Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Autor: Wolfgang Stock Seite 5 von 59

So hoffnungslos ist die ‚verlorene Generation‘ in Ernest Hemingways ‚Fiesta‘

Ernest Hemingway
Fiesta
Fiesta von Ernest Hemingway. So heißt der Roman in Europa. The Sun Also Rises lautet der Titel im amerikanischen Original aus dem Jahr 1926.

„Alle benehmen sich schlecht“, sagte ich. „Wenn man ihnen die Möglichkeit gibt.“ Und Gelegenheit gibt es reichlich nach dem schrecklichen Ersten Weltkrieg. Eigentlich sollten Zuversicht und Aufbruch herrschen. Die zerstörten Länder müssen wieder aufgebaut werden und das Zusammenleben neu auf den Weg gebracht werden. Stattdessen Zerfall, Defätismus und allerorts eine wabernde Untergangsstimmung. Der Erste Weltkrieg führt zum Einschnitt in der Menschheitsgeschichte.

Die guten traditionellen Werte sind weg. Übrig bleibt eine bedrückte, gottverlassene und verlorene Generation. Du bist heimatlos. Du hast die Bodenhaftung verloren. Du bist unecht. Falsche europäische Vorbilder haben dich kaputtgemacht. Du säufst dich zu Tode. Du bist vom Sex besessen. Statt zu arbeiten, redest du immer nur. Du bist heimatlos.

Als Verlorene Generation wird literaturhistorisch eine Gruppe US-amerikanischer Schriftsteller bezeichnet, die während des Ersten Weltkriegs aufwächst, und in den 1920er Jahren in Paris als Auslands-Amerikaner leben. Die Aussage You are a lost generation geht zurück auf Gertrude Stein. Die einflussreiche Mäzenin aus Pittsburgh subsumiert darunter all die Orientierungslosigkeit und all den Zynismus ihrer Zeitgenossen, hervorgerufen durch den Zivilisationsbruch in den Jahren von 1914 bis 1918.

Ein Jahrhundert der Katastrophen mit zwei Weltkriegen, Bürgerkriegen und Wirtschaftsdepressionen ist eingeläutet. Die Aufgabe der Verlorenen Generation wäre eigentlich gewesen, nach vorne zu blicken und ein neues Wertesystem aufzubauen. Doch fehlt dieser kleinmütigen Generation die Kraft dazu. In seinem grandiosen Roman The Sun Also Rises fängt Ernest Hemingway 1926 die gallige Stimmung der Verlorenen Generation – am Beispiel von Expats in Paris und Pamplona – treffend ein.

– Ist das nicht schrecklich? Es hat überhaupt keinen Sinn, dir zu sagen,            dass ich dich liebe.
– Du weißt, dass ich dich liebe.
– Lassen wir das. Reden bringt nichts.

Ernest Hemingway, der selber sieben Jahre in Europa gelebt hat und sich innerhalb dieser Kreise getummelt hat, vermag messerscharf zu beobachten und in seinen Dialogen die ätzende Stimmung jener Tage auf den Punkt wiederzugeben.

Fiesta kommt leicht daher als grandioses Epochen-Porträt zwischen zwei schlimmen Kriegen, als Blick auf eine Verlorenheit, die mit Alkohol, Sex und Oberflächlichkeiten weggetrunken werden möchte. Ein offener Türspalt ins Fegefeuer, in die Vorstufe zur Hölle. Immer dicht an der Apokalypse vorbei schrammend.

– Was bedeutet das für deine Werte?
– Auch das hat seinen Platz in meinen Werten.
– Du hast gar keine Werte. Du bist tot, sonst gar nichts.

Genau hier liegt das Problem. Alle Werte sind perdu. Vor allem durch diesen schlimmen Krieg. Alle Kriege sind schlimm, aber dieser war besonders schlimm, weil er so nutzlos gewesen ist. Beim Spanischen Bürgerkrieg oder dem Zweiten Weltkrieg ist klar, worum es geht. Doch in dem Ersten Weltkrieg sind die Rollen fließend verteilt, ein Stück weit ist man in ihn hineingeschlittert. Ein Krieg der Schlafwandler, wie ein britischer Historiker treffend umschrieben hat.

Am Ende des Krieges stehen alle als Verlierer da. Deutschland mit Elend, Hyperinflation und einer noch größeren Katastrophe vor Augen. Aber auch der Gewinner, die USA, mit einem freudlosen Jahrzehnt, das 1929 in der Weltwirtschaftskrise münden wird.

