Das Portal zu Leben und Werk von Ernest Hemingway

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Ernest Hemingway im ‚Café de Flore‘ von Paris

Café de Flore Paris
Das Café de Flore steht für die Lebenslust in Paris. Irgendwie fühlt es sich an wie das Wunsch-Entree zum Himmelreich. Foto: W. Stock.

In Frankreich wird der junge Ernest Hemingway in einen Kontrastkosmos geschleudert. Das bigotte Vorstadt-Leben von Chicago hinter sich lassend, verwandelt sich der 22-jährige Amerikaner schon nach wenigen Tagen in Saint-Germain-des-Prés zum prächtigen Bonvivant. Der Korrespondent des Toronto Star genießt die aufregende Zeit als Reporter und die angenehmen Seiten als Flaneur. Alles geschieht mühelos, ohne eigenes Zutun, in Paris wird man wie von Zauberhand hineingeworfen in ein Paradies der Lebenslust.

Die Metropole an der Seine ist in den 1920er Jahren für einen Burschen, der in der calvinistischen Enge des amerikanischen Mittelwestens aufgewachsen ist, ein diesseitiger Vorgeschmack auf alle Sinnenfreuden. Während in der Heimat Wirtschaftskrisen, Mafia und Prohibition seit geraumer Zeit die gute Laune verderben, hocken die aus dem Land vertriebenen Intellektuellen in den Pariser Straßencafés und nippen an einem roten Cabernet Sauvignon.

Das Café de Flore befindet sich im quirligen 6. Arrondissement, im südlichen Rive Gauche, genau gegenüber von der Brasserie Lipp. Das Flore, 1887 gegründet, ist eines der ältesten Kaffeehäuser der Stadt. Seinen Namen verdankt es einer Skulptur der Blumen-Göttin Flora, die auf der anderen Straßenseite stand. Im Flore hielt Jean-Paul Sartre im Oktober 1964 eine Pressekonferenz ab, in der er die Verleihung des Literatur-Nobelpreises an ihn ausschlug.

Jeder Künstler, der etwas auf sich hält, ist hier gewesen. Simone de Beauvoir, Jean Cocteau, Boris Vian und Romain Gary. Auch Ernest Hemingway klebt in einer Vitrine am Treppenaufgang zum oberen Stockwerk. Neben einem Foto der Schauspielerin Simone Signoret. Die Liste der Stars und Sternchen ist lang. Für Karl Lagerfeld, der um die Ecke gewohnt hat, ist es ein zweites Wohnzimmer gewesen.

Das Café de Flore kommt daher wie ein Künstler-Café in reinster Form, mit bequemen Jugendstil-Sesseln, braun gepolsterten Sitzbänken und feinen Fin de Siècle-Deckenleuchten. Die Kellner tragen weiße Schürzen und schwarze Westen, dazu eine dunkle Fliege. Alles liegt in einem angenehmen Bereich. Das Ambiente, die Speisen, die Preise, die Bedienung. Alles schön und gut, es haut einen nicht unbedingt vom Hocker.

Der Café au lait, nun ja, guter Durchschnitt. Das Gebäck und der Kuchen liegen auf dem Niveau einer tüchtigen Dorfbäckerei. Alles nicht unbedingt im Mittelmaß, zugleich aber keine Sternstunde. Speise und Trank kann also die Reputation dieser Lokalität nicht ausmachen. Es muss mehr dahinter stecken. Und so ist es. Das Café de Flore wird umweht von einem Geheimnis.

Denn dieser Schauplatz ist weit mehr als eine Örtlichkeit fürs Trinken und Essen. Es ist ebenso eine Wirkungsstätte zum in sich kehren, zum Kraft tanken, ein Ort, um sich der Freunde zu versichern. Wir betreten am Boulevard Saint-Germain Nummer 172 ein Basislager des suchenden Menschen, einen Sehnsuchtsort, um unsere Mitte und den Frieden zu finden, und die Rolle im kleinen Leben.

Café de Flore
Paris
Selbst der Gang auf die Toilette wird im Café de Flore mit Kunsthandwerk aus dem Jugendstil gefördert. Foto: W. Stock.

Irgendwie kommt einem dieses Kaffeehaus vor wie ein heiliger Ort. Wie eine Stätte, die Zuflucht gewährt, die Zuversicht und Inspiration ausstrahlt. Im Grunde ist das Café de Flore ein sakraler Tempel wie die Kirchen und Kapellen in seiner Heimat. Schutzort und notwendiger Stützpunkt in stürmischen Zeiten. Unantastbare Plätze. Viele dieser Lokalitäten in Saint-Germain-des-Prés sehen deshalb heute noch so aus wie damals.

Dieses Kaffeehaus steht – pars pro toto – für die Stadt, die es beherbergt. Das Café de Flore dient als Synonym für Paris. Doch wie so oft bei Ernest Hemingway, man  muss einen zusätzlichen Schritt wagen, denn er sagt es nicht frei heraus. Eine Bar wie diese steht für Lebensfreude und Erleuchtung. Im Grunde genommen postieren die Gaststätten sich als

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Gertrude Stein – die kluge Lehrmeisterin des Ernest Hemingway

Gertrude Stein
Er solle sich mit dem Aufregenden befassen, das er in Europa vorfinde. Pamplona, da gäbe es alljährlich ein Spektakel rund um Leben und Tod. Ernest beherzigt den Ratschlag der Gertrude Stein. Und so nimmt die Literaturgeschichte ihren Lauf.

