalb die Leute ihre Verehrung ohne Anweisung ins Werk setzen. Dieser Autor holt den Leser ab in seiner Welt, es ist auch die Sphäre dieses Schriftstellers. Die Hommage der Menschen gilt einem Freund. Es ist das Leben, unser aller Leben über das hier geschrieben wird.

Seine Themen köcheln im tiefsten Inneren. Die ewige

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