Das Schöne an The Sun Also Rises ist, dass Ernest Hemingway nicht

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Im Zweiten Weltkrieg fehlen Ernest Hemingway die Worte


Im US-amerikanischen Magazin Collier’s vom 18. November 1944 veröffentlicht Ernest Hemingway über vier großformatige Seiten eine Reportage aus dem Krieg.

Anfang September 1944 sitzt der Schriftsteller in Paris auf gepackten Koffern. Er kann es nicht mehr erwarten, denn zum ersten Mal geht es für Ernest Hemingway an die Front des Zweiten Weltkriegs. Von der französischen Hauptstadt steuert er über Belgien in Richtung deutsche Westgrenze. Ziel der Alliierten ist es dort, die Siegfried-Linie aufzubrechen, jenen Wall von Holland bis zur Schweiz mit seinen Bunkern, Stollen und Panzersperren. Erst dann können die Amerikaner bis zur strategisch wichtigen Rheingrenze vorstoßen.

Die Infanterie durchbrach die Siegfried-Linie. Sie knackte sie an einem kalten, regnerischen Morgen, als nicht einmal die Krähen flogen, geschweige denn die Luftwaffe. Zwei Tage zuvor, am letzten Tag vor dem Einbruch des Schlechtwetters, waren wir am Ziel des Rattenrennens angelangt. Es war eine schöne Rattenjagd von Paris bis nach Le Cateau, mit erbitterten Kämpfen bei Landrecies, die nur wenige gesehen haben und an die sich noch weniger erinnern können. Dann waren die Pässe des Ardennenwaldes bezwungen worden, in einer Landschaft, die den Illustrationen zu Grimms Märchen glich, nur viel grimmiger.

Ernest Hemingway schlägt sein Quartier zunächst nicht hinter der Frontlinie im Hürtgenwald auf, sondern weiter südlich, mitten in der Schnee-Eifel, in kleinen Ortschaften wie Schweiler und Buchet. Die vorrückende US-Army nimmt Dorf für Dorf ein, sie ist den deutschen Truppen materiell und personell überlegen, doch aufgrund des unebenen Geländes geht es nur langsam voran. Der Widerstand der Wehrmacht ist in der ländlichen Eifel heftig, der Diktator hat ein Halten der Linien bis zum letzten Mann befohlen.

Als Kriegsberichterstatter für das Wochenmagazin Collier’s begleitet Hemingway den Vormarsch der Fourth Infantry Division’s 22nd Regiment im Gebiet der belgisch-deutschen Grenze. Der Autor bewegt sich hinter der Kampflinie, auf  luxemburgischem Territorium, in der Schnee-Eifel und schließlich weiter nördlich in der Nähe von Aachen. Der prominente Schriftsteller schließt sich meist den Truppen von Colonel Charles Lanham an, den alle Freunde Buck nennen. Bis Ende 1944 sollte Hemingway mehrmals zwischen Paris und den Frontabschnitten pendeln, im November und Dezember kommt er auf insgesamt 18 Einsatztage.

Ernest Hemingway Collier's

WAR IN THE SIEGFRIED LINE heißt Ernest Hemingways Reportage von der Front des Zweiten Weltkriegs in Collier’s. BY RADIO VIA PARIS.

Im Winter 1944 gelangen die amerikanischen Bodentruppen an den Hürtgenwald im Süden zwischen Aachen und Düren, wo ihr Vormarsch zum Stehen kommt. Das zerklüftete Gebiet erlebt von Oktober 1944 bis Februar 1945 blutige Gemetzel mit hohen Verlusten auf beiden Seiten. Das unebene Gelände mit den dichten Waldungen ist militärisch schwer zu nehmen, die Kämpfe, Mann gegen Mann, sind an Grausamkeit kaum zu überbieten. Ernest Hemingway hätte also einiges zu berichten in die Heimat.

Die Ansätze sind da, wie eine mehrseitige Reportage für die Collier’s-Ausgabe vom 18. November 1944 unter Beweis stellt. Zunächst skizziert Ernest Hemingways Prosa – wie so häufig – ein Landschafts-Panorama aus Bergen, Wäldern und Bächen. Der kleine Mensch in der großen Natur. Das Naturreich begrenzt als Rahmen das gewaltige Gemälde, der winzige Mensch irrt kopflos in der Pracht der Schöpfung umher. Das kann Ernest sehr gut, wie immer, es ist gekonnt.