Am 8. Februar 1922 besuchen Ernest Hemingway und seine Frau Hadley zum ersten Mal die amerikanische Schriftstellerin Gertrude Stein, es ist eine Einladung zum Nachmittagstee. Die wohlhabende Kunstsammlerin und einflussreiche Mäzenin wohnt in Paris zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Alice Toklas in einem feudalen Apartment in der Rue de Fleurus. Gertrude Stein ist zu jenem Zeitpunkt 48 Jahre alt, Ernest gerade einmal 22. Die resolute Frau nimmt schnell die Aufgabe einer Mentorin ein für den jungen Mann aus Oak Park.

Gertrude Stein ist eine Schriftstellerin von ungeheuerem Fleiß und mit Mut zur Veränderung. Sie veröffentlicht originelle Erzählungen und Bühnenwerke, auch der Umfang ihres Briefwechsels bleibt beachtlich. Mit ihrer experimentellen Erzählweise – wie in ihrem tausend Seiten dicken Hauptwerk The Making of Americans – setzt sie sich über die üblichen grammatikalischen Konventionen hinweg, verzichtet weitgehend auf Satzzeichen und baut endlose Variationen und Satzwiederholungen ein. Doch der kommerzielle Erfolg der risikofreudigen Autorin erreicht nicht den verdienten Ruhm. Ihr Einfluss auf die Vertreter der Lost Generation allerdings bleibt beachtlich, gleichermaßen wie ihre Rolle als Vorkämpferin feministischer Ideale.

Paris in den 1920er Jahren ist ein brodelnder Ideentopf. Auf einmal wird nicht mehr nur impressionistisch oder expressionistisch gemalt, sondern es elektrisieren Stilrevolutionen wie Kubismus, Surrealismus und Dadaismus. Künstler malen wirr und konfus, wie aus einem überdrehten Traum. Schriftsteller schreiben ohne Punkt und Komma, mancher Roman liest sich wie aus dem Tollhaus geworfen. All dies ist eine aufregende Welt für einen Arztsohn aus dem biederen Speckgürtel von Chicago.

Bei Frau Stein in Paris gehen die experimentierfreudigen Künstler jener Zeitepoche ein und aus. Die Maler Pablo Picasso, Henri Matisse, Juan Gris und Georges Braque, auch die Schriftsteller Ezra Pound, F. Scott Fitzgerald, Ford Madox Ford und James Joyce oder die Komponisten Darius Milhaud und Arthur Honegger. Zu ihnen gesellt sich ab Februar 1922 ein unbekannter Journalist namens Ernest Hemingway. Der hochgewachsene Korrespondent für die kanadische Tageszeitung Toronto Star fällt auf durch ein gesundes Selbstbewusstsein und höhere Ambition.

Die Mäzenin aus Pittsburgh ist eine Person von Einfluss und Erfahrung in den Pariser Künstlerkreisen, sie findet Gefallen an dem kernigen Kerl und fördert seine Begabung als Autor. Sie erkennt die innovative Qualität von Ernests Schreibweise auf den ersten Blick. Er könne vielleicht irgendeine neue Art von Schriftsteller werden, sagt sie. Doch mehr als einmal fällt der hemdsärmelige Amerikaner unangenehm auf in der soignierten Runde des literarischen Salons in der Rue de Fleurus 27.

Der junge Journalist redet in einem fort über Sex. „A man talking so much about sex“, meint Frau Stein pikiert, „must be either important or impotent.“ Wer so viel über Sex redet, der müsse entweder important oder impotent sein. Auch Hadley hat zu knabbern. Die bodenständige Mrs. Hemingway wird mit der lesbischen Künstlerin nicht so recht warm und fühlt sich in deren Gesellschaft unwohl. Sprachlos reagiert sie, als Gertrude Stein vorschlägt, Hadley solle ihr schönes langes Haar doch kurz schneiden lassen. 

Trotz manch Reibereien wird Gertrude Stein zu einer scharfsinnigen Lehrmeisterin für den angehenden Erzähler. Sie liest seine Entwürfe, korrigiert umsichtig, regt Verbesserungen an. Als sie das Manuskript Up in Michigan durcharbeitet, bezeichnet sie die Geschichte als unpublizierbar. Gertrude Stein hält vor allem Hemingways Schauplätze für passé, das meiste spielt sich in der nördlichen Seenlandschaft seiner ländlichen Heimatregion ab. Er möge doch nicht über Dinge schreiben, die keiner lesen will. Im gebeutelten Europa lägen die Themen doch auf der Strasse.

Klar und deutlich erkennt die lebenskluge Gertrude Stein das Potential von Ernest Hemingway als Romancier und als Schreiber von Kurzgeschichten. Einen Zeitungsreporter sieht sie in ihm nicht, verschwendetes Talent. Als der Mittzwanziger die nicht einfache Entscheidung treffen muss, mit dem Journalismus aufzuhören und seinen Korrespondentenvertrag zu kündigen, ermutigt sie ihn, ins Risiko zu gehen. Ihre literarischen Ratschläge sind für den Novizen noch wichtiger.

Zunächst sensibilisiert Gertrude Stein den jungen Autor für die Wichtigkeit der Wörter, sie erklärt ihm die Bedeutung von Wortwiederholungen, drängt ihn zu einer minimalistischen Erzählweise, Ernests lakonische Sätze zeigen ihren Einfluss. Der junge Journalist akzeptiert Gertrude Stein als seine Lehrmeisterin, es geht so weit, dass er ihre Angewohnheiten kopiert und beispielsweise seine Texte in einem blauen Notizbuch festhält, ganz wie sie. Ernest zeigt sich als ein aufmerksamer Zuhörer und eifriger Schüler.

Hemingway, der nie eine Hochschule besucht hat, lernt schnell. Ab 1924 ist er nicht mehr auf die Ratschläge der Frau Stein angewiesen. Seine Sicht der Dinge, seine Themenkreise und sein literarischer Stil beginnen sich zu festigen. Auch die Leser erkennen sein Talent. Sein erster großer Roman The Sun Also Rises – er spielt vorwiegend in Pamplona während der Sanfermines – schlägt 1926 ein wie eine Bombe. Ernests Art zu schreiben und seine Themen wirken unverbraucht und freiheraus.

Der Erste Weltkrieg hat die Menschen verändert. Die Kämpfe an der Front sind grausam gewesen. Ein solcher Zivilisationsbruch lässt eine lost generation zurück, der Begriff ist von Gertrude Stein geprägt. Er meint eine Generation, deren Werte und Zuversicht mit einem Schlag zerstört worden sind. Mit dem Naturburschen, der rund um den Lake Michigan aufgewachsen ist, kommt nun ein neuer Typus in die Welt der Literatur. Ernest Hemingway schwingt sich empor zur Stimme der belesenen Mittelschicht, dieses Mannsbild erstrahlt als Identifikationsfigur, auf die so viele gewartet haben. Endlich! Ein Erlöser, wenn man will, literarisch zumindest.

Privat vertieft sich die Freundschaft zunächst. Gertrude Stein und Alice Toklas werden Taufpatinnen von Sohn John, der im Oktober 1923 geboren wird und in Paris aufwächst. Liebevoll kümmert sich das lesbische Paar um den Sprössling der Hemingways, es geht mit dem Baby spazieren, besucht die Spielplätze und die Parks, wie den Jardin du Luxembourg, der bei der Rue de Fleurus um die Ecke liegt.

Die Freundschaft jedoch zerbricht nach wenigen Jahren, 1926 verkracht sich Ernest mit Gertrude, es sind

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Warum ‚Fiesta‘ ein Juwel der Weltliteratur ist

Fiesta
The Sun Also Rises
So kündigt der Verlag Charles Scribner’s Sons aus New York das Debüt seines Autors Ernest Hemingway für den 22. Oktober 1926 an. Es ist ein Freitag.

Es brauchte seine Zeit, bis ich mit diesem Roman so richtig warm wurde. Als ich das erste Mal Fiesta las, da fand ich die Erzählung lau, bisweilen gar langatmig. Bei der nochmaligen Lektüre, Jahre später, da erlebte ich das Sittengemälde aus den 1920ern durchaus anregend. Und wenn ich heute Ernest Hemingways Debüt zur Hand nehme, dann streckt es mich jedes Mal nieder.

Denn Fiesta – im amerikanischen Original heißt das Werk The Sun Also Rises – ist hohe Kunst. Es vergeht kein Wiederlesen, bei dem ich nicht neue Schmucksteine und Kleinode entdecke. Besonders, wenn es gelingt, sich in den historischen Kontext der Geschichte einzufühlen. Es geht um die taumelnde Zeit zwischen den beiden schrecklichen Weltkriegen.

Ernest Hemingways Fiesta fällt im Oktober 1926 in die Welt der Literatur ein wie einst die Jakobiner in die Paläste der Aristokratie. In der Sprache einfach und volksnah, in Botschaft und Wirkung brachial. Der Erste Weltkrieg hat auch die Kultur zerstört. Es braucht etwas Neues, von Tradition gespeist, ein Neustart mit frischen Werten und Idealen. Ebenso sollte das Themen-Panorama sich öffnen und weiten. Und so geht es in Fiesta um die durch den Krieg verlorenen Sicherheiten und um die Sinnsuche in Zeiten der Orientierungslosigkeit.

Allein der neuartige Stil der Erzählung gleicht einer Revolution: kühl, ohne Schnörkel, alles weit weg von jedem viktorianischen Erziehungs-Habitus. Das Geschehen wird vielmehr durch persönliches Erleben des Autors verbrieft, auch deshalb passt das Werk zum Autor. Es ist ein glaubwürdiger Blick durchs Schlüsselloch in die unbekannte Welt hinter den Bergen. Die geschwätzige Blümchen-Prosa der Vätergeneration à la Charles Dickens ist mit einem Schlag passé.

Wie geschickt Ernest Hemingway seine Erzähl-Perspektive anlegt, mag man zu Anfang des 12. Kapitels von Fiesta erkennen. Man liest schnell über diese Passage hinweg und bemerkt dadurch die Finesse des Textes nicht.

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So – scheinbar – harmlos fängt das Kapitel 12 von Fiesta an.

Ernesto nimmt uns mit in eine fremde Welt – das wann und wo verrät er hier nicht – und so müssen wir uns selber hineinfinden. Es ist die Zeit nach der Postkutsche und während des Aufkommens der Motorbusse. Wir befinden uns in einem Land am Fuße eines Gebirges, das Ambiente ist bäuerlich, der Ziegenbock springt umher. Der Protagonist steht auf und öffnet das Fenster seines Zimmers, so wie wir nun durch das geöffnete Fenster in die Handlung hinausgeworfen werden. Keine Gefühlsregung wird geäußert, wir müssen uns selber ein Reim auf das Ganze machen.

Unsere Stadt heißt Pamplona. In der nordspanischen Kleinstadt lässt der 27-jährige Hemingway seinen Erstling überwiegend spielen. Mit einem Mal werden die Sanfermines, bis dahin ein lokales Ereignis in einem weitgehend unbekannten Land, mit seinen Stieraufläufen, den Prozessionen und Tänzen ins Bewusstsein der Welt katapultieren. Um die blutige Fiesta herum entwirft der junge Novize ein Kaleidoskop menschlicher Irrungen und Wirrungen.