Wir befanden uns auf einer Anhöhe, außerhalb des Waldes, und all die sanften Hügel und Wälder, die wir vor uns sahen, waren Deutschland. Aus dem Tal eines Baches unter uns ertönte ein schweres, vertrautes Dröhnen, als die Brücke gesprengt wurde. Und hinter der schwarzen Rauch- und Trümmerwolke, die aufstieg, sah man zwei feindliche Halbkettenfahrzeuge, die die weiße Straße hinauffuhren, die in die deutschen Berge führte.

Doch urplötzlich fällt seine Reportage in ein Loch. Ernest Hemingway hört auf,

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Wenn das Schicksal es gut meint: Gregorio Fuentes trifft auf Ernest Hemingway

Über zwei Jahrzehnte der Kapitän von Hemingways Boot Pilar und ein guter Freund: Gregorio Fuentes, in Cojímar auf Kuba. Foto: W. Stock, im April 1983.

Gregorio Fuentes wird am 11. Juli 1897 in Arrecife auf Lanzarote geboren, auf den Kanarischen Inseln. Er wächst in der kanarischen Gemeinde von Casablanca auf, sein Berufsweg als Seemann ist vorherbestimmt. Es ist der Broterwerb seines Vaters, die Familie ist nicht gerade begütert. In der Mehrzahl mittellose Seeleute, hält man sich mehr schlecht als recht über Wasser. Die Eltern denken ans Auswandern, man hofft auf die Güte des Schicksals.

Die Familie spart für ein Ticket nach Kuba. Die Eintrittskarte in das Glück, so glaubt man ringsherum. Als Gregorio Fuentes 1903, im Alter von fünf Jahren, mit seinem Vater ein Schiff besteigt, auf dem sein Vater arbeitet, kann er nicht ahnen, dass er als Waise von Bord gehen wird. Ein kleiner Bursche von sechs Jahren erreicht Havanna, ohne den Vater. Gregorio ist alleine in einer fremden Welt.  

Doch Kuba meint es gut mit dem jungen Einwanderer. Verwandte nehmen sich seiner an, er besucht die Grundschule und ergreift den Beruf eines Fischers. Von Anfang an arbeitet Gregorio hart für sein kleines Glück. Nach einigen Jahren hat er so viel angespart, dass er seine Familie in Spanien besuchen kann. Bei diesem Aufenthalt in der Heimat lernt er seine Cousine Dolores kennen, die er heiratet und die sieben Jahrzehnte die Frau an seiner Seite bleiben wird.

Seinen Glückstag erlebt er im April 1939. Er lernt einen hochgewachsenen Schriftsteller aus Key West näher kennen. Ernest Hemingway ist mit seinem Boot Pilar von Florida aus im Golfstrom fischen, Kapitän ist Carlos Gutiérrez, Gregorio und José sind seine Helfer. Schon 1931 ist der Kubaner dem US-Amerikaner kurz über den Weg gelaufen, bei den Ausfahrten zu den Dry Tortugas, man kennt sich in dem Gewerbe. Ernest ist angetan von dem hageren Skipper, von seinen Kenntnissen des Meeres und wie er das Boot ordentlich und sauber hält.

Später wird dann Gregorio der Kapitän der Pilar. Weit mehr, er wird zu einem Freund Hemingways und zum Weggefährten des Autors. Zugleich ist er der Experte für alles, was mit dem Meer zu tun hat. Papa, rufen die Bewohner von Cojímar den stattlichen Gringo, der nun auf der Finca Vigía, nahe von Havanna, wohnt. Schnell wird Ernesto zu einer Vaterfigur für den Fischer, obwohl der Kubaner zwei Jahre älter ist.

Es wird ein abenteuerliches Leben, der Alltag von Papa und Gregorio. Fischefangen im Golf von Mexiko, die Malin-Jagd am Pazifik von Peru, sich gegen die Wirbelstürme im Herbst behaupten, Ausschau halten nach U-Booten der Nazis in den Gewässern der Karibik während des Zweiten Weltkriegs. Ernest und Gregorio, sie bilden eine Einheit. Der arme Waisenjunge aus Lanzarote und der gefeierte Schriftsteller aus Chicago.

Und der Nobelpreisträger setzt seinem kubanischen Freund literarische Denkmale. Unsterblich wird Gregorio durch die Figur des Antonio in der Erzählung Inseln im Strom. Und in dem fabelhaften Zeitschriften-Artikel The Great Blue River lässt Ernest seinen Gregorio, als ein kapitaler Fisch an der Leine zappelt, in dessen breitem kubanischen Akzent brüllen: Feesh, Papa, feesh.

Es ist wie eine Blutsbrüderschaft, zwei ganz unterschiedliche Lebenswelten finden zueinander. Hier der

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Die Freundschaft von Ernest Hemingway mit Bola de Nieve

Bola de Nieve singt live Be Careful, It’s My Heart im Hotel Internacional de Varadero auf Kuba, im November 1970. Das Lied komponierte Irving Berlin 1942 für den Bing Crosby-Film Holiday Inn.

Die Freundschaft von Ernest Hemingway mit dem kubanischen Musiker Bola de Nieve verrät einiges über den Wertekanon des Schriftstellers aus Chicago. Bola de Nieve, der eigentlich Ignacio Jacinto Villa Fernández heißt, ist ein auf der Insel bekannter Komponist, Pianist und Sänger. Er wird 1911 in Guanabacoa, im Osten von Havanna geboren. Den Spitznamen Bola de Nieve (Schneeball) verdankt er der Sängerin Rita Montaner, in Anspielung auf seine Körperfülle und ironisierend auf sein pechschwarzes Aussehen.

Mit Rita Montaner feiert Bola de Nieve in den 1930er Jahren erste Erfolge in Mexiko. Auf Kuba arbeitet er mit den Großen seines Landes zusammen, so mit  Ernesto Lecuona. In den USA sieht man ihn an der Seite von Teddy Wilson, Nat King Cole und Lena Horne. Nach der Revolution Fidel Castros im Januar 1959 geht er nicht ins Ausland, wie so viele Kollegen, sondern bleibt im Land, er sympathisiert mit dem Umsturz der Bärtigen.

Als Künstler ist er eine Ausnahmeerscheinung. Sein Auftreten gleicht einem heiteren Schauspiel am Piano. Bola de Nieve ist ein Entertainer an den Tasten, er singt Boleros, aber auch Ohrwürmer aus aller Herren Länder. Von Lima bis Buenos Aires, Villa Fernández wird in ganz Lateinamerika bejubelt. Selbst in Europa tritt er auf. Neben Spanisch knödelt er sich auf Englisch, Französisch, Italienisch, Katalanisch und Portugiesisch durch die Songs. 

Der beleibte Kubaner verfügt über eine markante Stimme, einen kräftigen Anschlag der Tastatur, über ein sicheres Rhythmusgefühl und ein gutes Timing. Bola de Nieve hat sich mit der Musik verheiratet und lebt mit ihr in einer Innigkeit voller Klaviertöne und Glockenklang, indem er den Reichtum des Himmels über seinen Kopf ausschüttet, freut sich der chilenische Dichter Pablo Neruda.

Sicherlich zählt er zu den Großen der lateinamerikanischen Musik. Bola de Nieve ist ein Wegbereiter des Afro-Cuban Jazz, Jahre bevor kubanische Migranten wie Machito und Mario Bauzá in New York afrikanische, karibische und europäische Traditionen zusammenführen. Mit Haut und Haaren geht Bola auf in seiner Kunst. Yo soy la canción; yo no canto canciones, ni las interpreto. Yo soy. So sieht er sich und sein Handwerk. Ich bin das Lied. Ich singe nicht, ich interpretiere nichts. Ich bin es

Ernest Hemingway besitzt viele kubanische Freunde auf der Insel, auf der er 21 Jahre gewohnt hat. Bola de Nieve gehört dazu. Der Schriftsteller aus den USA macht keinen Hehl daraus, wie sehr ihn die tropische Lebensweise prägt. Das Klima, die Küche, die Seelenruhe, die Musik. Im August 1956 feiert er im Biergarten der Cervecería Modelo in Cotorro, einem Vorort von Havanna, seine Verleihung des Nobelpreises. Es erscheinen zweihundert Gäste. Der Journalist Fernando Campoamor, der Bildhauer Juan José Sicre,  der Boxer Kid Tunero. Und Bola de Nieve. Man lässt den Nobelautor am laufenden Band hochleben, und es wird feuchtfröhlich einen draufgemacht.

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Ernest Hemingway feiert 1956 ausgelassen mit kubanischen Freunden. Rechts stehend im Foto: Bola de Nieve.

Seine Freundschaften pflegt der Schriftsteller, sie sind Ernest Hemingway wichtig. Meist sind es Kubaner oder Exil-Spanier, die zu seinem engen Bekanntenkreis zählen. Zu den eigenen Landsleuten hält er lieber Abstand. Bola de Nieve gehört nicht zum harten Freundeskern, doch man sieht sich und mag sich. Einmal besucht Bola de Nieve den berühmten Erzähler auf seiner Farm Finca Vigía in San Francisco de Paula, die für den US-Autor ein Ausweis tropischer Lebensfreude ist.