Die amerikanischen Protagonisten auf Entdeckungsreise in Pamplona lassen kein Laster aus: Abenteuer, Stierkampf, sexuelle Ausschweifungen und vor allem Alkohol. Fiesta ist ein grandioses Epochen-Porträt zwischen zwei schlimmen Kriegen, ein Blick auf die Verlorenheit, die mit viel Schnaps weggetrunken werden möchte. Themen wie Liebe, Sex, Männlichkeit, Exzess und die Suche nach der eigenen Rolle im Leben spielen in dem Roman eine zentrale Rolle.

Durch den Weltkrieg sind die zuversichtlichen Aufbruch-Werte der Belle Époque perdu. Denn die Schlacht ist abscheulich gewesen. Alle Kriege sind grauenhaft, aber dieser war es besonders, wegen seiner Sinnlosigkeit. Wer ist Gegner, wer der Freund? In der Katastrophe zwischen 1914 und 1918 sind die Rollen fließend verteilt, ein Stück ist man in das Inferno hineingeschlittert. Ein Krieg der Schlafwandler, wie es der australische Historiker Christopher Clark treffend umschrieben hat.

Am Ende des Krieges stehen alle als Verlierer da. Deutschland mit Hyperinflation, Reparationen und einer noch größeren Tragödie vor Augen. Aber auch der Gewinner, die USA, sehen einem düsteren Jahrzehnt entgegen, das 1929 in der Weltwirtschaftskrise detonieren wird. Prohibition, Wirtschaftsdepression und die aufkommende Mafia lassen die Zeiten auch in den USA trostlos erscheinen. Die Welt wird in den Abgrund gezogen, es ist eine leidvolle Dekade allerorten. 

Und so wird in The Sun Also Rises aka Fiesta nichts ausgelassen, was zwischen erwachsenen Menschen so passieren kann. Liebeleien, Seitensprünge, Obsessionen, Schlägereien, Saufgelage. Hemingway selbst umschreibt seinen Roman als eine verdammt traurige Geschichte, in der aufgezeigt wird, wie Menschen zugrunde gehen. Ich vermute, Ernesto will eigentlich eins draufsetzen und sagen, wie die ‚Menschheit‘ zugrunde gehen kann.

The Sun Also Rises

The Sun Also Rises heißt das Original. In Europa wird säkular der Titel Fiesta daraus.

Doch wo bleibt die Hoffnung? Der Autor, der in Paris lebt, deutet sie im biblischen Vor-Zitat gleich zu Beginn seines Buches an. Ein Motto des Predigers Salomo als Denkspruch, es wird zum Leitgedanken von Fiesta. Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt; die Erde aber bleibt ewiglich. Dieser Rabauke, der nichts auslässt im Leben, liegt in dieser Hinsicht goldrichtig: Eine Generation geht, eine andere kommt. Das Wesen von Blühen und Vergehen. Hier findet man Trost: Auch das Schlechte wird verblühen, so wie das Gute neu gedeiht.

Das Schöne an Hemingways The Sun Also Rises ist, dass er nicht nur die Orientierungslosigkeit und die Dekadenz des Zeitalters beschreibt, sondern zugleich auch einen Lösungsansatz andeutet. Das Hinauswagen auf unbekanntes Terrain, die Unerschrockenheit und die Entdeckerfreude, die Neugier auf eine neue Kultur. Sich das Andersartige und das Fremde anzuschauen. Andere Menschen und ihre Gepflogenheiten wertzuschätzen.

Und darüber hinaus – wo auch immer – die Stille der Natur zu suchen. Ernest beschreibt, wie er seine äußere und innere Ruhe findet in den Ausläufern der Pyrenäen, an den einsamen Bächen rund um das Kloster Roncesvalles. Durch den Kontrast zur lärmenden Fiesta unten im Pamplona geht der Blick nach oben, in die Berge, in die Ruhe und den Frieden. Möglicherweise ganz in der Höhe.

Abermals bestaunen wir den Zwiespalt, der für Hemingways Werk so typisch ist. Auf der einen Seite das desillusionierte Karussell von Laster und Eitelkeiten, das sich um Saufen, Stierkampf, Krieg und Tod dreht. Auf der anderen Seite die Vergötterung der Natur, die anmutigen Bäche in den Pyrenäen-Tälern, wo Jake Barnes, der Protagonist, angelt und Erdverbundenheit sucht.

The Sun Also Rises. Die Fiesta findet irgendwann ihr Ende. Das Blut des Spektakels ist noch

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Die Bars und Restaurants als Vorhalle zum Paradies

Café de Flore, Paris
Das Café de Flore. Das Basislager der Künstlerwelt in Paris. Foto: W. Stock, 2022.

Als Ernest Hemingway im Winter 1921 in Paris ankommt, da tritt er ein in eine für ihn fremde Welt. Aus Oak Park stammend, einem bigotten Vorort von Chicago, mit den Sonntagskonzerten, dem Kirchgang und dem biederen Alltagstrott, wird er aus dem Mittleren Westen der USA mit einem Mal hineingeschmissen in einen aufregenden Kosmos.

Eine solche Kultur rund um die Bars und Kaffeehäuser mag es in Paris und Wien geben, nicht jedoch im calvinistisch geprägten Chicago. Und schon gar nicht in den rechtschaffenen Vorstädten mit ihren hausbackenen Gepflogenheiten. Ganz anders Paris. Das Leben spielt sich ab in den Bars rund um den Boulevard Montparnasse, wo sich die Künstler tummeln, wo Revolutionäre Schach spielen und die Bohemiens aller Ausprägungen gesehen und gehört werden wollen.

Schnell beginnt Ernest Hemingway zu begreifen, welche Mission die Bars und Restaurants in diesem Wahnsinn erfüllen. Die Closerie des Lilas, das Café de Flore, das Le Dôme oder das Le Select. Diese Schauplätze umweht ein Geheimnis. Denn es sind nicht nur Örtlichkeiten zum Trinken und Essen. Es sind ebenso Wirkungsstätte zum in sich kehren und zum Kraft tanken. Ein Basislager des suchenden Menschen, um seine Mitte zu finden und seine Rolle im kleinen Leben.