Die 1950er und 1960er Jahre sind keine einfache Zeit für

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Eine Million ist schnell ausgegeben – wie Ernest Hemingway die Hyperinflation in Deutschland erlebt

Für sieben Dollar ins Luxus-Hotel: Ernest Hemingway lässt es sich gutgehen im Frankfurter Hof, im Frühjahr 1923. Photo: Andreas Praefcke, Creative Commons.

Zu Anfang seines Besuches in Deutschland lässt Ernest Hemingway es richtig krachen. Er schreibt sich in das beste Haus am Platz ein, in den Frankfurter Hof. Das Einzelzimmer in dem Luxus-Hotel kostet 51.000 Mark pro Nacht. Doch dies ist nicht der Endpreis. Auf dem Zimmer hängt eine Übersicht mit den zusätzlichen Gebühren. Zunächst einmal 40 Prozent Kommunalsteuern, dann 20 Prozent für den Service, dann 8.000 Mark für Heizung. (..) Ich blieb diese eine Nacht und den halben folgenden Tag. Die Rechnung betrug 145.000 Mark.

Als Reporter des Toronto Star ist der Amerikaner Ende März 1923 für zehn Tage nach Deutschland gekommen. Über seine Reise wird der junge Journalist in seiner Zeitung zehn launige Depeschen veröffentlichen. Das Land, das fünf Jahre zuvor einen furchtbaren Krieg verloren hat, leidet unter Reparationsforderungen, Wirtschaftskrisen und einer Hyperinflation. Eine Million Mark ist schnell ausgegeben, so lautet Hemingways Artikel, der am 5. Mai 1923 in der kanadischen Tageszeitung abgedruckt wird.

In Hemingways Artikel erfährt man, dass die Entlohnung eines Gymnasiallehrers bei 200.000 Mark im Monat liegt, damit gehört er zu den Glücklichen in der Weimarer Republik. Scheinbar ein gutes Gehalt. Doch was kriegt man für das Geld? Ein Ei kostet 4.000 Mark. Ein Hemd kostet 85.000 Mark. Weit kommt der Schulmeister mit seinem Salär nicht, es entspricht gerade einmal 10 Dollar. Anderen geht es richtig dreckig. 

Der Korrespondent berichtet von einem Hotelbesitzer, der eine gute Saison hinter sich hat. Sämtliche Zimmer sind ausgebucht gewesen, es ist das beste Jahr seiner Geschichte. Doch dann nimmt das Unglück seinen Lauf. Im Oktober begann die Mark zu fallen, und im Dezember reichte das Geld, das wir im Sommer eingenommen hatten, nicht einmal mehr aus, um für die nächste Saison Marmelade und Gelee einzukaufen.

So wie es Verlierer gibt, so gibt es auch Gewinner. Der 23-jährige Journalist aus Chicago zählt sie auf. Exporteure von Rohstoffen zum Beispiel, die ihre Ware für Dollars ins Ausland verkaufen und ihre Arbeiter in Mark bezahlen. Oder Bauern, eh schon Selbstversorger, die darüber hinaus hohe Preise für die Nahrungsmittel verlangen können. Auch Menschen, die Kapital in der Schweiz gebunkert haben, sind fein raus. Und die Banken. Banken sind immer reich. Die Banken sind wie die Regierung. Sie bekommen gutes Geld für schlechtes und sitzen auf dem guten Geld.

Der alleinige Verursacher von Hyperinflation jedoch ist der Staat. Mit dem dauerhaften Anwerfen der Notenpresse vermehrt er den ungedeckten Geldumlauf. Jede Inflation führt zum Ausweichen in Sachwerte und zur Kapitalflucht. Durch die Unsicherheit und wegen des Vertrauensverlustes bleiben

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Der schönste Hemingway-Satz: Paris lohnt immer

Ernest Hemingway Paris
Paris geht niemals zu Ende, und die Erinnerung an jeden einzelnen Menschen, der dort gelebt hat, unterscheidet sich von der an jeden anderen. Wir sind immer dorthin zurückgekehrt, egal, wer wir waren oder wie es sich verändert hatte oder unter welchen Schwierigkeiten oder mit welcher Bequemlichkeit es zu erreichen war. Es hat sich immer gelohnt, und wir bekamen immer etwas zurück für das, was wir mitgebracht hatten.
Ernest Hemingway: Paris – Ein Fest fürs Leben.

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10 Tatsachen über Ernest Hemingway, die Sie überraschen werden

10. Ernest Hemingway ist wohl der meist fotografierte Autor der Welt.
Als extrovertierter Mensch öffnet Ernest Hemingway seine Tür. Die besten Fotografen aller Zeiten haben ihn abgelichtet. Um nur einige zu nennen: Man Ray, Robert Capa, Yousuf Karsh, Paul Radkai, John Bryson, Alfred Eisenstaedt. Manche mit sensationellen Portraits.
« von 10 »

Der fortwährende weltumspannende Radau um seine Person zeigt: Ernest Hemingway lebt. Obwohl er doch schon so lange tot ist. Wahrscheinlich ist dieser Mann deshalb nicht kaputtzukriegen, weil er nicht nur wie ein Titan schreibt, sondern weil er zudem ein ziemlich buntes Leben vorzuweisen hat. Seine Person und sein Tun kann man von seinem Werk nicht trennen. Er lebt wie eine seiner Romanfiguren und er stirbt auch so. 

Er hat seinen Standpunkt in aller Deutlichkeit in Der alte Mann und das Meer niedergeschrieben, und sein Ratschlag wird sogar auf T-Shirts und Kaffeetassen gedruckt. „Aber der Mensch darf nicht aufgeben“, sagte er. „Ein Mann kann vernichtet werden, aber nicht besiegt.“ So lautet seine wesentliche Botschaft an alle Menschen, die gegen die Widrigkeiten des Lebens kämpfen. A man can be destroyed but not defeated. Auch er wird kämpfen, solange noch Hoffnung da ist. 

Warum hat dieser Nobelpreisträger von 1954 solch tiefe Spuren hinterlassen, während man sich an die Namen anderer Nobelkollegen jener Jahre kaum mehr erinnern kann? Selbst Leute, die sonst keine Leseratten sind, kennen und schätzen ihn, erliegen der Faszination seiner Stories und seines Lebens. Dieser Schriftsteller ist fasziniert vom Menschen und die Menschen von ihm.

Das macht den Unterschied zu anderen aus, auch mit seiner Lebensgeschichte hat uns dieser Erzähler gepackt. Es macht ihn einzigartig unter allen Kollegen, Ernest Hemingway belässt es nicht beim Erzählen. Er schreibt nicht nur über das Auf und Ab des Lebens in seinen Büchern, sondern er stellt dem geneigten Publikum die Zerrissenheit der menschlichen Existenz unter Entblössung der eigenen Biografie ins Schaufenster des Weltpublikums.

Wenn man diesem Schriftsteller an den Fersen klebt, dann bekommt man über die Jahre überaus Kurioses zu Gesicht. Wanduhren, Kaffeebecher, Spazierstöcke, Sonnenbrillen, Seife, Rum-Sorten und Schnaps-Variationen, wo der Name Hemingway draufsteht. Auch wenn der Rummel um den Meister

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Ernest Hemingway mag den Pisco-Schnaps aus Peru

Ernest Hemingway mit einer Flasche Pisco, einem Geschenk der peruanischen Zeitungsjournalisten Manuel Jesús Orbegozo (links), Jorge Donayre (rechts) und Mario Saavedra. Foto: Mario Saavedra.

Im April und Mai 1956 weilt Ernest Hemingway mit Miss Mary und ein paar Freunden in Peru, am Pazifik im Norden, fast an der Grenze zu Ecuador. In dem kleinen Fischerdorf Cabo Blanco werden über fünf Wochen die Meeresszenen für den Hollywood-Film Der alte Mann und das Meer gedreht. Der berühmte Schriftsteller, seit zwei Jahren mit den Meriten des Nobelpreises geehrt, logiert im feinen Cabo Blanco Fishing Club.

Auf der Klubterrasse fangen Manuel Jesús Orbegozo und Jorge Donayre Belaúnde, den die Kollegen El Cumpa nennen, Ernest Hemingway ab. Sie haben sich in aller Früh aus Talara in den Fishing Club aufgemacht, wo sie nun zusammen mit Mario Saavedra auf den Nobelpreisträger treffen. Mit einem Geschenk wollen die drei peruanischen Journalisten dem Schriftsteller für seine Offenheit und die Kollegialität danken und ihm Glück für seine Angeltouren wünschen. 