Irgendwie scheinen es heilige Orte, die Zuflucht gewähren und Zuversicht ausstrahlen. Im Grunde sind es sakrale Stätten wie die Kirchen und Kapellen in seiner Heimat. Schutzorte und notwendige Stützpunkte in stürmischen Zeiten. Unantastbare Plätze. Viele dieser Lokalitäten sehen deshalb heute so aus wie damals.

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Wie eine Gedenktafel im Kirchenhaus. Das Café de Flore vergisst die Seinen nicht. In Dankbarkeit. Foto: W. Stock, 2022.

Eine Bar steht – pars pro toto – für die entsprechende Stadt. Die Close für Paris und das Café Iruña für Pamplona. Doch wie so oft bei Hemingway, man muss mental einen zusätzlichen Schritt wagen. Die Bars stehen auch für Lebensfreude und Erleuchtung. Im Grunde genommen postieren sie sich als Platzhalter für das Paradies.

Man beachte, wie Ernesto die Akteure seiner Erzählungen skizziert. Barbesitzer verteilen das Manna und den Wein, erhalten mitunter eine gottähnliche Aura. Barkeeper missionieren wie Petrus, bei ihnen wird gebeichtet und gebetet. Selbst die Kellner. Sie werden von Hemingway nicht wie Dienstleister dargestellt, sondern eher wie Götterboten.

So scheinen die Bars und Restaurants wie eine Pforte zum Himmelreich. Als irdisches Gotteshaus, das nicht verbietet, sondern die Daseinsfreude feiert. Als Orte, um dem Ideal ein wenig näher zu kommen. Und auch, um sich dem

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Ernest Hemingway. Place de la Concorde, Numéro 4. In Paris

Ernest Hemingways Bank-Quittung aus dem Jahr 1938. Die Guaranty Trust Company of New York. Mehr als nur eine Bank.

Als der amerikanische Schriftsteller mit Familie im März 1926 zum Winterurlaub im österreichischen Schruns weilt, nutzt er im Hotel Taube eine merkwürdige Meldeadresse. 4, Place de la Concorde, Paris. So schreibt sich der junge Journalist ins Gästebuch ein. Darunter setzt er den Namen seiner Frau, Hadley R. Hemingway und den des Sohnes John Hadley Nicanor Hemingway. „Zwei Jahre, fünf Monate“, hat die Wirtsfamilie Nels ergänzend dahinter gesetzt.

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In seiner Schrunser Ferien-Unterkunft Hotel Taube setzt Ernest Hemingway unter seinem Namen als Anschrift die Pariser Adresse 4 Place de la Concorde. Daneben den seltsamen chez-Zusatz: Guaranty Trust  Co. of N. Y.

Alles schön und gut. Doch an der feinen Place de la Concorde wohnt der amerikanische Korrespondent nicht. Seit Anfang Februar 1924 hat die dreiköpfige Familie eine Unterkunft in der Rue Notre-Dame-des-Champs Nummer 113 bezogen. Das Viertel mit seinen breiten Straßen und den traditionellen Stadtvillen im 6. Arrondissement ist teuer, in diesem Quartier residiert das wohlhabende Bürgertum von Paris. Die Closerie des Lilas, sein Lieblings-Café, liegt um die Ecke.

Die Anschrift Place de la Concorde Nummer 4 ist gleichwohl von anderem Kaliber. Zwischen dem Jardin des Tuileries und der Avenue des Champs-Elysées findet sich diese pickfeine Adresse. Auch der Louvre ist nicht weit weg. Sicherlich gehört die Place de la Concorde mit ihren klassizistischen Monumentalbauten zu den besten Anschriften in Paris.

Nun fällt mir in diesen Tagen die Hemingway-Quittung eines Bankhauses in die Hände, auf der wiederum die mysteriöse Adresse auftaucht. Guaranty Trust Company of New York ist eine amerikanische Bank, sie residiert just an der Place de la Concorde Nummer 4. Üblicherweise hat der Schriftsteller bei seinen Aufhalten in Paris seine Geldgeschäfte über dieses Finanzinstitut getätigt.

Zugleich hat Ernest das Bankhaus wohl auch als Postadresse verwendet. Eine ebenso pragmatische wie prestigeträchtige Maßnahme des Weltenbummlers. Früher ist es durchaus üblich gewesen, Bankadressen als Anlaufstation für persönliche Briefe und Päckchen zu nutzen. Ich kann mich noch gut an die 1970er Jahre erinnern, als ich in Indien, Mexiko und Südamerika herumturnte und die Stadtbüros des American Express als Poststelle nutzte.

Die Guaranty Trust Company of New York ist ein angestammtes Geldhaus gewesen, heute allerdings nicht mehr existent. Im Jahr 1959 ist der Guaranty Trust mit J. P. Morgan verschmolzen worden unter dem Merger-Namen Morgan Guaranty Trust Company. Später erfolgt dann eine Fusion mit der Chase Manhattan Bank.

Meiner Quittung zufolge hat Ernest Hemingway am 6. Mai 1938 bei dieser Geschäftsbank zwei Schecks eingezahlt. Der eine über den Betrag von 200 Dollar, der andere in der Höhe von 188,68 Dollar. Eine Menge Geld damals, dieser Gesamtbetrag von 388,68 Dollar, wir schreiben das Jahr 1938. Heutiger Kaufkraft entsprechend macht dies rund 8.500 Dollar aus.