Bei dieser Gelegenheit schenken die Reporter aus Lima dem Amerikaner eine Flasche Pisco Vargas, die El Cumpa in Talara gekauft hat. Oh, Piscou!, freut sich ein vergnügter Ernest Hemingway. Auf das Etikett hat Manuel Jesús Orbegozo einen populären Vers des peruanischen Dichters Domingo Martínez Luján geschrieben:

Mientras lloren las uvas,
yo beberé sus lagrimas.

Solange die Trauben weinen, 
werde ich ihre Tränen trinken. 

In die Ecke des Etiketts hat Jorge Donayre einen Schwertfisch gemalt und als Widmung ein wenig großspurig ergänzt: A Ernest Hemingway, de sus novatos colegas y admiradores peruanos. Für Ernest Hemingway, von seinen Neulings-Kollegen und peruanischen Bewunderern. Und alle drei haben darunter ihre Unterschrift gesetzt.

Der Schriftsteller, etwas überrascht am frühen Morgen, nimmt die Flasche mit dem Traubenschnaps in seine Hand, dreht sie und betrachtet neugierig die Widmung. Und anschließend meint er zu den Journalisten gewandt: Ich werde Eure Tränen trinken und die Flasche aufheben. 

Ausgelassen gibt Ernest Hemingway dem Reporter Mario Saavedra einen freundschaftlichen Boxhieb auf den Brustkorb und lässt sich mit Pisco und den Redakteuren ablichten. Dann steckt er die Schnapsflasche in den Bastkorb mit den Vorräten und macht sich auf in Richtung Hafen zu den Booten.

Nach einer erfolglosen Ausfahrt an diesem Tag und Ärger mit einem Gaffer-Boot hat der Schriftsteller sich im Klubhaus

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Sauerkraut im Atem – Ernest Hemingway über Deutsche und andere merkwürdige Zeitgenossen

Ernest Hemingway
Deutschland
Ernest Hemingway: Reportagen 1920 bis 1924. Rowohlt Verlag, 380 Seiten, Übersetzt von Werner Schmitz.

Von Dezember 1921 bis März 1928 lebt Ernest Hemingway mit Ehefrau Hadley in Paris. Seinen Lebensunterhalt bestreitet der Jungvermählte mit journalistischen Artikeln, er hat einen freien Vertrag mit der kanadischen Zeitung Toronto Star, bei der er als Europa-Korrespondent firmiert. Von Paris aus bereist der junge Pressevertreter den Kontinent, besonders oft sieht man ihn in Italien, in der Türkei, der Schweiz, Spanien und in Deutschland.

Über 80 Berichterstattungen aus jener Zeit sind in dem Band Reportagen 1920 – 1924 gesammelt. Seine frühen Reportagen sind ein faszinierender wie vergnüglicher Lesestoff, zumal in Paris die Weichen gestellt werden für seine Zukunft. Als Persönlichkeit und als Schreiber. Man darf nicht vergessen, Journalismus hat Hemingway weder studiert (wenn dies überhaupt möglich ist), noch von der Pike auf praktisch gelernt. Er hat ein paar nette Sachen geschrieben in der Schülerzeitung von Oak Park, dazu ein kurzes Intermezzo beim Kansas City Star als Polizeireporter. Dann ruft das Abenteuer: 22 Jahre jung, geht er nach Übersee, nach Paris.

Dort schreibt er viel aus und über Europa. Für einen Deutschen sind natürlich Hemingways Schilderungen aus Deutschland interessant. Der Mann aus Chicago hat sein Bild von den Teutonen, die acht Jahre zuvor mit Hurra in einen Krieg gezogen sind, und diesen vor gerade einmal vier Jahren verloren haben. Große Sympathie darf man da nicht erwarten, zumal die USA auf der anderen Seite der Front im Schützengraben lagen. Auch in Person eines 18-jährigen Sanitätsfahrers namens Ernest Hemingway.

Und so wundert es wenig, dass der US-Amerikaner sich fleißig an den Stereotypen über die Germanen abarbeitet. Wie sahen Mütter, die ihren rosigwangigen Kindern Bier aus großen Halbliterkrügen zu trinken gaben. Aha! Ob er es wirklich so gesehen hat, oder ob es im Nationalcharakter der Deutschen liegt, ihre Kinder mit Bier abzufüllen, das sei mal dahingestellt. Auf jeden Fall lesen sich Ernest Hemingways Eindrücke aus Süddeutschland – nun ja – ein wenig drollig.