Wir schreiben den 6. Mai 1938. Der damals bereits berühmte Reporter befindet sich auf dem Sprung nach Valencia und Madrid, wo er über den Bürgerkrieg berichten will. Am 16. Mai ist er wieder in Paris. Da besucht er Sylvia Beach in ihrer Buchhandlung Shakespeare & Company, wo beide über den Krieg in Spanien diskutieren. Ende Mai fährt Hemingway dann mit der Normandie zurück nach New York.

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In Paris – Ein Fest fürs Leben erwähnt Ernest Hemingway den Guaranty Trust. Er zahlt dort seinen Wettgewinn vom Pferderennen ein.

Den Guaranty Trust hat Ernest in Paris – Ein Fest fürs Leben in einer kurzen Passage erwähnt. Dort ruft er sich seine schöne Zeit in der französischen Hauptstadt ins Gedächtnis. Manche Beobachter sehen den Autor am 6. Mai jedoch

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Paris prägt Ernest Hemingway wie keine andere Stadt

Die Künstler und Paris – ein Himmelreich auf Erden. Foto: W. Stock, Paris im Oktober 2022.

Im Dezember 1921 erreichen der Amerikaner Ernest Hemingway und seine Frau Hadley Richardson nach zwei Wochen auf dem französischen Atlantikdampfer Leopoldina, aus Hoboken bei New York kommend, die europäische Küste. In Cherbourg nimmt das frisch vermählte Ehepaar dann den Nachtzug nach Paris. Das junge Paar plant, sich dort für längere Zeit niederzulassen, es sollten sieben Jahre werden.

Vom ersten Tag an empfindet Ernest eine intensive Verbundenheit mit seiner neuen Wahlheimat. Als freier Korrespondent der kanadischen Tageszeitung Toronto Star kommt der junge Ernest Hemingway nach Übersee, mit dem Auftrag, sich in Europa umzuschauen. Die Alte Welt ist in jenen Jahren ein Kontinent in Aufruhr, mit Ländern, die einen Weltkrieg hinter sich haben und durchgerüttelt werden von politischen Konflikten, wirtschaftlichen Krisen und sozialen Erschütterungen.

Der junge Journalist wird hineingeworfen in diese brodelnde Region, er ist unbedarft und hungrig nach dem Leben. Der attraktive Journalist aus Oak Park, einem Vorort von Chicago, ist jener Typus, der wunderbar zu dieser Stadt passt: bullig von Figur, breitschultrig, ein kantiges Gesicht, im Kontrast dazu mit sanften braunen Augen und mit einer einfühlsamen Stimme. 

Frisch verliebt und voller Träume leben Ernest und Hadley von wenig Geld in der Hauptstadt Frankreichs. Als Korrespondent verdient er nicht gerade üppig, die Erträge einer kleinen Erbschaft von ihr hält beide über Wasser. Das Liebespaar verbringt unbeschwerte Monate in der so quirligen Metropole an der Seine, sie sind arm, aber glücklich. Es gibt nur zwei Orte auf der Welt, wo der Mensch glücklich sein kann. Die Heimat und Paris.

Der Amerikaner wirkt, als lebe er im siebten Himmel. Für einen jungen Mann, der seiner bigotten Erziehung und der nüchternen Strenge des Mittelwestens der USA entflohen ist, gleicht das Paris der 1920er Jahre einem Himmelreich auf Erden. In der Stadt des Lichtes finden amerikanische Intellektuelle den Glanz und Glamour, jenen joie de vivre, den sie in der heimatlichen Tristesse aus Wirtschaftsdepression und Prohibition so schrecklich vermissen.

Ernest Hemingway und Paris – es passt wunderbar. Ein Bauch- und Augen-Mensch wie Ernest wird hier zum Flaneur, der in den Buchhandlungen stöbert, durch die engen Gassen des Quartier Latin bummelt oder als Müßiggänger im La Closerie des Lilas vor einem Café au Lait sitzt, das bunte Treiben beobachtet und schreibt. Vor allem die Gegend um den Boulevard du Montparnasse wird zu seinem Revier, hier warten Lebenslust und Frivolität an jeder Ecke.

In Paris begegnet Ernest Hemingway anregenden Frauen und Männern, er steht direkt an der Wiege neuartiger Ideen und kühner Anschauungen. Künstlerische Pioniere wie James Joyce und Pablo Picasso gehören zu seinem Freundeskreis. Der junge Ernest merkt, wie dieses kreative Flair ihn als Schreiber ermutigt. Die Harmonie mit seiner Ehefrau wirkt als Ruhepol, die umgängliche Hadley fängt den stürmischen Ehemann mehr als einmal auf. 

Er ist angekommen in seiner Traumwelt. Schöner vermag der 22-Jährige sich das Paradies nicht auszumalen. Wenn Du das Glück hattest, als junger Mensch in Paris zu leben, dann bleibt die Stadt bei Dir, einerlei wohin Du in Deinen Leben noch gehen wirst, denn Paris ist ein Fest fürs Leben.

Diese Metropole der Lebenslust überfällt den Amerikaner wie

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Im Zweiten Weltkrieg fehlen Ernest Hemingway die Worte


Im US-amerikanischen Magazin Collier’s vom 18. November 1944 veröffentlicht Ernest Hemingway über vier großformatige Seiten eine Reportage aus dem Krieg.

Anfang September 1944 sitzt der Schriftsteller in Paris auf gepackten Koffern. Er kann es nicht mehr erwarten, denn zum ersten Mal geht es für Ernest Hemingway an die Front des Zweiten Weltkriegs. Von der französischen Hauptstadt steuert er über Belgien in Richtung deutsche Westgrenze. Ziel der Alliierten ist es dort, die Siegfried-Linie aufzubrechen, jenen Wall von Holland bis zur Schweiz mit seinen Bunkern, Stollen und Panzersperren. Erst dann können die Amerikaner bis zur strategisch wichtigen Rheingrenze vorstoßen.

Die Infanterie durchbrach die Siegfried-Linie. Sie knackte sie an einem kalten, regnerischen Morgen, als nicht einmal die Krähen flogen, geschweige denn die Luftwaffe. Zwei Tage zuvor, am letzten Tag vor dem Einbruch des Schlechtwetters, waren wir am Ziel des Rattenrennens angelangt. Es war eine schöne Rattenjagd von Paris bis nach Le Cateau, mit erbitterten Kämpfen bei Landrecies, die nur wenige gesehen haben und an die sich noch weniger erinnern können. Dann waren die Pässe des Ardennenwaldes bezwungen worden, in einer Landschaft, die den Illustrationen zu Grimms Märchen glich, nur viel grimmiger.

Ernest Hemingway schlägt sein Quartier zunächst nicht hinter der Frontlinie im Hürtgenwald auf, sondern weiter südlich, mitten in der Schnee-Eifel, in kleinen Ortschaften wie Schweiler und Buchet. Die vorrückende US-Army nimmt Dorf für Dorf ein, sie ist den deutschen Truppen materiell und personell überlegen, doch aufgrund des unebenen Geländes geht es nur langsam voran. Der Widerstand der Wehrmacht ist in der ländlichen Eifel heftig, der Diktator hat ein Halten der Linien bis zum letzten Mann befohlen.

Als Kriegsberichterstatter für das Wochenmagazin Collier’s begleitet Hemingway den Vormarsch der Fourth Infantry Division’s 22nd Regiment im Gebiet der belgisch-deutschen Grenze. Der Autor bewegt sich hinter der Kampflinie, auf  luxemburgischem Territorium, in der Schnee-Eifel und schließlich weiter nördlich in der Nähe von Aachen. Der prominente Schriftsteller schließt sich meist den Truppen von Colonel Charles Lanham an, den alle Freunde Buck nennen. Bis Ende 1944 sollte Hemingway mehrmals zwischen Paris und den Frontabschnitten pendeln, im November und Dezember kommt er auf insgesamt 18 Einsatztage.

Ernest Hemingway Collier's

WAR IN THE SIEGFRIED LINE heißt Ernest Hemingways Reportage von der Front des Zweiten Weltkriegs in Collier’s. BY RADIO VIA PARIS.

Im Winter 1944 gelangen die amerikanischen Bodentruppen an den Hürtgenwald im Süden zwischen Aachen und Düren, wo ihr Vormarsch zum Stehen kommt. Das zerklüftete Gebiet erlebt von Oktober 1944 bis Februar 1945 blutige Gemetzel mit hohen Verlusten auf beiden Seiten. Das unebene Gelände mit den dichten Waldungen ist militärisch schwer zu nehmen, die Kämpfe, Mann gegen Mann, sind an Grausamkeit kaum zu überbieten. Ernest Hemingway hätte also einiges zu berichten in die Heimat.

Die Ansätze sind da, wie eine mehrseitige Reportage für die Collier’s-Ausgabe vom 18. November 1944 unter Beweis stellt. Zunächst skizziert Ernest Hemingways Prosa – wie so häufig – ein Landschafts-Panorama aus Bergen, Wäldern und Bächen. Der kleine Mensch in der großen Natur. Das Naturreich begrenzt als Rahmen das gewaltige Gemälde, der winzige Mensch irrt kopflos in der Pracht der Schöpfung umher. Das kann Ernest sehr gut, wie immer, es ist gekonnt.

Wir befanden uns auf einer Anhöhe, außerhalb des Waldes, und all die sanften Hügel und Wälder, die wir vor uns sahen, waren Deutschland. Aus dem Tal eines Baches unter uns ertönte ein schweres, vertrautes Dröhnen, als die Brücke gesprengt wurde. Und hinter der schwarzen Rauch- und Trümmerwolke, die aufstieg, sah man zwei feindliche Halbkettenfahrzeuge, die die weiße Straße hinauffuhren, die in die deutschen Berge führte.

Doch urplötzlich fällt seine Reportage in ein Loch. Ernest Hemingway hört auf,

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Der schönste Hemingway-Satz: Paris lohnt immer

Ernest Hemingway Paris
Paris geht niemals zu Ende, und die Erinnerung an jeden einzelnen Menschen, der dort gelebt hat, unterscheidet sich von der an jeden anderen. Wir sind immer dorthin zurückgekehrt, egal, wer wir waren oder wie es sich verändert hatte oder unter welchen Schwierigkeiten oder mit welcher Bequemlichkeit es zu erreichen war. Es hat sich immer gelohnt, und wir bekamen immer etwas zurück für das, was wir mitgebracht hatten.
Ernest Hemingway: Paris – Ein Fest fürs Leben.

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Machtprobe im großen Krieg: Mr. Hemingway gegen Mrs. Hemingway

Die Collier’s-Ausgabe von 30. September 1944 veröffentlicht einen Artikel von Ernest Hemingway, wie auch einen von seiner Ehefrau Martha Gellhorn.

Sechs Artikel schreibt Ernest Hemingway für das US-Wochenmagazin Collier’s aus dem Zweiten Weltkrieg. Der damals schon berühmte Autor berichtet aus London, von der Landung in der Normandie, aus Paris, von der Front in der Schnee-Eifel. Die Reportagen werden zwischen Juli und November 1944 in der viel gelesenen Zeitschrift veröffentlicht. Cabled from Paris steht über dem Text, die Artikel werden über Funk dem Magazin durchgegeben.