Klamaukig gerät auch die Schilderung, wie Hemingway in Triberg von den Bürokraten in den Amtsstuben ein Angelschein verwehrt wird. Und er sich trotzdem auf den Weg macht zu seinem Forellenbach im Schwarzwald. Wir stellten fest, dass man selbst auf einem der wilderen und abgelegeneren Wege keine zwanzig Schritte gehen konnte, ohne auf sechs bis acht Deutsche zu stoßen, die mit rasierten Schädeln, nackten Knien, Hahnenfedern am Hut, Sauerkraut im Atem, Wanderlust im Blick und einer gegen ihre Beine klappernden Sammlung von Aluminiumgeschirr des Weges zogen. 

Wie auch immer, die Leserin und der Leser merken, dieser Schreiber pflegt mit Nachdruck seine Vorurteile. Männchen speist als erster, Weibchen kriegt die Krümel! heißt eine andere Reportage über eine Zugfahrt von Frankfurt nach Köln. Es geht gegen deutsche Ehemänner, die sich wenig galant zeigen gegenüber ihren Ehefrauen. Es ist so oft wie bei einer Reportage von ihm. Die Hälfte mag stimmen, die andere Hälfte ist zumindest genial geschrieben. Das Publikum daheim wird es mit Heiterkeit gelesen haben. 

Diese frühen Kabinettstückchen aus Deutschland für den Toronto Star, allesamt aus dem Jahr 1922, sind in anderer Hinsicht aufschlußreich. Denn sie verraten, wie der damals 23-jährige Ernest Hemingway als Schreiber funktioniert. Der junge Journalist besitzt eine

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Ernest Hemingway: Anmerkungen über den nächsten Krieg

Im September 1935 veröffentlicht Ernest Hemingway in Esquire einen langen Artikel gegen den Krieg: Notes on the Next War.

Ernest Hemingway – ein Bellizist? Ein Anhänger und Befürworter des Krieges? Solch dicke Klischees finden sich zuhauf in den Abhandlungen über den Nobelpreisträger von 1954. Ist der Mann vom Michigan See allen Ernstes ein Kriegsjubler?

Allein sein Kriegsbuch In einem andern Land aus dem Jahr 1929 ist in Wirklichkeit ein Anti-Kriegsbuch. A Farewell To Arms heißt es im Original, in dem Hemingway seine Erlebnisse im Ersten Weltkrieg verarbeitet. Und genau aus diesem Grund haben die Nazis den Roman bei der Bücherverbrennung im Mai 1933 in die Flammen geworfen.

Wenn man gründlich durch das umfangreiche Werk des Ernest Hemingway stöbert, fällt dem Leser so manches Glanzstück in die Hände. So ein langer Artikel  im US-Monatsmagazin Esquire aus dem September 1935. Notes on the Next War, heißt der Aufsatz. Anmerkungen zum nächsten Krieg. Es ist ein bislang wenig beachteter Essay des Schriftstellers. Und – obwohl der Text bald 90 Jahre alt wird – bleibt dies ein Werk von beklemmender Aktualität. 

Kriege werden nicht mehr aus wirtschaftlichen Interessen geführt, falls überhaupt, obwohl dies eine einfache Erklärung dafür ist. Vielmehr werden heute Kriege allein von Männern, Demagogen und Diktatoren geplant oder angezettelt, die mit dem Patriotismus ihres Volkes schamlos Schindluder treiben. Mit dem Ziel, die Menschen auf den großen Irrweg des Krieges zu leiten, nachdem ihr sonstiges Regierungshandeln auf immer mehr Proteste gestoßen ist.

Ernest Hemingway, er hat zuvor sieben Jahre in Paris gelebt, kennt sich aus in Europa. Schurken gibt es genug. Francisco Franco, Benito Mussolini, Adolf Hitler. Dem Italiener Mussolini ist er persönlich begegnet, er hat ihn interviewt. Und die beiden anderen? Er wird sie über den Krieg kennenlernen. Der Mann aus Chicago wird aus der Nähe das Leid sehen, dass General Franco und Hitler über die Jahre anrichten werden. Zeit für romantische Verklärung bleibt da keine. 

Früher hieß es, es sei süß und ehrenvoll, für sein Vaterland zu sterben. Aber der moderne Krieg ist weder schön noch voller Ehre, schon gar nicht, um darin zu sterben. Im Gefecht verreckst du wie ein Hund, ohne vernünftigen Grund. 

Die klare und deutliche Sprache des Amerikaners lässt wenig Spielraum. Ernest Hemingway positioniert sich eindeutig gegen den Krieg. Der Krieg ist kein sportlicher Wettstreit, wie er als Jugendlicher vielleicht geglaubt hat, sondern ein

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