Collier’s, im Jahr 1888 von Peter Fenelon Collier gegründet, ist eine linksliberale Wochenzeitschrift, mit einem guten investigativen Journalismus und Beiträgen von zahlreichen Edelfedern. Auch die Cartoons und Illustrationen gehören mit zum Besten in der damaligen Zeit. Mitte der 1940er Jahre erreicht das Wochenmagazin in den USA eine Auflage von 2,8 Millionen Exemplaren.

Anfang 1944 bietet sich Ernest dem Magazin als Kriegsreporter in Europa an. Sein Verhalten gründet einen Tiefpunkt in der Ehe mit Martha Gellhorn. Die dritte Mrs. Hemingway, eine renommierte Journalistin, hat schon für Collier’s aus dem Spanischen Bürgerkrieg berichtet. Und sie ist nicht bereit, nach der Eheschließung beruflich kürzer zu treten.

Are you a war correspondent or wife in my bed?, faucht Ernest 1943 seine Ehefrau an, als Martha ihm ihre Pläne offenbart. Sie möchte aus Europa über den Zweiten Weltkrieg berichten. Ob seine Frau eine Kriegskorrespondentin oder die Frau in seinem Bett sei, die Antwort bekommt er von der resoluten Martha postwendend. Denn die ehrgeizige Journalistin wird sich gegen seinen Willen aufmachen von ihrem sonnigen Refugium Finca Vigía auf Kuba nach Europa.

Collier's Magazine

Einträchtig steht das Ehepaar Ernest Hemingway und Martha Gellhorn im Impressum von Collier’s untereinander. Doch in Wirklichkeit scheppert es.

Was dann kommt, gleicht einer Seifenoper. Der erzürnte Ernest lässt sich in seiner Wut zu einem hundsgemeinen Winkelzug hinreißen. Auch er geht für Collier’s nach Europa, er schreibt für dasselbe Magazin und will so seine Ehefrau vor den Augen der Leser in den Schatten stellen. Und so kommt es, dass Ernest aus dem Zweiten Weltkrieg berichtet, um seiner Gattin eins auszuwischen.

Battle for Paris nennt Ernest eine Reportage, sie beginnt auf Seite 11 in der Ausgabe vom 30. September 1944. Man erwartet einiges. „Hier ist die erste Depesche des Collier’s-Korrespondenten, der selbst lange in der Stadt des Lichts lebte“, wird der Bericht angekündigt.

Während dieser Zeit wurde ich von den Kämpfern der Résistance als „Herr Hauptmann“ angesprochen. Das ist im Alter von fünfundvierzig Jahren ein sehr niedriger Rang, und so sprachen sie mich in Gegenwart von Fremden gewöhnlich mit „Herr Oberst“ an. Denn sie waren ein wenig aufgebracht und beunruhigt über meinen sehr niedrigen Rang. Und einer von ihnen, dessen Aufgabe es seit einem Jahr war, sich Minen zu schnappen und deutsche Munitionslastwagen und Stabswagen in die Luft zu jagen, fragte mich vertraulich: „Mein Hauptmann, wie kommt es, dass Sie trotz Ihres Alters, Ihrer zweifellos langen Dienstzeit und Ihrer offensichtlichen Verwundungen (verursacht in London durch den Aufprall mit einem stehenden Lastwagen mit Wassertank) immer noch nur Hauptmann sind?“ „Junger Mann“, antwortete ich ihm, „ich konnte im Rang nicht aufsteigen, weil ich weder lesen noch schreiben kann.“

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist ColliersBattle2-1-1-806x1024.jpg

Battle for Paris überschreibt Hemingway seine Reportage.

Es könnte lustig sein, wenn alles nicht so ernst wäre. Als Ungedienter, Ernest ist 1918 durch die Musterung gefallen, plagt ihn mal wieder sein Komplex eines nicht vorhandenen Offiziersrangs. Wenn es nur das wäre! Weil Ernests Gedanken vornehmlich um ihn kreisen, beißt sich Battle for Paris an Äußerlichkeiten fest. Diese selbstverliebte Geschwätzigkeit des Autors stösst mehr als einmal sauer auf. Doch Hemingway in seiner Eigensucht sieht nur sich selbst, dieser Krieg, der die Welt aus dem Fundament reißt, erscheint wie ein Ausflug zum Baseball-Match gegen die Mannschaft aus der Nachbarstadt.

Welch ein Unterschied zu seinen Reportagen aus dem Spanischen Bürgerkrieg! Sechs Jahre zuvor hat er leidenschaftliche Berichte aus Spanien geliefert, detailgenau und anschaulich, die Sprache ist engagiert und packend. Im Spanischen Bürgerkrieg erreicht der Journalist Hemingway wohl den Höhepunkt seiner Kreativität. Doch nun – im Zweiten Weltkrieg – plätschern seine Reports an der Oberfläche, dieser begnadete Stilist und Beobachter bleibt störrisch, er geht nicht in die Tiefe.

Ganz anders Martha Gellhorn, die derweil in Europa auf eigenen Spuren wandelt. In der Collier’s-Ausgabe vom 30. September 1944 kommt es unfreiwillig zu einem Showdown. In diesem Heft wird ein langer Artikel von Ernest, als auch eine dreiseitige Reportage von Martha veröffentlicht. Hemingway gegen Hemingway. Er erzählt

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Der schönste Hemingway-Satz: Hadley, die Glückliche

Hemingway Ernest Hadley Paris
Die Geschichten in diesem Buch sind erfunden. Ich habe viel weggelassen und verändert und herausgestrichen, und ich hoffe, Hadley versteht das. Sie wird sehen, warum ich das hoffe. Sie ist die Heldin und die Einzige, die ein Leben hatte, das gut ausgegangen ist .
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